Leistungssteigerung durch frequenzvariable Stimulation
Leistungssteigerung durch frequenzvariable Stimulation
Dass Wiederherstellung der Chronotropie leistungssteigernd wirkt,
sei exemplarisch an einer Studie gezeigt, in der 27 frequenzinkompetente
Patienten im Durchschnittsalter von 60 Jahren mittels symptomlimitierter
Spiroergometrie untersucht und mit einem 41-köpfigen, altersentsprechenden
Normalkollektiv verglichen wurden [4].
Die Befunde zeigt Tab. [1]. Parallel zur Anhebung der Herzfrequenz
auf Werte der Vergleichsgruppe bewirkt die frequenzvariable Stimulation
des Schrittmachers (VVIR) an der ventilatorisch anaeroben Schwelle
eine signifikant höhere Sauerstoffaufnahme und Leistung
gegenüber VVI, bleibt mit 79 % der Kontrollwerte
aber deutlich hinter den Herzgesunden zurück.
Das Beispiel ist gewählt, weil die Analyse sich nicht
wie üblich auf die Sauerstoffaufnahme (VO2)
bei Maximalbelastung oder anaerober Schwelle (AT) beschränkt,
sondern zusätzlich O2-Aufnahme und Leistung
miteinander in Beziehung setzt. Bei kontinuierlicher Laststeigerung
unterhalb der AT (wie sie in der Studie vorgenommen wurde) oder
bei Steady-state-Bedingungen kann der „VO2-Leistungsindex” (dVO 2
/dWR) als Maß dafür gelten,
wie viel Sauerstoff das Transportsystem des Körpers an
die arbeitende Zelle liefern kann, um eine vorgegebene Leistung
zu ermöglichen; er ist damit ein geeigneter Parameter zur
Beurteilung der Ausdauerleistungsfähigkeit. Im Beispiel
zeigt dieser Index eine Steigerung um 29 % zwischen
festfrequenter und frequenzadaptiver Stimulation und lässt
damit keinen Unterschied zum Normalkollektiv mehr erkennen (Tab. [1]).
In der Schrittmacherliteratur nicht ungewöhnlich sind
Befunde, nach denen Akut-Effekte der Stimulation im chronischen
Verlauf weniger ausgeprägt sind oder gänzlich
verschwinden [13], weil Mechanismen
zur Kompensation einer gestörten Hämodynamik nach
deren Korrektur nicht mehr benötigt und deshalb inaktiviert
werden. Während die hämodynamische Überlegenheit
der vorhofgesteuerten (DDD-/VDD-) gegenüber der
festfrequenten Ventrikelstimulation (VVI) im Langzeitverlauf belegt ist [2]
[6]
[11]
[14]
[15]
, sind die Daten zum chronischen
Effekt der (Vorhof-unabhängigen) frequenzvariablen Schrittmacherbehandlung
weniger eindeutig. So wird einerseits nach je 10-wöchiger Laufzeit
zwischen frequenzfixierter und -variabler Schrittmacherbehandlung
kein signifikanter Unterschied mehr für den VO2-Leistungsindex
gefunden [5].
Tab. 1 Herzfrequenz
(HF), Sauerstoffaufnahme (VO2) und Leistung (W) an der
anaeroben Schwelle (AT), VO2-Leistungsindex (dVO2/dWR)
unter AT bei 27 chronotrop inkompetenten Patienten und 41 normalen
Probanden. Unter frequenzadaptiver Stimulation (VVIR) bleibt die
VO2-AT zwar subnormal, im Vergleich zur festfrequenten Stimulation
mit 70/min (VVI, höhere Frequenzen infolge intermittierender
Spontanrhythmen) steigt der Leistungsindex jedoch signifikant an
und erreicht Normalniveau.
