Einleitung
Einleitung
Der Konsum von Alkohol und alkoholbedingte Störungen
gehören in den westlichen Ländern zu den häufigsten
Gesundheitsproblemen im Erwachsenen- wie auch im Jugendalter [1, 2].
In den letzten 20 Jahren wurde deshalb die Erforschung von Faktoren, welche die
Entwicklung von Alkoholproblemen erklären können, verstärkt zum
Gegenstand wissenschaftlichen Interesses (Reviews siehe [3, 4]). Im
Blickfeld einer Reihe von Studien stand hierbei die Frage, inwiefern
familiäre bzw. elterliche Alkoholprobleme als Risikofaktor für die
spätere Entwicklung von Suchtproblemen bei ihren Kindern zu sehen sind.
Inzwischen liegt zu dieser Frage eine Reihe von Befunden vor, welche relativ
eindeutig darauf hinweisen, dass Personen mit einer elterlichen
Alkoholbelastung im Vergleich zu Personen ohne eine solche Belastung einem
beträchtlich höheren Risiko ausgesetzt sind, ebenfalls
Alkoholprobleme zu entwickeln [5-17]. Ebenso legt eine Reihe
von Befunden nahe, dass Kinder von Eltern mit einer Alkoholbelastung nicht nur
anfälliger für die Entwicklung von Alkoholproblemen sind, sondern
ebenfalls auch ein erhöhtes Risiko zeigen, Probleme im Umgang mit anderen
psychotropen Substanzen zu entwickeln [9-11, 18, 19].
Obwohl durchaus Befunde aus anspruchsvollen Längs- und
High-Risk-Studien zur Frage familiärer Assoziationsmuster zwischen
elterlicher Alkoholbelastung und der Entwicklung von Substanzproblemen bei
ihren Kindern vorliegen [8, 12, 18], besteht ein Hauptkritikpunkt an
der bisherigen Forschung darin, dass - mit einigen wenigen Ausnahmen, wie
etwa den Arbeiten von Sieber und Angst [5], Russell et al.
[6], Mathew et al. [9] und Kendler et al. [13]
- solche Assoziationsmuster fast ausschließlich an klinischen
Stichproben, d.h. über die Untersuchung von Betroffenen aus
Behandlungseinrichtungen, ermittelt wurden. Klinische Studien haben jedoch den
Nachteil, dass deren Ergebnisse aufgrund einer Stichprobenselektivität
verzerrt sein können und deshalb möglicherweise zu falschpositiven
Befunden führen, somit zu einer Überschätzung der
familiären Assoziationen [20]. Die Verallgemeinerung auf
Personen außerhalb klinischer Einrichtungen ist daher nicht unbedingt
gewährleistet.
Im vorliegenden Beitrag werden ausgewählte Ergebnisse zu
familiären Assoziationen von Suchtproblemen aus der Early Developmental
Stages of Psychopathology-Studie berichtet, in welcher eine repräsentative
Stichprobe 14- bis 24-Jähriger prospektiv in drei Untersuchungswellen
befragt wurde und eine zusätzliche Befragung der Eltern erfolgte.
Fokussierend auf die jüngere Kohorte, die 14- bis 17-Jährigen, werden
in diesem Beitrag nach der Darstellung von Basis- und
4-Jahres-Verlaufsergebnissen für Substanzkonsum sowie substanzbedingtem
Missbrauch und Abhängigkeit folgende Fragen beantwortet:
Welche Zusammenhänge zeigen sich zwischen elterlicher
Alkoholbelastung und dem Konsum von legalen und illegalen Drogen bei den
Kindern?
Welche Zusammenhänge bestehen zwischen elterlicher
Alkoholbelastung und dem Vorliegen von DSM-IV-Missbrauch und Abhängigkeit
von legalen und illegalen Drogen bei den Kindern?
Ist elterliche Alkoholbelastung speziell mit dem Übergang
in bestimmte Stadien des Konsums von Alkohol bei den Kindern assoziiert?
Zeigen sich Assoziationen zwischen elterlicher Alkoholbelastung
und dem Alter bei erstmaligem schädlichen Alkoholkonsum, erstmaligem
regelmäßigen Rauchen sowie erstmaligem Konsum illegaler Drogen?
Zeigen sich Assoziationen zwischen elterlicher Alkoholbelastung und dem
erstmaligen Auftreten von substanzbedingtem Missbrauch und
Abhängigkeit?
Methoden
Methoden
Studie und Design
Die Befunde wurden im Rahmen der Early Developmental Stages of
Psychopathology-(EDSP-)Studie ermittelt, deren Ziel es ist, auf der Grundlage
einer repräsentativen Stichprobe von Jugendlichen und jungen
Erwachsenen zu untersuchen, a) wie häufig und unter welchen Umständen
diese psychotrope Substanzen gebrauchen, missbrauchen oder eine
Abhängigkeit entwickeln, b) welche Muster von Stadienwechseln zwischen
Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit zu beobachten sind und c) welche
Vulnerabilitäts- und Protektionsfaktoren in solchen Frühstadien
für die Entwicklung von Drogenkonsum, Missbrauch und Abhängigkeit
relevant sind. Detaillierte Beschreibungen des methodischen Vorgehens der EDSP
finden sich bei Wittchen et al. [21] und Lieb et al.
[22].
Stichprobe
Die EDSP-Studie beruht auf einer Zufallsstichprobe von
14- bis 24-jährigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen der
Münchener Stadt- und Landkreise, die Ende 1994 aus den
Einwohnermelderegistern gezogen wurde. Von den gezogenen 4809 Personen wurden
4263 Personen in die Studie aufgenommen (siehe im Detail hierzu [21,
22]). Bei der 1995 durchgeführten Basisuntersuchung (T0) wurden
n = 3021 Personen befragt
(Ausschöpfungsrate = 71 %). Von den
1395 14- bis 17-jährigen Jugendlichen der Basisuntersuchung wurden in
der ersten Follow-up-Untersuchung (T1; im Mittel 20 Monate nach T0) 1228
Jugendliche ein weiteres Mal untersucht (1996/1997;
Ausschöpfungsrate = 88 %). Parallel zu
dieser ersten Nachuntersuchung wurde eine separate Elternuntersuchung
durchgeführt, in der alle Eltern von T1-Teilnehmer(inne)n befragt wurden.
Es wurden primär die Mütter untersucht, da neben Informationen zur
familiären Psychopathologie Informationen zu
Schwangerschaftskomplikationen sowie frühkindlichen Auffälligkeiten
der Index-Probanden erfasst werden sollten. 1053 Eltern (1026 Mütter, 27
Väter; Ausschöpfung: 86 %) wurden erfolgreich befragt.
