Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2001-15478
Maskennarkoseeinleitung in der Kinderanästhesie: Kontra
Anaesthesia Induction by Face Mask in Children: ConPublication History
Publication Date:
31 December 2001 (online)

In jeder pro- und contra-Darstellung eines Sachverhaltes werden notwendigerweise Einseitigkeiten dargestellt, die dogmatisch erscheinen. So wird jeder Kinderanästhesist zur Maske greifen, wenn sich ein Kind gegen das Legen einer Kanüle wehrt oder der Venenzustand so schlecht ist, dass ein Venenpunktionsversuch aussichtslos erscheint.
Dennoch wird bei einer pro- und contra-Diskussion eine wichtige Botschaft vermittelt, die eine lebenslange Überzeugung und Praxis einer Arbeitsgruppe wiedergibt, von der sich der interessierte Leser unterrichten und anregen lassen kann.
Es ist überhaupt keine Frage, dass ein sicherer intravenöser Zugang bei der Einleitung einer Anästhesie nur von Vorteil sein kann. Kinder mit vergleichenden Erfahrungen bevorzugen oft die intravenöse Einleitung, sofern die Erfahrung mit dem Nadelstich und ausführenden Arzt gut war [1]. Eine Exzitationsphase mit der Gefahr von Atemdepression, Laryngospasmus, Bradykardie und Herzstillstand kommt auch bei den sehr sicheren Inhalationsnarkotika Halothan und Sevofluran vor. Die intravenöse Einleitung kürzt die Exzitationsphase und damit die Gefahren erheblich ab [2]. Auch der geübteste Anästhesist erlebt bei der Einleitung von Routinenarkosen Atemwegsobstruktionen, Erbrechen oder Krampfanfälle, die durch den vorhandenen intravenösen Zugang sehr viel schneller und sicherer zu behandeln sind als ohne Zugang.
Muss die Fortführung der Maskeneinleitung zur Venensuche vom Arzt an Assistenzpersonal übergeben werden und die Venenpunktion scheitert in dem Moment, in dem ein Blutdruckabfall, oder schlimmer noch, eine Atemwegsobstruktion eintritt, ist eine gefährliche Situation da, die schwer zu überwinden ist.
Deshalb sollte nach unserer Erfahrung die intravenöse Narkoseeinleitung die Regel sein. Je kleiner und kränker das Kind, je unerfahrener der Anästhesist, um so wichtiger ist der intravenöse Zugang und die intravenöse Einleitung. Die Not- bzw. Schnelleinleitung einer Narkose, die praktisch immer eine intravenöse Einleitung ist, stützt die oben geäußerte Meinung nachhaltig.
Es gibt Kinderanästhesisten, die trotz intravenösem Zugang per Maske einleiten. Die dahinterstehende Logik ist dem Autor und seinem Mitarbeiterkreis nie einsichtig geworden mit der einzigen Ausnahme, eine gereizte Vene nicht mit einer schmerzhaften Einleitungssubstanz zu beschicken, damit dann eine neue, schwer zu plazierende Kanüle nach Maskeneinleitung schmerzfrei gelegt werden kann.
Die hohen Einleitungsdosierungen von Inhalationsnarkotika in der Größenordung von 3 MAC (minimalen anästhetischen Konzentrationen), die zur Maskeneinleitung notwendig sind, haben nicht zu unterschätzende Nebenwirkungen, die bei der intravenösen Einleitung vermieden werden können [3].
Die Narkoseeinleitung im Kindesalter wird vielfach mit der Vorstellung von gesunden Kindern mit elektiven Eingriffen im tagesklinischen Bereich gleichgesetzt [3]. Ambulante Narkosen sind eher ein Nebenschauplatz der speziellen Kinderanästhesie, der allerdings für das Ansehen einer Abteilung überproportional wichtig ist. Bei diesen Patienten wird oft auf eine Vielzahl von Wünschen und Vorstellungen von Kindern und Eltern eingegangen, die rational nicht nachvollziehbar sind, aber eben zum Dienst am „Kunden” gehören, besonders wenn in Konkurrenzsituationen gearbeitet werden muss. Dies berechtigt Kliniker, die in sicheren Krankenhauspositionen arbeiten, keineswegs zur Kritik an diesen Methoden, nur sollten aus solchen Gewohnheiten vor Ort keine falschen Regeln entwickelt werden, die den Kindern auf lange Sicht schaden (z. B: „Ich lege bei kurzen Eingriffen überhaupt keinen Zugang”).
