Einleitung
Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen und
weniger als 2 500 Gramm wiegen, gelten als frühgeboren. Heute werden
Kinder mit einem Gestationsalter von mehr als 23 Wochen und einem Gewicht von
mehr als 500 Gramm als lebensfähig betrachtet, vereinzelt überleben
Babys mit einem Geburtsgewicht unter 500 Gramm. In der BRD wird von einer
Prävalenzrate der Frühgeburten von 6 bis 8 %
ausgegangen (Auskunft des Statistischen Bundesamtes). Für die meisten
Eltern ist die Frühgeburt, die damit verbundene Trennung von dem Kind und
sein oft kritischer Gesundheitszustand ein Schock, sie „zeigen sich von
den Gefühlen überwältigt, reagieren impulsiv und desorganisiert,
haben Mühe, Informationen aufzunehmen, sich im Gespräch auf den
Gegenüber einzustellen, wirken abwesend und nicht ansprechbar”
[1]. Oft berichten Eltern Symptome einer traumatischen
Reaktion: in den ersten Tagen fühlen sie sich wie
„betäubt”, „erstarrt” oder „in einem
Film” - Zeichen der Schockphase, danach treten Selbstzweifel,
Gefühle des Ausgeliefertseins, Konzentrationsprobleme, Alpträume,
Erregungssymptome und zum Teil aggressive Impulse gegenüber Mitarbeitern
der Neugeborenenintensivstation auf - Merkmale der Einwirkungsphase. Oft
sind diese Beeinträchtigungen kurzlebig und mit Anpassungsproblemen auf
der Neugeborenenintensivstation verknüpft [2]
[3], doch vor allem Mütter sind häufig noch
längere Zeit emotional stark belastet. So brechen zum Beispiel bei vielen
Müttern noch 2 Jahre nach der Geburt intensive Gefühle bei der
Erinnerung an die erste Zeit durch und sie denken oft ungewollt an die
Frühgeburt [4].
Vielfach wird das psychische Geschehen bei Eltern nach einer
Frühgeburt als Trauma beschrieben [4 10],
jedoch meist im Rahmen von Stresskonzepten untersucht und diskutiert. Im
Hinblick auf Untersuchungsansätze, Diagnose und Interventionen ist es
sinnvoll, Stress- und Traumareaktion zu differenzieren.
Fragestellung
Die Studie prüft, ob die Traumatisierung von Eltern durch die
Frühgeburt ihres Kindes empirisch belegt werden kann und mögliche
Schutz- und Risikofaktoren im Hinblick auf die Traumatisierung identifizierbar
sind. Eine höhere Belastung durch das potentiell traumatisierende Ereignis
geht mit vermehrter Dissoziation einher [11], daher
wird vermehrtes dissoziatives Erleben in der Situation der Frühgeburt als
Risikofaktor betrachtet. Einen zweiten Risikofaktor stellen die medizinischen
Risiken des Kindes dar, da die Schwere der Erkrankung die psychosoziale
Belastung der Eltern wesentlich bestimmt und fortgesetzte Komplikationen
polytraumatiserend wirken können [11]. Die
Unterstützung durch den Partner beeinflusst die Bewältigung der
Frühgeburt maßgeblich [2]
[12 14] und gilt generell als protektiver Faktor,
der die Verarbeitung traumatischer Information positiv beeinflussen kann
[11]. Es werden folgende Hypothesen geprüft:
-
Die Frühgeburt des Kindes hat bei einem bedeutenden Anteil
der Eltern eine traumatisierende Wirkung.
-
Je mehr dissoziative Erlebnisweisen Eltern in der Situation der
Frühgeburt erleben, desto stärker ist die traumatische Einwirkung der
Frühgeburt.
-
Je größer die medizinischen Risiken des Kindes sind,
desto höher ist die traumatische Einwirkung der Frühgeburt, im
einzelnen lässt sich ableiten: a) je geringer das Gestationsalter, b) je
geringer das Geburtsgewicht, c) je länger die Aufenthaltsdauer des Kindes
auf der Intensivstation, d) je länger die Liegezeit des Kindes im
Inkubator ist, e) je mehr Komplikationen im Verlauf des Klinikaufenthaltes
auftreten und f) je mehr mit der Frühgeburt in Zusammenhang stehende
Krankheitsbilder während des Klinikaufenthaltes oder nach der Entlassung
des Kindes aufgetreten sind, desto stärker ist die traumatische Einwirkung
der Frühgeburt.
