Pneumologie 2002; 56(5): 304-308
DOI: 10.1055/s-2002-30696
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Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„Wann soll ein Arbeitsstoff als sensibilisierend für die Haut („Sh”) oder für die Atemwege („Sa”) markiert werden?”

Kriterien der „Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe” der DFG“When Should A Substance Be Designated As Sensitizing For The Skin (“Sh”) Or For The Airways (“Sa”)"?”Criteria Used By The Commission Of The Deutsche Forschungsgemeinschaft For The Investigation Of Health Hazards Of Chemical Compounds In The Work AreaA.  Schnuch1 , H.  Lessmann1 , K.-H.  Schulz1 , D.  Becker1 , Th.  L.  Diepgen1 , H.  Drexler1 , S.  Erdmann1 , M.  Fartasch1 , H.  Greim1 , H.  Greim1 , P.  Kricke-Helling1 , R.  Merget1 , H.  Merk1 , D.  Nowak1 , A.  Rothe1 , G.  Stropp1 , W.  Uter1 , G.  Wallenstein1
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Priv.-Doz. Dr. med. A. Schnuch

Leiter der AG „Haut und Allergie” der „Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe” der Deutschen Forschungsgemeinschaft
IVDK/Institut an der Universität Göttingen

von Siebold Str. 3

37075 Göttingen

Email: aschnuch@med.uni-goettingen.de

Publication History

Publication Date:
21 May 2002 (online)

Table of Contents

Für eine Vielzahl von Substanzen wurde eine sensibilisierende Wirkung beschrieben. Nicht allzu selten ist eine solche Wirkung unzureichend belegt, manchmal stützt sie sich nur auf die Beschreibung von Einzelfällen. Eine (generelle) Vermeidung der Exposition oder andere besondere Schutzmaßnahmen sind daher nicht für jede „allergene” Substanz ausreichend begründet. Deshalb müssen die Daten zu (potenziell) allergenen Substanzen daraufhin überprüft werden, ob aus ihnen tatsächlich eine Gefährdung des Arbeitnehmers bei der Exposition am Arbeitsplatz abzuleiten ist.

Die von der „MAK-Kommission” der DFG („Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe” der Deutschen Forschungsgemeinschaft) jährlich herausgegebene MAK- und BAT-Werte-Liste [1] charakterisiert Substanzen, zu denen in der Arbeitswelt Kontakt bestehen kann, u. a. hinsichtlich ihrer allergenen Wirkung. Im Falle einer allergenen Wirkung wird seit 1997 unterschieden zwischen „sensibilisierend an den Atemwegen” („Sa”) und „sensibilisierend an der Haut” („Sh”), mit den entsprechenden Einträgen „Sa” und „Sh” in einer besonderen Spalte der MAK- und BAT-Werte-Liste. Die Begründung für die Markierung einer Substanz mit „Sa” oder „Sh” wird in den toxikologisch arbeitsmedizinischen Begründungen von MAK-Werten separat veröffentlicht [2].

Unabhängig von dieser Markierung in der MAK- und BAT-Werte-Liste verlangt die EU anhand eigener Kriterien eine Einstufung von Stoffen und Zubereitungen [3]. Erfüllt eine Substanz oder Zubereitung diese Kriterien, dann muss sie als Kontaktallergen mit dem Symbol „Xi” (der Gefahrenbezeichnung „reizend”) und dem R-Satz R43 („Sensibilisierung durch Hautkontakt möglich”) und als „Atemwegssensibilisator” mit dem Symbol „Xn” (der Gefahrenbezeichnung „gesundheitsschädlich”) und dem R-Satz R42 („Sensibilisierung durch Einatmen möglich”) gekennzeichnet werden. Bei der Einstufung als R42 ist der Nachweis eines immunologischen Mechanismus nicht zwingend erforderlich.

Das mit der Zusatzmarkierung „Sa” und „Sh” in der MAK- und BAT-Werte-Liste verfolgte Ziel ist die Prävention der Sensibilisierung und der allergischen Erkrankung (vor allem von Asthma und Ekzem). Konkrete Maßnahmen der Prävention können u. a. durch die Aufnahme geeigneter Empfehlungen in die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) veranlasst werden (regelmäßig veröffentlicht im Bundesarbeitsblatt). Insofern sind die Markierung eines Stoffes mit „Sh” oder „Sa” in der MAK- und BAT-Werte-Liste, die Kennzeichnung eines Stoffes mit einem Hinweis R43 oder R42, und schließlich die Umsetzung in eine TRGS zu unterscheiden.

