Suchttherapie 2001; 2(2): 61-64
DOI: 10.1055/s-2001-14376
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Case Management: Prozess-Steuerung und Koordination in der Arbeit mit Abhängigen

Case Management: Process Navigation and Coordination in Work with AddictsWolf Rainer Wendt
  • Stuttgart
Further Information

Wolf Rainer Wendt

Knodlerstraße 5

70597 Stuttgart

Email: wendt@ba-stuttgart.de

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Table of Contents

Der Langwierigkeit und Komplexität der Behandlung und Rehabilitation Suchtmittelabhängiger entspricht das Case Management mit einer rationalen und transparenten Steuerung des Prozesses bei durchgehender Koordination und Kontrolle des Handelns der im Einzelfall Beteiligten. Integrierte Versorgung im Einzelfall, so könnte man mit einem Schlagwort der Gesundheitsreform die Aufgabenstellung von Case Management personenbezogen wie organisationsbezogen bezeichnen. Das Fallmanagement überbrückt den fragmentarischen Charakter einzelner Behandlungen, Hilfen, formeller und informeller Dienstleistungen, stellt den Zusammenhang mit der persönlichen und familiären Lebensführung eines Betroffenen her und bewerkstelligt mit ihm zusammen nach Möglichkeit einen effektiven Behandlungs-, Unterstützungs- und Eingliederungsverlauf. Mit dem Case Management als Verfahren wird eine Position systematischer Nüchternheit gegenüber der Sucht bezogen.

#

Überblick über das Verfahren

Angestrebt wird mit dem Case Management eine kontinuierliche, integrierte Bearbeitung einer personen- und situationsbezogenen Problemstellung auf ausgemachte Ziele hin. Das Verfahren wird als ein Management bezeichnet, weil ein Prozess der Unterstützung, Behandlung und Bewältigung in der Versorgungskette zu organisieren und in Koordination des Ressourceneinsatzes sowie in Kooperation mehrerer Beteiligter durchzuführen ist. Es wird fallbezogen gehandelt, das heißt sachwaltend in Beziehung auf die Lage (und Probleme) eines Menschen und auf Problemlösungen, die in seiner Situation angezeigt sind. Bei Suchtkranken ist Abhängigkeit, ist Kontrollverlust „der Fall” und die damit gegebene individuelle körperliche, psychische, soziale und wirtschaftliche bzw. finanzielle Problemsituation. Zur Problemlösung sind im Einzelfall verschiedene Dienste, Hilfen und Maßnahmen angebracht; sie werden im Case Management auf das Verhalten, die Defizite, aber auch auf eigene Stärken und Selbsthilfepotenziale des Suchtkranken als Subjekt seines eigenen Lebens abgestimmt [1,2]. Nicht der Mensch wird hier „gemanagt”, sondern ein Handeln miteinander, das auf die Bewältigung und Besserung einer Lebenslage bzw. auf Daseinserweiterung gerichtet ist. Gegenstand des Managements ist insgesamt die individuelle Rehabilitation, hier von suchtmittelabhängigen Menschen, als ein in Kooperation erfolgender Prozess.

Bei akuten und kurzfristigen Behandlungsmaßnahmen und Hilfen ist ein Case Management nicht indiziert. Das Verfahren hebt auf einen längeren Zeitverlauf ab, für den eine Ausgangssituation geklärt wird, Bedarfsfeststellungen zu treffen sind, ein planmäßiges Vorgehen angebracht ist und der Verlauf überwacht gehört. Personenbezogen ist ein Case Management nicht generell bei jeder Suchtmittelabhängigkeit, sondern in ausgewählten Fällen in Betracht zu ziehen, bei denen es für den Erfolg auf die Ablauforganisation und die abgestimmte Begleitung der Versorgung ankommt. Zum Beispiel beim Angebot der Substitutionstherapie oder in der Erprobung einer heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger. In einem Versorgungssystem für Suchtkranke generell gehört allerdings die Entscheidungsfindung, in welchen Fällen ein Case Management erfolgt und in welchen nicht, selber zum Case-Management-Programm. Folgerichtig wird eine Organisation, die örtlich oder regional für die integrierte Versorgung von Drogenabhängigen zuständig ist, auch das Case Management auf ihre Klientel insgesamt beziehen (vgl. den Beitrag von Leber und Stoop in diesem Heft). Nur so kann die Erfüllung des Versorgungsauftrags transparent gemacht und detailliert dargestellt werden.

