Einleitung
Maligne Melanome nehmen jährlich einen Anteil von 2 % aller bösartigen Krebserkrankungen
in der Bundesrepublik Deutschland ein. Derzeit liegt die Erkrankungsrate bei 10-15
Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohner. Es wird eine Verdopplungszeit der Inzidenz
alle 12-15 Jahre angegeben [1].
Entscheidend für die Prognose ist die vertikale Tumordicke (nach Breslow), der histologische
Typ sowie der Befallsstatus der regionären Lymphknoten. Aber auch Alter, Geschlecht,
Rasse und Hautfarbe scheinen eine Rolle zu spielen [2 ]. Ziel aller Therapien ist die Erhöhung der Chance auf eine vollständige und bleibende
Heilung. Dazu trägt besonders die Abnahme der durchschnittlichen Tumordicke bei Erstdiagnose
bei. Patienten mit einer Tumordicke von bis zu 1,5 mm besitzen durchschnittlich die
gleiche Lebenserwartung wie die Allgemeinbevölkerung [3 ]. Bei dicken Primärtumoren, Satelliten-, In-transit-, Lymphknoten- oder Fernmetastasen
sind nach Erreichung klinischer Tumorfreiheit z. B. durch eine Operation adjuvante
Therapiemöglichkeiten wünschenswert. Mit der Entwicklung gentechnisch hergestellter
Zytokine ergaben sich hierzu neue Ansätze in der adjuvanten Therapie. Ein signifikanter
Überlebensvorteil von mit Interferon alpha 2b behandelten Patienten gegenüber unbehandelten
Kontrollen wurde erstmals von Kirkwood u. Mitarb. beschrieben [4 ]. Diese Studie führte 1996 in den USA und 1997 in Deutschland zur Zulassung von IFN
alpha 2b (Intron A®) auf dem Arzneimittelmarkt in der Indikation der adjuvanten Therapie
des Melanoms bei Hochrisiko-Melanompatienten.
Wir wollen unsere Ergebnisse und Erfahrungen bei 22 Patienten, die im Zeitraum von
Mai 1997 bis September 2001 mittels der adjuvanten Intron-A-Hochdosistherapie nach
Kirkwood therapiert wurden, vorstellen.
Patienten
Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 57,5 Jahre, wobei der jüngste Patient
33 Jahre und der älteste 72 Jahre alt war. Wir behandelten 7 Frauen und 15 Männer.
Bei Therapiebeginn befanden sich 9 Patienten im Stadium IIIa und 12 Patienten im Stadium
IIIb. Bei Therapiebeginn waren die Patienten klinisch tumorfrei. Bei Patienten im
Stadium IIIa wurden die Satelliten- bzw. In-transit-Metastasen lokal vollständig exzidiert,
Patienten im Stadium IIIb wurden mit einer radikalen Lymphknotenausräumung der befallenen
Station behandelt. Ein Patient wurde nach Resektion von Lymphknotenmetastasen und
Resektion einer solitären Lungenmetastase nach diesem Schema behandelt, da er noch
keinerlei immunologisch wirksame Vorbehandlungen hatte und in eine andere adjuvante
Therapiestudie nicht einwilligte.
Bei den Patienten wurde vierteljährlich eine körperliche Kontrolluntersuchung durchgeführt
und alle 6 Monate ein apparatives Staging eingeleitet. Dies umfasste standardmäßig
ein Röntgen-Thorax, eine Oberbauchsonographie bzw. einmal jährlich ein CT-Abdomen
und eine Lymphknotensonographie. Als Ausgangsbefunde wurden zusätzlich ein CT-Schädel
und eine Skelettszintigraphie erhoben. Ergaben sich im Verlauf besondere Beschwerdepunkte,
wurde das diagnostische Verfahren der Wahl eingesetzt.
Therapie und Verlauf
i. v.-Phase
Nach dem Therapieschema ist die Gabe von 20 Mio./m2 IFN alpha 2b (Intron A®) i. v. über 4 Wochen für jeweils 5 Tage vorgesehen. IFN alpha
2b wurde dabei in unserer Klinik als Kurzinfusion über ca. 15 min verabreicht, in
der Woche 1 erhielten die Patienten anschließend eine Infusion mit 500 ml 5 %iger
Glukose und 500 ml Elektrolytlösung, in der zweiten Woche 500 ml Elektrolytlösung.