In der zweiten Follow-up-Untersuchung (T2, 1998/1999; im Mittel 42 Monate nach
T0), welche wieder alle Proband(inn)en der Basisuntersuchung umfasste, wurden
2548 Personen abschließend untersucht
(Ausschöpfungsrate = 84 %).
Bei den im Folgenden angeführten Befunden zu Assoziationen
zwischen elterlicher Alkoholbelastung und Substanzgebrauch, -missbrauch und
-abhängigkeit bei den Kindern beschränken wir uns auf die zu T0 14-
bis 17-jährigen Proband(inn)en, welche an allen drei Untersuchungswellen
(T0, T1 und T2) teilnahmen, von welchen ein Elternteil direkt befragt wurde und
für die Angaben zu beiden Eltern vorliegen (n = 917).
Diese Untergruppe unterscheidet sich bzgl. der Ausschöpfungsraten in den
einzelnen Wellen nicht von der Gesamtgruppe [22].
Erhebungsinstrumente und diagnostische Einordnung
Erhebungsinstrumente und diagnostische Einordnung
Probanden und Probandinnen
Alle Untersuchungsvariablen wurden mit einer computerisierten
Version des Münchener Composite International Diagnostic Interview
(M-CIDI) [23], einer modifizierten Version des WHO-CIDI (Version 1.2)
[24], erhoben, welches die standardisierte Erfassung von Symptomen,
Syndromen, Diagnosen sowie Verlaufsmerkmalen ausgewählter psychischer
Störungen nach den Kriterien von ICD-10 [25] und DSM-IV
[26] erlaubt. In T0 wurde die Lifetimeversion eingesetzt, welche
12-Monats-Querschnitts- und Lebenszeit-Informationen liefert. In T1 und T2
wurde die 12-Monats-Intervallversion herangezogen, die den 12-Monats-Zeitraum
vor der jeweiligen Welle und das restliche Zeitintervall zwischen der
vorhergehenden und der aktuellen Untersuchung abbildet. Das M-CIDI beinhaltet
ein sog. „Listenheft”, welches Fragebogen zur Erfassung
psychologischer Konstrukte enthält. Detaillierte Übersichten hierzu
sowie Befunde zur Reliabilität und Validität des M-CIDI liegen
bereits vor [21, 22, 27-29].
Auf bereits publizierte Beschreibungen der einzelnen
Substanzsektionen (Nikotin, Alkohol, illegale Drogen) des M-CIDI, über
welche sowohl der Konsum als auch Missbrauch und Abhängigkeit von
Substanzen erfasst werden, soll lediglich verwiesen werden [2,
30-33]. Angegeben werden sollen an dieser Stelle (siehe Tab.
1 ) die Operationalisierungen der für die
verschiedenen Substanzen verwendeten Konsumkategorien, welche in diesem und
auch in bereits publizierten Beiträgen zur Analyse des Substanzkonsums
herangezogen wurden [2, 27, 32-35].
Tab. 1 Konsumkategorien für die
einzelnen untersuchten psychotropen
Substanzen
Substanz Konsumkategorie Operationalisierung
Alkohol
kein/seltener Konsum
nie oder nie mehr als 11-mal innerhalb von 12 Monaten
Alkohol getrunken
(d. h. nie monatlicher
Konsum)
gelegentlicher Konsum
mindestens 12-mal pro Jahr, aber nie mehr als dreimal pro
Monat
(d.h. mindestens monatlicher, aber nie
wöchentlicher Konsum)
regelmäßiger Konsum
mindestens viermal pro Monat, aber nie
schädlicher Konsum
schädlicher Konsum
in der Periode des stärksten Konsums Frauen mindestens
20 g
und Männer mindestens 40 g Alkohol pro
Tag getrunken
Nikotin
kein/seltener Konsum
nie geraucht oder nie mindestens 4 Wochen täglich
geraucht
regelmäßiger Konsum
mindestens 4 Wochen täglich
geraucht
illegale
Drogen1
[* ]
kein Kosum
nie eine illegale Droge
konsumiert
gelegentlicher Konsum
1- bis 4-mal im Leben eine illegale Droge
konsumiert
regelmäßiger Konsum
mindestens 5-mal im Leben eine illegale Droge
konsumiert
1beinhalten Cannabinoide,
Stimulanzien/Amphetamine (Ecstasy, Speed etc.), Opiate, Kokain, Phencyclidine,
Psychedelika/Halluzinogene und Inhalantien/Lösungsmittel
Diagnostische Angaben über die Eltern
Im Projektteil „Familiengenetik und Sozialisation”
wurde zur direkten diagnostischen Befragung der Eltern eine modifizierte
Version des M-CIDI (M-CIDI-FG) [36] herangezogen. Das M-CIDI-FG
beinhaltet ein sog. „family-history”-Modul [37],
über welches Informationen über Substanzmittelkonsum, Missbrauch und
Abhängigkeit sowie weitere psychopathologische Informationen über den
nicht befragten Elternteil (in der Regel den Vater) und weitere
Familienmitglieder (Großeltern, Geschwister) erhoben wurden (vgl. hierzu
[22]). Zusätzlich zu dieser direkten Elternbefragung wurden alle
Proband(inn)en zu T0 und T2 über ein solches
„family-history”-Modul zu psychopathologischen
Auffälligkeiten bei ihren Eltern und Geschwistern befragt. Angaben zur
Validität der über dieses Modul erhobenen Informationen über die
elterliche Alkoholbelastung finden sich in Lieb et al. [35].
Für die elterliche Alkoholbelastung liegen somit
Informationen sowohl von dem befragten Elternteil selbst als auch von den
Jugendlichen vor. Zur Auswertung der familiären Assoziationen wurden
sowohl die indirekten als auch die direkten diagnostischen Informationen
herangezogen [22] und zu einem Index für elterliche
Alkoholbelastung aggregiert. Aufgrund des Überwiegens von indirekten
„family-history”-Informationen wurde dabei nicht mehr
unterschieden zwischen elterlichem Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit,
sondern das Berichten von DSM-IV-Missbrauchs- oder Abhängigkeitssymptomen
wurde zusammengefasst als „elterliche Alkoholbelastung” gewertet,
wobei die Höhe des elterlichen Alkoholkonsums gemäß den
DSM-Vorgaben unberücksichtigt blieb.
Interviewer/-innen, Training und Durchführung der
Feldarbeit
Alle Befragungen wurden von klinisch geschulten Interviewer(inne)n
(in der Mehrzahl Diplom-Psycholog(inn)en) durchgeführt. Während der
Feldarbeit wurden alle Interviewer/-innen kontinuierlich von klinischen
Editorinnen supervidiert, die jedes Interview auf Vollständigkeit,
korrekte Durchführung und Kodierung sowie auf sonstige aufgetretene
Probleme überprüften. Detaillierte Darstellungen der Feldarbeit
finden sich in Wittchen et al. [21] sowie Lieb et al.