Im Einzelfall korrespondiert dem Case Management das individuelle Management in der Lebensführung (life management): Die professionelle Vorgehensweise knüpft an die Lebensbewältigung einer Person an bzw. setzt dort an, wo diese Bewältigung nicht gelingt oder unzureichend bleibt. Süchtige versagen gegenüber psychoaktiven Drogen; sie sind von ihnen abhängig, und das hat eine Menge Folgen (Beziehungsabbrüche, Isolation, Schulden, Arbeitslosigkeit, Wohnungsverlust, Delinquenz) und verschiedene Gründe (psychische Instabilität, Komorbidität, Lebenskrisen usw.). Mit der Abhängigkeit leben oder sie überwinden - dieser persönlichen Aufgabe kommt das Case Management von der Seite der Dienste her in schrittweiser Bearbeitung des ganzen Problemzusammenhangs unter planmäßiger Beiziehung formeller und informeller Ressourcen nach.

#

Dimensionen im Verfahren

Ob nun primär personen- oder organisationsbezogen, um seinen Zweck erfüllen zu können, gehören zum Case Management, unabhängig davon, in welchem Versorgungsbereich des Sozial- und Gesundheitswesens es eingesetzt wird, stets die Komponenten

  • Feststellung einer Aufgabe,

  • Einschätzung der Lage,

  • eine Zielvereinbarung,

  • die Planung des Vorgehens,

  • eine kontrollierte Ausführung vereinbarten Handelns,

  • die Prüfung und Bewertung seines Erfolgs

  • sowie eine Rechenschaftslegung.

Es bleibt zunächst offen, wer dienstlich und fachlich für welche Momente im Case Management zuständig ist bzw. die Fallführung übernimmt. Aber die Natur des Verfahrens impliziert, dass von der Ausgangssituation im Hilfeprozess bis zu seinem (vorläufigen) Abschluss ein Zusammenhang besteht und überblickt werden kann. Case Management vermeidet eine bruchstückhafte Leistungserbringung und sorgt für Behandlungskontinuität.

In den eingeführten Begriffen des Verfahrens sind damit, egal wo es zum Einsatz kommt, die folgenden Dimensionen oder Phasen im Case Management angesprochen:

  • Vorfeldklärung/Outreach (Inwieweit erreicht ein Dienst seine Nutzer bzw. wie erreichen potenzielle Nutzer den Dienst?), Zugangseröffnung, Kontaktaufnahme und Engagement in einem Fall (Klärung der Zugangsberechtigung und Zuständigkeit, Fallaufnahme, Vereinbarung des Vorgehens, Herstellen einer Arbeitsbeziehung),

  • Assessment (Prozess der Situationseinschätzung, Klärung der Problemlage unter Beiziehung von Fachdiensten und ihrer Diagnostik und Bedarfsfeststellung mit den Beteiligten),

  • Planung als Gesamtplanung (Zielvereinbarung und darauf bezogene Absprachen und Kontrakte zum Vorgehen unter Nutzung formeller Behandlungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten und informeller Unterstützung),

  • Monitoring (kontrollierte Umsetzung der Planung bei koordinierter Leistungserbringung einschließlich Überwachung des Nutzerverhaltens),

  • Evaluation (regelmäßige Fallüberprüfung, Prozess- und Ergebnisbewertung) als Einschätzung der Wirksamkeit der Versorgung und ggf. Revision des Vorgehens mit Re-Assessment und neuen Vereinbarungen,

  • Entpflichtung nach Erfüllung der Aufgabe und fallübergreifende Rechenschaftslegung: Accountability als verantwortliche Berichterstattung.

Wenn diese Dimensionen nicht vorhanden sind, kann fachlich nicht von einem Case Management gesprochen werden. Ich höre in der Praxis oft das Argument: Was im Case Management vorgesehen sei, das mache man doch schon längst. Man prüfe eine Leistungsberechtigung, stelle den Hilfebedarf fest, plane, koordiniere die Arbeit und bewerte die Ergebnisse. Nur geschieht das eben meistens nicht systematisch in einem durchgängigen, auf seine Zielstrebigkeit und Wirksamkeit hin reflektierten Prozess, der als ganzer die Bezeichnung Case Management verdient. Es organisiert den Zusammenhang von Handlungen. Deshalb kann mit deren vereinzeltem Vorkommen nicht gut argumentiert werden.