Kriterien, die der Einstufung als Allergen (R43 oder R42) zugrunde liegen, waren immer wieder Gegenstand der Diskussion (4). Eine Arbeitsgruppe skandinavischer Allergologen [5] [6], und, darauf aufbauend, eine ad-hoc-Arbeitsgruppe der WHO [7], haben ihrerseits Bewertungskriterien für die Einstufung vorgeschlagen. Über die Probleme des bisherigen Vorgehens der Arbeitsgruppe „Haut und Allergie” der o. g. Senatskommission bei der Markierung von sensibilisierenden Stoffen wurde bereits 1997 berichtet [8].

Um die Praxis der Markierung in der MAK- und BAT-Werte-Liste noch stärker

  • rational begründet

  • in sich konsistent

  • nachvollziehbar und auch

  • für Außenstehende transparent

zu machen, wurden erweiterte Kriterien für die Markierung einer Substanz mit „Sh” und „Sa” erarbeitet, die hier vorgestellt werden sollen. Grundlage hierfür waren u. a. die von der WHO-Arbeitsgruppe vorgeschlagenen Kriterien [4] [7] sowie die bisherigen Erfahrungen der Arbeitsgruppe „Haut und Allergie” der „MAK-Kommission”. Im Unterschied zu den Kriterien der EU hatte die WHO-Arbeitsgruppe die Evidenz der Information, auf die sich die Einstufung stützt, graduell bewertet. So ist z. B. die Evidenz groß, wenn Sensibilisierungen beim Menschen häufig nachgewiesen wurden, aber gering bei Vorhandensein nur eines einzigen positiven Tierversuchs. Den unterschiedlichen Evidenzen entsprechend wurde vorgeschlagen, eine Substanz in die Kategorien „significant allergen” (Klasse I), „probably significant allergenen” (II), „not classifiable” (III) oder „not a significant contact allerge” (IV) einzugruppieren. Für eine „Alles-oder-Nichts”-Entscheidung, die sowohl der Vergabe von R-Sätzen (der EU) als auch der Markierung mit „Sh” oder „Sa” zugrunde liegt, findet sich jedoch in den WHO-Kriterien kein Algorithmus.

Die Arbeitsgruppe „Haut und Allergie” der „MAK-Kommission” sieht weder in den Kriterien der WHO-Arbeitsgruppe noch in den EU-Kriterien eine hinreichende Grundlage für ihre Markierungsempfehlungen. So wurden etwa die in den WHO-Kriterien aufgeführten Evidenzen als nicht ausreichend erachtet, um eine Substanz als Atemwegssensibilisator zu qualifizieren. Im Fall der noch weiter gefassten EU-Kriterien wird ebenfalls nicht ausschließlich auf eine sensibilisierende Wirkung Bezug genommen, sondern es werden auch allgemein krankheitsauslösende (z. B. pharmakologische) Effekte einbezogen. Nach den EU-Kriterien ist die Kennzeichnung eines Kontaktallergens anhand nur eines positiven Tierversuches möglich. Dies wird von der Arbeitsgruppe „Haut und Allergie” wegen der Möglichkeit einer zu geringen Spezifität des Tests oder einer fehlenden Übertragbarkeit des Ergebnisses auf den Menschen als eine nicht immer hinreichende Begründung angesehen.

Bei den hier vorgeschlagenen Kriterien werden die Kriterien der WHO-Arbeitsgruppe weiterentwickelt. Es wird zusätzlich unterschieden zwischen

  • den verschiedenen Graden der Evidenz, mit der die Aussage, eine Substanz sei ein Allergen, gestützt ist und

  • dem Algorithmus, der zur Markierung eines Allergens führen soll.