Als Begleitmedikation verabreichten wir an den Infusionstagen jeweils Paracetamol
1000 mg 3 × 1 Tablette. Zur Therapieüberwachung wurde 3 × täglich eine Temperaturkontrolle
durchgeführt und alle zwei Tage Laborkontrollen veranlasst. Dieses Behandlungsschema
konnte mit der vollen IFN-alpha-2b-Dosis bei 7 Patienten verabreicht werden. Bei 11
Patienten musste die Dosis meist nach 5-10 Infusionen auf 10 Mio. IE/m2 reduziert werden. Gründe hierfür bestanden weniger in der subjektiven Verträglichkeit
als in laborchemischen Auffälligkeiten. So fanden sich bei 6 Patienten Erhöhungen
der Leberfunktionsparameter ALAT und ASAT auf > 5fache der Norm, bei 4 Patienten wurde
eine Dosisreduktion wegen einer Granulozytopenie vorgenommen. Bei einem Patienten
musste wegen einer Erhöhung der Muskelenzyme (Kreatinkinase und Myoglobin) eine Dosishalbierung
erfolgen. Bei 3 Patienten konnte trotz Therapiefortsetzung wieder eine Normalisierung
der Blutwerte verzeichnet werden, so dass zum Ende der Behandlung (letzte 3-5 Infusionen)
wieder die volle Dosis gegeben werden konnte.
Bei fast allen Patienten trat als Nebenwirkung, trotz der Gabe von Paracetamol, zumindest
an den ersten 2 Behandlungstagen erhöhte Temperatur (von 37,2 bis 39,4 °C) auf. Zusätzlich
klagten 18 Patienten über Schüttelfrost. Im Verlauf der Therapie nahm diese Nebenwirkung
vollständig ab. Während der 4-wöchigen i. v.-Therapie, bei der meist die Woche 1 unter
stationären Bedingungen und die Wochen 2-4 in unserer Tumorambulanz durchgeführt werden
konnten, gaben 70 % der Patienten als Nebenwirkungen Müdigkeit, Schlappheitsgefühl
und Appetitlosigkeit an.
Bei 4 Patienten musste die Therapie wegen zu starker Nebenwirkungen bereits in der
i. v.-Phase abgebrochen werden. Hierbei standen in 2 Fällen vorwiegend gastrointestinale
Probleme sowie starke Kopfschmerzen im Vordergrund, ein Patient erlitt orthostatische
Dysregulationen bis hin zum Kreislaufkollaps. Bei einer Patientin trat eine starke
Erhöhung der Muskelenzyme auf. Nach einer Therapiepause wurde ein neuer Behandlungsversuch
unternommen, leider trat bei allen Patienten jeweils die gleiche Beschwerdesymptomatik
wieder auf, so dass eine weitere Therapie abgelehnt wurde. Im weiteren Verlauf verstarben
zwei dieser Patienten an einer Metastasierung, die anderen 2 Patienten sind in der
Nachbeobachtungszeit von 15 bzw. 12 Monaten tumorfrei.
Eine schematische Darstellung der i. v.-Phase folgt in Abb. [1 ].
Abb. 1 Behandelte Patienten in der i. v.-Phase (n = 22 Patienten).
s. c.-Phase
Das Behandlungsschema sieht die Gabe von 10 Mio. IE/m² jeweils 3 × wöchentlich s.
c. für 48 Wochen vor. Diese Dosis erhielten 5 Patienten bis zum Therapieende. Bei
4 Patienten wurde im Behandlungsverlauf die Dosis wegen subjektiver Nebenwirkungen
oder laborchemischer Auffälligkeiten auf zuletzt 3-6 Mio. IE/m2 reduziert. Dabei standen laborchemisch bei 3 Patienten eine Erhöhung der Leberwerte
und bei einem Patienten die Erhöhung der Muskelenzyme im Vordergrund. In keinem Behandlungsfall
musste die s. c.-Phase wegen subjektiver Nebenwirkungen abgebrochen werden.