Die Handlungsstruktur von Case Management ist zugleich organisations- bzw. systembezogen und personenbezogen. In der ersten der o. g. Dimensionen hat eine humandienstliche Organisation (hier: der Suchtkrankenhilfe) zu klären, für welche Zielgruppe und in welchen Fällen sie tätig wird und in welchen Fällen an andere Dienste verwiesen wird. Hier spielt die „Philosophie” der Organisation eine tragende Rolle und sollte den Mitarbeitern bewusst sein. Der Effekt der stattfindenden Selektion ist durch den ganzen Verlauf einer Versorgung zu verfolgen, und zum Abschluss eines jeden Falles gehört die Überprüfung, ob die Zielstellung, mit der per Auswahlentscheidung angefangen wurde, richtig war und sich das ganze Setting im Case Management bewährt hat.

#

Das Verhältnis zur Therapie

Auf eine ausführliche Darstellung des Case Managements im Einzelnen sei hier verzichtet [3]. Gleichgültig in welchen Bereichen ein Case Management durchgeführt wird: Es organisiert und strukturiert den Ablauf des Handelns in den oben genannten Dimensionen. Es bestimmt nicht inhaltlich über die Art der Hilfe, Unterstützung oder Behandlung, stellt somit auch keine Behandlungs- oder Unterstützungsweise dar und ist nicht auf eine bestimmte Pädagogik, Psychologie oder Heilkunst festgelegt. Oft kann ein Fachdienst für sich allein schon deshalb kein Case Management durchführen, weil er für eine bestimmte Behandlungsart oder einen bestimmten Behandlungsabschnitt zuständig ist. Das Management eines Falles hat das ganze personenbezogene Behandlungs- oder Unterstützungsgeschehen zum Gegenstand, das in seinen Einzelheiten fachspezifisch und von der jeweils ausführenden Stelle zu verantworten ist.

Diese Aussage ist sehr bedeutsam für das Verständnis von Case Management. Es leistet in der Regel nicht direkt, hier und jetzt und bei akutem Bedarf einen Dienst am Menschen, sondern organisiert und steuert fallbezogen für eine Person den Prozess einer länger dauernden Problembewältigung. An ihr können nacheinander und nebeneinander mehrere Personen, Dienststellen und Einrichtungen beteiligt sein. Case Management organisiert einen Versorgungszusammenhang (continuum of care), koordiniert den Einsatz der Beteiligten in ihm, so dass eine zielgerichtete und zielwirksame Zusammenarbeit erfolgt. Dabei bietet sich je nach Blickrichtung ein anderes Bild.

Für den professionellen Helfer bedeutet das Prinzip der koordinierten Kooperation, auf die Einheit von helfender Beziehung und Fallzuständigkeit zu verzichten und die eigene Leistung in die im Versorgungszusammenhang zu erbringende Gesamtleistung einzuordnen. Case Management funktioniert in Vernetzung. Es ist in dem Maße angebracht, in dem in und mit einem Netzwerk von Diensten und Einsatzstellen gearbeitet wird. Entweder im Behandlungsverbund eines Trägers (s. dazu Baudis in diesem Heft) oder in einem trägerübergreifenden Verbundsystem. Fallweise kommuniziert ein Case Manager intern mit beteiligten Fachkräften und koordiniert die Leistungserbringung. Extern kooperiert er mit anderen Einrichtungen, ambulanten Diensten, Sozialamt, Arbeitsamt usw. und nicht zuletzt mit den Angehörigen von Suchtkranken. Case Management ist ein Management im Netz der Versorgung, Unterstützung oder Behandlung. Sie erfolgt an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten. An jeder Stelle und in jedem Stadium sollte man wissen, wer beteiligt ist, welche Verabredungen getroffen wurden und wieweit man mit ihnen gekommen ist. Was in dem (örtlich und zeitlich) verteilten Geschehen erfolgt, bedarf füglich einer systematischen Dokumentation - als Anforderung auch an informationstechnologische Unterstützung.

