Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(17): 483-484
DOI: 10.1055/s-2001-13051
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Brauchen wir noch die Gefäßchirurgie?

Is vascular surgery still needed?M. Storck
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Ob in der heutigen Zeit die Gefäßchirurgie noch notwendig ist oder ob man möglicherweise ohne sie auskommt, ist eine Frage mit vielen Facetten. Die Antwort ist nicht ohne weiteres von einer Positionsbestimmung des Fachgebietes Gefäßchirurgie zu trennen.

Periphere Gefäßkrankheiten, insbesondere solche des arteriellen Systems, werden heutzutage von vielen Disziplinen diagnostisch und therapeutisch betreut. Die Arteriosklerose als »chirurgische Aufgabe« betraf früher die Behandlung der Claudicatio intermittens bis hin zur Nekrose mit drohendem Extremitätenverlust, die zerebralen Durchblutungsstörungen, sofern auf extrakranielle Stenosen oder Verschlüsse zurückzuführen, sowie die Aneurysmakrankheit. Auch embolische Ereignisse oder akute Blutungen waren chirurgische Domäne. Heutzutage haben diese Krankheitsbilder keine eindeutige Zuordnung zur Gefäßchirurgie mehr, sondern werden auch von Angiologen, Radiologen, Kardiologen, oder Neuroradiologen behandelt.

Zum Verständnis der heutigen Situation der Gefäßchirurgie ist die historische Rückblende hilfreich. Die früheren Lehrstühle für Chirurgie umfassten unter anderem die Herzchirurgie, Traumatologie, Urologie sowie die ohne Herz-Lungen-Maschine durchzuführende Thorax- und Gefäßchirurgie. Viele der Wegbereiter der modernen Gefäßchirurgie in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg (R. Zenker, G. Heberer, P. Sunder-Plassmann) waren auch herzchirurgisch tätig. Bei der dann erforderlichen Organspezialisierung wurden zunächst die Herzchirurgie, später auch andere Bereiche wie Urologie und Traumatologie zunehmend verselbstständigt, was sich auch in den entsprechenden Ausbildungsordnungen niederschlug. Strittig blieb, wer die Kompetenz für Thorax- und Gefäßchirurgie erhalten soll - Herzchirurgie oder die sogenannte Allgemeinchirurgie als Mutterdiziplin der Chirurgen. Heutzutage kann die Schwerpunktbezeichnung Thoraxchirurgie und Gefäßchirurgie von beiden Berufsgruppen erlangt und ausgeübt werden. In Europa wird die Gefäßchirurgie zunehmend als eigene chirurgische Disziplin mit einem »common trunc« im Rahmen der Ausbildung (gemeinsam mit der Viszeralchirurgie) durchgeführt [4]. Dass Gefäßchirurgie von Gefäßchirurgen betrieben werden soll und nicht »nebenher« von Allgemeinchiurgen, ist selbstverständlich. Die besseren Ergebnisse der Spezialisten sind gut belegt [1].

Die in der Therapie von Gefäßerkrankungen zunehmende praktizierten endovaskulären Verfahren, zunächst einmal nur die perkutane transluminale Angioplastie (PTA), wurde und wird zunehmend von interventionell tätigen Radiologen (eine Schwerpunktbezeichnung existiert allerdings bisher noch nicht), Kardiologen, Neuroradiologen und Angiologen ausgeführt. Die deutsche Gefäßchirurgie hat sich erst im nachhinein in Konkurrenz zu diesen Disziplinen um eine wissenschaftlich fundierte Indikationsstellung und auch um Erlernen dieser Techniken bemüht. Wie auch bei anderen minimal-invasiven Techniken in der Chirurgie ist natürlich die geringere Invasivität eines endovaskulären Eingriffes bestechend. Solche Verfahren können aber oftmals nur als experimentell bezeichnet werden (Beispiel: Stenteinlage zur Behandlung symptomatischer und asymptomatischer Karotisstenosen). Es sollte auf jeden Fall vor einer routinemäßigen Anwendung dieser Methode auf die Ergebnisse der entsprechenden multizentrischen randomisierten Studien (z.B. SPACE-Studie) gewartet werden.

