Laryngorhinootologie 2002; 81(8): 596-604
DOI: 10.1055/s-2002-33366
Historie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Diagnostik und Therapie der Kehlkopfkrankheiten in der Geschichte der Medizin. Teil III: Nach der Erfindung der indirekten Laryngoskopie

Diagnosis and Therapy of Diseases of the Larynx in the History of Medicine. Part III. After the Invention of LaryngoscopyH.  Feldmann1
  • 1HNO-Klinik, Universität Münster
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Publication History

Eingegangen: 10. Januar 2002

Angenommen: 14. Januar 2002

Publication Date:
21 August 2002 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund. Die Laryngologie ein eigenes Fach: Nachdem Garcia 1855 die indirekte Laryngoskopie erfunden und Türck und Czermak sie in die Klinik eingeführt hatten, entstanden in Österreich, Deutschland, England und Frankreich zahlreiche laryngologische Zentren.

Erste Eingriffe und Lösung technischer Probleme: Czermak hatte 1859 schon 20 klinische Fälle von Kehlkopferkrankungen untersucht und demonstriert, dass man unter laryngoskopischer Sicht Eingriffe wie Ätzungen vornehmen konnte. Der Chirurg von Bruns in Tübingen führte 1862 die erste erfolgreiche laryngoskopische Entfernung eines Kehlkopfpolypen aus. Es wurden verschiedene Techniken zur Aufrichtung der Epiglottis entwickelt, von denen die Phonation, bei der Laryngoskopie „hi” sagen zu lassen, und der 1879 von Reichert in Rostock angegebene Haken sich letztlich durchsetzten. Das größte Hindernis blieb für mehr als 20 Jahre die reflektorische Reizbarkeit der Kehlkopfschleimhaut.

Konservative endolaryngologische Behandlungsmethoden: Im Vordergrund stand die lokale Therapie mit Pinselungen, Einblasen von Puder oder Einspritzen von ätzenden Flüssigkeiten, später von milderen Substanzen wie Paraffin. Hinzu kamen etwa ab 1860 Inhalationen von Dämpfen.

Chirurgische endolaryngeale Eingriffe: Es wurden sehr früh zahlreiche Instrumente entwickelt wie Sichelmesser, Fasszangen, quetschende Zangen, Stanzen, Drahtschlingen sowie Geräte zur Anwendung des elektrischen Stromes. Dieser wurde sowohl monopolar als auch bipolar zur Elektrolyse, zur Koagulation und zur Reizstromtherapie eingesetzt.

Einführung der Oberflächenanästhesie: Die Oberflächenanästhesie mit Kokain wurde 1884 in Wien durch Koller in die Ophthalmologie und durch Jelinek in die Laryngologie eingeführt. Damit konnten alle laryngologischen Eingriffe wesentlich sicherer durchgeführt werden.

Die besondere Krankengeschichte: Die Krankengeschichte des deutschen Kaisers Friedrich III, der 1888 an einem Kehlkopfkrebs starb, wird kurz referiert, weil hierbei alle bis dahin entwickelten technischen Mittel eingesetzt wurden. An der Behandlung waren von deutscher Seite u. a. die Chirurgen von Bergmann und Bramann, die Laryngologen Gerhardt, Tobold und Schrötter (Wien), die Pathologen Virchow und Waldeyer beteiligt, ferner der englische Laryngologe Mackenzie. Das größte Problem war, präoperativ eine zuverlässige Diagnose zu gewinnen. Es entstand eine heftige kontroverse Diskussion darüber, wer für den verhängnisvollen Ausgang der Krankheit des Kaisers verantwortlich zu machen sei.

Zum Schluss. Es wird über einen Fall berichtet, bei dem der Chirurg von Bergmann glaubte, wegen einer anscheinend gesicherten Diagnose eines Kehlkopfkarzinoms eine Operation demonstrieren zu können, wie sie nach seiner Überzeugung bei dem Kaiser hätte ausgeführt werden sollen. Er hatte sich getäuscht: Es war eine Tuberkulose; der Patient starb 3 Stunden nach der Operation.

Abstract

Background. Laryngology a Discipline of its Own: When in 1855 Garcia had invented the indirect laryngoscopy and Türck and Czermak had introduced the method in clinical medicine numerous laryngological centres were founded in Austria, Germany, England, and France.

First Interventions and Solution of Technical Problems: In 1859 Czermak had already examined 20 patients with laryngeal diseases and demonstrated that it was possible to apply local treatment such as cautery under laryngoscopic view. The surgeon von Bruns in Tübingen (Germany) reported in 1862 on the successful removal of a polyp in the larynx. One common problem was the epiglottis preventing the view on the anterior part of the glottis. Czermak had suggested to make the epiglottis rise by intoning „hee”. Methods of holding the epiglottis with a suture or with a forceps were not successful. In 1879 Reichert in Rostock (Germany) presented his epiglottis retractor which is still in common use. The irritability of the laryngeal mucosa remained the major problem for the next 20 years.

Conservative Endolaryngeal Treatment: The dominant means were local applications with brushes, powder blowers or injections of caustic fluids. Starting at about 1860 there were also steam inhalations.

Surgical Endolaryngeal Interventions: In a very early stage numerous instruments were devised such as sickle knives, various forceps, polyp snares and instruments for applications of electric currents. These were used in a monopolar and a bipolar way to induce electrolysis, coagulation and stimulation.

Introduction of Surface Anaesthesia: In 1884 in Vienna the surface anaesthesia with cocaine was introduced by Koller in the ophthalmology and by Jelinek in the laryngology.

The Special Case History: The case history of the German emperor Frederick III, who died of laryngeal cancer in 1888, is briefly reported, because here all knowledge and technical facilities available at that time were brought into play. The treatment was guided by the German surgeons von Bergmann and Bramann, the laryngologists Gerhardt, Tobold and Schrötter (Vienna), the pathologists Virchow and Waldeyer, and the English laryngologist Mackenzie. The dominant problem was to have a safe diagnosis preoperatively. There was a passionate discussion about who was to blame for the fatal outcome of the emperor's disease.

Concluding. Another case history is reported when the surgeon von Bergmann believed he could demonstrate a successful operation on a patient with an apparently secure diagnosis of a laryngeal carcinoma the way it should have been done on the emperor. He was wrong: it turned out to be a tuberculosis and the patient died three hours after the operation.

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Prof. Dr. med. Harald Feldmann

Univ. HNO-Klinik

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