Für den Nutzer (Klienten, Patienten) fordert ein Case Management zur aktiven Beteiligung am Prozess der Problembewältigung auf. In allen Phasen wird das Engagement des Betroffenen „in eigener Sache” verlangt, Angehörige oder Betreuer eingeschlossen. Mit gemeinsamer Situationseinschätzung, Planung, Kontrakten, mit der Dokumentation und der regelmäßigen Überprüfung des Verlaufs sichert das Case Management den Versorgungszusammenhang gegen die Unzuverlässigkeit des Abhängigen, seine Ausflüchte und Rückfälle ab. Prinzipiell ist von der Zuständigkeit einer Person für ihre selbstverantwortliche Lebensführung und Problembewältigung auszugehen. Das Verfahren erinnert ständig an sie und sie ist auch das Ziel des schrittweisen Vorgehens. In Fällen von schwerer und chronischer Abhängigkeit ist eine intensive Begleitung geboten, aus der dann therapeutische Aspekte kaum ausgeblendet werden können.

Case Management ermöglicht ein je unterschiedliches Vorgehen im Einzelfall, weil in ihm die Differenzierung mit der persönlichen Situation (im Assessment) begründet wird, in der Behandlungs- und Hilfeplanung ausgelegt, in der Umsetzung kontrolliert und mit dem Betroffenen evaluiert wird.

#

Koordinieren und Vernetzen

Case Management verbindet, was ohne es Stückwerk bleibt. Personenbezogen hat die Notwendigkeit von Case Management ihren Grund in der Komplexität der Probleme, die gesundheitlich, psychisch, sozial und in der wirtschaftlichen Lebensführung zu bewältigen sind. Systembezogen hat das Case Management seinen Grund in der Tatsache, dass die vielen vorhandenen Dienste und Einrichtungen je für sich tätig sind und die Versorgung - hier von Suchtmittelabhängigen - fragmentarisch übernehmen. Die Koordinierungs- und Vernetzungsarbeit erfolgt in jeder Dimension des Verfahrens: Im Vorfeld fallbezogenen Handelns bereits mit der Zugangseröffnung (Outreach) für die Problemgruppe: Es soll sichergestellt werden, dass potenzielle Nutzer die Hilfen erreichen, die sie brauchen. Dazu sind Information und Werbung nötig. Dienststellen und Fachkräfte außerhalb der Suchtkrankenhilfe, die Kontakt mit Abhängigen haben, sind einzubeziehen und zu sensibilisieren. Erfahrungsgemäß wird nur ein Teil der Suchtkranken humandienstlich (medizinisch und sozial) erreicht und versorgt; oft tauchen sie nur in Krisensituationen auf. Viele, die behandlungsbedürftig sind, machen keine Therapie. Im Kooperationsmodell nachgehende Sozialarbeit bei chronisch Mehrfachabhängigen hat sich gezeigt, dass die Zugangseröffnung durch einen Case Manager, der die Abhängigkeitskranken vor Ort aufsucht und anspricht, ein wesentliches Erfolgsmoment darstellt, weil dadurch auch sonst gar nicht erreichbare oder anders nicht rechtzeitig zu erreichende Personen an Hilfen herangeführt werden [4]. Das Case Management erfüllt in der Dimension der Zugangseröffnung auch eine präventive Funktion.

Zu ihr gehört Motivationsarbeit (dazu Schmid/Vogt in diesem Heft). Sie findet im Case Management nicht isoliert statt, sondern als Schritt auf dem Weg der Behandlung und Unterstützung, dessen Gangbarkeit dem Suchtkranken klar werden soll. Im Assessment, bei der Planung, in der laufenden Begleitung und bei Gelegenheit von einer Prozess- und Erfolgsbeurteilung (Evaluation) wird daran erinnert, was der Beweggrund der Bemühungen ist. Die Klarstellung eingangs, dokumentiert für den weiteren Verlauf, kann auch verhindern, dass der eine oder andere Abhängige auf seinem Weg durch das System an verschiedenen Behandlungsstellen lernt, sich in Anpassung an vermutete Erwartungen „therapeutisch korrekt” über sich und seine Situation zu äußern. Herkömmlich muss der Suchtkranke „vor vielen Schreibtischen, in zahlreichen Gesprächen unter vier Augen und in mehreren Gruppen immer wieder berichten, wie es zur Sucht gekommen ist. Anfänglich wird dies noch in einer Mischung aus Angst und Erschütterung, Reue, Abwehr und Besserungswillen geschehen. Später zieht sich der Affekt immer mehr aus dem Bericht zurück. Der Patient eignet sich alles an, was ihm an Fragen und Vorhaltungen entgegengebracht worden ist. Darüber verwandelt sich sein Bericht” [5].