[22].
Auswertung
Alle Auswertungen wurden mit gewichteten Daten durchgeführt.
Hierbei bekommt jede Beobachtung ein statistisches Gewicht, das auf der
inversen Auswahlwahrscheinlichkeit basiert. Damit wird die Verteilung der
Variablen Alter, Geschlecht und Gebiet an die Verteilung in der zugrunde
liegenden Population angeglichen. Die Auswertungen wurden mit dem Programmpaket
STATA [38] durchgeführt, welches robuste Schätzungen von
Standardfehlern und Konfidenzintervallen (KI) bei gewichteten Daten
ermöglicht.
Bezüglich der untersuchten Häufigkeiten wird die
Lifetime-Prävalenz zu T0 (prozentualer Anteil
der Population der zu T0 14- bis 17-Jährigen, der zu T0 jemals im Verlauf
des Lebens das Merkmal gezeigt hat), die Inzidenz
T0-T2 (prozentualer Anteil der Population, der zu T0 das jeweils
untersuchte Merkmal nicht aufwies, es aber während der Follow-up-Periode
erstmalig gezeigt hat) und die kumulierte
Lebenszeit-Inzidenz zu T2 (prozentualer Anteil der Population, der zum
Zeitpunkt T2 jemals im Verlauf des Lebens das Merkmal gezeigt hat)
berichtet.
Für die Assoziationsberechnungen wurden als Grundlage der
Einteilung der Probanden in die Konsum- und Störungskategorien die Angaben
aus T0, T1 und T2 kumuliert. Für die Analyse der Progression des
Alkoholkonsums (Übergang von einer Konsumkategorie in eine höhere) in
Abhängigkeit der elterlichen Belastung wurden Untergruppen gebildet, die
die Probanden mit höherem Konsum nur unter den Probanden der
nächstniedrigeren Konsumkategorie umfassten, z. B. die Gruppe der
Probanden mit schädlichem Konsum unter den Probanden mit mindestens
regelmäßigem Konsum.
Zur Analyse des Zusammenhangs zwischen elterlicher
Alkoholbelastung und dem Outcome bei den Probanden wurden über logistische
Regressionen sowie Erweiterungen verschiedene Assoziationsmassen berechnet.
Für dichotome Outcome-Maße (z. B. Alkoholabhängigkeit
ja/nein) wurden Odds Ratios (OR) ermittelt, für mehrfach gestufte
Outcome-Maße (z. B. kein - gelegentlicher -
regelmäßiger Konsum illegaler Substanzen) wurden Cumulative Odds
Ratios (CUMOR) berechnet [39]. Die Progression in höhere
Konsumkategorien wurde über Continuation Odds Ratios (COR) auf ihre
Assoziation mit elterlicher Alkoholbelastung geprüft [40]. Alle
Assoziationen wurden nach Alter und Geschlecht des Probanden kontrolliert.
Mögliche Unterschiede in den Zusammenhängen zwischen Probanden und
Probandinnen wurden über Interaktionseffekte mit dem Geschlecht
geprüft.
Um zu bestimmen, ob sich die elterliche Alkoholbelastung auf das
Alter bei Beginn von Substanzkonsum und -störungen bei den Kindern
auswirkt, wurde das Erstmanifestationsalter über Survivalanalysen
analysiert. Tests auf Unterschiede zwischen Survivalkurven für Probanden
mit und ohne elterliche Alkoholbelastung wurden mit Cox-Regressionen
durchgeführt, welche Unterschiede mit Hazard Ratios (HR) darstellen
[41]. Um zu prüfen, ob in der Gruppe mit elterlicher Belastung
die Erstmanifestation früher erfolgt, wurden Interaktionen
Alter * elterliche Alkoholbelastung berechnet.
Ergebnisse
Ergebnisse
Prävalenz und Inzidenz von Konsum, Missbrauch und
Abhängigkeit legaler und illegaler Drogen bei 14- bis 17-jährigen
Jugendlichen
Konsum
Lifetime-Prävalenz zu T0: Zum
Zeitpunkt der Basisuntersuchung (1995) berichtet etwa ein Drittel aller 14- bis
17-Jährigen, irgendwann in ihrem Leben gelegentlich Alkohol getrunken zu
haben (siehe Tab. 2 ). Höhere Konsumstufen werden
hier mit 1,9 % für regelmäßigen und
1,8 % für schädlichen Alkoholkonsum noch relativ selten
berichtet. Hinsichtlich Nikotinkonsums zeigt sich, dass gut ein Fünftel
der Personen bereits regelmäßig geraucht hat, und ebenfalls etwa ein
Fünftel hat bereits Erfahrung mit dem Konsum von illegalen Drogen.
Inzidenz T0-T2: Über das
Follow-up-Intervall (T0-T2) zeigt sich über alle Substanzen hinweg
ein bemerkenswerter Anteil an „Neukonsumenten” bzw. an
„Mehrkonsumenten”. Der höchste Zuwachs zeigt sich dabei
für gelegentlichen Alkoholkonsum: Mehr als 60 % der
Probanden, die zu T0 noch nie bzw. äußerst selten Alkohol getrunken
haben, berichten zwischen T0 und T2 erstmalig von gelegentlichem Alkoholkonsum.
Nahezu jeder Zehnte berichtet zwischen T0 und T2 von erstmaligem
regelmäßigen (7,6 %) oder schädlichem
(8,8 %) Alkoholkonsum. Hinsichtlich Nikotinkonsum zeigt sich,
dass ungefähr ein Drittel (31,8 %) der Personen, die bis zu
T0 noch nie bzw. nie regelmäßig geraucht hatten, nun
regelmäßig rauchen. Bezüglich des Konsums illegaler Drogen
zeigt sich, dass etwa 15 % der Nichtkonsumenten zu T0 zwischen T0
und T2 einen gelegentlichen, d. h. ein- bis viermaligen, Drogenkonsum
entwickeln. Etwa ein Viertel (23,8 %) der zu T0 als Nicht- oder
Gelegenheitskonsumenten klassifizierten Personen berichtet nun erstmalig von
einem regelmäßigen Gebrauch illegaler Drogen.
Kumulierte Lifetime-Inzidenz zu T2:
Betrachtet man nun zum Zeitpunkt T2 die „neue”
Lifetime-Prävalenz (kumulierte Lifetime-Inzidenz T2), so zeigt sich, dass
mehr als 80 % der inzwischen 18- bis 21-Jährigen mindestens
gelegentlich Alkohol konsumieren. Regelmäßiger Alkoholkonsum wird
von 7 % der Befragten berichtet und fast jeder Zehnte
(8,3 %) berichtet, bereits schädliche Mengen an Alkohol
konsumiert zu haben. Nahezu die Hälfte (45,6 %) der
Jugendlichen erfüllt nun die Kriterien für regelmäßiges
Rauchen. Ebenfalls nahezu die Hälfte der Jugendlichen weist bis zu diesem
Zeitpunkt Erfahrungen mit dem Konsum illegaler Drogen auf, wobei hier
häufiger von regelmäßigem (28,4 %) als von
gelegentlichem Konsum (17,3 %) berichtet wird.
