Friedrich Bschor ist am 1. April dieses Jahres im Alter von 80
Jahren verstorben. Es entspricht seiner persönlichen Bescheidenheit, dass
er einem größeren Kreis der heute substituierenden Ärzte
unbekannt geblieben ist, obwohl er einer der wichtigsten Wegbereiter der
Opiatsubstitution und Suchtmedizin in Deutschland war. Als in Nördlingen
geborener - er sprach eine schöne, charakteristische Sprache mit
einem guten, gerollten „R” -, an der Freien
Universität Berlin tätiger Professor für Gerichtsmedizin sorgte
er sich von Anfang an um ein klares wissenschaftliches Niveau der
Diskussion.
Seine „Katamnese-Ergebnisse bei 100 Opiatabhängigen der
Zugangsjahre 1969-1974”, 1984 in der DMW erschienen, sind bis
heute eine der wichtigsten deutschen Arbeiten über die Heroinsucht. 1987
hat er dazu eine, für die damalige wissenschaftliche Diskussion
bahnbrechende Arbeit mit dem Titel „Zur Revision des Abstinenzparadigmas
in der Behandlung Suchtkranker” publiziert. Ein weiterer Meilenstein war
das „Ärztliche Memorandum” vom 14.11.1987. Diese wichtige
Schrift wurde von ihm anläßlich des ersten suchtmedizinischen
Kongresses an der Universität in Frankfurt verfaßt und
u. v. a. von den Professoren Helm und Stille (Frankfurt), Gunne
(Uppsala) und Newman (New York) unterzeichnet. Dort heißt es
abschließend:
Die unterzeichnenden Ärzte sind sich darin
einig, dass den immer umfangreicher werdenden wichtigen Aufgaben auf dem
AIDS-Gebiet nicht durch ein Gegeneinander der Fachleute, vielmehr nur durch
eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aller mit Aussicht auf Erfolg begegnet
werden kann.
Wie vorausschauend und welch guten Geistes war diese
Erklärung! Typisch für ihn ist auch ein Brief vom 28.2.1988 an
die damalige Enquete-Kommission AIDS des Bundestages. Er schreibt darin:
„Die im Hearing vom 2.11. gefallene
Äußerung über ‚mehr Methadontote als Herointote’
in den USA veranlasste mich, nach der Quelle dieser Behauptung zu
suchen ... Da jedem einigermaßen informierten Kenner der
Drogensituation in den USA die Absurdität dieser Behauptung klar sein
musste, habe ich inzwischen mit Fachleuten der USA
korrespondiert ... Mein Korrespondenzpartner Prof. J. C Ball
kommentiert die DAWN-Statistik wie folgt: ‚ ... for 1986 shows
1549 heroin deaths and only 133 from methadone among 4135 cases. And even these
methadone deaths were not necessarily from methadone alone.’
Klärungsbedürftig ist, wer dafür verantwortlich ist, dass mit
einer solchen Falschmeldung Verwirrung gestiftet werden konnte. ... ganz habe
ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich die Phase des
‚Glaubenskriegs’ und Stilverfalls vielleicht doch überwinden
lässt.”
Unermüdlich hat er so dafür gekämpft, die Diskussion
um die Methadonbehandlung auf ärztliches Niveau zu heben. Sein Einsatz
dabei war einzigartig. Er ging auch durchaus streng mit Kollegen wie
beispielsweise uns beiden um, indem er immer korrekt erhobene Daten und einen
wissenschaftlichen, an internationalem Niveau orientierten Publikationsstil
forderte. Gegenüber Argumenten ohne wissenschaftliche Daten oder gar manch
fragwürdiger Behandlungspraxis zeigte er eine klare Distanz.
Um so mehr ist hervorzuheben, dass sein Engagement für
Substitutionsbehandlungen Heroinabhängiger nicht nur wissenschaftlicher
Natur war. Seine Gutachtertätigkeit in Prozessen gegen substituierende
Ärzte war ein anderer Teil seiner Tätigkeit, dessen Bedeutung
für die weitere Entwicklung der Substitution in Deutschland nicht hoch
genug eingeschätzt werden kann. Friedrich Bschor war über mehrere
Jahrzehnte der einzige ärztlicher Hochschullehrer, der substituierenden
Kollegen als Gegengutachter zur Verfügung stand. Viele von ihnen verdanken
deshalb Friedrich Bschor nicht nur die Erhaltung ihres guten Namens, sondern
auch ihrer bürgerlichen Existenz.
Auch er mußte wegen seines Engagements für die
Methadonsubstitution Kränkungen und Zurücksetzungen hinnehmen. Seine
Unbeirrbarkeit, seine gerade und kollegiale Art, immer an der Not der Kranken
orientiert, und sein persönlicher Mut waren für uns ein Vorbild.