Ein gut dokumentiertes Assessment unterrichtet die Beteiligten und insbesondere den Patienten selber über seine Situation. Im abgesteckten Rahmen des Case Managements sind Abhängigkeitskranke meistens bereit, die nötigen Informationen zu geben, und auch einverstanden, dass diese intern per EDV weitergegeben und in Dateien vorgehalten werden. Mit dem Datenschutz argumentieren vor allem Dienste und Mitarbeiter, die (noch) nicht in das Case Management einbezogen sind. Ohne feste Vereinbarungen zur Kooperation weigert sich manche Stelle, trotz vorliegender Entbindung von der Schweigepflicht, Auskünfte zu geben. So die Feststellung im Kooperationsmodell nachgehende Sozialarbeit. „Mit der potentiell umfangreichen Weitergabe von Informationen oder dem Informationsaustausch zwischen Case Manager und anderen Diensten hatten Klienten keine Schwierigkeiten, sie unterstützten die Case Manager vielmehr dabei z. B. durch Schweigepflichtsentbindungen” [6].

In der Phase der Hilfeplanung geht es um das bedarfs- und situationsentsprechende Abstecken dessen, was sich stufenweise kurz- und längerfristig erreichen lässt. In der Planung kommt man auf die Motivation des Patienten und seine Compliance zurück. Der Hilfeplan schafft Verbindlichkeit und ist ein Instrument der Qualitätssicherung (hierzu Schu/Schlanstedt/Oliva in diesem Heft). Die Planung betrifft im Hinblick auf die Absicht des Patienten, mit der Abhängigkeit „fertig zu werden”, seine Lebensplanung in den wesentlichen Bereichen des Arbeitens, Wohnens und der sozialen Beziehungen. Hier sind verbindliche Absprachen und auch schriftliche Kontrakte anzustreben, deren Einhaltung dann im weiteren Verlauf zu prüfen ist. Das Wann, Wo und Wie von medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlungen und komplementären Maßnahmen wird in die Planung einbezogen, nicht aber die fachliche Therapieplanung. Das Case Management koordiniert zwar Behandlungen, führt sie aber nicht durch und ist für sie auch nicht zuständig.

#

Fallführung im System

Die Stärke von Case Management besteht in der durch es bewerkstelligten Wegleitung durch das Suchthilfesystem. Sie kann durch einen einzelnen Case Manager erfolgen, durch ein Team, das sich in Fallkonferenzen abstimmt, oder durch eine Verteilung der Zuständigkeit für einzelne Schritte im Verfahren auf mehrere Fachkräfte, die dann allerdings in der Behandlungskette in Verbindung und im Austausch bleiben müssen. Im administrativen Modell von Case Management ist nicht festgelegt, ob es im Team verantwortet oder ob es ganz oder teilweise einem Case Manager übertragen wird. Die praktische Anwendung wirft regelmäßig die Frage der Fallführung auf. Die Antwort hängt von den Strukturen der Versorgung ab. Von außen setzt vielleicht eine Versicherung als Kostenträger einen Case Manager ein, um in chronischen Fällen die Versorgung möglichst kosteneffizient zu steuern [7]. In einem Verbundsystem, das die ganze Versorgungskette anbietet, obliegt einem individuellen Case Manager die Begleitung eines Patienten von der Aufnahme bis zur Nachsorge. Alternativ bleibt er unabhängig vom Leistungserbringer wie vom Kostenträger und ist z. B. bei einer Beratungsstelle angesiedelt.