Tab. 2 Lifetime-Prävalenz zu T0,
Inzidenz von T0 zu T2 und kumulierte Lifetime-Inzidenz zu T2 für Konsum,
DSM-IV-Missbrauch und Abhängigkeit von legalen und illegalen Drogen (n
=
917)
[ ]
Lifetime-Prävalenz Inzidenz von T0 zu T2 Kumulierte Lifetime-Inzidenz
T0 T2
n % w (95% KI) n % w (95% KI) n % w (95%
KI)
Konsum
Alkohol
kein/seltener Konsum 677 67,6 (64,1-71,0)
gelegentlicher Konsum 217 28,7 (25,5-32,2) 454 61,7 (57,8-65,5) 628 68,7 (65,3-71,8)
regelmäßiger Konsum 11 1,9 (1,0-3,4) 51 7,6 (5,7-10,0) 59 7,0 (5,4-9,1)
schädlicher Konsum 12 1,8 (1,0-3,3) 54 8,8 (6,6-11,7) 66 8,3 (6,4-10,7)
Nikotin
kein/seltener Konsum 757 79,8 (76,7-82,7)
regelmäßiger Konsum 160 20,2 (17,4-23,3) 256 31,8 (28,4-35,4) 416 45,6 (42,1-49,1)
illegale Drogen
kein Konsum 767 81,6 (78,5-84,2)
gelegentlicher Konsum (1- bis 4-mal) 95 11,0 (8,9-13,4) 120 14,2 (11,9-17,0) 159 17,3 (14,8-20,1)
regelmäßiger Konsum (5+) 55 7,5 (5,7-9,8) 194 23,8 (20,8-27,1) 249 28,4 (25,3-31,7)
DSM-IV-Missbrauch und
Abhängigkeit
Alkohol
weder Missbrauch noch Abhängigkeit 870 93,2 (90,9-94,9)
Missbrauch (ohne Abhängigkeit) 34 5,1 (3,6-7,1) 153 16,8 (14,4-19,6) 182 20,1 (17,4-23,1)
Abhängigkeit 13 1,8 (1,0-3,1) 48 5,4 (4,0-7,3) 61 6,8 (5,2-8,9)
Nikotin
keine Abhängigkeit 832 88,8 (86,1-91,0)
Abhängigkeit 85 11,2 (9,1-13,9) 125 13,9 (11,7-16,5) 210 23,6 (20,7-26,7)
Drogen
weder Missbrauch noch Abhängigkeit 899 97,9 (96,6-98,7)
Missbrauch oder Abhängigkeit 18 2,1 (1,3-3,4) 69 8,3 (6,5-10,6) 87 10,2 (8,2-12,7)
Anmerkungen:
n = ungewichtete Personenzahl;
%w = gewichteter Prozentanteil;
KI = Konfidenzintervall; Definition
der Konsumkategorien: Alkohol: nie/seltener Konsum: nie mehr als 11-mal
innerhalb von 12 Monaten Alkohol konsumiert; gelegentlicher
Konsum: mindestens 12-mal pro Jahr, aber nie mehr als dreimal pro Monat;
regelmäßiger Konsum: mindestens viermal pro Monat, aber nie
schädlicher Konsum; schädlicher Konsum: in der Periode des
stärksten Konsums Frauen mindestens 20 g und Männer mindestens 40 g
Alkohol pro Tag. Nikotin: kein/seltener Konsum: nie
geraucht oder nie innerhalb von 4 Wochen täglich geraucht;
regelmäßiger Konsum: mindestens 4 Wochen täglich geraucht;
Referenzgruppen zur Berechnung der Inzidenzraten:
Alkohol: Inzidenz von gelegentlichem Konsum: alle Nichtkonsumenten und
Konsumenten mit seltenem Konsum zu T0; Inzidenz von regelmäßigem
Konsum: alle Probanden, die zu T0 weder regelmäßigen noch
schädlichen Konsum berichteten; Inzidenz von schädlichem Konsum: alle
Probanden, die zu T0 keinen schädlichen Konsum aufwiesen; Inzidenz von
Missbrauch: alle Probanden ohne eine Diagnose zu T0; Inzidenz von
Abhängigkeit: alle Probanden ohne eine Abhängigkeitsdiagnose zu T0;
Nikotin: Inzidenz von regelmäßigem Konsum:
alle Probanden, welche zu T0 nicht die Kriterien von regelmäßigem
Konsum erfüllten; Inzidenz von Abhängigkeit: alle Probanden ohne eine
Abhängigkeitsdiagnose zu T0; eine Missbrauchsdiagnose wird hier nicht
gestellt; illegale Drogen: Inzidenz von gelegentlichem
Konsum: alle Nichtkonsumenten zu T0; Inzidenz von regelmäßigem
Konsum: alle Nicht- und gelegentlichen Konsumenten zu T0; Inzidenz von
Missbrauch oder Abhängigkeit: alle Probanden ohne eine Missbrauchs- oder
Abhängigkeitsdiagnose zu T0;
DSM-IV-Missbrauch und Abhängigkeit
Tab. 2 ist ebenfalls zu entnehmen, dass
zu T0 die Nikotinabhängigkeit mit 11,2 % die häufigste
Substanzdiagnose in der untersuchten Altersgruppe ist. Die Kriterien von
Alkoholmissbrauch erfüllen 5,1 % und die einer
Alkoholabhängigkeit 1,8 % der befragten Jugendlichen. Eine
Störung durch illegale Drogen (Missbrauch oder Abhängigkeit) wird zu
diesem Zeitpunkt mit 2,1 % noch relativ selten berichtet.
Zwischen T0 und T2 berichtet ein beachtlicher Anteil an Jugendlichen erstmalig
von Alkoholmissbrauch (16,8 %). Aber auch
Alkoholabhängigkeit (5,4 %) und Missbrauch oder
Abhängigkeit durch illegale Substanzen (8,3 %) werden im
Vergleich zu den Lifetime-Prävalenzraten zu T0 von einem bemerkenswerten
Anteil von Jugendlichen erstmalig berichtet. 13,9 % der
Jugendlichen, die zu T0 noch keine Nikotinabhängigkeit aufwiesen,
entwickeln diese während des Follow-up-Intervalls. Aufgrund der hohen
Inzidenzraten im Intervall T0-T2 liegen die kumulierten
Lifetime-Inzidenzen für DSM-IV-Missbrauch und -Abhängigkeit zu T2 nun
deutlich über den zu T0 ermittelten Lifetime-Prävalenzen. So
erfüllt zum Zeitpunkt T2 nun jede fünfte Person lebenszeitbezogen die
Kriterien für Alkoholmissbrauch und 6,8 % die Kriterien der
Alkoholabhängigkeit. Störungen durch illegale Drogen werden, bezogen
auf die Lebenszeit, mit 10,2 % ebenfalls etwa fünfmal
häufiger berichtet als zu T0, während sich die Raten für
Nikotinabhängigkeit etwa verdoppelt haben (23,6 % zu T2
gegenüber 11,2 % zu T0).
