Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(14): 415
DOI: 10.1055/s-2001-12636
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Therapie der Polycythaemia vera

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Frage: Welche Bedeutung haben Aderlasstherapie und Leukozytapherese für die Therapie der Polycythaemia vera?

Antwort: Die Aderlasstherapie und alternativ auch die isovolämische Erythrozyt-apherese senken den Hämatokrit, kontrollieren jedoch im Gegensatz zu Zytostatika und Interferon-α nicht die gesteigerte Myeloproliferation [5] . Aderlasstherapie und Erythrozytapherese können bei der Polycythaemia vera (PV) unter zwei Gesichtspunkten eingesetzt werden:

als primäre Therapiemaßnahme zur raschen Absenkung des Hämatokrit und als Langzeittherapie zur dauerhaften Einstellung des Hämatokrit auf Zielwerte um 45 %.

Beide Methoden führen bei längerfristig durchgeführter Behandlung zur Eisendepletion [2] [3], wobei die mit dem Eisenmangel verbundene Proliferationshemmung der erythroiden Vorläuferzellen bei der PV erwünscht ist [6]. Kontrollierte Studien zum Vergleich von Aderlasstherapie und Erythrozytapherese liegen weder für den Primäreinsatz noch für die Langzeitherapie der PV vor.

zu 1.) Aderlasstherapie und isovolämische Erythrozytapherese können als primäre Therapiemaßnahme rasch zur Besserung von PV-bedingten Symptomen führen. Vorteile der Erythrozytapherese liegen in der Möglichkeit einer rascheren Absenkung des Hämatokrit, wobei bereits nach einer einmaligen Erythrozytapherese in der Norm liegende Hämatokritwerte erzielt werden können. Außerdem sind längere therapiefreie Intervalle möglich [3]. Nachteilig ist, dass die Erythrozytapherese nur an dafür ausgestatteten Einrichtungen durchführbar ist, während die Aderlassbehandlung auch in der Praxis von niedergelassenen Ärzten ohne großen Aufwand möglich ist.

zu 2.) In der Langzeittherapie wurde im Rahmen von größeren prospektiven, randomisierten Studien nur die Aderlasstherapie eingesetzt. In der dreiarmigen Studie der Polycythaemia Vera Study Group (PVSG) wurde zwar eine niedrigere Rate an akuter Leukämie und Zweitmalignomen unter alleiniger Aderlasstherapie im Vergleich zu zytoreduktiver Therapie (P32, Chlorambucil) beobachtet. Die alleinige Aderlasstherapie war jedoch in anderer Hinsicht mit Nachteilen verbunden.

a) Eine alleinige Aderlasstherapie erwies sich in kontrollierten Studien bei einem großen Teil der Patienten mit PV als in der Praxis schwer umsetzbar. So wurden 47 von 134 (35 %) in den Phlebotomiearm der Polycythaemia Vera Study Group (PVSG) randomisierte Patienten wegen Protokollverletzung oder Fehlen von Verlaufsdaten als nicht auswertbar eingestuft, ein deutlich höherer Anteil als unter zytoreduktiver Therapie [1]. Die Auswertungen von 104 französischen Patienten mit PV, die nach den Protokollen der PVSG mit alleiniger Aderlasstherapie behandelt worden waren, ergaben, dass nach 2 Jahren 27 %, nach 5 Jahren über 50 % und nach 9 Jahren etwa 90 % der ursprünglich in den Phlebotomiearm randomisierten Patienten nicht mehr mit dieser Therapie behandelt wurden. Ausschlussgründe waren fortgeschrittenes Alter, Risiko für Gefäßerkrankungen, ausgeprägte Thrombozytose sowie Nachlässigkeit oder Ablehnung von Seiten des Patienten, die Entwicklung einer Splenomegalie und der Übergang in die »spend phase« oder in eine Myelofibrose (OMF) [8] .

