Einleitung
Polizeibeamte sind einem erheblichen Risiko ausgesetzt, in
Ausübung ihres Dienstes psychische Traumatisierungen zu erleiden. Es ist
möglicherweise für die Betroffenen nicht leicht, sich um Hilfe zu
bemühen, da dies die Selbsteinschätzung eines belastungsfähigen
Polizisten in Frage stellt und auch vor den Kollegen nicht einfach zu vertreten
ist. So kommt Ley [1, S. 70] aus der Betreuung traumatisierter
Mitarbeiter zu dem Ergebnis: „Alle Polizeibeamten äußerten
den Wunsch nach einer besseren Einsatzvor- und Einsatznachbereitung,
während keiner ein Therapiebedürfnis artikulierte (...). Dabei ging
aus ihren Ausführungen hervor, dass das fehlende Therapiebedürfnis
zweifach bedingt war:
-
zum einen war für die Polizeibeamten der Begriff Therapie
mit negativen Vorstellungen verbunden. Sich in Therapie zu begeben wurde
gleichgesetzt mit dem Aufsuchen eines Nervenarztes, weil man ‚nicht
richtig im Kopf’ sei;
-
zum anderen unterstellten die Polizeibeamten, dass auch die
hierarchisch vorgesetzten Stellen und die allermeisten Kollegen so dachten
- und befürchteten daher, dass die Artikulation des Therapiewunsches
dazu führen werde, in ihrer Organisation als psychisch krank, d. h.
als nicht leistungs- und belastungsfähig stigmatisiert (...) zu
werden.”
Die Polizei bietet zwar in bestimmten Extremsituationen fachliche
Hilfe an, das Hilfssystem der Polizei wird in seiner Akzeptanz jedoch dadurch
gemindert, dass die weitere Verwendung und Beförderung davon abhängt,
wie der Polizeiarzt als zentrale Ansprechstelle die psychische Belastbarkeit
des Betroffenen einschätzt. Die Bundesländer favorisieren
unterschiedliche Versorgungsmodelle: so wurden in Nordrhein-Westfalen
„Soziale Ansprechpartner” für die Mitarbeiter aller
Landesbehörden ausgebildet [2]; in
Rheinland-Pfalz und in Frankfurt/M. stellte man Sozialarbeiter ein. Eine
umfassende Darstellung verschiedener Ansätze findet man bei Bohlender
[3]. In Baden-Württemberg werden Polizeibeamte
als „Konflikthandhabungstrainer” in zentralen Schulungen darauf
vorbereitet, bei dienstlichen Extremsituationen zur Vorbeugung und
Bewältigung von posttraumatischen Belastungsstörungen erste
Gespräche mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu führen und
sie, wenn erforderlich, an fachlich-psychotherapeutische Hilfe zu vermitteln.
Problematisch ist allerdings, dass sie gegenüber den Vorgesetzten des
Betroffenen und dem koordinierenden Polizeiarzt zur Auskunft verpflichtet
sind.
Im Bereich des Polizeipräsidiums Karlsruhe entstand
demgegenüber eine „PsychoSoziale Betreuung”, die als ein
Zusammenschluss von geschulten Mitarbeitern betriebsinterne Hilfe anbietet. Sie
entwickelte sich u. a. aus einer Suchtberatung und einem Arbeitskreis
für betriebliche Sozialarbeit. Es wurden folgende Leitlinien
entwickelt:
-
Das Angebot soll sich spezifisch an die Mitarbeiter der Polizei
richten.
-
Es soll alle Belastungssituationen umfassen, dienstliche wie
private, extreme Einzelsituationen wie chronische Schwierigkeiten im
Alltag.
-
Das Angebot besteht in einer wenige Termine umfassenden Beratung
durch geschulte Kollegen, die durch regelmäßige Supervisionen
kooperieren.
-
Ziel der Beratung ist entweder eine Entlastung des Betroffenen,
so dass dieser seinen Konflikt mit eigenen Mitteln weiter bearbeiten kann,
oder, wenn dies nicht erreicht werden kann, eine Vermittlung an professionelle
Hilfe sowie Begleitung und Unterstützung während einer Warte- und
Übernahmezeit.