|
VVI
|
VVIR
|
p
|
Normal
|
p
|
HF [1/min]
|
75±9
|
113±21
|
a
|
106±16
|
a
|
VO2-AT [ml/kg/min]
|
9,3±3,4
|
10,9±4,3
|
x
|
14,7±2,8
|
a,b
|
W-AT [Watt]
|
52±20
|
65±24
|
a
|
79±22
|
a,c
|
dVO2/dWR [ml/min/Watt]
|
7,9±2,3
|
10,2±2,4
|
a
|
10,3±1,4
|
a
|
a: p < 0,001
zu VVI, b: p < 0,001 zu VVIR, c: p < 0,05
zu VVIR, x: keine Signifikanz in Originaltabelle angegeben, nach
Text wie a (nach [4])
|
Andererseits werden Befunde mitgeteilt, nach denen sowohl die
maximale wie auch die Sauerstoffaufnahme an der anaeroben Schwelle nach
4-wöchiger Stimulation im frequenzadaptiven Modus gegenüber
festfrequenter Stimulation erhöht bleiben [9].
In einer echokardiographischen Studie an 13 Patienten (davon
zehn mit AV-Block II.-III. Grades und sechs bereits zuvor
mit einem VVI-Schrittmacher ohne Frequenzantwort behandelt) zeigt
sich binnen 6 Monaten als wesentlicher Effekt frequenzvariabler
Stimulation eine Minderung des linksventrikulären enddiastolischen
Querdurchmessers von 65±6 auf 56±4 mm.
Weil der systolische Durchmesser unverändert bleibt, sinkt
die Verkürzungsfraktion in Ruhe von 33±4 auf 27±3 % (p < 0,05),
was nicht zwingend als systolische Funktionsminderung, sondern auch
als Zunahme der Kontraktionsreserve unter Belastung interpretiert
werden kann [7].
Indikation zur frequenzadaptiven Stimulation
Indikation zur frequenzadaptiven Stimulation
Anders als die amerikanischen [8] begründen
die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
keine Stimulationsindikation allein aus symptomatischer Frequenzinkompetenz [12]
. Allerdings ist die Implantation
eines frequenzadaptiven Systems mit der Symptomatik und der jeweiligen
Reizbildungs- oder Leitungsstörung zu rechtfertigen, welche
den Frequenzanstieg behindert. Ist bereits ein Schrittmacher implantiert,
so geht es darum, ob die aggregatseitig vorgehaltene Frequenzmodulation
(R) aktiviert oder - falls nicht verfügbar - ein
vorzeitiger Systemtausch vorgenommen werden soll. Die Indikation
ist gegeben, wenn
-
der Patient symptomatisch ist,
-
dies zu wesentlichen Teilen der mangelnden Frequenzsteigerung
zugeschrieben werden muss (siehe Abschnitt „Praktische
Diagnostik”) und
-
auf eine eventuell bradykardisierende Medikation nicht verzichtet
werden kann.
Technisches Rüstzeug
Technisches Rüstzeug
Bis auf das Weglassen verzichtbarer Pharmaka ist keine medikamentöse
Maßnahme geeignet, eine ausreichende Chronotropie (wieder)
herzustellen. Antibradykard eingesetzte Sympathomimetika oder Vagolytika
haben den Nachteil, dass sie auch die Ruhefrequenz anheben, wenn
sie unter Belastung effektiv sein sollen. Weil dies auf Dauer nicht
vertragen wird, bleibt nur die Schrittmacherbehandlung.
Ist die mangelnde Chronotropie Folge einer AV-Blockierung, so
stellt die Anbindung der Kammern an die physiologische Frequenzregulation
der Vorhöfe die Therapie der Wahl dar. Technisch wird dies
mit einem AV-sequenziellen System ohne (VDD) oder mit der Option zur
Vorhofstimulation (DDD) realisiert. Bei krankem oder ausgefallenem
Sinusknoten ist ein sensorgesteuerter Schrittmacher erforderlich,
der je nach Funktion des AV-Knotens als Ein- (AAIR) bzw. Zweikammer-System
(DDDR) ausgeführt werden kann. Persistierendes Vorhofflimmern
mit bradykarder Kammerantwort unter Belastung wird mit einem VVIR-Schrittmacher
behandelt.
