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DOI: 10.1055/s-2002-25317
Zur Frage der Sexualsteroidhormonabhängigkeit von Larynxkarzinomen
On the Dependancy of Larynx Carcinoma on Steroid Sex HormonesPublication History
Publication Date:
24 April 2002 (online)
Im Rahmen der angenommenen multifaktoriellen Genese von Larynxkarzinomen gilt eine Sexualhormonabhängigkeit der Entstehung und Entwicklung trotz vorhandener Indizien bisher als nicht bewiesen. Keine Zweifel bestehen dagegen an der Sexualsteroidabhängigkeit der Entwicklung des normalen Kehlkopfs. Für die Geschlechtsinzidenz der Tumoren dieses Organs besteht eine deutliche Prävalenz des männlichen Geschlechtes, wobei - regional unterschiedlich - ein Verhältnis Männer zu Frauen bis 32 : 1 erreicht wird. Es ist kein anderes nicht geschlechtsgebundenes Karzinom bekannt, welches eine so starke Bevorzugung des männlichen Geschlechtes aufweist wie das Larynxkarzinom. Obwohl die Bedeutung der exogenen Faktoren, wie Rauchen und Alkoholkonsum, für die Entstehung der Larynxkarzinome bereits klar herausgestrichen werden konnte und zum Teil berufliche Noxen diskutiert werden, müssen endogene und speziell auch hormonelle Faktoren erwartet werden.
Ziel dieser Arbeit war es, die bisher vorliegenden Indizien für eine Abhängigkeit der Larynxkarzinome vom Sexualsteroidhormonhaushalt näher zu beleuchten. Eine zusammenhängende Betrachtung von epidemiologischen Daten, tumorbiologischen Daten, Hormonspiegel- und rezeptorbiologischen Untersuchungen sowie endokrinologischen Funktionsuntersuchungen an Larynxkarzinompatienten wurde angestrebt. Weiterhin sollte es zu einer verknüpfenden Darstellung von klinischen und experimentellen Daten kommen. Im engen Zusammenhang damit wurden Überlegungen für mögliche hormontherapeutische Ansatzpunkte angestellt.
Kumulativ wurden 209 Larynxkarzinompatienten und -patientinnen, 57 Patienten mit einer chronischen Laryngitis und 30 Normalprobanden ohne Kehlkopferkrankung in den Studien erfasst. Bei 222 Patienten und 30 Kontrollprobanden führten wir Bestimmungen der Hormonspiegel, endokrinologische Funktionsuntersuchungen sowie klinisch-andrologische Untersuchungen durch. Durch Aufarbeitung der Krankenunterlagen von 44 weiblichen Larynxkarzinompatientinnen der vergangenen 30 Jahre wurden die laryngologische und gynäkologische Anamnese sowie die tumorbiologischen Daten dieser Patientinnen erfasst und ausgewertet. Die Ergebnisse von 17 uns vorliegenden Publikationen aus den Jahren 1976-1994 zum Thema der Sexualsteroidrezeptorausstattung von Malignomen des oberen Aero-Digestivtraktes fassten wir zusammen. Als In-vitro-Modell untersuchten wir zwei permanente Larynxkarzinomzelllinien, HEp-2 und UM-SCC 11B, auf die Expression von Sexualsteroidhormonrezeptoren und überprüften anschließend die Beeinflussbarkeit ihres Wachstumsverhaltens durch Reinsubstanzen verschiedener Sexualsteroide und Rezeptorblocker.
Die Gesamtheit der Resultate der vorliegenden Untersuchungen spricht für das Vorhandensein hormoneller Kofaktoren im Rahmen der multifaktoriell bedingten Entstehung der Larynxkarzinome. Bei 65 % der entsprechend kontrollierten männlichen Larynxkarzinompatienten wurde ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Symptomen und Zeichen eines sekundären Hypogonadismus (Climacterium virile) und der klinischen Manifestation laryngologischer Symptome festgestellt. Desgleichen konnten für die anhand ihrer Krankenunterlagen ausgewerteten 44 weiblichen Larynxkarzinompatientinnen enge Beziehungen zwischen den Phasen der Prämenopause und dem Eintritt in das Senium sowie der Erscheinung laryngologischer Symptome nachgewiesen werden.
Mit dem negativen Ausfall des Östrogen-Feedback-Tests bei weiblichen Karzinompatientinnen deutete sich eine möglicherweise sehr substanzielle Ursache für die Geschlechtsbevorzugung der Larynxmalignome an. Dieser Regulationstest fällt bei Frauen typischerweise positiv aus, für den Mann findet sich normal ein negatives Testergebnis.