-
Gegenüber dem jeweiligen Vorgesetzten und dem Polizeiarzt
soll Verschwiegenheit garantiert werden können.
Natürlich steht es den betroffenen Beamten frei,
außerdienstlich therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies
fällt allerdings wohl vielen nicht leicht, da sie Grenzen der eigenen
Belastbarkeit eingestehen müssen und häufig befürchten, in ihrem
Ansehen vor Kollegen und Vorgesetzten Schaden zu nehmen. Zudem ist
möglicherweise ein Hindernis, dass ein externer Therapeut mit der
beruflichen Situation der Polizeibeamten weniger vertraut ist.
Problemstellung
Zur Bedarfsermittlung der PsychoSozialen Betreuung wurde am
Polizeipräsidium Karlsruhe 1996 eine Befragung aller 1 717
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchgeführt, die klären sollte,
-
wie subjektiv belastend die Mitarbeiter sowohl den
täglichen Polizeidienst wie auch dienstliche Extremsituationen
erleben,
-
ob von den Betroffenen ein Bedarf an psychosozialer Betreuung
gesehen wird,
-
ob Hilfe durch geschulte Kolleginnen und Kollegen akzeptiert
würde und
-
in welcher Form diese Hilfe angeboten werden kann.
Diese Daten bieten Gelegenheit zu betrachten, wie eine Berufsgruppe,
die einem besonderen Risiko traumatisierender Erfahrungen im Rahmen ihres
Dienstes ausgesetzt ist, Hilfsmöglichkeiten in Abhängigkeit von
eigenen Erfahrungen mit extrem belastenden Situationen beurteilt.
Ergebnisse
Repräsentativität des Datenmaterials
540 Fragebögen (31,6 %) wurden
zurückgesandt und waren auswertbar.
Vergleicht man Merkmale der Stichprobe mit der der Gesamtgruppe
der Polizeibeamten aus Baden-Württemberg (Daten aus 1993,
[5]; siehe Tab. 1), so fällt auf, dass sich die
jüngeren Beamten signifikant weniger beteiligt haben, als nach der
landesweiten Verteilung zu erwarten gewesen wäre[1].
Tabelle 1: Altersverteilung in der
untersuchten Stichprobe des Polizeipräsidiums Karlsruhe im Vergleich zur
Polizei im Bundesland
Baden-Württemberg
Altersgruppe | Stichprobe | Baden-Württemberg |
| | |
< 34 Jahre | 24 % | 37 % |
34 - 42 Jahre | 46 % | 37 % |
> 42 Jahre | 30 % | 26 % |
Es finden sich in der Stichprobe 5 % Frauen, beim
Polizeipräsidium Karlsruhe dagegen nur 3 % (28 Frauen);
damit haben sich weibliche Mitarbeiter signifikant häufiger an der
Befragung beteiligt als Männer[2]; quantitativ
spielt diese Gruppe jedoch nur eine geringe Rolle. Nur 7 % der
Fragebögen wurden von Mitgliedern der Kriminalpolizei zurückgegeben,
die jedoch 15 % am Polizeipräsidium Karlsruhe stellen; diese
Differenz ist statistisch nicht signifikant[3].
Zusammenfassend sind zwar jüngere und männliche Beamte
unterrepräsentiert, da die Stichprobe jedoch fast ein Drittel der
Mitarbeiter erfasst, kann sie trotzdem als hinreichend repräsentativ
betrachtet werden.
Extreme Belastungssituationen
68 % der Befragten haben „extreme Situationen
erlebt, die sie noch heute beschäftigen”, 10 %
einmal, 48 % selten und 10 % häufiger. Hier
werden z. B. genannt: Schusswechsel mit Straftätern,
Überbringen einer Todesnachricht an Angehörige, sterbender Kollege,
vergewaltigte Frauen, tote Kinder, Brandopfer, verweste Leichen. Umgekehrt
sollte man sich vor Augen halten, dass etwa ein Drittel der Antwortenden
entweder keine Extremsituationen - nach eigener Einschätzung -
erlebt oder sie so verarbeitet hat, dass sie als innerlich abgeschlossen
gesehen werden.