Im ersten Schritt wird also die inhärente allergene Eigenschaft des Stoffes überprüft („hazard”), bei dem zweiten Schritt zusätzlich zu den Evidenzen des ersten Schrittes weitere Informationen berücksichtigt, wie der Umfang der Exposition, ggf. auch die allergene Wirkstärke, die Konzentration bei der Exposition, oder mögliche dispositionelle Faktoren. In Abhängigkeit von solchen Informationen ist ein Abweichen von den Regeln dieses zweiten Schrittes von Fall zu Fall möglich.

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A. Kriterien zur Bewertung von Kontaktallergenen

Die allergologische Bewertung stützt sich auf unterschiedliche Informationen, die eine abgestufte Bewertung ihres Evidenzgrades erfordert:

  1. Eine allergene Wirkung ist mit folgenden validen Befunden nach a) oder b) ausreichend begründbar:

    • - Studien, in denen bei der Testung an größeren Patienten-Kollektiven in mindestens zwei unabhängigen Zentren mehrfach klinisch relevante Sensibilisierungen (Assoziation von Krankheitssymptomen und Exposition gegeben) beobachtet wurden, oder
      - epidemiologische Studien, die eine Beziehung zwischen Sensibilisierung und Exposition zeigen, oder
      - Fallberichte von mehr als einem Patienten aus mindestens zwei unabhängigen Zentren über eine klinisch relevante Sensibilisierung (Assoziation von Krankheitssymptomen und Exposition gegeben), oder

    • - mindestens ein positiver Tierversuch nach geltenden Prüf-Richtlinien ohne Verwendung von Adjuvans oder mindestens zwei weniger gut dokumentierte positive Tierversuche nach Prüf-Richtlinien, davon einer ohne Adjuvans.

  2. Eine allergene Wirkung kann aufgrund folgender Befunde nach a) und b) als wahrscheinlich angesehen werden

    • - Studien, in denen bei der Testung in nur einem Zentrum mehrfach klinisch relevante Sensibilisierungen (Assoziation von Krankheitssymptomen und Exposition gegeben) beobachtet wurden, oder
      - Studien, in denen bei der Testung an größeren Patienten-Kollektiven in mindestens zwei unabhängigen Zentren mehrfach Sensibilisierungen ohne Angaben zur klinischen Relevanz beobachtet wurden und

    • - ein positiver Tierversuch mit Adjuvans nach geltenden Prüf-Richtlinien, oder
      - positive Ergebnisse aus In-vitro-Untersuchungen, oder
      - Hinweise aus strukturellen Überlegungen anhand ausreichend valider Befunde für strukturell eng verwandte Verbindungen.

  3. Eine allergene Wirkung ist nicht ausreichend begründbar, wenn lediglich folgende Daten vorliegen:

    • unzureichend dokumentierte Fallberichte, oder

    • lediglich ein positiver, nach geltenden Prüf-Richtlinien durchgeführter Tierversuch unter Verwendung von Adjuvans, oder

    • positive Tierversuche, die nicht nach geltenden Prüf-Richtlinien durchgeführt wurden, oder

    • Hinweise aus Untersuchungen zu Struktur-Wirkungs-Beziehungen oder aus In-vitro-Untersuchungen.

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Kommentar

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Beobachtungen beim Menschen

Die an mehreren Kliniken und allergologischen Zentren laufend gewonnenen Daten über serienmäßig vorgenommene Epikutantests vermitteln ein gut brauchbares Bild über die Häufigkeit der Kontaktsensibilisierung und die praktische Bedeutung der einzelnen Kontaktallergene. Hingegen liegen nur für wenige Allergene Daten vor, die durch zuverlässige, aussagekräftige epidemiologische Untersuchungen gewonnen wurden.

Die besonders häufig beobachteten Allergene, z. B. Nickel, weisen nicht immer das höchste Sensibilisierungsvermögen auf. Umgekehrt spielen Substanzen mit besonders ausgeprägtem Sensibilisierungspotenzial, wie z. B. 2,4-Dinitrochlorbenzol, zahlenmäßig nur eine geringe Rolle, weil nur eine kleine Zahl von Menschen mit diesen Substanzen in ausreichender Intensität in Kontakt kommt. Eine Reihe von hochwirksamen Kontaktallergenen ist aufgrund klinischer Beobachtungen an nur wenigen Erkrankten entdeckt worden, nicht selten nach erstmaliger und einmaliger Applikation (evtl. auch bei erstmaliger Epikutantestung). Als Beispiele seien genannt: Chlormethylimidazolin, Diphenylcyclopropenon, Quadratsäurediethylester, p-Nitrobenzoylbromid. Für derartige Ausnahmefälle und bei valider wissenschaftlicher Datenlage wäre eine Evidenz als „wahrscheinlich gegeben” anzunehmen, auch wenn die Daten nur aus einem Zentrum stammen.