Die Frequenzvariation basiert auf belastungsinduzierten Signalen, die
von geeigneten Sensoren aufgenommen, meist gemittelt und mit einem
gleitenden Referenzwert verglichen werden. Derzeit verfügbare
Messsysteme sind in Tab. [2] aufgelistet und in ihren wesentlichen
Eigenschaften klassifiziert. Details sind der einschlägigen
Schrittmacherliteratur zu entnehmen. Positive Eigenschaften eines
frequenzvariablen Systems sind: schnelle Reaktion, lastproportionale
Frequenzänderung, niedrige Störanfälligkeit.
Die Systeme sollten mit (unipolaren) Standardelektroden und ohne Zwangsstimulation
in der Kammer zu betreiben sein, welche mit unphysiologischer Erregungsausbreitung
die linksventrikuläre Funktion kompromittieren kann. Regeltechnisch
optimal wäre die Fähigkeit der Systeme zur negativen
Rückkopplung, die physiologisch inadäquate Frequenzsteigerungen
verhindern könnte. Bis auf die Sensoren, die sympathikusabhängige
Parameter erfassen (QT, PEA, CLS), ist diese Forderung (auch in
Ansätzen) nicht erfüllt.
Tab. 2 Wichtige
Eigenschaften gegenwärtig kommerziell erhältlicher
Ein-Sensoren-Systeme.
Sensor
|
Vorteile
|
Nachteile
|
Sinusknoten
|
idealer Sensor für DDD-System beim
AV-Block
|
Sinusknotendepression durch negativ chronotrope
Medikation möglich
|
Aktivität
|
technisch einfach und sondenunabhängig
einsetzbar, schnelle Reaktion bei Belastungsbeginn
|
fehlende Belastungproportionalität,
Störanfälligkeit bei Körpervibrationen
bei manchen Sensormodifikationen
|
AMV
|
gute Belastungsproportionalität
|
langsame Reaktion bei Belastungsbeginn, unphysiologisch
hohe Frequenz nach Belastung, bipolare Sonde erforderlich
|
QT
|
Belastungsproportionalität,
auch bei unipolaren Sonden anwendbar
|
langsame Reaktion bei Belastungsbeginn, hohe
Störanfälligkeit, starke Medikamenteneinflüsse,
wenigstens intermittierende Ventrikelstimulation erforderlich,
|
PEA
|
Belastungsproportionalität, Sympathikus-vermittelte
negative Rückkopplung
|
herstellerspezifische Sonde erforderlich
|
CLS
|
Belastungsproportionalität, Sympathikus-vermittelte
negative Rückkopplung, auch bei unipolaren Sonden anwendbar
|
in Abhängigkeit von Signalhub störanfällig,
Zwangsstimulation im Ventrikel erforderlich
|
Aktivität:
Körpervibrationen, richtungssensitive Beschleunigung; AMV:
transthorakale Impedanzmodulation als Äquivalent des Atemminutenvolumens,
QT: stimuliertes endokardiales QT-Intervall, PEA: mittels Piezoquarz
an der ventrikulären Sondenspitze aufgenommene „Peak
Endocardial Acceleration”, CLS: „Closed Loop Stimulation” (nutzt
lokale Impedanzänderungen, die kontraktionsabhängige Änderungen
des Kammervolumens im Umkreis der Sondenspitze wiederspiegeln).
|
Bis auf den Sinusknoten, dessen Frequenzaktivität
mittelbar im Vorhof abgegriffen werden kann, verfügt keiner
der genannten Sensoren über ein ideales Leistungsprofil (Tab
. [2).] Für
den isolierten AV-Block ist deshalb die Vorhofsteuerung eines DDD-
oder VDD-Schrittmachersystems die optimale Therapie. Sonst versuchen so
genannte „Zweisensor-Systeme” die Nachteile des
einen durch die Vorzüge des anderen Messprinzips auszugleichen.