Es ist naheliegend, dass extreme Belastungssituationen um so
häufiger erlebt worden sind, je länger der Befragte bereits bei der
Polizei Dienst tut; die Korrelation ist mit 0,19 hoch signifikant
(p < 0,001). Polizistinnen haben zwar seltener, aber doch in
48 % mindestens eine Extremsituation erlebt; bei den Männern
sind es 68 %.
Belastungssituationen im dienstlichen Alltag
Auf die Frage:„Wie oft haben Sie belastende Situationen im
täglichen Dienst erlebt, über die Sie mit jemanden sprechen
wollen?” gaben 6 % (mehrmals oder fast) täglich an,
13 % wöchentlich und 79 % seltener[4] (siehe Tab. 2, Zeile „insgesamt”). Dies
erscheinen uns Werte zu sein, wie sie auch in vergleichbaren sozialen Berufen
vorkommen könnten, etwa im Krankenhaus.
Tabelle 2: Zusammenhang zwischen
Alltags- und Extrembelastung („Wie oft haben Sie belastende Situationen
im täglichen Dienst erlebt, über die Sie mit jemanden sprechen
wollen?”) (Fehlende Einzelwerte führen zu
Randsummen < 100 %,
N = 540)
| | | Alltagsbelastung |
| | | | |
| | täglich | wöchentl. | eher
seltener |
Extrembelastung | häufiger | 22 % | 44 % | 33 % |
| selten | 5 % | 13 % | 80 % |
| einmal | 0 % | 5 % | 91 % |
| nie | 2 % | 6 % | 90 % |
| insgesamt | 6 % | 13 % | 79 % |
Tab. 2 zeigt eindrucksvoll, dass 22 % derjenigen,
die häufiger einer Extrembelastung ausgesetzt waren, täglich
Situationen als belastend und besprechungsbedürftig erleben; dagegen ist
dies kaum der Fall, wenn Extrembelastungen selten, einmal oder nie angegeben
werden. Umgekehrt können nur ein Drittel der Beamten mit häufiger
Extrembelastung ihren alltäglichen Dienst versehen, ohne sich mindestens
wöchentlich so unter Druck zu fühlen, dass sie gern ein
Gesprächsangebot in Anspruch nähmen, während dies bei den
übrigen Mitarbeitern 80 - 91 % sind. Statistisch ist
der Zusammenhang zwischen den beiden Merkmalen hochsignifikant, die Korrelation
beträgt 0,47[5].
Unterschiede zwischen den Dienstzweigen (Streifendienst,
Tagesdienst, Schutzpolizei, Kriminalpolizei etc.) ließen sich nicht
nachweisen.
Auswirkung auf die Befindlichkeit
Wir fragten die Beamten, ob „sich die bisher im Dienst
erlebten schwierigen und belastenden Situationen negativ auf Ihr Wohlbefinden
ausgewirkt haben”. Dies ist bei zwei Dritteln
„natürlich” oder „eher weniger” der Fall
(siehe Tab. 3, letzte Zeile: 46 %
+ 21 %).
Tabelle 3: Zusammenhang zwischen
Extrembelastung und Auswirkung (alltäglicher oder
außergewöhnlicher) dienstlicher Belastungssituationen auf das eigene
Wohlbefinden.
| | Auswirkung
auf Wohlbefinden | |
| | | | | |
| | natürlich | eher
weniger | eher
nicht | nicht |
| häufiger | 85 % | 9 % | 6 % | 0 % |
Extrembelastung | selten | 54 % | 25 % | 18 % | 3 % |
| einmal | 58 % | 15 % | 22 % | 5 % |
| nie | 18 % | 22 % | 31 % | 27 % |
| | | | | |
| insgesamt | 46 % | 21 % | 21 % | 11 % |
Gliedert man nach erlebter Extrembelastung auf, so wird deutlich,
dass Auswirkungen auf die eigene Befindlichkeit bei den häufig Belasteten
mit 85 % erheblich ausgeprägter sind als bei den
übrigen. Umgekehrt haben diejenigen, die keine Auswirkung belastender
Situationen auf ihre Befindlichkeit angeben, zum überwiegenden Teil keine
Extrembelastung hinter sich (27 % gegenüber 3
+ 5 = 8 %). Die statistische
Korrelation zwischen den beiden Merkmalen beträgt 0,45 und ist damit
hochsignifikant[6].