Gebrauchstests mit Arbeitsstoffen an Menschen - oft firmeninterne Untersuchungen des Herstellers - haben bei sachgemäßer Durchführung einen hohen Stellenwert. Experimentelle Sensibilisierungsprüfungen sind heute aus ethischen Gründen abzulehnen, historische Ergebnisse aber bei der Bewertung eines Stoffes durchaus von Bedeutung.

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Beobachtungen im Tierexperiment

Tierexperimente zur Ermittlung des Sensibilisierungsvermögens eines Stoffes werden bevorzugt am Meerschweinchen durchgeführt. Diese Untersuchungen können mit oder ohne Zuhilfenahme von Freundschem kompletten Adjuvans (FCA) vorgenommen werden. Am häufigsten werden der Maximierungstest nach Magnusson und Kligman (FCA-Methode) und der Buehler-Test (Nicht-FCA-Methode) sowie auch der offene Epikutantest (Nicht-FCA-Methode) eingesetzt. Die FCA-Methoden besitzen in der Regel die größere Empfindlichkeit und können deshalb gelegentlich Anlass für die Überbewertung eines Sensibilisierungsrisikos sein. Aus diesem Grunde wurde einem positiven Test ohne Adjuvans ein höherer Evidenzgrad zuerkannt als einem positiven Test mit Adjuvans.

Die Aussagefähigkeit der tierexperimentellen Verfahren ist im allgemeinen als gut zu bezeichnen, d. h. bei der Mehrzahl der untersuchten Stoffe hat sich eine gute Übereinstimmung mit den bei Menschen gewonnenen Daten ergeben. Ein Vorteil der tierexperimentellen Methoden besteht darin, dass Dosis-Wirkungsbeziehungen ermittelt werden können. Tierexperimentelle Sensibilisierungstests können auch an der Maus vorgenommen werden. Diese Verfahren, insbesondere der Local Lymph Node Assay (LLNA), gewinnen zunehmend an Bedeutung und werden als experimentelle Untersuchungen ohne Verwendung von Adjuvans bei der Bewertung zu berücksichtigen sein.

Bei Substanzen, für die bisher eine Expositionsmöglichkeit nicht gegeben bzw. bekannt ist (z. B. weil sie neu synthetisiert oder neu vermarktet wurden) und deshalb klinische Daten nicht vorliegen können (das Kriterium der klinischen Beobachtung also weder positiv noch negativ eingesetzt werden kann), können auch allein positive Ergebnisse aus tierexperimentellen Untersuchungen, die nach Prüf-Richtlinien unter Verwendung von Adjuvans durchgeführt wurden, auf eine wahrscheinliche allergene Wirkung hinweisen. Dies kann in Einzelfällen auch für positive Ergebnisse aus plausibel durchgeführten tierexperimentellen Untersuchungen gelten, die nicht den Anforderungen geltender Prüf-Richtlinien entsprechen, wenn theoretische Überlegungen über eine enge strukturchemische Verwandtschaft mit bekannten Allergenen auf analoge Eigenschaften eines Stoffes schließen lassen.

Theoretische Überlegungen bedürfen der praktischen Bestätigung; ihr Stellenwert im Rahmen der Gesamtbeurteilung ist daher geringer anzusetzen und sie können ohne weitere klinische oder experimentelle Daten kein alleiniges Kriterium bei der Beurteilung der möglichen sensibilisierenden Wirkung sein.