Leider kam es bei 5 Patienten unter laufender adjuvanter Therapie zu einem Progress
der Erkrankung mit Organmetastasierung, so dass die Therapie abgebrochen und entsprechend
dem fortgeschrittenen Tumorstadium eine mögliche operative Metastasenentfernung bzw.
eine Chemotherapie eingeleitet wurde (siehe Abb. [2 ] u. [3 ]).
Abb. 2 Behandelte Patienten in der s. c.-Phase (n = 18 Patienten).
Abb. 3 Abbruch in s. c.-Phase wegen Progress.
4 Patienten werden zur Zeit noch in der s. c.-Phase von uns behandelt.
Während der 11-monatigen Behandlungsphase klagten alle Patienten über eine Müdigkeit
und Schwächegefühl. 50 % gaben gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Völlegefühl,
bitteren Geschmack und teilweise Erbrechen) an. 90 % der Patienten verloren an Körpergewicht
(bis zu 10 kg). 4 Patienten berichteten über Depressionen, litten unter Antriebslosigkeit
sowie Mutlosigkeit. 10 Patienten erlitten einen Haarausfall. Bei einem Patienten wurde
wegen des Auftretens eines metabolischen Syndroms (Hypertriglyceridämie, Hypercholesterinämie
sowie der Manifestation eines Diabetes mellitus) die Meldung über ein unerwünschtes
Ereignis veranlasst. Allerdings konnte nach medikamentöser Einstellung die Interferontherapie
fortgesetzt werden.
Nachbeobachtungsphase
9 Patienten wurden über die vorgesehenen 12 Monate mit der adjuvanten Therapie mit
IFN-alpha-2b nach Kirkwood behandelt.
In Abb. [4 ] ist der weitere Krankheitsverlauf dieser Patienten dargestellt.
Abb. 4 Nachbeobachtungszeit nach Therapieende.
Betrachtet man die Gesamtüberlebenszeit von den protokollgerecht behandelten 14 Patienten,
die in den Abb. [3 ] u. [4 ] dargestellt sind, so beträgt der Zeitraum zwischen 9 und mindestens 44 Monaten.
Hierbei blieben die 4 Patienten, die in der i. v.-Phase wegen Nebenwirkungen die Therapie
frühzeitig abbrachen, sowie die 4 Patienten, die zur Zeit noch in der s. c.-Therapiephase
sind, unberücksichtigt. Die mediane Überlebenszeit beträgt derzeit 27 Monate. Für
die rezidivfreie Überlebenszeit können wir Zeiträume zwischen 3 und mindestens 44
Monaten angeben, die mediane rezidivfreie Überlebenszeit beträgt derzeit 19 Monate.
Bei einem Patienten wurde nach 28 Monaten Rezidivfreiheit eine solitäre Milzmetastase
exstirpiert. Im Staging 6 Monate später bestand Tumorfreiheit. 7 Patienten sind in
der Nachbeobachtungszeit an einem Progress verstorben, wobei Metastasen nach 3-30
Monaten (Median 13 Monate) aufgetreten sind.
Diskussion
Patienten im Stadium IIIa und IIIb erreichen dieses Stadium nach durchschnittlich
32 Monaten nach Operation des Primärtumors und 38 % dieses Patientenkollektivs überleben
weitere 5 Jahre [5 ]. Deshalb wird seit Jahrzehnten nach adjuvanten Therapiekonzepten gesucht. Mit der
Substanz Interferon alpha wurden erstmals in prospektiv randomisierten Studien signifikante
Prognosevorteile für die Behandelten im Vergleich zu Unbehandelten nachgewiesen. Die
erste Studie (EST 1684) stellte die Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) vor
[4 ]. Hierbei behandelten Kirkwood u. Mitarb. mit maximal tolerablen Interferon-Dosierungen.
Seit 1984 wurden 287 Patienten im Stadium IIIb und Primärtumoren größer als 4 mm therapiert.
Dabei wurde das von uns verwendete Therapieschema mit Interferon alpha 2b verabreicht.