Nach unserer Erfahrung ist das Aufstellen von sinnvollen Regeln und ein gewisses Maß an Überzeugungsarbeit bei jeder Narkosevorbesprechung zu leisten, wenn wir den Ängsten der Kinder (und Eltern) entgegenwirken wollen. Mir erscheint beispielsweise die in unserer Zeit als sehr kindgerecht angesehene Frage an einen Patienten ohne Narkoseerfahrung: „möchtest Du einen kleinen Pieks haben oder über eine Maske atmen?” genau so hilfreich zu sein wie die Frage: „möchtest Du lieber vom Kirchturm oder vom Hochhaus herunterspringen”. Das Kind möchte natürlich vor allem Aufschub gewinnen und vom Kirchturm erst einmal zum Hochhaus, dann zurück zum Kirchturm gehen und dann wieder zurück und ist endlich mit einer Entscheidung allein gelassen, die es gar nicht bewältigen kann. Kommen nun noch Ratschläge von mehreren Seiten, ist die Konfusion des Kindes perfekt und nur die überzeugende ärztliche Entscheidung, die Narkose sofort einzuleiten, wird dem Kinde gerecht.
Die sanfte, aber nachhaltige Vermittlung der Präferenz des Anästhesisten zu einer Einleitungsmethode, die nach unserer Meinung in erster Linie natürlich eine intravenöse sein sollte, ist für Kind und Eltern hilfreich und wird bei der postanästhetischen Visite fast immer dadurch belohnt, das Kinder die Einleitung nicht unangenehm erinnern, während nach Maskeneinleitungen, trotz Midazolamprämedikation nachhaltige Kritik regelmäßig, wenn auch nicht sehr häufig zu verzeichnen ist.
Das Kind mit einer ausgesprochenen oder gar pathologischen Angst vor jeder Spritze, trotz EMLA-Einwirkung, fällt natürlich nicht unter die Regel der intravenösen Einleitung und bedarf einer speziellen Betreuung, günstigstenfalls durch den erfahrensten Anästhesisten vor Ort.
Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt der vorwiegend intravenösen Narkoseeinleitung im Kindesalter ist die Expertise, die sich eine Abteilung im Legen schwieriger „Tröpfe” erwirbt. Es gibt kaum eine andere so intensive Anspannung bei einer ärztlichen Tätigkeit wie bei der Venenpunktion beim Kind, bei der man immer unter erheblichem Erfolgszwang steht. Das Ansehen des Arztes bei Kind und Eltern hängt entscheidend von der Geschicklichkeit bei der Venenpunktion ab.
Selbst wenn man sich nicht immer die Wirksamkeit von EMLA-Creme zunutze machen kann, ist der kurz einwirkende Schmerz einer Venenpunktion schnell vergessen, vor allem wenn man sehr dünne Nadeln zur Einleitung benutzt und später eine zusätzliche Kanüle legt. Maskeneinleitungen bleiben oft jahrelang in Erinnerung, selbst wenn das Kind die Maskeneinleitung ausdrücklich gewünscht hatte.
Angaben über die Zahlenverhältnisse bei verschiedenen Einleitungsarten sind in der Literatur nicht zu finden. Deshalb sei es erlaubt, die Daten der eigenen Abteilung anzuführen (Tab. [1]).
Tab. 1Kinderklinik der Stadt Köln. Kindernarkosen 1999 insgesamt: N = 4661 Intravenöse Einleitung 81 % Maskeneinleitung 16 % Inhalation über ein Tracheostoma 1,8 % Spinalanästhesie mit liegender Kanüle 1,2 %
Trotz der Regel, die Narkosen intravenös einzuleiten, gibt die relativ hohe Anzahl von 16 % Maskeneinleitungen die oben erwähnte Problematik bei der Einleitung wieder.
Es bestand zu vermuten, dass die Häufigkeit der Maskenenleitung bei kleinen Kindern mit schlechteren Venenverhältnissen größer sei als bei Schulkindern.