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B. Kriterien zur Bewertung von inhalativ wirksamen Allergenen

Folgende Daten können zur Bewertung von inhalativ wirksamen Allergenen herangezogen werden, müssen aber ebenfalls hinsichtlich ihres Evidenzgrades unterschiedlich beurteilt werden:

  1. Die allergene Wirkung einer Substanz an den Atemwegen oder der Lunge ist mit folgenden validen Befunden ausreichend begründbar:

    • Studien oder Fallberichte über eine spezifische Überempfindlichkeit der Atemwege oder der Lunge, die auf einen immunologischen Wirkungsmechanismus hinweisen, von mehr als einem Patienten aus mindestens zwei unabhängigen Zentren. Zusätzlich muss eine Assoziation von Exposition und Symptomen oder Funktionseinschränkungen der oberen oder unteren Atemwege bzw. der Lunge nachgewiesen sein.

  2. Eine allergene Wirkung kann aufgrund folgender Befunde als wahrscheinlich angesehen werden:

    • lediglich ein Fallbericht über eine spezifische Überempfindlichkeit der Atemwege oder der Lunge
      und

    • ergänzende Hinweise auf eine sensibilisierende Wirkung, z. B. anhand enger Struktur-Wirkungsbeziehungen mit bekannten Atemwegsallergenen.

  3. Eine allergene Wirkung ist nicht ausreichend begründbar, aber auch nicht auszuschließen, wenn lediglich folgende Daten vorliegen:

    • epidemiologische Studien, die eine Häufung von Symptomen oder Funktionseinschränkungen bei Exponierten nachweisen, oder

    • Studien oder Fallberichte über eine spezifische Überempfindlichkeit der Atemwege oder der Lunge von nur einem Patienten, oder

    • Studien oder Fallberichte über Sensibilisierungen (z. B. IgE-Nachweis) ohne das Vorliegen von Symptomen oder Funktionseinschränkungen mit Kausalbezug zur Exposition, oder

    • positive Tierversuche, oder

    • enge Struktur-Wirkungsbeziehungen mit bekannten Atemwegsallergenen.

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Kommentar

Die Bewertung stützt sich in der Regel auf epidemiologische Studien. Fallbeschreibungen halten dagegen nicht immer der Kritik stand, nicht zuletzt wegen der Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, ausreichende Kontrolluntersuchungen vornehmen zu können. Das gilt insbesondere für die inhalativen Provokationstests. Hinzu kommt, dass die Expositionsdaten nicht immer in ausreichendem Maße zu erstellen sind.

Symptome sind zumeist für eine Markierung als Atemwegsallergen nicht ausreichend; in aller Regel sind ein Sensibilisierungsnachweis und objektivierbare Symptome wie expositionsbezogene Verschlechterung der Lungenfunktion oder bronchiale Überempfindlichkeit auf spezifische Stimuli erforderlich. Ein immunologischer Wirkmechanismus kann durch In-vivo- (z. B. Pricktest) oder In-vitro-Befunde wahrscheinlich gemacht werden, im Idealfall durch Nachweis eines spezifischen Antikörpers bei nachgewiesener Exposition.

Für viele Substanzen ist ein immunologischer Mechanismus bisher nicht nachgewiesen. Deshalb können auch indirekte Hinweise auf einen immunologischen Wirkmechanismus bei der Bewertung berücksichtigt werden. Hier sind zu nennen:

  • Latenzzeit zwischen Expositionsbeginn und Auftreten erster Symptome (Sensibilisierungsperiode)

  • geringe Substanzkonzentrationen für die Symptomauslösung, die bei geeigneten Kontrollen nicht zu Symptomen führen

  • isolierte Spätreaktionen oder duale Reaktionen im inhalativen Provokationstest

  • begleitende kutane Symptome wie Urtikaria oder Quincke-Ödem.

Eine allergene Wirkung ist nicht ausreichend begründbar, aber auch nicht auszuschließen, wenn Hinweise auf eine atemwegssensibilisierende Wirkung vorliegen, die in den Kriterien genannten Bedingungen aber nicht erfüllt sind. Insbesondere liefern epidemiologische Studien, die eine Häufung von Symptomen oder Funktionseinschränkungen bei Exponierten nachweisen (ggf. auch mit Nachweis einer Dosis-Wirkungs-Beziehung), ohne dass Hinweise auf einen spezifischen immunologischen Mechanismus vorliegen, keine ausreichende Evidenz für eine sensibilisierende Eigenschaft. Auch Studien oder Fallberichte, die ausschließlich eine arbeitsplatzbezogene Variation der Lungenfunktion oder der bronchialen Hyperreaktivität dokumentieren, sind nicht ausreichend.

