Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(23): 704-705
DOI: 10.1055/s-2001-14697
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hypercholesterinämie

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Publication Date:
10 October 2002 (online)

Frage: Eine 66-jährige Patientin hat die folgenden Laborbefunde: Cholesterin 245, HDL-Cholesterin 67, LDL-Cholesterin 164. Die Patientin ist Nichtraucherin, hat 30 kg Übergewicht. Sie leidet an einer Refluxösophagitis I. Außer einer familiären Belastung weist sie keine kardialen Risikofaktoren auf.

Ist die Hypercholesterinämie behandlungsbedürftig? Welche Therapiemaßnahmen sind zur Normalisierung des Befundes erfolgversprechend?

Antwort: Die Frage fokussiert zwar auf die Behandlungsbedürftigkeit einer mäßigen Hypercholesterinämie, das gesundheitsrelevante Problem der Patientin dürfte jedoch das Übergewicht von 30 kg sein. Übergewicht ist Wegbereiter für zahlreiche Folgekrankheiten des Stoffwechsels (Diabetes mellitus, Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie), des kardiovaskulären Systems (arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz), des respiratorischen Systems (Schlafapnoe, Pickwick-Syndrom), des hepatobiliären Systems (Fettleber, Cholezystolithiasis), des Bewegungsapparates (Gonarthrose, Sprunggelenksarthrose) und der Haut (Intertrigo, Hirsutismus, Striae). Übergewicht geht mit einem erhöhten Risiko für zahlreiche Tumoren (Endometrium, Zervix, Prostata, Gallenblase, Adenokarzinom der Kardia) einher. Häufige psychosoziale Folgeprobleme des Übergewichts sind vermindertes Selbstbewusstsein, soziale Isolation/Diskriminierung, Partner- und Berufsprobleme [11]. Bereits bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 25-27 kg/m2 ist die Sterblichkeit um 60 % erhöht, ab einem BMI von > 32 kg/m2 um 400 %. Die Sterblichkeit auf Grund einer koronaren Herzkrankheit ist bei einem BMI > 32 kg/m 2 gar um 580 % erhöht [11].

Übergewicht per se bedingt nicht zwingend eine Hyperlipoproteinämie [4] . Die Korrelationen zwischen Körpergewicht und Serumcholesterin sind relativ schwach [7]. Die metabolischen und kardiovaskulären Komplikationen des Übergewichts hängen stark vom Fettverteilungstyp ab. Der androide (abdominelle) Fettverteilungstyp geht mit Insulinresistenz, Hyperinsulinämie, Glukoseintoleranz, nicht-insulinpflichtigem Diabetes mellitus, Dyslipoproteinämie, arterieller Hypertonie und erhöhtem Risiko für koronare Herzkrankheit (KHK) einher. Der gynoide (gluteal-femorale) Fettverteilungstyp, der nur mit mäßiger Triglyzeriderhöhung und Insulinresistenz assoziiert ist, hat ein niedrigeres Risiko für die Entstehung einer KHK [4] [7]. Übergewicht und Gewichtszunahme sind die wichtigsten Ursachen für Entstehung und gehäuftes Auftreten metabolischer Risikofaktoren, insbesondere für ein gemeinsames Auftreten mehrerer KHK-Risikofaktoren (»clustering of cardiovascular risk factors«) [10]. Das KHK-Risiko steigt in Abhängigkeit von der Anzahl der vorliegenden Risikofaktoren [3].

Übergewicht begünstigt darüber hinaus die Entstehung einer Refluxösophagitis und ist mit einem erheblich erhöhten Risiko für Adenokarzinome des Ösophagus und der Kardia assoziiert [5]. Eine Gewichtsabnahme verbessert die Symptome einer Refluxösophagitis, eine Gewichtszunahme verschlimmert sie [2].

Auch wenn im vorliegenden Falle (s.o. Frage) auf Grund fehlender Angaben zu Körpergewicht, Körpergröße und Verhältnis von Taille zu Hüfte (waist-to-hip-ratio) weder der BMI der Patientin errechnet noch Fettverteilungstyp sowie Mortalitätsrisiko und Risiko für Folgekrankheiten abgeschätzt werden können, ist bei einem Übergewicht von 30 kg, einer wahrscheinlich sekundären, übergewichtbedingten Hypercholesterinämie und einer gleichzeitig bestehenden Refluxösophagitis zwingend eine drastische Gewichtsreduktion erforderlich. Hierzu ist ein koordinierter Therapieansatz unter Einschluss diätetischer Maßnahmen, körperlicher Aktivität, Änderungen des Lebensstils und ggf. Verhaltens- und Psychotherapie erforderlich [8] [9] [11] , eventuell in spezialisierten Kliniken oder Spezialambulanzen an Stoffwechselzentren und eventuell auch unter zusätzlicher medikamentöser Therapie z. B. mit Orlistat. Bei zu drastischer Gewichtsreduktion innerhalb kurzer Zeit ist das - bei Übergewicht ohnehin erhöhte Risiko für Gallensteinentstehung [6] - deutlich erhöht [12]. Zur Verhinderung der unter Gewichtsreduktion auftretenden Cholesteringallensteine kann eine begleitende Therapie mit der physiologischen Gallensäure Ursodesoxycholsäure durchgeführt werden [1]. In der Regel kommt es unter einer Gewichtsreduktion zu einer Senkung erhöhter LDL-Cholesterinwerte. Nach Stabilisierung des Körpergewichts steigen die Cholesterinwerte im Serum jedoch mitunter wieder an [4] [7].