-
Je höher die Qualität der Partnerbeziehung ist, desto
geringer ist die traumatische Einwirkung der Frühgeburt.
Methode
Untersuchungsteilnehmer
Es wurde ein Selbsthilfeforum Eltern Frühgeborener im
Internet kontaktiert. Die offene e-Mail-Liste dient dem Erfahrungs- und
Informationsaustausch sowie der emotionalen Unterstützung. Von September
2000 bis März 2001 wurden Aufrufe zur Studienteilnahme
veröffentlicht, ebenso im Dezember 2000 im Rundbrief des Vereins
Gestose-Frauen (Gestosen führen oft zu Frühgeburten). Interessierte
Eltern meldeten sich per e-mail und erhielten den Fragebogen. Zudem wurden
Eltern Frühgeborener aus einer Pilotstudie [13]
kontaktiert. Insgesamt kamen 85 verwertbare Fragebögen zurück.
Erhebungsinstrumente
-
-
Im Fragebogen wurden folgende Variablengruppen
erhoben:
-
Elternbezogene Variablen: Geschlecht, Alter,
Nationalität, Beruf, Partnerschaftsdauer und -zufriedenheit
-
Kindbezogene Variablen (Bei Zwillingskindern wurden diese
für jedes Kind separat erfragt): Einling/Zwillingskind, Geschlecht,
aktuelles Alter, Geburtsdatum und -gewicht, Gestationsalter, Verweildauer
auf der Intensivstation, Beatmungsdauer, Liegezeit im Inkubator, Komplikationen
während des Klinikaufenthaltes (Dies umfasst schwerwiegende Komplikationen
wie z. B. Reanimation, Bluttransfusion, Operationen etc.), im
Zusammenhang mit der Frühgeburt aufgetretene Krankheitsbilder
(während des/nach dem Klinikaufenthalt)
-
Klinikbezogene Variablen: Beteiligung der Eltern
(Känguruhing, Pflege, Besuchszeiten), Umgang der Ärzte und Schwestern
mit den Eltern
-
Unterstützungswünsche der Eltern nach der
Frühgeburt
-
Dissoziatives Erleben in der Situation der
Frühgeburt: Peritraumatic Dissociative Experience Questionnaire PDEQ
[15] (Ich danke Herrn Prof. Dr. Fischer für die
großzügige Überlassung der aufgeführten Instrumente)
-
Einwirkung der Frühgeburt als traumatisches Ereignis
einen Monat nach der Geburt/ ein Jahr nach der Geburt/zum aktuellen Zeitpunkt:
Impact of Event Scale IES [15]
Datenanalyse
Die Stichprobe besteht aus 65 Müttern und 13 Vätern, in
die Auswertung gingen keine Fragebögen ein, die sich auf dasselbe Kind
bezogen. Von den 78 Untersuchungseinheiten beziehen sich 11 auf
Zwillingskinder.
Die Impact of Event Scale gibt Cutoff-Werte für das Vorliegen
eines klinisch signifikanten Traumas vor. Zur Prüfung der traumatischen
Einwirkung der Frühgeburt wurden die Summenwerte auf Individuenebene und
der prozentuale Anteil des Vorliegens eines Traumas in der Stichprobe
ermittelt. Zur Ermittlung der Differenzen zwischen der traumatischen Einwirkung
bei Müttern und Vätern wurde der U-Test von Mann-Whitney
durchgeführt.
Die Zusammenhänge zwischen den Schutz- und Risikofaktoren
einerseits und der traumatischen Einwirkung der Frühgeburt bei Eltern
andererseits wurden mit 1-seitigen Korrelationen nach Pearson geprüft.