b) Die Langzeitverläufe dieser Patienten weisen außerdem auf einen früheren und häufigeren Übergang in eine OMF unter alleiniger Aderlasstherapie im Vergleich zu zytoreduktiver Therapie (P32) hin [8]. Möglicherweise wirkt sich die unter der Aderlasstherapie unkon-trollierte Proliferation der Megakaryozyten begünstigend auf die Entwicklung einer OMF aus. Auf entsprechende Zusammenhänge weisen die Ergebnisse einer britischen Studie hin, wo ein eher verzögerter Übergang der PV in eine OMF beobachtet wurde, wenn zur Kontrolle der Thrombozytenzahl zusätzlich eine niedrig dosierte Chemotherapie mit Busulfan verabreicht wurde [7].

c) Nach den Resultaten der PVSG fand sich in den ersten drei Jahren nach Therapiebeginn eine deutlich höhere Rate an tödlichen thromboembolischen Komplikationen unter alleiniger Aderlasstherapie im Vergeich zu zytoreduktiver Therapie (P32, Chlorambucil) [1] .

Schwere thromboembolische Komplikationen wurden auch bei Patienten beobachtet, die mit Erythrozytapherese behandelt wurden [3]. Zur Bewertung von Praktikabilität und Resultaten der Langzeittherapie mit dieser Methode stehen bisher nur retrospektive Auswertungen an einer begrenzten Patientenzahl zur Verfügung [3]. Es ist wahrscheinlich, dass die Nachteile der alleinigen Aderlasstherapie auch für den Langzeiteinsatz der Erythrozytapherese gelten. Für die mögliche Annahme, dass die Erythrozytapherese mit der zytoreduktiven Therapie bei der Behandlung der PV gleichgesetzt werden kann, ergibt sich aufgrund der Datenlage kein Hinweis.

Literatur

  • 1 Berk P D, Goldberg J D, Silverstein M N, Weinfeld A, Donovan P B, Ellis J T, Landaw S A, Laszlo J, Najean Y, Pisciotta A V, Wasserman L R. Increased incidence of acute leukemia in polycythemia vera associated with chlorambucil therapy.  N Engl J Med. 1981;  304 441-447
  • 2 Fruchtman S, Wasserman L. Therapeutic recommendations for polycythemia vera. W.B. Saunders Company In: Wasserman L, Berk P, Berlin N. Polycythemia vera and the myeloproliferative Disorders 1990: 337-349
  • 3 Kaboth U, Rumpf K W, Lipp T, Bigge J, Nauck M, Beyer J H, Seyde W, Kaboth W. Treatment of polycythemia vera by isovolemic large-volume erythrocytapheresis.  Klin Wochenschr. 1990;  68 18-25
  • 4 Kaboth U, Rumpf K W, Hiddemann W, Kaboth W. Chronische myeloproliferative Erkrankungen. Erythrocytopherese bei Polycythaemia vera.  Dtsch Med Wschr. 1996;  121 1483
  • 5 Lengfelder E, Hehlmann R. Polyzythämia vera. Aktueller Stand der Therapie.  Dtsch Med Wschr. 2000;  125 1243-1247
  • 6 Liersch T, Vehmeyer K, Kaboth U. Großvolumige, isovolämische Erythrozytapherese in der Behandlung der Polycythaemia vera. Einfuss des massiven Eisenentzugs auf das Proliferationsverhalten erythroider Vorläuferzellen (BFU-E).  Med Klin. 1995;  90 390-397
  • 7 Messinezy M, Pearson T C. Incidence of myelofibrosis following treatment of primary polycythaemia by venesection.  Br J Haematol. 1995;  89 228-229
  • 8 Najean Y, Rain J D. The very long-term evolution of polycythemia vera: An analysis of 318 patients initially treated by phlebotomy or 32P between 1969 and 1981.  Semin Hematol. 1997;  34 6-16

PD Dr. Eva Lengfelder
Prof. Dr. Rüdiger Hehlmann

III. Med. Klinik Mannheim

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