Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(7): 161-162
DOI: 10.1055/s-2001-11192
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hämodialyse nach Röntgenkontrastmittelgabe - nützlich, schädlich oder unwirksam?

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Die Arbeit von E. D. Berger et al. in diesem Heft der DMW stellt erneut ein Thema zur Diskussion, welches in der klinischen Nephrologie derzeit noch umstritten ist. Zum Verständnis ist einige Hintergrundinformation hilfreich.

In den letzten Jahren stieg mit der Zunahme der invasiven Dia-gnostik vor allem in der Kardiologie auch die Häufigkeit des kontrastmittelinduzierten akuten Nierenversagens (RK-ANV) an. Es stellt heute etwa 1/3 aller in der Klinik erworbenen Fälle akuten Nierenversagens dar. Die Bedeutung dieser Komplikation wird unterstrichen durch die Tatsache, dass bei Patienten mit RK-ANV die Sterblichkeit um den Faktor 5,5 gesteigert ist - auch nach Korrektur für Co-Morbidität. Ferner werden enorm hohe Behandlungskosten verursacht. Krämer et al. [1] schätzten die Zahl der Fälle von RK-ANV in Deutschland auf über 6.000 Fälle pro Jahr. Die wichtigsten prädisponierenden Faktoren sind Proteinurie, vorbestehende Niereninsuffizienz sowie Diabetes. Das Risiko ist am höchsten, wenn diese Faktoren zusammentreffen.

Die Untersuchung von Rudnick [2] legt nahe, dass bei Hochrisiko-Patienten die Verwendung der allerdings teureren niederosmolaren nicht-ionischen Röntgenkontrastmittel das Risiko vermindert.

Es besteht kein Zweifel, dass heute wirksame Verfahren zur Verfügung stehen, um ein RK-ANV zu verhindern. In einer Schlüsselarbeit zeigte Solomon [3], dass bei Hochrisikopatienten die alleinige Hydrierung der Gabe von Manitol rsp. Furosemid überlegen ist. In dieser Untersuchung wurde 12 Stunden vor und 12 Stunden nach dem Eingriff im Mittel 840 ml halb normale NaCl-Lösung infundiert. Zusätzliche Maßnahmen, die das Risiko mindern, sind befristetes Aussetzen der Diuretikabehandlung, befristetes Absetzen von ACE-Hemmern und Vermeidung der gleichzeitigen Gabe nephrotoxischer Medikamente, z. B. Aminoglykoside und nicht-steroidale Entzündungshemmer. Eine neuere Arbeit [4] legt auch nahe, dass bei 2-mal täglicher prophylaktischer Gabe eines Anti-oxydans, 600 mg Acetylcystein p. o., die Serum-Kreatinin-Spiegel nach Röntgenkontrastmittelgabe niedriger sind. Auffällig an dieser Arbeit ist allerdings, dass Acetylcystein zu einem Abfall des Serum-Kreatinin, nicht jedoch - wie zu erwarten wäre - zur Verhinderung des Anstiegs wie in der Plazebogruppe führte, sodass sicherlich noch weitere Untersuchungen nötig sind.

Im Vergleich zum gesicherten Stellenwert der Prophylaxe ist die Entfernung des injizierten Röntgen-Kontrastmittels durch Dialyse noch sehr umstritten. Mit einer dreistündigen Standard-Hämodialyse wird nach den Untersuchungen von Lehnert [5] zwar eine Clearance von etwa 70 ml/min. erzielt; allerdings werden nur 32 % der Dosis eliminiert, sodass das Verfahren keineswegs besonders effektiv ist. In einer prospektiven randomisierten Studie an 30 Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion fand Lehnert nach Gabe von etwa 80 ml Iopentol und vorangehender Hydrierung keinen signifikanten Unterschied in der Häufigkeit des Serum-Kreatinin-Anstiegs (≥ 0,5 mg/dl nach 48 Stunden) zwischen den konservativ behandelten und den mit Hämodialyse behandelten Patienten [5]. Wie wenig das Problem heute in Fachkreisen als abgeschlossen betrachtet wird zeigt die Tatsache, dass bei der letzten Jahrestagung der American Society of Nephrology zwei Mitteilungen [6] [7] sich mit der Frage befassten, ob Hämodialyse die Häufigkeit des RK-ANV vermindert- beide bemerkenswerterweise mit negativem Ergebnis.

Gibt die Arbeit von Berger et al. im vorliegenden Heft die definitive Antwort?