Welche Kompetenzen hat ein Case Manager? Ist er den professionellen Behandlern unter-, über- oder nebengeordnet? Bei Unterordnung passiert es leicht, dass seine Funktion auf Vorbereitungs- und Nachbereitungsaufgaben eingeschränkt wird. Eine Überordnung kommt insoweit nicht in Frage, als das Case Management kein Therapiekonzept beinhaltet und insbesondere bei medizinischen Leistungen die ärztliche Behandlungsführerschaft nicht infrage stellt. Im Versorgungsablauf sind die Kompetenzen eines Case Managers administrativer Natur und berühren fachliche Zuständigkeiten nicht. Allerdings nimmt er eine Schnittstellenfunktion wahr, vermittelt zwischen den Beteiligten, vertritt das Regime der Versorgung gegenüber dem Patienten und regelt sie für ihn. Es ist daher in einem Verbundsystem angebracht, die Fallführung eingangs des Behandlungsweges festzulegen. Der Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk positioniert sie in der Psychosozialen Beratungsstelle, die er zu Suchtbehandlungsstellen weiterentwickelt sehen will: „Case-Management kann am besten von einer psychosozialen Beratungsstelle erbracht werden, die für die Grundversorgung Drogenabhängiger zuständig ist” [8].

Dem einzelnen Süchtigen einen Case Manager an die Seite zu stellen lohnt sich umso mehr, als das Versorgungssystem nicht einheitlich organisiert ist und seine Funktionen ohnehin schon koordiniert. Der Case Manager sorgt für Abstimmung beteiligter Dienste, Stellen und Fachkräfte neben- und nacheinander und wenn möglich für eine Therapieverdichtung. Er stellt für den Suchtkranken einen Behandlungszusammenhang her und sucht diesen für (einen und gegenüber einem) unsteten und wenig verlässlichen Patienten durchzuhalten. Empirische Studien, welche Gruppen von Patienten mit oder ohne Case Manager im selben Behandlungsprogramm vergleichen, weisen die positiven Effekte der Begleitung durch einen Case Manager nach [9,10].

Die mehrfachen Anläufe, Abbrüche, Rückfälle von Suchtkranken legen eine Begleitung nahe, welche solche Episoden und das bei ihnen erforderliche Vorgehen und das Handeln verschiedener Dienste und einbezogener Berufsgruppen übergreifen. Das Case Management ist eine ihnen gegenüber neutrale Handlungsstrategie. Seine nüchtern sachwaltende Funktion bewährt sich nicht zuletzt bei der häufig vorkommenden Komorbidität Suchtkranker [11]: Im Nebeneinander von Persönlichkeitsstörungen, psychiatrischen und psychosomatischen Störungen und Polytoxikomanie bei gegebener institutioneller Trennung von Suchtkrankenhilfe und Psychiatrie und in der nötigen Differenzierung der Suchttherapie ist eine von all dem abgehobene Fallführung hilfreich. Sie erfasst den Längsschnittverlauf, behält die Lebensführung und schwankende Compliance des Patienten im Auge, stützt mit Realismus sein Ich und übersetzt ihm die Erfordernisse des Behandlungsregimes in den Kontext seines Alltags und in seine persönliche Perspektive. Aus Forschungen in den USA kann geschlossen werden, dass Case Management seinen Zweck erstens erfüllt, indem es den Patienten in der Behandlung hält, und zweitens, indem es alle Probleme einbezieht, die der Patient hat [12].

Dass der individuelle Case Manager auch Kontrolleur und Evaluator ist, macht erfahrungsgemäß weniger mit den Patienten als mit den verschiedenen Behandlern und Helfern Probleme, die keinen Eingriff in ihre Kompetenz wollen. Sie müssen von vornherein am Verfahren beteiligt und von seinen Vorzügen überzeugt werden. Die Einführung von Case Management stellt stets eine Herausforderung für etablierte Strukturen dar und dürfte auch im Versorgungssystem für Suchtkranke Erfolg nur haben, wenn sie mit einer durchgängigen Organisationsentwicklung verbunden ist.