Nach einer Nachbeobachtungszeit von 6,9 Jahren zeigte sich im Vergleich zu unbehandelten
Kontrollpatienten nicht nur eine verbesserte rezidivfreie Überlebenszeit (1,72 Jahre
vs. 0,98 Jahre, Fünfjahresrezidivfreiheit 37 % vs. 26 %) sondern auch eine verlängerte
Gesamtüberlebenszeit von 3,8 Jahren versus 2,8 Jahren und eine 5-Jahres-Überlebensrate
von 46 % versus 37 %. In diesem Patientenkollektiv wurde bei 60 % eine Dosisreduktion
vorgenommen. 25 % der Patienten brachen die Therapie wegen Nebenwirkungen ab. 1990
wurde durch die ECOG eine Nachfolgestudie (EST 1690) eingeleitet, bei der 3 Patientengruppen
(Hochdosistherapie - Niedrigdosistherapie - unbehandelte Kontrolle) verglichen wurden
[6 ]. In der Gruppe der Hochdosistherapie ergab sich eine Überlebensrate für 5 Jahre
von 44 % im Vergleich zu 35 % bei unbehandelten Melanom-Kontrollpatienten. In der
statistischen Auswertung zeigte sich lediglich eine Verlängerung der rezidivfreien
Überlebenszeit für Patienten, die mittels Hochdosistherapie behandelt wurden, aber
keine Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit. Als Grund wurde ein verlängertes Überleben
der Kontrollpatienten im Vergleich zu vorhergehender Studie angeführt. Eine weitere
Studie von Kirkwood u. Mitarb. überprüfte die Wirksamkeit einer Gangliosidvakzine
im Vergleich zur Intron-A-Hochdosistherapie an 774 Patienten mit malignen Melanomen
der Stadien IIb-III [7 ]. Diese Studie musste vor Ende der Rekrutierungszeit wegen des hochsignifikanten
Vorteils hinsichtlich des rezidivfreien Überlebens als auch der Gesamtüberlebenszeit
in der Gruppe der mit Interferon-alpha 2b-behandelten Patienten abgebrochen werden.
Diese Studien unterstützen den Einsatz der Interferontherapie bei Patienten mit Hochrisikomelanomen.
In unserer Klinik wurden 22 Patienten mit der Hochdosis-Interferon-alpha-Therapie
behandelt. In der i. v.-Phase wurde bei 50 % der Patienten die Dosis reduziert, 18
% der Patienten brachen die Behandlung ab. In der s. c.-Phase, die bei 18 Patienten
begonnen und bei 9 Patienten für 11 Monate verabreicht wurde, musste in 33,3 % (3
von 9 Patienten) die Dosis verringert werden. Bei 4 Patienten läuft derzeit noch die
s. c.-Phase. In der Gruppe mit rezidivfreiem Überleben nach voller Therapiezeit reduzierten
wir bei 2 von 4 Patienten die s. c.-Dosis. Von 22 Patienten, die von uns behandelt
wurden, sind zum jetzigen Zeitpunkt 9 Todesfälle zu beklagen, wobei 2 nach Abbruch
der i. v.-Phase, 3 nach Progression in der s. c.-Phase und 4 nach vollständig durchgeführter
Therapie auftraten. Eine Aussage zu einer längeren Nachbeobachtungszeit ist derzeit
noch nicht möglich, die mediane rezidivfreie Überlebenszeit der protokollgerecht therapierten
14 Patienten beträgt zur Zeit 19 Monate.
Zusammenfassend rechtfertigen die vorgelegten Studien eine adjuvante Therapie mit
Interferon alpha 2b, zumal uns derzeit keine Alternative zu dieser Behandlung und
Medikamentengruppe zur Verfügung steht. Ziel der Therapie ist die bereits nachgewiesene
Verlängerung der Rezidivfreiheit sowie die Erhöhung der Gesamtüberlebenszeit [4 ]
[7 ].
Das Nebenwirkungsspektrum ist dabei jedoch zu beachten. Nach unserer Erfahrung ist
die i. v.-Phase besonders von laborchemischen Auffälligkeiten geprägt, während es
in der s. c.-Phase mehr zu subjektiven Beschwerden kommt. Zur Durchführung ist eine
gute Patienten-Compliance sowie eine straffe Therapieüberwachung mit Nebenwirkungsmanagement
erforderlich. Sind diese beiden Komponenten vorhanden, lässt sich diese Therapie nach
unseren Erfahrungen gut durchführen.