Im vorliegenden Falle liegen außer einer familiären KHK-Belastung und dem ausgeprägten Übergewicht keine weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren vor, insbesondere keine arterielle Hypertonie, kein Diabetes mellitus und kein Nikotinabusus. Bei normalem BMI wäre das cholesterinbedingte koronare Risiko bei einem nur mäßig erhöhten Gesamtcholesterin und hohem HDL-Cholesterin sowie bei dem Alter der Patientin etwa 1,5fach höher als bei Patienten mit normalen Cholesterinwerten gleichen Alters. Insofern bestünde keine Indikation zu einer aggressiven lipidsenkenden Therapie. Da das ausgeprägte Übergewicht jedoch das KHK-Mortalitätsrisiko deutlich erhöht und die Entstehung weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren begünstigt (s.o.), sollte unbedingt eine Gewichtsreduktion erreicht werden. Die Effekte einer cholesterinarmen Kost und einer Gewichtsreduktion auf Gesamtcholesterin und LDL-Cholesterin können zunächst abgewartet werden, eine Indikation für eine medikamentöse cholesterinsenkende Behandlung besteht nicht. Falls gynäkologischerseits vertretbar (z. B. kein erhöhtes Thromboserisiko) oder gar wünschenswert (postmenopausale Beschwerden, Osteoporose) könnte mit einer Östrogensubstitution auch eine lipidsenkende Behandlung erfolgen. Eine medikamentöse Therapie mit CSE-Hemmern halte ich ohne vorherige Gewichtsreduktion für nicht angezeigt. Das gesundheitsrelevante Problem der Patientin ist das Übergewicht, und dieses muss mit Konsequenz und Geduld angegangen werden!

Literatur

  • 1 Broomfield P H, Chopra R, Scheinbaum R C. et al . Effects of ursodeoxycholic acid and aspirin on the formation of lithogenic bile and gallstones during loss of weight.  New Engl J Med. 1988;  319 1567-1572
  • 2 Fraser-Moodie C A, Norton B, Gornall C. et al . Weight loss has an independent beneficial effect on symptoms of gastro-oesophageal reflux in patients who are overweight.  Scand J Gastroenterol. 1999;  34 337-340
  • 3 Genest J J r, Cohn J S. Clustering of cardiovascular risk factors: Targeting high risk individuals.  Am J Cardiol. 1995;  76 8A-20A
  • 4 Klose G. Adipositas und Hyperlipidämie. In: Wechsler JG (Hrsg.). Adipositas - Ursachen und Therapie Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin, Wien 1998,: 157-169
  • 5 Lagergren J, Bergström R, Nyren O. Association between body mass and adenocarcinoma of the esophagus and gastric cardia.  Ann Intern Med. 1999;  130 883-890
  • 6 Maclure K M, Hayes K C, Colditz G A. et al . Weight, diet, and the risk of symptomatic gallstones in middle-aged women.  New Engl J Med. 1989;  321 563-569
  • 7 Wechsler J G, Wenzel H. Adipositas und Dyslipoproteinämien. In: Schwandt P, Richter WO (Hrsg.). Handbuch der Fettstoffwechselstörungen. Pathophysiologie, Diagnostik, Therapie und Prävention der Dyslipoproteinämien Schattauer-Verlag, Stuttgart, New York 1995,: 307-315
  • 8 Wechsler J G. Diätetische Therapie der Adipositas. In: Wechsler JG (Hrsg.). Adipositas - Ursachen und Therapie Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin, Wien 1998,: 215-232
  • 9 Wechsler J G. Strategie der Adipositastherapie. In: Wechsler JG (Hrsg.). Adipositas - Ursachen und Therapie Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin, Wien 1998,: 291-301
  • 10 Wilson P WF, Kannel W B, Silbershatz H, D’Agostino R B. Clustering of metabolic factors and coronary heart disease.  Arch Intern Med. 1999;  159 1104-1109
  • 11 Wirth A. Adipositas - Epidemiologie, Ätiologie, Folgekrankheiten, Therapie. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, a) Kapitel 4: Epidemiologie, S. 37-55, b) Kapitel 7: Assoziierte Krankheiten. S. 141-220. c) Kapitel 8: Therapie. S. 221-301 1997
  • 12 Yang H, Petersen G M, Roth M -P, Schoenfield L J, Marks J W. Risk factors for gallstone formation during rapid loss of weight.  Dig Dis Sci. 1992;  37 912-918

Korrespondenz

Prof. Dr. med. Ottmar Leiß

Fachbereich Gastroenterologie, Deutsche Klinik für Diagnostik

Aukammallee 33

65191 Wiesbaden