Es wurde bereits erwähnt, dass die Häufigkeit von
Extrembelastungen mit den Dienstjahren zunimmt. Es soll daher betrachtet
werden, ob ein Zusammenhang von Dienstalter und belastungsbedingter
Beeinträchtigung des Wohlbefindens besteht (siehe Tab. 4).
Tabelle 4: Mittelwert der
Dienstjahre, aufgegliedert nach Auswirkung belastender Situationen auf das
eigene Wohlbefinden („Haben sich die bisher im Dienst erlebten
schwierigen und belastenden Situationen negativ auf Ihr Wohlbefinden
ausgewirkt?”)
| Auswirkung
auf Wohlbefinden | |
| | | | |
| natürlich | eher weniger | eher nicht | nicht |
Dienstjahre
| 20,9 | 18,4 | 16,8 | 14,8 |
(Mittelwert) | | | | |
Man sieht, dass mit zunehmenden Dienstjahren ein Zusammenhang von
Belastung und Wohlbefinden deutlicher erlebt wird: diejenigen, die
„natürlich” Auswirkungen von Belastungen auf ihre
Befindlichkeit feststellten, hatten im Mittel 20,9 Dienstjahre hinter sich,
diejenigen, die keine Auswirkungen wahrnahmen, dagegen nur 14,8.
Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten
Es ist naheliegend, dass - vor allem extreme -
Belastungssituationen in Gesprächen mit Vorgesetzten und Kollegen
bearbeitet werden und die Betroffenen sich auf diese Weise systemintern zu
entlasten versuchen. Wir interessierten uns dafür, in welchem Ausmaß
dies gelingt und fragten: „Hat ein Gespräch mit Kollegen und/oder
Vorgesetzten für Sie ausgereicht, mit dem Erlebten klar zu
kommen?”
-
ich habe mich vollständig verstanden gefühlt
-
es hat mir Entlastung gebracht
-
es hat mir weniger Entlastung gebracht
-
es hätte besser sein können
-
ich war danach noch aufgewühlter
Tabelle 5: Gesprächserfolg
(Codierung s. Text) je nach Extrembelastung bei N = 477
Personen, die ein entsprechendes Gespräch geführt und die Frage
beantwortet
haben.
| | Gesprächs-Erfolg |
| | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 |
| | | | | | |
| häufiger | 2 % | 36 % | 26 % | 24 % | 12 % |
Extrem- | selten
| 7 % | 45 % | 17 % | 27 % | 5 % |
belastung | einmal | 4 % | 47 % | 13 % | 32 % | 4 % | | nie | 18 % | 52 % | 5 % | 23 % | 2 % |
| | | | | | |
| insgesamt | 9 % | 46 % | 14 % | 26 % | 4 % |
Tab. 5 (unterste Zeile) zeigt, dass 55 % der
Polizeibeamten sich durch Gespräche mit Kollegen und/oder Vorgesetzten
entlasten konnten oder sich sogar vollständig verstanden gefühlt
haben (Kategorie 1 und 2, 9 % + 46 %).
Dieser Prozentsatz sinkt um so mehr, je häufiger die betroffene Person
extremen Belastungen ausgesetzt war - von (18
+ 52 = ) 70 % der Unbelasteten
bis (36 + 2 = ) 38 % derjenigen,
die häufigere Extremsituationen erlebt haben. Umgekehrt ist eindrucksvoll,
wie ein deutlich negatives Gesprächsergebnis („ich war danach noch
aufgewühlter”, Kategorie 5) von 2 % bei den
Unbelasteten bis 12 % bei den häufiger Belasteten
ansteigt.
