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DOI: 10.1055/s-2002-20077
Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft - Als Instrument so gut wie der Anwender
Ultrasonic Examinations in Pregnancy - A Tool as Good as the UserPublication History
Publication Date:
13 August 2002 (online)
Obwohl die Entwicklung der Ultraschalldiagnostik im Rahmen der Schwangerenvorsorge nicht einmal 50 Jahre alt ist, wäre es wohl kaum übertrieben, wenn von einer Revolutionierung der Geburtmedizin seit ihrer Einführung gesprochen würde [1]. Man muss sich nur geburtshilfliche Lehrbücher aus der Zeit vor Einführung der Ultraschalltechnologie in den 60er Jahren ansehen, um festzustellen, dass z. B. Instrumente für zerstückelnde Entwicklungen toter Kinder bzw. von Kindern, die aufgrund von Lage-Anomalien oder geburtsunmöglicher Fehlbildungen tot zur Welt gebracht werden mussten, damals einen großen Raum einnahmen. Selbst die Diagnose von Mehrlingen war bei unklarer Regelanamnese schwierig, und häufig konnte das Schwangerschaftsalter nicht korrekt bestimmt werden. Die psychologisch belastenden Instrumente für zerstückelnde Operationen sind erfreulicherweise in unserer Zeit fast vollständig aus den geburtshilflichen Lehrbüchern verschwunden, und Fragen wie die nach der Intaktheit einer Schwangerschaft oder dem Vorliegen von Mehrlingen können inzwischen bereits sicher im ersten Schwangerschaftstrimenon beantwortet werden. Wenn wir uns heute die ersten Real-time-Ultraschallbilder aus den 60er Jahren ansehen, wird uns aber auch klar, dass damals bis auf die Knochenechos kaum Strukturen, insbesondere nicht im Weichteilbereich, identifiziert werden konnten. Der Siegeszug der Sonographie war nach ihrer Einführung in der Schwangeren-Medizin unaufhaltsam, weil insbesondere die Grauwertdarstellung das Erkennen von immer mehr Details ermöglichte und es bis heute keinen sicheren Hinweis auf einen schädigenden Effekt des diagnostischen Ultraschalls gibt.
Die Ergebnisse der Cochrane Database belegen im Sinne der „Evidence-based medicine” inzwischen auch ganz eindeutig, dass die Anwendung des Ultraschalls in der Schwangerschaft nicht nur in der Erkennung von Mehrlingen und bei der Berechnung des Geburtstermines messbare Vorteile bringt, sondern auch im Hinblick auf die Verbesserung der perinatalen Ergebnisse insgesamt [1].
Obwohl es heute für Mutter und Kind eine große Sicherheit in der Schwangerschaft und unter der Geburt gibt, messbar u. a. durch die perinatale Mortalität, welche in den letzten Jahrzehnten dramatisch auf Werte um 5/1000 unter besten Bedingungen gesunken ist, sterben nach wie vor etwa 20 % aller Kinder, die heute überhaupt noch um die Geburt herum zu Tode kommen, an den Folgen angeborener schwerer Anomalien. In diesen Fällen ist es oft besonders leidvoll für die Eltern und die behandelnden Ärzte zu realisieren, dass ein Kind von vorneherein zum Tod in der frühesten Kindheit sozusagen „vorbestimmt” ist. Es ist daher als ein Fortschritt anzusehen, dass speziell die schwersten, früh-lethalen Fehlbildungen heute häufig bereits im ersten Trimenon entdeckt werden können. Auch wenn ein Schwangerschaftsabbruch zu jedem Zeitpunkt der Gestation ein erhebliches psychisches Problem darstellt [2] und man den „verhinderten” Eltern bei der Trauerarbeit professionell helfen muss [3], ist eine Saug-Curettage im ersten Trimenon wohl weniger invasiv - sowohl medizinisch als auch psychisch - als ein Zweit-Trimester-Abort, bei dem man eine Geburt einleitet und über wehenähnliche Kontraktionen die Expulsion des schon sehr ausgereift wirkenden Kindes herbeiführt. Glücklicherweise sind sonographisch erkannte Fehlbildungen nach wie vor selten, und in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle können gerade die Ultraschalluntersuchungen helfen, Ängste auszuräumen, welche in der Schwangerschaft geradezu „natürlicherweise” immer wieder die Schwangeren befallen, unabhängig davon, ob wir als die in der Schwangerenvorsorge tätigen Untersucher den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich ablehnen oder in Ausnahmesituationen bereit sind, uns daran zu beteiligen [4], ist aber das Problem jeder Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft, dass wir, auch bei Einsatz dieser potenten Technik, primär zum Zwecke der Vitalitäts- und Wachstumskontrolle des Kindes in utero, nicht verhindern können, gleichzeitig, auch unbeabsichtigt, auf Fehlbildungen zu stoßen. Diese wiederum können wir dann nicht den werdenden Eltern vorenthalten, sondern sind dann plötzlich in einer Notsituation und müssen als Geburtshelfer in der Lage sein, solche Befunde, auch wenn noch diagnostische Unsicherheiten bestehen, in adäquater Weise zu kommunizieren. Prof. Charles Rodeck, ein erfahrener Klinikleiter der größten Universitäts-Frauenklinik in London, hat in diesem Zusammenhang einmal davon gesprochen, dass die sonographisch erkannte kindliche Fehlbildung heute eine der häufigsten Notfallsituationen in der Geburtshilfe darstellt. Wahrscheinlich sind wir aber durch unsere Ausbildungen besser auf geburtsmechanische Notsituationen, die wir dann mit Forzeps, Vakuum-Glocke oder Sectio caesarea adäquat lösen können, vorbereitet, während unsere Ausbildung im Hinblick auf das Umgehen mit der plötzlichen vorgeburtlichen sonographischen Diagnose kindlicher Fehlbildungen häufig noch rudimentär ist.