Elterliche Alkoholbelastung und Substanzkonsum bei den
Kindern
Werden nun die Konsummuster für Alkohol, Nikotin und illegale
Drogen getrennt danach betrachtet, ob eine elterliche Alkoholbelastung vorliegt
oder nicht, so lässt sich aus Tab. 3 zunächst
für den Konsum von Alkohol entnehmen, dass Probanden mit einer elterlichen
Alkoholbelastung im Vergleich zu Probanden ohne eine elterliche
Alkoholbelastung mit höheren Konsumkategorien steigende Raten aufweisen.
Über alle untersuchten Kategorien hinweg neigen Kinder alkoholbelasteter
Eltern zu höheren Konsumkategorien (CUMOR = 1,5).
Ähnliche Ergebnisse zeigen sich ebenfalls für den Konsum von Nikotin
und illegalen Drogen: Probanden mit einer elterlichen Alkoholbelastung
berichten deutlich höhere Raten in den jeweils höheren
Konsumkategorien. Für keine Substanz zeigen sich signifikante
Interaktionen zwischen dem Geschlecht der Probanden und elterlicher
Alkoholbelastung, d. h. die Assoziationen sind vergleichbar hoch
für Söhne und Töchter alkoholbelasteter Eltern.
Tab. 3 Assoziationen zwischen
elterlicher Alkoholbelastung und Konsum legaler und illegaler Substanzen bei
Jugendlichen
elterliche Alkoholbelastung
nein (Nw = 573) ja (Nw = 329)
Assoziationen
CUMOR/
Substanz Nw %w (95%
KI) Nw %w (95% KI) OR (95%
KI)
Alkohol
nie/selten 99 17,2 (14,3-20,6) 46 13,9 (10,5-18,2)
gelegentlich 401 70,0 (65,9-73,8) 218 66,4 (60,6-71,7)
regelmäßig 38 6,6 (4,7-9,3) 25 7,7 (5,1-11,5)
schädlich 35 6,2 (4,3-8,8) 39 12,0 (8,4-16,9) 1,5
* (1,1-2,1)
Nikotin
nie/selten 336 58,7 (54,4-63,0) 154 47,0 (41,2-52,8)
regelmäßig 236 41,3 (37,1-45,6) 174 53,1 (47,2-58,8) 1,6 * (1,2-2,2)
illegale Drogen
nie 339 59,2 (54,8-63,4) 143 43,5 (37,9-49,4)
gelegentlich (1- bis 4-mal) 68 11,9 (9,4-15,1) 39 12,0 (8,6-16,4)
regelmäßig (5+) 165 28,9 (25,0-33,0) 146 44,5 (38,8-50,4) 2,0 * (1,5-2,6)
Anmerkungen: Nw zeigt die
gewichtete Anzahl an; % w die gewichteten Prozente;
Kl = Konfidenzintervall; OR = Odds
Ratio; CUMOR = Kumulativer Odds Ratio; kontrolliert nach
Alter und Geschlecht der Probanden; * p < 0.05;
Elterliche Alkoholbelastung und DSM-IV-Missbrauch und
Abhängigkeit von legalen und illegalen Drogen bei den Kindern
Tab. 4 zeigt, dass Probanden mit einer
elterlichen Alkoholbelastung im Vergleich zu Probanden ohne elterliche
Alkoholbelastung sowohl höhere Raten an Alkoholmissbrauch (24,2 vs.
17,8 %; OR = 1,8) als auch höhere Raten
an Alkoholabhängigkeit (9,7 vs. 5,2 %;
OR = 2,0) berichten. Höhere Raten werden von ihnen
jedoch ebenfalls hinsichtlich Nikotinabhängigkeit (32,8 vs.
18,3 %; OR = 2,2) sowie Missbrauch und
Abhängigkeit von illegalen Drogen (14,4 vs. 7,8 %;
OR = 2,1) berichtet. Auch hier zeigen sich über alle
betrachteten Substanzstörungen hinweg keine signifikanten Interaktionen
zwischen dem Geschlecht der Probanden und elterlicher Alkoholbelastung.
Tab. 4 Assoziationen zwischen
elterlicher Alkoholbelastung und DSM-IV-Missbrauch und Abhängigkeit
(kumulierte Lifetime-Inzidenz zu T2) bei den
Jugendlichen
elterliche Alkoholbelastung
nein (Nw = 573) ja (Nw = 329)
Assoziationen
Substanzstörung Nw %w (95%
KI) Nw %w (95% KI) OR (95%
KI)
Alkohol
keine Diagnose 441 77,1 (73,1-80,6) 217 66,1 (60,4-71,4)
Missbrauch (ohne Abhängigkeit) 1
[ ]
102 17,8 (14,6-21,4) 80 24,2 (19,6-29,5) 1,8 * (1,2-2,6)
Abhängigkeit 2
30 5,2 (3,6-7,5) 32 9,7 (6,6-13,9) 2,0 * (1,1-3,6)
Nikotin
keine Diagnose 468 81,7 (78,1-84,8) 221 67,2 (61,4-72,5)
Abhängigkeit 3
105 18,3 (15,2-22,0) 108 32,8 (27,5-38,6) 2,2 * (1,5-3,1)
illegale Drogen
keine Diagnose 528 92,2 (89,3-94,3) 281 85,6 (80,8-89,3)
Missbrauch oder Abhängigkeit 4
45 7,8 (5,7-10,7) 47 14,4 (10,7-19,2) 2,1 * (1,3-3,4)
Anmerkungen: Nw zeigt die
gewichtete Anzahl an; %w die gewichteten Prozente;
KI = Konfidenzintervall; OR = Odds
Ratio; kontrolliert nach Alter und Geschlecht der Probanden; * p <0,05,
1 Referenzgruppe sind Probanden ohne eine Alkoholstörung,
2 Referenzgruppe sind Probanden ohne eine Alkoholabhängigkeit,
3 Referenzgruppe sind Probanden ohne eine Nikotinabhängigkeit,
4 Referenzgruppe sind Probanden ohne Missbrauch/Abhängigkeit
von illegalen Drogen
Elterliche Alkoholbelastung und Übergang in bestimmte
Stadien des Konsums von Alkohol bei den Kindern
Wie Tab. 5 zu entnehmen ist, zeigt
sich eine signifikante Assoziation zwischen elterlicher Alkoholbelastung und
der Progression von gelegentlichem zu regelmäßigem Alkoholkonsum bei
den Kindern (COR = 1,7). Detailanalysen konnten aufzeigen,
dass hier im Vergleich zu Probanden ohne elterliche Alkoholbelastung speziell
Probanden mit zwei betroffenen Eltern ein höheres Risiko für den
Übergang vom gelegentlichen in den regelmäßigen Konsum
aufweisen (COR = 2,9; 95 %
KI = 1,4-6,0).
