Psychother Psychosom Med Psychol 2001; 51(2): 41
DOI: 10.1055/s-2001-14369
EDITORIAL
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Herbert Weiner 80 Jahre

Herbert Weiner 80 Years
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Fragt man heute nach der Bedeutung Herbert Weiners für die Medizin im Allgemeinen und die Psychosomatische Medizin im Besonderen, so wird man - jeweils nach Adressat oder Land - völlig unterschiedliche Antworten erhalten. Zwar werden die meisten in Deutschland als erstes seine berühmte, noch heute paradigmatische Ulkusstudie nennen [1] - eine Zusammenfassung für eilige Leser findet sich bei v. Rad [2] - andere jedoch werden mehr auf seine bahnbrechenden Arbeiten zur essenziellen Hypertonie, zur Anorexia nervosa oder sein umfassendes Lehrbuch „Psychobiology and human disease” [3] verweisen. Stellt man die gleiche Frage in den USA, so wird man eher andere Antworten erhalten: Hier sind seine zusammen mit Hofer und Ackermann durchgeführten tierexperimentellen Untersuchungen zu den Folgen früher Mutter-Kind-Trennungen bei Ratten [4], die von ihm entworfenen neuroendokrinologischen und psychoimmunologischen Studien [5 7] oder seine in Deutschland noch zu wenig zur Kenntnis genommene Monografie zur Revision der Stressforschung [8] in hohem Maße aktuell. Die Leser dieser Zeitschrift, der er seit langem als wissenschaftlicher Beirat verbunden ist, haben immer wieder an seinen Publikationen und Stellungnahmen Anteil nehmen können, zuletzt durch sein Editorial zur Problematik des Helicobacters [9].

Zwei verschiedene Folgerungen lassen sich daraus ableiten: 1. Kein Autor hat für die psychosomatische Forschung international so viel Anerkennung gefunden und in Bewegung gebracht wie Herbert Weiner. 2. Psychosomatische Medizin als Forschungsgegenstand geht in den USA deutlich andere Wege als in Deutschland (und Europa). Dort spielt die Frage einer empiriegeleiteten versus einer theoriegeleiteten Forschung [10] eine entscheidende Rolle. Dass Herbert Weiner sowohl in den USA als auch in Europa erfolgreich war und Maßstäbe setzen konnte, hat natürlich neben seiner persönlichen Begabung auch mit seiner Biografie zu tun, die ihn 6-jährig zur Emigration aus dem nationalsozialistisch durchtränkten Österreich zunächst nach England und dann 18-jährig in die USA führte. Dort hat er eine umfassende klinisch-psychiatrische, neurologische und empirisch-wissenschaftliche, aber auch eine psychoanalytische Ausbildung bei den herausragenden Lehrern dieser Zeit gesucht und erhalten, die ihn zu den vielseitigen Beiträgen, zunächst in New York (Montefiore Hospital/Albert Einstein College) und seit 1982 am Neuropsychiatric Institute der UCLA in Los Angeles, befähigten. Die umfassende Bildung und Ausbildung, gepaart mit empirisch-wissenschaftlichem Know-how auf dem Hintergrund einer breiten klinischen und psychotherapeutischen Erfahrung machen es möglich, dass H. Weiner ungezählte Wissenschaftler in den USA und in Deutschland ausgebildet hat - er betreut bis heute ein von ihm initiiertes, ganzheitlich ausgerichtetes Stipendienprogramm des NIH. Dabei spielt es keine Rolle für seine Kompetenz, ob man ein methodisches Messproblem neuroendokrinologischer oder psychoimmunologischer Forschung, eine klinische oder psychotherapeutische Behandlungsschwierigkeit, oder eine theoretische Fragestellung der Psychoanalyse an ihn heranträgt. Obwohl inzwischen Amerikaner aus Überzeugung, hat er seine europäischen Wurzeln und deren Traditionen nie abgestreift oder verleugnet und - trotz des Leides, das seine Familie durch Deutsche erlitten hat - immer wieder in längeren Aufenthalten (z. B. in München) junge deutsche Wissenschaftler in psychosomatischer Forschung ausgebildet.

Nur eine der vielen Ehrungen, die er in seinem Leben bislang erhalten hat, sei noch erwähnt, weil sie für unser Fachgebiet ganz ungewöhnlich ist: Mit Datum vom 14. 11. 1988 ernannte die Technische Universität München Herbert Weiner „in Anerkennung seiner bahnbrechenden Forschungen zur Psychobiologie und Pathophysiologie von Angst und Verlust in ihrer Bedeutung für die Entstehung von Krankheiten als Beispiel für die Theorie und Praxis einer patientenzentrierten Medizin, zum Doktor der Medizin ehrenhalber”.

Herausgeber und Leser von PPmP sind stolz und dankbar für sein Engagement und gratulieren mit vielen guten Wünschen.

Literatur

  • 1 Weiner H. et al . Etiology of duodenal ulcer. I. Relation of specific psychological characteristics to rate of gastric secretion (serum pepsinogen).  Psychosom Med. 1957;  19 1-10
  • 2 v Rad M. Der Beitrag der Psychoanalyse zur Medizin - Ausgewählte Forschungsergebnisse H. Weiners (statt einer Laudatio).  Psychother med Psychol. 1989;  39 91-95
  • 3 Weiner H. Psychobiology and Human Disease. North Holland, New York; Elsevier 1977
  • 4 Ackermann S H, Hofer M A, Weiner H. Early maternal separation increases gastric ulcer risks in rats by producing a latent thermoregulatory disturbance.  Sciences. 1978;  201 373-376
  • 5 Irwin M R, Weiner H. Depressive symptoms and immune functions during bereavement. In: Zisook S (ed) Biopsychosocial aspects of bereavement. Washington, DC; Am Psychiatric Press 1987: 157-174
  • 6 Kemeny M E. et al . Immune System Changes After the death of a Partner in HIV-Positive Gay Men.  Psychosomatic Medicine. 1995;  57 547-554
  • 7 Weiner H. Social and Psychobiological Factors in Autoimmune Disease. In: Ader R, Felten DL, Cohen N (ed) Psychoneuroimmunology Second Edition. 1990: 955-1011
  • 8 Weiner H. Pertubing the Organism - The biology of Stressful Experience. Chicago, London; The University of Chicago Press 1992
  • 9 Weiner H. Immer wieder der Reduktionismus - Das Beispiel des Helicobacter pylori.  PPmP Psychother Psychosom med Psychol. 1998;  48 425-429
  • 10 v Uexküll T. Die Bedeutung der Theorienbildung in der Psychosomatik.  PPmP Psychother Psychosom med Psychol. 1989;  39 103-105

Michael von Rad, München