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DOI: 10.1055/s-2001-16498
Neuritis vestibularis und benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel
Publication History
Publication Date:
17 August 2001 (online)


Frage: Welche Unterschiede bestehen zwischen einer Neuritis vestibularis und einem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel? Wie sind in der Praxis Unterscheidungen möglich, welche Untersuchungen müssen dazu durchgeführt werden?
Antwort: Bei der Neuritis vestibularis und beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel handelt es sich um die beiden häufigsten Erkrankungen des Vestibularapparates, die sich bezüglich klinischem Erscheinungsbild, Pathophysiologie und Behandlung eindeutig voneinander differenzieren lassen [1]. Leitsymptom der Neuritis vestibularis, die häufig auch als akuter Vestibularisausfall bezeichnet wird, ist der heftige, typischerweise akut auftretende Drehschwindel, der in der Regel von starker Übelkeit und Erbrechen begleitet wird. Bei der neurologischen Untersuchung findet sich ein häufig erst unter der Frenzel-Brille nachweisbarer Spontannystagmus mit rotatorischer Komponente, der zur gesunden Seite gerichtet ist, sowie eine zur Seite des Vestibularisausfalls gerichtete Fallneigung. Die Diagnose kann gesichert werden durch den Nachweis der thermischen Un- oder Unterregbarkeit des Labyrinthorgans. Ätiologisch wird ähnlich wie bei der peripheren Fazialisparese von einer viralen Genese ausgegangen. Die Therapie der Neuritis vestibularis beinhaltet in der initialen Phase die Verabreichung von Antivertiginosa. Das heftige Krankheitsgefühl klingt in der Regel nach 2-3 Tagen ab, dann sollten die Antivertiginosa abgesetzt werden, die sonst die kompensatorisch einsetzende zentrale Gegenregulation verzögern. Wichtigster Baustein in dieser Phase ist die krankengymnastische Therapie, die die zentrale Kompensation von Nystagmus und Fallneigung fördert. Unter dieser Behandlung kommt es in der Regel nach 2-3 Wochen zu einer Beschwerdefreiheit. Die Wirksamkeit einer Kortikosteroidtherapie bei der Neuritis vestibularis ist nicht belegt.
Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel ist gekennzeichnet durch einen ausschließlich nach Bewegung auftretenden, erschöpflichen Drehschwindel. Die Diagnose kann durch die neurologische Untersuchung eindeutig gesichert werden. Hierzu ist es notwendig, den sitzenden Patienten rasch auf die Seite zu lagern und dabei den Kopf zu überstrecken. Unter der Frenzel-Brille ist dann ein mit einer Latenz von wenigen Sekunden auftretender, zum untenliegenden Ohr schlagender Nystagmus mit rotatorischer Komponente zu beobachten. Der Nystagmus hält in der Regel 30 - 90 Sekunden an und wird von einem heftigen Drehschwindel begleitet. Beim raschen Wiederaufrichten des Patienten ist häufig ein kurz anhaltender Nystagmus in die Gegenrichtung zu beobachten. Mehrmaliges Wiederholen dieses Manövers führt zu einer Habituation. Der übrige neurologische Untersuchungsbefund bei Patienten mit einem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel ist unauffällig. Ursache des Lagerungsschwindels sind vermutlich kleine anorganische Partikel, die sich in einem Bogengang ablagern und aufgrund der veränderten Mechanik die Otolithenorgane überempfindlich machen für Drehbeschleunigungen. Entsprechend dieses Erklärungsmodells wurde für Patienten mit benignem paroxysmalen Lagerungsschwindel ein Lagerungstraining entwickelt, das zum Ziel hat, das abgesprengte Otolithenmaterial gleichmäßig in den Bogengängen zu verteilen. Durch rasche Seitenlagerungen, die mehrmals wiederholt werden, wird der Großteil der Patienten innerhalb weniger Tage beschwerdefrei. Ebenso wichtig wie die physikalische Therapie ist die Aufklärung der Patienten über den gutartigen Charakter der Erkrankung. Die in der Regel bestehende Verunsicherung der Patienten nach Auftreten der Symptome muss bereits in einem frühen Stadium entgegengewirkt werden, um die Entwicklung eines phobischen Attackenschwankschwindels auf dem Boden eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels zu verhindern.
Die beiden Erkrankungen sind also durch eine sorgfältige Anamnese, die genau nach der Art und dem Auftreten des Schwindels fragt und durch eine neurologische Untersuchung, die eine sorgfältige Untersuchung der Okulomotorik unter Verwendung einer Frenzel-Brille einschließt, zu differenzieren und zu diagnostizieren. Wichtige Differenzialdiagnosen sind neben anderen peripher-vestibulären Störungen wie dem M. Menière Erkrankungen des Zentralnervensystems. So können Kleinhirnbrückenwinkeltumore, Entmarkungsherde bei einer multiplen Sklerose oder ischämische Läsionen im Bereich des Vestibulariskerngebiet einer Neuritis vestibularis ähnliche Symptome verursachen. Falls bei der neurologischen Untersuchung Befunde erhoben werden, die über die oben beschriebenen Befunde einer Neuritis vestibularis oder einen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel hinausgehen, sollte daher eine zerebrale bildgebende Diagnostik durchgeführt werden, wobei das Schädel-MRT dem Schädel-CT wegen der besseren Darstellung des Hirnstamms überlegen ist.