Bedarf an Beratung
Interne Gespräche können also nach der Einschätzung
der Betroffenen umso weniger zu einer Entlastung beitragen, je
größer die erlebte Belastung ist. Dementsprechend wird die Frage
nach Beratung („Halten Sie es für möglich, dass Sie Entlastung
dadurch erfahren können, dass Sie mit jemand
anderem als dem unmittelbaren Kollegen und/oder Vorgesetzten über
eine belastende Situation sprechen können ?”) von
77 % der Befragten bejaht, wobei auch hier wieder die
Unbelasteten mit 68 % deutlich niedriger liegen; mit dem
Ausmaß der Belastung steigt der Beratungsbedarf bis auf
83 % an.
Die Befragten geben als gewünschte Gesprächspartner
an (wobei Mehrfachnennungen möglich waren, N = 499 Antworten):
Kriseninterventionsdienst (polizei-extern) | 49 % |
PsychoSoziale Betreuung (polizei-intern) | 43 % |
Vertrauensperson, Freund(in), Familienmitglieder | 16 % |
Personalrat | 9 % |
Fachleute
wie Psychotherapeut, Polizeipfarrerin etc | 5 % |
Dabei werden folgende Rahmenbedingungen gewünscht (auch
hier Mehrfachnennungen möglich, N = 709 Antworten):
unter vier Augen | 53 % |
zusammen
mit der Dienstgruppe | 20 % |
innerhalb
einer Gruppe von Betroffenen | 12 % |
Wir fragten weiterhin nach der Akzeptanz des am
Polizeipräsidium Karlsruhe praktizierten Modells der
„PsychoSozialen Betreuung”: 61 % der Befragten
befürworten das Angebot uneingeschränkt („ja”),
26 % eingeschränkt („vielleicht”).
Durchgeführte Beratungen
In den Jahren 1997 - 2000 wurden 112 Klienten beraten, mit
denen durchschnittlich 3 - 5 Gespräche stattfanden. In
61 % der Betreuungen gelang es, den Betroffenen zu einer
selbständigen Problembewältigung zu befähigen. In den
übrigen 39 % wurde an Fachleute weitervermittelt: an den
Polizeiarzt als erste Anlaufadresse, Haus- oder Fachärzte, eine Praxis
für Psychotherapie, ein (Fach-) Krankenhaus, den Suchtberater der
Dienststelle, eine Suchtberatungsstelle oder Selbsthilfegruppe.
Wir werten es als ein Zeichen von hoher Akzeptanz und Vertrauen,
dass 52 % der Kolleginnen und Kollegen, die in
Belastungssituationen geraten waren, selbst um Hilfe bei der Psychosozialen
Betreuung nachgesucht haben.
Diskussion
Mit 31,6 % konnte die Stellungnahme eines erheblichen
Teils der Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Karlsruhe erfasst werden,
wobei jüngere, männliche und Kriminalbeamte unterrepräsentiert
sind.
68 % der Befragten haben „extreme Situationen
erlebt, die sie noch heute beschäftigen”; diese Gruppe fühlt
sich auch im dienstlichen Alltag erheblich stärker belastet, nimmt in
deutlich höherem Maß negative Auswirkungen auf das eigene
Wohlbefinden wahr und fühlt sich durch Gespräche mit Vorgesetzten und
Kollegen weniger entlastet, ja, nicht selten sogar noch aufgewühlter.
Diese Tendenz nimmt mit dem Alter zu.