Bei 20 % der entsprechend untersuchten männlichen Tumorpatienten erhielten wir keinerlei anamnestische, klinische oder laborchemische Hinweise auf Besonderheiten bezüglich ihrer hormonellen Situation. Diese Patienten gehörten vorzugsweise zu der Gruppe von Larynxkarzinompatienten, bei denen vor der Diagnosesicherung eines Karzinoms bereits länger als ein Jahr eine laryngologische Anamnese (zumeist eine gesicherte chronisch hyperplastische Laryngitis) vorlag. Letztere Patientengruppe wies weiterhin im Querschnitt gesehen die prognostisch günstigeren tumorbiologischen Daten (und Krankheitsverläufe) auf. Unter dem Aspekt der durchgeführten Hormonuntersuchungen betrachtet, wurden in dieser Gruppe innerhalb der Normwerte signifikant höhere Gesamttestosteronspiegel (p < 0,05) als bei den übrigen Karzinompatienten ermittelt. Der prozentuale Anteil des freien Testosterons am Gesamtserumtestosteron lag bei ihnen ebenfalls höher. Dagegen fanden sich für diese Gruppe niedrigere Dihydrotestosteronwerte im Serum. Diese wurden für die Gesamtheit der dementsprechend untersuchten Larynxkarzinompatienten durchschnittlich höher nachgewiesen, wenn auch mit einer größeren Streubreite als in der Vergleichsgruppe von Patienten mit einer chronischen Laryngitis. Messungen des Gesamttestosterons im Serum von Laryngitispatienten ergaben signifikant höhere Werte (p < 0,05) als in der Gesamtgruppe aller untersuchten Larynxkarzinompatienten.
Eine klare Übereinstimmung zeigt sich zwischen den eigenen klinischen Beobachtungen und laborchemischen Untersuchungen sowie den eigenen experimentellen Ergebnissen am In-vitro-Modell. Alle im Experiment untersuchten Sexualsteroide (mit Ausnahme des Dihydrotestosterons) führten zu einer mehr oder weniger dosisabhängigen Hemmung der Wachstumsrate der Zelllinien. Mit höheren Hormondosierungen wurden zu den ebenfalls angewandten Rezeptorblockern Tamoxifen und Cyproteronacetat vergleichbare Effekte der Wachstumshemmung erreicht. Besonders hervorzuheben sind die dosisabhängigen Hemmungseffekte des Testosterons, die auch bei der nachgewiesenermaßen androgenrezeptornegativen Linie UM-SCC 11B auftraten. Dagegen wurde das Wachstumsverhalten dieser Linie weder durch das Dihydrotestosteron, noch durch das Cyproteronacetat signifikant beeinflusst. Die weiterhin untersuchte Linie HEp-2 mit positivem Androgenrezeptorstatus zeigte jedoch unter Dihydrotestosteroneinfluss eine bedeutende Wachstumssteigerung und eine Wachstumshemmung unter Cyproteronacetat- aber auch Testosteronbehandlung. Die Untersuchung der gehemmten Kulturen mit Vitalfärbung ließ einen eher zytostatischen als zytotoxischen Mechanismus vermuten. Mit Hilfe der DNA-Elektrophorese konnten wir keine Triggerung einer Apoptosis nachweisen. Betrachtet man die Arbeiten der Literatur, welche sich mit dem Nachweis von Sexualsteroidrezeptoren in Larynxkarzinomen befassen, so kommt man in der Zusammenfassung der Ergebnisse zu einer erstaunlich hohen Rate von 44 % rezeptorpositiver Tumoren.
Die aufgezeigten Ergebnisse lassen im Zusammenhang mit der Kenntnis der entsprechenden laryngologischen und endokrinologischen Literatur folgende Schlüsse zu: obwohl das Testosteron in höheren Konzentrationen eine wachstumsstimulierende Wirkung auf die normale Kehlkopfschleimhaut hat (chronisch hyperplastische Laryngitis), kann es das Tumorzellwachstum, selbst von androgen-rezeptornegativen Larynxkarzinomzellen, hemmen. Dagegen scheint das Dihydrotestosteron als wirksamster Metabolit des Testosterons mit seiner Aktion am Androgenrezeptor einen wachstumsfördernden Einfluss auszuüben. Die Balance zwischen beiden Substanzen, welche sich beim alternden Mann zu Gunsten des Dihydrotestosterons verschiebt, könnte durch Testosteronsubstitution oder Blockierung des Enzyms 5α-Reduktase ausgeglichen werden. Letztere wird in der neueren urologischen und endokrinologischen Literatur im Hinblick auf die Behandlung der benignen Prostatahyperplasie klar herausgestellt. Die Gabe von Androgenrezeptorblockern oder entsprechenden Mengen weiblicher Sexualhormone zieht für den männlichen Organismus in aller Regel unangenehme oder nicht vertretbare Nebenwirkungen nach sich. In jedem Fall sind für zukünftige therapeutische Ansätze Patienten mit Präneoplasien des Kehlkopfes und Patienten nach primärer radikaler Tumortherapie, im Sinne einer Rezidivprophylaxe oder adjuvanten Tumortherapie, eher geeignet als Patienten mit großen inkurablen Tumoren, wie sie überwiegend in bisherige therapeutische Studien einbezogen wurden.
PD Dr. med. habil. D. Kleemann
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