Tab. 5 Elterliche Alkoholbelastung und
Progression des Alkoholkonsums bei den Jugendlichen (n =
917)
[ ]
Alkoholkonsum der Jugendlichen
mindestens gelegentlicher Konsum (Nw =
573) mindestens
regulärer Konsum unter gelegentlichen Konsumenten (Nw =
138) mindestens
schädlicher Konsum unter regulären Konsumenten
(Nw = 75) Progression in gelegentlichen Konsum Progression
in regelmäßigen Konsum Progression in schädlichen
Konsum
elterliche
Alkoholbelastung Nw %w Nw %w Nw %w COR (95%
KI) COR (95%
KI) COR (95%KI)
keine elterliche Belastung (Nw =
573) 474 82,8 73 15,5 35 48,2
elterliche Belastung (Nw = 329) 283 86,1 65 22,9 39 61,0 1,3 (0,8-1,9) 1,7 * (1,1-2,7) 1,8 (0,8-3,9)
Anmerkungen: Nw zeigt die
gewichtete Anzahl an; %w die gewichteten Prozente; KI =
Konfidenzintervall; COR = Continuation Odds Ratio; kontrolliert nach
Alter und Geschlecht der Probanden; * p < 0,05
Elterliche Alkoholbelastung und Erstauftreten von
Substanzkonsum und Substanzstörungen
Abb. 1 zeigt getrennt für
Probanden mit und ohne elterliche Alkoholbelastung für jedes Lebensalter
die geschätzte altersspezifische Lebenszeit-Inzidenz für
schädlichen Alkoholkonsum (A), regelmäßigen Nikotinkonsum (B)
und erstmaligen Drogenkonsum (C), d. h. die geschätzte
Wahrscheinlichkeit, mit welcher bis zu einem bestimmten Alter jemals Alkohol in
schädlichen Mengen, jemals regelmäßig Nikotin und jemals
illegale Drogen konsumiert werden.
Abb. 1 Erstauftretensalter von
A schädlichem Alkoholkonsum, B regelmäßigem Rauchen und C Konsum illegaler Drogen nach elterlicher
Alkoholbelastung.
Die Kurven zeigen zunächst für schädlichen Alkoholkonsum , dass sowohl von
Jugendlichen mit als auch von Jugendlichen ohne elterliche Alkoholbelastung
schädliche Mengen von Alkohol ab dem Alter von 14/15 Jahren konsumiert
werden. Der Verlauf der beiden Kurven weist jedoch darauf hin, dass Probanden
mit einer elterlichen Alkoholbelastung über die untersuchte Altersspanne
hinweg in jedem Lebensalter höhere Lebenszeit-Inzidenzraten berichten,
d. h. eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, jemals
schädliche Mengen von Alkohol zu konsumieren
(HR = 2,0; 95 %
KI = 1,1-3,4). In Detailanalysen prüften wir,
ob Jugendliche mit einer elterlichen Alkoholbelastung auch früher als Probanden
ohne elterliche Alkoholbelastung schädliche Mengen von Alkohol
konsumieren. Hier fanden wir, dass speziell Jugendliche mit zwei betroffenen
Eltern einen früheren Einstieg aufweisen als Probanden ohne elterliche
Alkoholbelastung (HR Alter*beide Eltern
betroffen = 0,6; 95 %
KI = 0,3-0,9). Kein Unterschied zeigte sich hingegen
zwischen Jugendlichen mit einem betroffenen Elternteil und Jugendlichen ohne
elterliche Alkoholbelastung (HR Alter*ein Elternteil
betroffen = 1,0; 95 %
KI = 0,7-1,4). Bei einer Betrachtung der Kurven
für erstmaliges
regelmäßiges Rauchen zeigt sich, dass Jugendliche mit oder ohne
elterliche Alkoholbelastung etwa ab 12/13 Jahren erstmalig
regelmäßig rauchen. Die Kurve steigt in beiden Gruppen bis in das
Alter von 20 Jahren kontinuierlich an, jedoch mit höheren Inzidenzraten in
der Gruppe der Jugendlichen mit elterlicher Alkoholbelastung
(HR = 1,4; 95 %
KI = 1,2-1,8). Auch hier ergaben Detailanalysen,
dass speziell Jugendliche mit zwei betroffenen Eltern einen früheren
Einstieg in den regelmäßigen Nikotinkonsum zeigen als Jugendliche
ohne Alkoholbelastung (HR Alter*beide Eltern
betroffen = 0,7; 95 %
KI = 0,5-0,8). Bezüglich des
Erstkonsums von illegalen Drogen lässt sich
aus Abb. 1 entnehmen, dass sich dieser wiederum in
beiden Gruppen ab dem 11./12. Lebensjahr beobachten lässt. Die Kurven
steigen in beiden Gruppen nahezu kontinuierlich bis zum 20. Lebensjahr an
und flachen dann ab. Auch hier berichten Jugendliche mit elterlicher
Alkoholbelastung höhere Inzidenzraten als Jugendliche ohne elterliche
Alkoholbelastung (HR = 1,6; 95 %
KI = 1,3-1,9). Für den Erstkonsum illegaler
Drogen zeigt sich keine Interaktion mit dem Alter der Probanden.
Abb. 2 Erstauftretensalter von
A Alkoholabhängigkeit, B
Nikotinabhängigkeit und C Missbrauch/Abhängigkeit von illegalen Drogen
nach elterlicher Alkoholbelastung.
Abb. 2
Erstauftretensalter von (A) Alkoholabhängigkeit,
(B) Nikotinabhängigkeit und (C) Missbrauch/Abhängigkeit von illegalen
Drogen nach elterlicher Alkoholbelastung.
Hinsichtlich des Erstauftretens von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit,
Nikotinabhängigkeit sowie Missbrauch/Abhängigkeit von illegalen
Drogen (siehe Abb. 2 ) zeigen unsere Befunde, dass
für alle der genannten substanzbedingten Störungen Probanden mit
elterlicher Alkoholbelastung über jedes untersuchte Lebensalter hinweg
höhere Inzidenzraten aufweisen als Probanden ohne elterliche
Alkoholbelastung. Es konnten keine signifikanten Interaktionen mit dem Alter
der Probanden ermittelt werden, d. h. das Einstiegsalter war
vergleichbar für Probanden mit und ohne elterliche Alkoholbelastung.