Bis heute gibt es keine vollständig validierte Methode zur Induzierung und zum Nachweis von Atemwegsallergien im Tiermodell.

In Meerschweinchen-Modellen führen sensibilisierende Stoffe zu ähnlichen Reaktionen wie beim Menschen. Durch inhalative oder auch durch intradermale, subkutane Applikation lassen sich antikörpervermittelte Sensibilisierungen induzieren, wobei im Gegensatz zum Menschen IgG-Antikörper im Vordergrund stehen. In diesen Tests werden die respiratorische Hyperreagibilität (Atemfrequenz, Atemzugvolumen, Atemminutenvolumen, Inspirations- und Exspirationszeit, Ausatemgeschwindigkeit) und die Antikörper-Konzentrationen gemessen. Im Maus-IgE-Test wird das Sensibilisierungspotenzial an BALB/c-Mäusen als Funktion des Anstieges des Gesamt-IgE, bisher aber nicht des substanzspezifischen IgE bestimmt.

Mittels dieser Tiermodelle lässt sich ein NOEL (No-observed-effect level) aufstellen, dessen Übertragbarkeit auf den Menschen aber fraglich ist. Systematisch vergleichende Prüfungen wurden bisher nicht durchgeführt.

In-vitro-Standard-Methoden, die zugleich sensitiv und spezifisch sind, liegen für niedermolekulare Soforttyp-Allergene mit wenigen Ausnahmen bisher nicht vor.

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C. Markierung einer Substanz als Allergen

Anhand der jeweiligen Evidenz einer allergenen Wirkung wird, soweit möglich, unter zusätzlicher Berücksichtigung des anzunehmenden Ausmaßes der Exposition gegen die betreffende Substanz die Notwendigkeit zur Markierung in der MAK- und BAT-Werte-Liste überprüft:

  1. Die entsprechend den Kriterien in Abschnitt A oder B charakterisierten Stoffe der Kategorie 1) oder 2) werden in der Regel als Allergene mit „Sa”, „Sh” bzw. „Sah” markiert.

    • Substanzen, bei denen diese Kriterien erfüllt sind, werden auch dann mit „S” markiert, wenn die beobachteten Sensibilisierungen besonders oder ausschließlich an Kofaktoren gebunden sind, die (nur) unter Arbeitsplatzbedingungen relevant sind (z. B. (Vor-) Schädigung der Hautbarriere durch chemische oder physikalische Beeinflussung).

  2. Eine Markierung mit „S” erfolgt hingegen nicht, wenn

    • trotz vielfacher Verwendung nur sehr wenige Fälle beobachtet wurden, oder

    • die beobachteten Sensibilisierungen im wesentlichen an Kofaktoren gebunden sind, die (im Gegensatz zu C 1) unter Arbeitsplatzbedingungen nicht relevant sind (z. B. das Vorliegen eines Unterschenkelekzems).

  3. Die in Abschnitt A oder B entsprechend der Kategorie 3) charakterisierten Stoffe werden trotz Verdachtes auf eine allergene Wirkung nicht mit „S” markiert.

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Abschließender Kommentar

  1. Eine fehlende „S”-Markierung in der MAK- und BAT-Werte-Liste bedeutet nicht, dass der entsprechenden Substanz jedwede sensibilisierende Wirkung fehlen würde. Der „cut-off-point” der Entscheidung, jenseits dessen mit „S” markiert wird, liegt auf einem „Bewertungs-Kontinuum” zwischen den Extremen „ eindeutig nicht sensibilisierend/eindeutig nicht zu markieren” und „eindeutig sensibilisierend/eindeutig zu markieren”. Diesseits des „cut-off-points” wird deshalb ebenfalls „Evidenz” vorliegen, nur dass sie, den Kriterien folgend, für eine Markierung nicht ausreicht.