Neben der relativ kurzen Geschichte der Ultraschalldiagnostik seit Anfang der 70er Jahre ist ein weiterer Grund für Defizite das Fehlen von adäquaten Daten, wie z. B. schwangere Frauen auf die Verdachts-Diagnose von fetalen Entwicklungsstörungen psychisch reagieren und wie sich ihre Befindlichkeit im weiteren Verlauf verändert. Es ist daher sehr lobenswert, dass L. Götzmann et al. in dieser Ausgabe von Ultraschall in der Medizin Ergebnisse zur psychischen Belastung bei Frauen mit Verdachtsdiagnose einer fetalen Entwicklungsstörung vorlegen (Die Verdachtsdiagnose einer fetalen Entwicklungsstörung in der Ultraschall-Untersuchung: Auswirkung auf das psychische Befinden schwangerer Frauen, in diesem Heft). Sie können aber auch zeigen, dass diese Belastungen nach Untersuchung im Ultraschall-Zentrum signifikant abnehmen, und dass auch beim Schwangerschaftsabbruch nach adäquater Verarbeitung die psychischen Parameter wieder in den Normbereich zurückkehren. Wichtig für unsere politischen Diskussionen, bei denen das Ultraschall-Screening in der Schwangerschaft immer wieder infrage gestellt worden ist [1], sind auch die Ergebnisse von Götzmann et al. (Die Ultraschall-Untersuchung bei Verdacht auf fetale Entwicklungsstörungen: Zufriedenheit und Bewertung aus der Sicht betroffener Frauen, in diesem Heft), dass 96,4 % der befragten Frauen das Screening befürworten und 94,2 % für eine Kassenpflicht dieser Leistung eintreten. Hier sind die Politiker auch in der Schweiz sicherlich dadurch verunsichert worden, dass Ergebnisse der so genannten Radius-Studie ihnen nahegebracht worden sind, bei der allerdings die Ursache des fehlenden Effizienz-Nachweises vor allem durch die niedrige Detektions-Rate unter 20 % bedingt war, welche in Europa nach den Daten von Levi et al. deutlich höher liegt. Wir sind in den Ultraschall-Fachgesellschaft aufgerufen, die Untersuchungs-Standards in jeder Beziehung so hoch wie möglich zu halten [5], nicht nur um den ökonomischen Aufwand zu rechtfertigen, sondern um auf diesem aufbauend unnötige Verunsicherungen von Schwangeren zu verhindern. Die Daten von Götzmann et al. helfen den Politikern klar zu machen, dass bei Abschaffen eines flächendeckenden Screening-Angebotes ein deutlicher Rückschritt eingeleitet würde, der an den Bedürfnissen der schwangeren Frauen vorbei ginge und den spezialisierten Anbietern im Gesundheitswesen die Chance nehmen würde, nicht nur bei der medizinischen, sondern auch bei der psychischen Betreuung rechtzeitig und professionell helfen zu können. Lasst uns das Erreichte auf der Basis der vorhandenen wissenschaftlichen Daten und guten Argumente verteidigen!
Literaturhinweis:
- 1 Holzgreve W. Sonographic Screening for anatomic defects. Seminars Perinatol. 1990; 14 (1) 504-513
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2 Lorenzen J, Bitzer J, Holzgreve W.
Bereavement and reaction to fetal loss. In: Ch. H. Rodeck, M. J. Whittle (Editors) Fetal Medicine. London; Churchill Livingstone 2: 349-357 - 3 Lorenzen J, Holzgreve W. Helping parents to grieve after second trimester termination of pregnancy for fetopathic reason. Fetal Diagn Ther. 1995; 10 (3) 147-156
- 4 Evans M I, Drugan A, Bottems S F. et al . Attitudes on the ethics of abortion, sex selection, and selective pregnancy termination among health care professionals, ethicists, and clergy likely to encounter such situations. Am J Obstet Gynecol,. 1991; 164 (4) 1092-1099
- 5 Rempen A für die Mitglieder der Arbeitsgruppe „Standards zur Ultraschalluntersuchung in der Frühschwangerschaft” . Empfehlung der DEGUM-Stufe III (Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin) Sektion Gynäkologie und Geburtshilfe und der ARGUS (Arbeitsgemeinschaft für Ultraschalldiagnostik der DGGG). Ultraschall in Med. 2001; 22 (5) M1-M5
Prof. Dr. med. Dr. h. c. W. Holzgreve, M. S.
Vorsteher, Universitäts-Frauenklinik Basel