Diskussion
Diskussion
Basierend auf einer prospektiven epidemiologischen
Längsschnittuntersuchung wurden in dem vorliegenden Beitrag Befunde zur
Frage vorgelegt, inwiefern eine elterliche Alkoholbelastung mit der Entwicklung
von Suchtproblemen bei ihren Kindern assoziiert ist. Die hier vorgestellten
Ergebnisse ergänzen bisher vorliegende Forschungsbefunde zu diesem
Forschungsgebiet insofern, als
diese an einer repräsentativen Stichprobe von Jugendlichen
ermittelt wurden, daher eine höhere Generalisierbarkeit als Ergebnisse aus
klinischen Studien gewährleisten,
der Studie ein prospektiv-longitudinales Design zugrunde liegt,
welches eine zeitnahe Erfassung wesentlicher Verlaufsaspekte, wie etwa des
Erstkonsumalters, gewährleistet,
durch die Erhebungsmethodik mittels persönlicher Interviews
sowie spezieller befragungs- und auswertungstechnischer Merkmale des
standardisierten computerisierten Instrumentes, des M-CIDI, eine hohe
Reliabilität, Validität und Auswertungsobjektivität erreicht
wurde,
Missbrauch und Abhängigkeit nach den strikten Kriterien des
DSM-IV erhoben wurden,
die Zielpersonen über die Risikoperiode des initialen
Gebrauchs von legalen und illegalen Drogen hinweg untersucht wurden, sowie
für eine repräsentative Stichprobe direkte
Elterninformationen erhoben wurden.
Trotz all dieser Stärken unserer Studie sollen jedoch auch
methodische Einschränkungen genannt werden, auf deren Hintergrund die
Befunde bewertet werden müssen. So konnte zur Erfassung elterlicher
Psychopathologie zumindest für die Väter lediglich indirekte
„family-history”-Information erhoben werden, d.h. es liegen keine
direkten diagnostischen Informationen für sie vor. Indirekte diagnostische
Information könnte vom diagnostischen Status der befragten Personen
beeinflusst sein, etwa in dem Sinne, dass Personen mit einem Alkoholproblem
solche auch besser bei Familienangehörigen erkennen [42, 43].
Diese Möglichkeit prüften wir durch einen Vergleich der
Sensitivität der family-history-Informationen zwischen selbst betroffenen
und nicht selbst betroffenen Informanden und den an den Müttern direkt
erhobenen diagnostischen Informationen. Wir fanden keinen Hinweis darauf, dass
Jugendliche mit einer Alkoholstörung eine Alkoholbelastung bei ihren
Müttern besser erkennen und es gab somit keinen Hinweis auf eine
Verzerrung der indirekten diagnostischen Information durch den diagnostischen
Status der Jugendlichen. Eine weitere methodische Einschränkung bezieht
sich auf den Umstand, dass die Altersspanne der untersuchten Stichprobe auf 21
Jahre begrenzt ist, was bedeutet, dass noch nicht alle untersuchten
Jugendlichen die Hochrisikozeit für die Entwicklung von Konsum, Missbrauch
und Abhängigkeit von psychotropen Substanzen passiert haben. Dafür
sprechen zum einen Befunde aus der Basisuntersuchung, die sich auf die
Gesamtstichprobe der damals 14- bis 24-Jährigen beziehen und die v.a.
für illegale Drogen und Alkohol, weniger ausgeprägt für Nikotin,
kontinuierlich hohe Inzidenzraten für Substanzkonsum und -störungen
bis an die obere Altersgrenze, d. h. bis in die Mitte der dritten
Lebensdekade, ergaben [2, 31, 32]. Auch die in dieser Arbeit
berichteten hohen Inzidenzraten für Konsum und Störungen durch
Alkohol und illegale Drogen zwischen T0 und T2 weisen darauf hin, dass die
Hochrisikozeit in der untersuchten Altersspanne noch nicht abgeschlossen ist.
Um die Zahl sog. „falschnegativer” Fälle zu minimieren,
zogen wir zur Analyse der familiären Assoziationsmuster die kumulierten
Lebenszeit-Inzidenzen zu T2 heran, welche die maximale diagnostische
Information, die für die Jugendlichen im Verlauf der Studie erfasst werden
konnte, einschließen.
Lebenszeitprävalenzen und 4-Jahres-Inzidenzen von
Substanzkonsum, -missbrauch und -abhängigkeit
Wie wir auch in bereits vorliegenden Publikationen zu Befunden der
EDSP-Basisuntersuchung bzw. ausgewählten Follow-up-Befunden beschrieben
haben [31-33, 44], waren zum Zeitpunkt der Basisuntersuchung
Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit sowohl von legalen als auch illegalen
Substanzen in den untersuchten Altersgruppen noch relativ gering
ausgeprägt. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass über das
4-Jahres-Follow-up-Intervall hinweg Konsum sowie substanzbezogener Missbrauch
und Abhängigkeit merklich zunehmen. Unsere Befunde ergeben ferner, dass
Alkohol und Nikotin als das größte Problem zu sehen sind. Sowohl
bezüglich der T0-T2-Inzidenzraten als auch der kumulierten
Lifetime-Inzidenzraten zu T2 überschreiten die Konsum-, Missbrauchs- und
Abhängigkeitsraten um ein Vielfaches die Raten von Konsum und
Missbrauch/Abhängigkeit illegaler Drogen.