Kinder < 2 Jahre n = 2331
Kinder > 2 Jahre n = 2014
Früh- und Neugeborene n = 316
Interessanterweise lag die Frequenz der Maskeneinleitung bei den Kindern unter 2 Jahren genau so niedrig wie bei den größeren Kindern. Dies reflektiert höchstwahrscheinlich die Expertise der behandelnden Ärzte von 12 Kinderanästhesisten, davon 10 Fachärzten mit vieljähriger Erfahrung in der Kinderanästhesie.
Zahlenangaben über die Häufigkeit von Zwischenfällen bei den unterschiedlichen Einleitungsmethoden wurden leider nicht systematisch erfasst. Um so mehr sind einzelne Zwischenfälle bei der Maskeneinleitung als abschreckende Beispiele in der Erinnerung der ganzen Abteilung geblieben wie Krampfanfälle und brettharte Muskelrigidität bei Sevofluraneinleitung, Erbrechen bei Kindern, die auf Maskeneinleitung bestanden oder Kreislaufeinbrüche bei Kindern mit schwierigsten Venenverhältnissen, bei denen man ohne intravenösen Zugang dastand. Dies zwang in einigen Fällen zur überstürzten intraossären Punktion, die bekanntlich mit 2 % Osteomyelitishäufigkeit behaftet ist.
Eine wissenschaftliche Aussage, welche Art der Einleitung insgesamt für das Kind die günstigere ist, ist also bisher nicht gemacht worden.
Diese Fragestellung müsste mit einem großen Aufwand von Wissenschaftlern an einer großen Zahl von Patienten untersucht werden, die den Erfahrungsstand, die Überzeugungsfähigkeit und die Fortune der behandelnden Anästhesisten standardisierten und Langzeitergebnisse vorlegten. Dies wird in absehbarer Zukunft kaum der Fall sein, sodass glücklicherweise eine individuelle Entscheidung für eine bestimmte Einleitungsart täglich neu getroffen werden muss. Wie sollte sich sonst derjenige Anästhesist, der zur Venenpunktion wenig begabt, aber mit einer großen Überzeugungsgabe ausgestattet ist verhalten, wenn er ein Kind mit ungünstigen Venenverhältnissen einleiten soll oder derjenige mit genialer Begabung zur Venenpunktion, dem das Einatmen kleiner Narkotikamengen schon Magenschmerzen verursacht?
Bei allen Präferenzen für eine bestimmte Narkoseeinleitung sollten keine Einleitungsideologien aufgebaut werden.
Muss nämlich eine Narkose unter schwierigsten, ja chaotischen Umständen eingeleitet werden, hängt es ganz von der schnellen Erfassung und Beherrschung der momentanen Gegebenheit durch den jeweiligen Anästhesisten ab, wie eingeleitet wird. Eine Einengung der Entscheidungsfreiheit durch starre Ideologien wäre völlig fehl am Platze.
Literatur
-
1 Vivori E.
Induction and maintenance of anaesthesia. In: G. Jackson Rees, T. Cecil Gray Paediatric Anaesthesia. Butterworth, London 1961: 101-114 -
2 Smith R M.
Technics for the induction of anesthesia. In: RM Smith ed Anesthesia for infants and children. 4th edition. Mosby St. Louis 1980 -
3 Gronert B J, Motoyama E K.
Induction of anesthesia and endotracheal intubation. In: E. Motoyama, P. Davis ed Smith's Anesthesia for infants and children. 6th edition. Mosby, St. Louis 1996: 284-290 - 4 Aun C S T, Sung R Y T, O'Meara M E. et al . Cardiovascular Effects of i. v. induction in children: Comparison between Propofol and Thiopentone. Br J Anaesth. 1993; 70 647-653
- 5 Doenicke A W, Roizen M F, Rau J, O'Connor M, Kugler J, Klotz U, Babl J. Pharmacokinetics and pharmacodynamics of propofol in a new solvent. Anaesthesia & Analgesia. 1997; 85 1399-1403
Dr. med. Josef Holzki
Kinderklinik der Stadt Köln
Amsterdamer Straße 59
50735 Köln
Email: josef.holzki@arcormail.de