Ergebnisse
Deskriptive Statistik
Elternbezogene Variablen
Das mittlere Alter der Versuchspersonen betrug 34 Jahre (24
- 47 Jahre, SD 4,27). 74 Versuchspersonen (94.9 %) lebten
in fester Partnerschaft mit dem Vater/der Mutter des Kindes, 3 waren
alleinstehend (3.8 %), einmal wurden keine Angaben gemacht. Im
Mittel betrug die Partnerschaftsdauer 10.2 Jahre (N = 71,
1 - 24 Jahre, SD 5.39). Die Partnerschaftszufriedenheit lag im Mittel bei
4.74 einer 6-stufigen Rating-Skala von „1 = sehr
unglücklich” bis „6 = sehr
glücklich” (N = 70,
SD = 1.09).
Kindbezogene Variablen
Von den Einlingen bzw. älteren Zwillingen waren 35 weiblich
(44.9 %), 41 männlich (52.5 %), 2-mal fehlten
die Angaben. 3 der jüngeren Zwillingskinder waren weiblich
(27.3 %), 6 männlich (54.5 %), 2-mal fehlten
die Angaben. Das aktuelle Alter der Kinder verteilte sich wie folgt: 15
Säuglinge (0 bis 12 Monate), 32 Kleinkinder (13 bis 36 Monate), 19
Vorschulkinder (37 bis 72 Monate) und 11 Schulkinder (> 72 Monate).
Tab. [1] enthält die Angaben zu Alter,
Geburtsgewicht, Gestationsalter, Dauer des Intensivstationaufenthaltes,
Beatmungsdauer, Liegezeit im Inkubator sowie Anzahl der Komplikationen
während des Klinikaufenthaltes.
Tab. 1: Kindbezogene
Variablen
| Einling/älterer Zwilling | jüngerer Zwilling |
Variable | N | Min | Max | MW | SD | N | Min | Max | MW | SD |
Alter in Monaten | 77 | 4 | 180 | 41.52 | 40.61 | 11 | 4 | 165 | 51.45 | 60.03 |
Geburtsgewicht (Gramm) | 77 | 380 | 2460 | 1203.69 | 486.77 | 11 | 635 | 1800 | 1150.00 | 351.73 |
Gestationsalter (Wochen) | 77 | 22 | 36 | 29.09 | 3.20 | 11 | 26 | 33 | 29.00 | 2.45 |
Intensivstation (Tage) | 75 | 0 | 296 | 55.03 | 46.76 | 10 | 0 | 125 | 50.50 | 32.32 |
Beatmungsdauer (Tage) | 74 | 0 | 225 | 17.45 | 30.51 | 8 | 0 | 120 | 25.50 | 40.56 |
Liegezeit Inkubator (Tage) | 70 | 3 | 150 | 40.04 | 28.16 | 10 | 11 | 120 | 41.40 | 30.65 |
Komplikationen (Anzahl) | 74 | 0 | 8 | 2.46 | 2.26 | 4 | 0 | 5 | 2 | 2.16 |
Min = Minimum,
Max = Maximum, MW = Mittelwert,
SD = Standardabweichung
Keine Komplikationen während des Klinikaufenthaltes traten
bei 20 Einlingen/älteren Zwillingen (25.6 %) und einem
jüngeren Zwilling (9.1 %) auf, eine bis 2 Komplikationen bei
25 Einlingen/ älteren Zwillingen (32.1 %) und 2
jüngeren Zwillingen (18.2 %), 3 bis 5 Komplikationen bei 19
Einlingen/älteren Zwillingen (24.4 %) und einem
jüngeren Zwilling (9.1 %), 6 bis 8 Komplikationen bei 10
Einlingen/älteren Zwillingen (12.8 %) und keinem
jüngeren Zwilling. Von 4 Einlingen/älteren Zwillingen
(5.1 %) und 7 jüngeren Zwillingen (63.6 %)
fehlten die Angaben. Tab. [2] zeigt die
Häufigkeiten und Prozentverteilung der bei den Kindern während der
Klinikzeit und nach der Entlassung aufgetretenen Krankheitsbilder.