Angesichts dieser langfristigen Auswirkungen auf die
Personalressourcen ist ein Dienstherr gut beraten, eine psychische Verarbeitung
von extremen Belastungssituationen zu fördern. Die Aufarbeitung durch
Gespräche mit Vorgesetzten und Kollegen erweist sich dabei als nicht
ausreichend, und zwar in umso stärkerem Maß, je häufiger
Extrembelastung erfahren wurde. Nach unserer Einschätzung wäre durch
Schulungen zwar manches im Sinne einer Prävention zu verbessern,
häufig dürfte aber trotzdem eine professionelle Hilfe erforderlich
sein. Der oder die Vorgesetzte kann sich nicht ausschließlich der Aufgabe
widmen, seinem/ihrem Mitarbeiter bei der Bewältigung des Erlebten
beizustehen, sondern hat zugleich über die weitere Einsatz- und
Belastungsfähigkeit des Betreffenden, dessen Aufstiegsmöglichkeiten
in der Hierarchie und die Aufgabenverteilung der gesamten Mitarbeitergruppe zu
entscheiden. Diese Rollenkonfusion als Helfer und Vorgesetzter wäre
überfordernd und würde sich für die belasteten Untergebenen eher
verunsichernd und weniger vertrauensbildend auswirken.
Daher ist es naheliegend, nach weiteren Möglichkeiten zu
suchen, die Arbeitsmotivation und Belastungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern zu schützen und fördern. Dies erweist sich als umso
erfolgreicher, je besser es gelingt, den Betreffenden nicht als schwach, wenig
belastbar oder schwierig darzustellen und entsprechende therapeutische Angebote
vorzuhalten - vgl. die anfangs zitierten Erfahrungen von Ley
[1] - , sondern eine Bearbeitung extremer
Belastungen als eine Qualifikationsmaßnahme zu sehen, die es
ermöglicht, auch weiterhin professionell mit außergewöhnlichen
dienstlichen Situationen umzugehen. Eine solche ressourcenorientierte,
möglichst wenig pathologisierende Sichtweise vermittelt dem Betroffenen
ein positives Selbstbild und schätzt sein Bemühen als wertvoll ein,
für seine seelische Gesundheit zu sorgen und sich der oft unangenehmen und
schwierigen Aufgabe zu stellen, den durchlebten Ausnahmesituationen noch einmal
ins Auge zu sehen.
Über die Bewältigung durch eigene Mittel oder durch
Gespräche innerhalb der Dienstgruppe hinaus, die sich nach unserer
Befragung häufig nicht als ausreichend erweist, sind Angebote
außerhalb der dienstlichen Hierarchie zu entwickeln, sei es polizeiextern
durch Kriseninterventionsdienste, die sich jedoch mit der besonderen Situation
polizeilicher Tätigkeit vertieft befassen müßten, sei es durch
polizeiinterne Beratungsgruppen wie die PsychoSoziale Betreuung oder eines
Kriseninterventionsteams, wie es Hase und Bailly [7]
für den Justizvollzug schildern. Zwar fordert Ley [1, S. 71]
eine Organisationskultur, „in der vermeintlich ’harte’
Polizeibeamte auch gegenüber den hierarchisch höheren Stellen, die
sie beurteilen und somit über ihre Polizeikarrieren entscheiden, ihre
‚weichen Seiten’ zeigen dürfen - und ein Sprechen
über individuelle Ängste und Gefühle nicht als
polizeilich-defizitär angesehen wird.” Dies wird innerhalb der
dienstlichen Hierarchie jedoch nur in Grenzen zu verwirklichen sein, so dass
für eine Auseinandersetzung mit traumatisierenden Erfahrungen ein
geschützter Raum erforderlich ist: ein Freiraum, der eine offene Reflexion
über eigene Grenzen und Motivationen gestattet und fördert, ohne
sogleich dienstliche Konsequenzen anzudrohen. Dies schützt dagegen, dass
Betroffene eine Schonhaltung im Bezug auf die eigene Einsatzbereitschaft und zu
Lasten ihrer Kollegen entwickeln oder sich in zukünftigen Einsätzen
aufgrund abgewehrter posttraumatischer Ängste aufreiben und
ausbrennen.
Das Modell der PsychoSozialen Betreuung zeigt, dass es bei
entsprechender Förderung durch die Leitungsebene möglich ist, in
einigen Gesprächen durch geschulte und supervidierte Kollegen einen
erheblichen Teil der Ratsuchenden zu befähigen, mit eigenen Ressourcen ihr
Problem wieder selbst in die Hand zu nehmen oder sich anderenfalls einer
professionellen Hilfe zu öffnen.