Elterliche Alkoholbelastung und Alkoholkonsum, -missbrauch und
-abhängigkeit
Vergleichbar zu bisher vorliegenden Befunden [5, 7, 10, 12,
17] konnten wir zunächst bestätigen, dass elterliche
Alkoholbelastung bereits im Jugendalter mit einem erhöhten Risiko
verbunden ist, größere und auch schädlichere Mengen an Alkohol
zu konsumieren. So berichten doppelt so viele Jugendliche mit einer elterlichen
Alkoholbelastung als Jugendliche ohne eine solche Belastung, bereits
schädliche Mengen an Alkohol konsumiert zu haben. Durch die detaillierte
Analyse von Übergängen in bestimmte Konsumstadien konnten wir
erstmals nachweisen, dass elterliche Alkoholbelastung speziell mit dem
Übergang vom gelegentlichen in den regelmäßigen Alkoholkonsum
assoziiert ist. Elterliche Alkoholbelastung stellt nach diesen Befunden somit
einen Risikofaktor sowohl für das Konsumieren von größeren oder
gar schädlichen Mengen von Alkohol wie auch für die Stabilisierung
des Trinkverhaltens während der Adoleszenz dar. Auch die ermittelten
familiären Assoziationen zwischen elterlicher Alkoholbelastung und
alkoholbedingtem Missbrauch und Abhängigkeit entsprechen weitestgehend
Befunden, wie sie in der Regel an klinischen Stichproben ermittelt wurden
[7, 9, 10, 12] und bestätigen diese familiäre Belastung als
bedeutsamen Prädiktor für die Entwicklung von Missbrauchs- und
Abhängigkeitssyndromen. Speziell für Alkoholabhängigkeit konnten
wir zeigen, dass Alkoholabhängigkeit unter Jugendlichen mit einer
elterlichen Alkoholbelastung etwa doppelt so häufig diagnostiziert wird
wie unter Jugendlichen ohne eine elterliche Belastung. Bis heute kann nicht
genau erklärt werden, welche Mechanismen für die familiäre
Transmission von alkoholbedingten Problemen (oder Störungen)
verantwortlich sind. Aufgrund bisheriger Forschungsbefunde ist sehr
wahrscheinlich davon auszugehen, dass sowohl genetische Faktoren als auch
familiäre Umgebungsfaktoren an der familiären Übertragung
beteiligt sind [45]. Welche spezifischen Faktoren an der
Übertragung beteiligt sind und in welcher Art und Weise sie miteinander
interagieren (z. B. Gen-Umwelt-Interaktion), kann jedoch noch
längst nicht befriedigend beantwortet werden.
Elterliche Alkoholbelastung und Konsum, Missbrauch und
Abhängigkeit von Nikotin und illegalen Drogen
Eine elterliche Alkoholbelastung erhöht nicht nur das Risiko
für einen vermehrten Konsum von Alkohol während der Jugend, sondern
ebenfalls für einen höheren Konsum von Nikotin sowie von illegalen
Drogen. So berichten Jugendliche mit einer elterlichen Alkoholbelastung zum
Zeitpunkt der zweiten Follow-up-Untersuchung signifikant höhere Raten
sowohl an regelmäßigem Nikotinkonsum als auch an
regelmäßigem Konsum illegaler Drogen. Eine elterliche
Alkoholbelastung scheint sich demnach nicht nur auf das Trinkverhalten ihrer
Kinder, sondern ebenfalls auf das Konsumieren von anderen psychotropen
Substanzen niederzuschlagen [9-11, 46]. Auch für Nikotin
und illegale Drogen gilt, dass Jugendliche mit einer elterlichen
Alkoholbelastung nicht nur für einen höheren Konsum anfällig
sind, sondern dass diese ebenfalls nahezu doppelt so häufig die
Missbrauchs- und Abhängigkeitskriterien für diese Substanzen
erfüllen. Nach diesen Befunden scheint elterliche Alkoholbelastung somit
über die unterschiedlichen Substanzen hinweg das Risiko für
Substanzstörungen zu erhöhen [11, 18]. Obwohl wir die Frage
letztendlich nicht beantworten können, könnten diese Ergebnisse
möglicherweise darauf hinweisen, dass familiär eine generelle
Vulnerabilität für Substanzkonsum übertragen wird
[47], während die Präferenz einer bestimmten Substanz
eventuell stärker durch das Umfeld determiniert wird.
Geschlechtsspezifität der familiären
Assoziationen
Bisher vorliegende Befunde zur Frage nach geschlechtsspezifischen
familiären Assoziationsmustern lassen kein einheitliches Bild zu. So
sprechen die Ergebnisse einiger Studien für eine geschlechtsspezifische
familiäre Transmission [11, 48], während andere Studien
dies nicht nahe legen [4, 13, 49]. Auch unsere Befunde sprechen eher
gegen eine geschlechtsspezifische familiäre Assoziation, da wir
vergleichbar hohe Assoziationen für männliche und weibliche
Jugendliche fanden. Wir prüften zusätzlich, ob sich auf der Basis
unserer Daten Interaktionen zwischen dem Geschlecht des betroffenen Elternteils
und dem Geschlecht des betroffenen Jugendlichen zeigen, konnten aber keine
Hinweise hierfür finden.
Elterliche Alkoholbelastung und Alter bei Beginn
Unsere Analysen bezüglich des Erstkonsums bekräftigen
zunächst unsere bereits an der gesamten EDSP-Stichprobe in der
Basisuntersuchung ermittelten Befunde, dass das Jugendalter eine
Hochrisikoperiode für den Einstieg in den Substanzkonsum [2, 31,
32] darstellt. So zeigen die Ergebnisse der Survivalanalysen, dass sowohl
erstmaliger Konsum von schädlichen Mengen an Alkohol, erstmaliger
regelmäßiger Nikotinkonsum als auch erstmaliger Konsum von illegalen
Drogen etwa mit dem Beginn des Jugendalters einsetzt und dann kontinuierlich
über die Jugendzeit hinweg zunimmt. Ab dem erstmaligen Auftreten dieser
Konsummengen berichten Jugendliche mit einer elterlichen Alkoholbelastung
über die gesamte untersuchte Altersspanne hinweg (d. h. bis 21
Jahre) höhere Lebenszeit-Inzidenzraten, d. h. sie haben in jedem
Alter eine höhere Wahrscheinlichkeit als Jugendliche ohne elterliche
Belastung, erstmalig schädliche Mengen von Alkohol zu konsumieren,
regelmäßig zu rauchen und/oder erstmalig illegale Drogen zu nehmen.
Ähnliche Befunde fanden wir für die Entwicklung von
Substanzstörungen. Auch hier zeigen Jugendliche mit einer elterlichen
Belastung über die Hochrisikophase hinweg in jedem Lebensalter eine
höhere Wahrscheinlichkeit hinsichtlich des Erstauftretens von Missbrauchs-
und Abhängigkeitssyndromen. Zusätzlich konnten wir aufzeigen, dass
speziell Jugendliche mit zwei betroffenen Eltern früher einen
schädlichen Alkoholkonsum entwickeln und auch früher
regelmäßig rauchen - somit früher ein problematisches
Konsumverhalten diesbezüglich zeigen.
Implikationen der Ergebnisse für die Praxis
Wie unsere Befunde an einer repräsentativen Stichprobe
gezeigt haben, erhöht eine elterliche Alkoholbelastung bereits im
Jugendalter das Risiko für die Entwicklung eines problematischen Alkohol-
und Drogenkonsums wie auch das Risiko für die Entwicklung von
substanzbedingten Missbrauchs- und Abhängigkeitssymptomen. Kinder bzw.
Jugendliche mit alkoholbelasteten Eltern sollten deshalb als eine spezifische
Risikopopulation betrachtet werden, in welcher bereits in frühen Stadien
mittels spezifischer Präventions- und Interventionsmaßnahmen der
Suchtentwicklung vorgebeugt werden sollte.