Die Arbeit hat zweifelsohne Schwächen. Die Fallzahl ist klein, die verabfolgte Röntgenkontrastmittelmenge ist unglücklichweise in den beiden Gruppen - Hämodialyse vs. konservative Behandlung - unterschiedlich und die Verteilung der Hochrisikopatienten (Diabetes mellitus) in beiden Gruppen ungleich. Bei der limitierten Stichprobengröße ist a priori die Aussagekraft beschränkt. Wegen der gewählten Dialysebedingungen ist auch die Entfernung des Röntgenkontrastmittels nicht sehr effektiv. Die Arbeit erbringt somit keinesfalls die definitive Antwort, fügt sich jedoch in die stattliche Reihe früherer Mitteilungen mit negativem Ergebnis ein. Der kritische Leser darf jedoch vermuten, dass dann, wenn mehrere Studien keinen positiven Effekt zeigen, ein positiver Effekt - wenn er denn existiert - bescheiden sein muss. Ob angesichts der Komplexität und der Schwierigkeit derartiger Studien in absehbarer Zukunft überhaupt eine allen Kritiken standhaltende Untersuchung vorgelegt werden wird, ist eher unwahrscheinlich.

Was soll der praktizierende Nephrologe angesichts der schon früher von Liebl und Krämer [8] in dieser Zeitschrift beklagten unbefriedigenden Datenlage tun?

Medizin ist nach den Worten von Sir William Osler »the science of uncertainty and the art of probability«. Der vorsichtige Nephrologe wird wegen der biologischen Plausibilität der Röntgenkontrastmittel-Entfernung auch heute noch eine prophylaktische Hämodialyse durchführen können, ohne sich dem Vorwurf der »medical malpractice« auszusetzen. Allerdings ist die Dialyse keineswegs völlig ungefährlich, da wegen der gestörten renalen Autoregulation geschädigter Nieren Blutdruckabfall oder hämodynamische Instabilität ein akutes Nierenversagens begünstigen können.

Der kritische Nephrologe wird im Zeitalter der »evidence based medicine« die Hämodialyse unterlassen, ebenfalls ohne sich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, einen medizinischen Kunstfehler zu machen.

Unbestritten bleibt, dass nicht-invasive prophylaktische Maßnahmen gegenüber der Hämodialyse als präemptiver Maßnahme absoluten Vorrang haben.

Literatur

  • 1 Krämer B K, Kammerl M, Schweda F, Schreiber M. A primer in radiocontrast-induced nephropathy.  Nephrol Dial Transplant. 1999;  14 2830-2834
  • 2 Rudnick M R, Goldfarb S, Wexler L, Ludbrook P A, Murphy M J, Halpern E F, Hill J A, Winniford M, Cohen M B, VanFossen D B. Nephrotoxicity of ionic and nonionic contrast media in 1196 patients: A randomized trial. The Iohexol Cooperative Study.  Kidney Int. 1995;  47 254-261
  • 3 Solomon R, Werner C, Mann D, DElia J, Silva P. Effects of saline, mannitol, and furosemide to prevent acute decreases in renal function induced by radiocontrast agents.  N Engl J Med. 1994;  331 1416-1420
  • 4 Tepel M, van der Giet M, Schwarzfeld C, Laufer U, Liermann D, Zidek W. Prevention of radiographic-contrast-agent-induced reductions in renal function by acetylcysteine.  N Engl J Med. 2000;  343 180-184
  • 5 Lehnert T, Keller E, Gondolf K, Schaffner T, Pavenstadt H, Schollmeyer P. Effect of haemodialysis after contrast medium administration in patients with renal insufficiency.  Nephrol Dial Transplant. 1998;  13 358-362
  • 6 Bader B D, Berger E D, Heede M, Silberbaur I, Risler T, Erley C. Fluid administration - when and how much to prevent contrast media nephrotoxicity.  J Am Soc Nephrol. 2000;  11 A0675
  • 7 Bories P, Borde J S, Rostaing L, Tran T, Cisterne J M, Asma A, Dupre C, Tack I, Ader J L, Durand D. Relevance of hemodialysis to prevent radiocontrast-induced nephrotoxicity.  J Am Soc Nephrol. 2000;  11 A1653
  • 8 Liebl R, Krämer B K. Complications after administration of contrast media in high-risk patients. Is a prophylactic dialysis meaningful.  Dtsch med Wschr. 1996;  121 1475-1479

Dr. M Schömig,
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. E. Ritz

Medizinische Klinik - Sektion Nephrologie

Klinikum der Universität Heidelberg

Bergheimer Straße 56a

69115 Heidelberg