Es kann durchaus argumentiert werden, dass nur derjenige eine invasive Therapie ausüben sollte, der auch die Komplikationen beherrscht. Andererseits ist bei der koronaren Intervention (PTCA und Stent) natürlich klar, dass diese nicht von Herzchirurgen durchgeführt wird. Von Brisanz ist aber beispielsweise eine komplizierte PTA einer Nierenarterie, noch mehr die endovaskuläre Aortenchirurgie zur Behandlung der Aneurysmakrankheit im abdominellen und thorakalen Gefäßabschnitt. Die Rolle des Gefäßchirurgen kann sich hierbei selbstverständlich nicht auf die Leistenfreilegung zur Einführung einer großlumigen Schleuse beschränken, sondern der Gefäßchirurg muss bei Indikationsstellung, Planung und Durchführung des Eingriffs eine gleichberechtigte, wenn nicht sogar führende Rolle spielen. Um die Komplexität der geteilten Verantwortung zu skizzieren, sei allerdings auch erwähnt, ob die nach Aortenstent zu einem gewissen Prozentsatz erforderliche Reintervention [2] - beispielsweise der Verschluss von Endoleaks - allein vom Gefäßchirurgen ohne Hinzuziehen eines Interventions-Radiologen beherrscht werden kann. Vielmehr liegt hier eine Interessengemeinschaft vor.

Abgesehen von einen gewissen Grad an Überschneidung der Indikationen zum offenen oder perkutanen interventionellen Eingriff gibt es natürlich Bereiche, die genuin gefäßchirurgisch bleiben. Beispielsweise gibt es ausführliche Leitlinien und Empfehlungen der TASC-Gruppe (Transantlantic Intersociety Consensus) europäischer und amerikanischer angiologischer und gefäßchirurgischer Fachgesellschaften zur elektiven und notfallmäßigen Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit [3]. Die zu erwartende Verdoppelung der Zahl der Diabetiker mit mikro-makroangiopathischen Komplikationen innerhalb der nächsten Dekade lässt es darüberhinaus unwahrscheinlich erscheinen, dass die Indikation zum kruralen Venenbypass trotz der Möglichkeit der kruralen PTA in erfahrener Hand aus dem Therapie-Spektrum herausfallen wird. Ein weiteres Beispiel ist die Versorgung komplexer Gefäßverletzungen bis hin zur traumatischen Gliedmaßenamputation, bei der ein Chirurg mit gefäßchirurgischer Erfahrung hinzugezogen werden muss. Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, dass natürlich nicht jedes abdominelle und thorakale Aneurysma (einschließlich bestimmter Formen der Aortendissektion) endovaskulär therapierbar ist.

Die Zukunft der Gefäßchirurgie wie auch vieler anderer Gebiete der Medizin liegt in einem problemorientierten Ansatz, der sich nicht mehr streng an Fachdisziplinen hält. Im günstigsten Falle kann der Patient hoffen, von einem Expertenteam in einem interdisziplinären Konzept betreut zu werden (sogenanntes »Gefäßzentrum«). Die Bildung solcher Gefäßzentren ist allerdings nur sinnvoll, wenn die beteiligten Partner (Angiologie, Radiologie, Gefäßchirurgie, sowie weitere klinische Partner) möglichst gleichberechtigt vertreten sind. Dies hängt jedoch überwiegend von den im jeweiligen Krankenhaus vorhandenen (Abteilungs-)Strukturen ab und ist nicht immer konfliktfrei möglich. Ziel ist eine rasche Entscheidungsfindung auf möglichst hohem Kompetenzniveau, um so einen möglichst optimalen, wirtschaftlichen Organisations- und Therapieablauf zu realisieren. Dies wird auch unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte, zu denen in Zukunft im Rahmen der diagnosebezogenen Vergütung (DRG) auch eine Verkürzung oder Vermeidung eines stationären Aufenthaltes gehören wird, erforderlich werden.

Zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage bleibt festzuhalten: Neben einer optimalen problemorientierten Kooperation wird der Gefäßchirurg auch in Zukunft als Ansprechpartner für Patienten gebraucht und darüber hinaus als Manager von Komplikationen nach interventioneller Therapie sowie als Therapeut vieler Krankheitsbilder, die nicht oder nur teilweise interventionell therapierbar sind.

Literatur

  • 1 Hill S L, Holtzman G. Vascular surgeons - do they make a difference in peripheral vascular disease?.  Surgery. 2001;  129 136-142
  • 2 Laheij R JF, Buth J, Harris P L, Moll F L, Stelter W J, Verhoevens E LG. on behalf of the Eurostar collaborators. . Need for secondary interventions after endovascular repair of abdominal aortic aneurysms. Intermediate-term follow-up results of a european collaborative registry (EUROSTAR).  Brit J Surg. 2000;  87 1666-1673
  • 3 Tasc working group. . Management of peripheral arterial disease. Transatlantic Inter-Society Consensus (TASC).  J Vasc Surg. 2000;  31 S1-S296 (Supplement)
  • 4 Wolfe J HN, Enzler M. European collaboration in vascular surgery.  Gefäßchirurgie. 2001;  6 1-2

Prof. Dr. M. Storck

Schwerpunkt Gefäßchirurgie

Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Philipps-Universität Marburg

Baldingerstr.

35043 Marburg