Typisch ist die Kombination aus schnell reagierendem, aber unphysiologisch arbeitendem
Bewegungssensor und langsamer, aber lastproportionaler QT- oder
Atemminutenvolumen-Steuerung. Der Input beider Sensoren wird durch
Algorithmen so verknüpft, dass beide einander auf Plausibilität
prüfen („Sensor Cross Checking”) oder
in der Frequenzantwort beeinflussen können („Sensor
Blending”).
Programmier-Empfehlungen
Programmier-Empfehlungen
Die zunehmende Komplexität frequenzadaptiver Systeme
lässt die manuelle Einstellung von Sensor-Reaktionsschwellen,
Frequenzkennung, prinzipspezifischen Parametern und letztlich der Maximalfrequenz
zum aussichtslosen Unterfangen werden, zumal der in fast allen Systemen
integrierte Bewegungssensor am Fahrradergometer kaum reagiert und
für die Praxis nicht getestet werden kann. Lösungsansatz
ist eine Automatik, welche das System so optimiert, dass es in definierten
Zeiträumen (z. B. einmal täglich) die
Bandbreite zwischen unterer und oberer Grenzfrequenz ausnutzt und - sofern
das mit der aktuellen Einstellung nicht gelingt - die Kennung
anpasst. Das grob skizzierte Prinzip wird von Herstellerseite vielfach
verfeinert. In der Verantwortung des Arztes bleibt es zu entscheiden,
von welcher Herzfrequenz der Patient profitiert oder möglicherweise
Schaden nimmt. Das medizinische Problem ist also das Frequenzlimit.
Abb. 1 Spiroergometrie mit Aufzeichnung
der Herzfrequenz (HF), der Sauerstoffaufnahme (VO2) und
Kohlendioxidabgabe (VCO2). Links: Proband
ohne organische Herzkrankheit, bei dem die Sauerstoffaufnahme bis
zur Maximalbelastung mit der Frequenz korreliert. Rechts: Patient
mit DCM (Ejektionsfraktion 30 %) und VO2-Plateau
bei einer Herzfrequenz von 110/min (modifiziert nach [10]).
Beim symptomatischen Koronarkranken ist das die Anginaschwelle (s. „Der
konkrete Fall”). Klinisch weniger eindeutig zu entscheiden
ist dies beim Vorliegen einer myokardialen Relaxations- oder Compliancestörung,
die hohe Frequenzen mit Verkürzung der Diastolendauer nicht
verträgt. Bei endgradiger Pumpschwäche des Herzens
gilt es, die Chronotropie so einzustellen, dass entlang steiler
Frequenzkennung Leistungsreserven mobilisiert werden, bevor die
inverse Kraft-Frequenzkopplung [1]
[3] die Auswurfleistung einbrechen
lässt.
Generelle Empfehlung ist deshalb, bei organisch Herzkranken die Maximalfrequenz
des Schrittmachers bei 100-110/min zu begrenzen.
Im Einzelfall kann das individuelle Limit spiroergometrisch daran
erkannt werden, dass trotz Frequenzsteigerung die Sauerstoffaufnahme
nicht mehr zunimmt („Plateau”) oder gar abfällt
(Abb. [1]) [10]
. Nach Aktivierung der Frequenzadaptation
sollte der Patient darüber aufgeklärt werden,
dass es im Einzelfall bei unbeabsichtigt zu aggressiver Programmierung
zu subjektiv sehr störenden Palpitationen kommen kann,
die dann eine erneute Abstimmung des Schrittmachers erforderlich
machen.
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kurzgefasst: Nach den amerikanischen,
nicht jedoch nach den deutschen Leitlinien zur Schrittmachertherapie stellt
die symptomatische chronotrope Inkompetenz eine Klasse-I-Indikation
zur Schrittmacherbehandlung dar. Die Programmierung der Frequenzadaption
setzt neben der Kenntnis des jeweiligen Schrittmachersystems immer
auch die Kenntnis der individuellen kardialen Grunderkrankung voraus.
Bei bedeutsamer organischer Herzkrankheit sollte das Frequenzlimit
des Schrittmachers niedrig (100-110/min) gewählt
werden.
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