#

Literatur

  • 1 Case Management and Substance Abuse Treatment. Siegal HA, Rapp RC New York; Springer 1995
  • 2 Siegal H A, Rapp R C, Kelliher C W, Fisher J H, Wagner J H, Cole P A. The strengths perspective of case management: a promising inpatient substance abuse treatment enhancement.  Journal of Psychoactive Drugs. 1995;  27 67-72
  • 3 Wendt W R. Case Management im Sozial- und Gesundheitswesen. Freiburg i.Br.; Lambertus 1997
  • 4 FOGS Kooperationsmodell nachgehende Sozialarbeit. 3. Zwischenbericht zum Modellbestandteil Case Management Köln; 2000 77
  • 5 Fengler J. Im Netz wirken, im Netz leben - im Netz zappeln, im Netz kleben. Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren Suchtkrankenhilfe im Verbund Freiburg i.Br.; Lambertus 1995 33
  • 6 FOGS Köln, 2000: 78. 
  • 7 Kresula J. BKK-Fallmanagement. Ein Konzept zur optimierten Rehabilitation für BKK-Versicherte. Fachverband Sucht Indikationsstellung und Therapieplanung bei Suchterkrankungen Geesthacht; Neuland 2000: 293-300
  • 8 Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk der Evang. Kirche in Deutschland e. V. Diakonische Drogenhilfe - Positionspapier Kassel; NICOL-Verlag 2000 25
  • 9 McLellan A T. Does clinical case management improve outpatient addiction treatment?.  Drug and Alcohol Treatment. 1999;  55 91-103
  • 10 Mejta C L, Bokos P J, Maslar E M, Mickenberg J H, Senay E C. The effectiveness of case management in working with intravenous drug users. Tims FM, Inciardi JA, Fletcher BW, Horton AM The Effectiveness of innovative Approaches in the Treatment of Drug Abuse Westport, CT; Greenwood Press 1997: 101-114
  • 11 Komorbidität. Krausz M, Müller-Thomsen T Therapie von psychischen Störungen und Sucht. Konzepte für Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation Freiburg i.Br; Lambertus 1994
  • 12 Siegal H. Comprehensive Case Management for Substance Abuse Treatment. Treatment Improvement Protocol (TIP) Series, 27 Rockville, MD; U.S. Department of Health and Human Services, Center for Substance Abuse Treatment 1998 XIII

Wolf Rainer Wendt

Knodlerstraße 5

70597 Stuttgart

Email: wendt@ba-stuttgart.de

#

Literatur

  • 1 Case Management and Substance Abuse Treatment. Siegal HA, Rapp RC New York; Springer 1995
  • 2 Siegal H A, Rapp R C, Kelliher C W, Fisher J H, Wagner J H, Cole P A. The strengths perspective of case management: a promising inpatient substance abuse treatment enhancement.  Journal of Psychoactive Drugs. 1995;  27 67-72
  • 3 Wendt W R. Case Management im Sozial- und Gesundheitswesen. Freiburg i.Br.; Lambertus 1997
  • 4 FOGS Kooperationsmodell nachgehende Sozialarbeit. 3. Zwischenbericht zum Modellbestandteil Case Management Köln; 2000 77
  • 5 Fengler J. Im Netz wirken, im Netz leben - im Netz zappeln, im Netz kleben. Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren Suchtkrankenhilfe im Verbund Freiburg i.Br.; Lambertus 1995 33
  • 6 FOGS Köln, 2000: 78. 
  • 7 Kresula J. BKK-Fallmanagement. Ein Konzept zur optimierten Rehabilitation für BKK-Versicherte. Fachverband Sucht Indikationsstellung und Therapieplanung bei Suchterkrankungen Geesthacht; Neuland 2000: 293-300
  • 8 Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk der Evang. Kirche in Deutschland e. V. Diakonische Drogenhilfe - Positionspapier Kassel; NICOL-Verlag 2000 25
  • 9 McLellan A T. Does clinical case management improve outpatient addiction treatment?.  Drug and Alcohol Treatment. 1999;  55 91-103
  • 10 Mejta C L, Bokos P J, Maslar E M, Mickenberg J H, Senay E C. The effectiveness of case management in working with intravenous drug users. Tims FM, Inciardi JA, Fletcher BW, Horton AM The Effectiveness of innovative Approaches in the Treatment of Drug Abuse Westport, CT; Greenwood Press 1997: 101-114
  • 11 Komorbidität. Krausz M, Müller-Thomsen T Therapie von psychischen Störungen und Sucht. Konzepte für Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation Freiburg i.Br; Lambertus 1994
  • 12 Siegal H. Comprehensive Case Management for Substance Abuse Treatment. Treatment Improvement Protocol (TIP) Series, 27 Rockville, MD; U.S. Department of Health and Human Services, Center for Substance Abuse Treatment 1998 XIII

Wolf Rainer Wendt

Knodlerstraße 5

70597 Stuttgart

Email: wendt@ba-stuttgart.de