  2. Eine graduelle Charakterisierung, wie sie z. B. bei der Einstufung krebserzeugender Stoffe in der MAK- und BAT-Werte-Liste erfolgt [1] und wie sie ähnlich auch für Allergene von der WHO-Arbeitsgruppe vorgeschlagen wurde [7], wäre deshalb zur Beschreibung der graduell angelegten Eigenschaft „sensibilisierend” besser geeignet [9]. Die hier verfolgte Dichotomisierung des Phänomens bzw. der Entscheidung ist ein Zugeständnis an die praktische Umsetzbarkeit der Aufnahme eines Warnhinweises in die MAK- und BAT-Werte-Liste und, vor allem, an die praktische Umsetzung in konkrete Konsequenzen für die Prävention.

  3. Die Kriterien stützen sich auf den gegenwärtig verfügbaren Stand des Wissens zur Charakterisierung der allergenen Wirkung von Substanzen. Sie werden jeweils dem neueren Forschungsstand anzupassen sein. Zu erwarten sind insbesondere Verbesserungen in der prädiktiven Testung [10], die möglicherweise Angaben zur allergenen Potenz und zu Dosis-Wirkungsbeziehungen aufzeigen können, die dann ihrerseits in die abschließende Bewertung (Abschnitt C) werden einfließen können. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass bisherige oder zukünftige Beobachtungen von lediglich wenigen Fällen auf eine spezielle genetische Disposition (z. B. einem Enzym- oder Cytokin-Polymorphismus) zurückzuführen sind. Auch für diese Fälle wäre eine Modifikation der Bewertung zu diskutieren.

  4. Die Kriterien haben den Charakter von Leitlinien, an denen sich die Bewertung der Datenlage in nachvollziehbarer Weise orientieren soll, von deren strikter Anwendung in besonderen Fällen aber auch abgewichen werden kann.

  5. Es ist das Ziel dieser Veröffentlichung, die mit der Problematik beschäftigten Leser zu informieren und zur kritischen Diskussion aufzufordern.

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Literatur

  • 1 Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe Deutsche Forschungsgemeinschaft .MAK- und BAT-Werte-Liste 2001. Weinheim: Wiley-VCH 2001
  • 2 Henschler D, Greim H. Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe. Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten. Weinheim: Wiley-VCH 1972/2001
  • 3 Europäische Gemeinschaften . Richtlinie 96/54/EG der Kommission vom 30. Juli 1996 zur 22. Anpassung der Richtlinie 67/548/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe an den technischen Fortschritt.  Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. 1996;  39, L248 227-229
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  • 7 Flyvholm M-A, Andersen K E, Baranski B, Sarlo K. Criteria for classification of skin- and airway-sensitizing substances in the work and general environments - Report on a WHO-Working Group, Copenhagen, Denmark. Copenhagen: WHO Regional Office January 1996/1997: 17-20
  • 8 Ippen H, Lessmann H, Schulz K-H. Probleme bei der Bewertung und Kennzeichnung von Kontaktallergenen. 1. Aktuelle Situation in Deutschland.  Dermatosen Beruf Umwelt. 1997;  45 267-271
  • 9 Friedmann P S. Graded continuity, or all none-studies of the human immune response.  Clin Exp Dermatol. 1991;  16 79-84
  • 10 Kimber I, Basketter D A, Berthold K, Butler M, Garrigue J L, Lea L, Newsome C, Roggeband R, Steiling W, Stropp G, Waterman S, Wiemann C. Skin sensitization testing in potency and risk assessment.  Toxicological Sciences. 2001;  59 198-208

Priv.-Doz. Dr. med. A. Schnuch

Leiter der AG „Haut und Allergie” der „Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe” der Deutschen Forschungsgemeinschaft
IVDK/Institut an der Universität Göttingen

von Siebold Str. 3

37075 Göttingen

Email: aschnuch@med.uni-goettingen.de

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Literatur

  • 1 Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe Deutsche Forschungsgemeinschaft .MAK- und BAT-Werte-Liste 2001. Weinheim: Wiley-VCH 2001
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Priv.-Doz. Dr. med. A. Schnuch

Leiter der AG „Haut und Allergie” der „Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe” der Deutschen Forschungsgemeinschaft
IVDK/Institut an der Universität Göttingen

von Siebold Str. 3

37075 Göttingen

Email: aschnuch@med.uni-goettingen.de