Tab. 2: Aufgetretene
Krankheitsbilder: Häufigkeiten (Prozente in
Klammern)
| Einling/älterer Zwilling
(N = 78) | jüngerer Zwilling (N = 11) |
Krankheitsbilder | Ja | Nein | fehlend | Ja | Nein | fehlend |
Zentrales Nervensystem | 6 (7.7) | 52 (89.7) | 20 (25.6) | 1 (9.1) | 9 (81.8) | 1 (9.1) |
Cerebralparese | 5 (6.4) | 55 (70.5) | 18 (23.1) | 2 (18.2) | 8 (72.7) | 1 (9.1) |
Hydrocephalus | 3 (3.8) | 56 (71.8) | 19 (24.4) | 1 (9.1) | 8 (72.7) | 2 (18.2) |
Hirnblutung | 1 (1.3) | 42 (53.8) | 12 (15.4) | 5 (45.4) | 5 (45.4) | 1 (9.1) |
Krampfanfälle | 8 (10.3) | 48 (61.5) | 22 (28.2) | 2 (18.2) | 8 (72.7) | 1 (9.1) |
Atemnotsyndrom | 28 (35.9) | 35 (44.9) | 15 (19.2) | 5 (45.4) | 4 (36.4) | 2 (18.2) |
Bronchopulmonale Dysplasie | 14 (19.2) | 40 (51.3) | 23 (29.5) | 1 (9.1) | 9 (81.8) | 1 (9.1) |
Sehbehinderungen | 14 (17.9) | 45 (57.7) | 19 (24.4) | 4 (36.4) | 6 (54.5) | 1 (9.1) |
Hörbehinderungen | 2 (2.6) | 57 (73.1) | 18 (24.4) | 1 (9.1) | 9 (81.8) | 1 (9.1) |
Probleme mit Nahrungsaufnahme | 30 (38.5) | 30 (38.5) | 18 (23.1) | 4 (36.4) | 6 (54.5) | 1 (9.1) |
Probleme mit Verdauung | 28 (35.9) | 47 (60.3) | 3 (3.8) | 3 (27.3) | 7 (63.6) | 1 (9.1) |
Diabetes | 1 (1.3) | 73 (93.6) | 4 (5.1) | 0 | 10 (90.9) | 1 (9.1) |
Herzfehler | 13 (16.7) | 62 (79.5) | 3 (3.8) | 3 (27.3) | 7 (63.6) | 1 (9.1) |
Motorische Probleme | 36 (46.2) | 32 (41.0) | 10 (12.8) | 4 (36.4) | 6 (54.5) | 1 (9.1) |
Chronische Infektneigung | 15 (19.2) | 56 (71.8) | 7 (9.0) | 4 (36.4) | 3 (27.3) | 4 (36.4) |
Entwicklungsverzögerungen | 35 (44.9) | 33 (42.3) | 10 (12.8) | 6 (54.6) | 4 (36.4) | 1 (9.1) |
Verhaltensauffälligkeiten | 14 (17.9) | 53 (67.9) | 11 (14.1) | 4 (36.4) | 6 (54.6) | 1 (9.1) |
Klinikbezogene Variablen
75.6 % der Eltern hatten die Möglichkeit zum
Känguruhing, 66.7 % konnten ihr Kind jederzeit besuchen.
93.6 % der Eltern gaben an, dass sie an der Pflege ihres Kindes
beteiligt wurden. Die Bewertung des Umgangs der ÄrztInnen und Schwestern
mit den Eltern wurde nach einer 6-stufigen Ratingskala analog den Schulnoten
(sehr gut, gut, befriedigend, ausreichend, mangelhaft, ungenügend)
kategorisiert. Der Umgang der ÄrztInnen mit den Eltern lag im Mittel bei
2.56 (N = 72, Minimum 1, Maximum 5,
SD = 2.56) und der Umgang der Schwestern mit den Eltern
bei 2.21 (N = 72, Minimum 1, Maximum 5,
SD = 2.21).
Unterstützung der Eltern
Bezüglich der gewünschten Unterstützung machten
48 Eltern (43 Mütter, 5 Väter) Angaben, teilweise fanden sich mehrere
Vorschläge. Am häufigsten wurde psychologische Betreuung (22
Nennungen) gewünscht, gefolgt von der Unterstützung durch eine
Elterngruppe bzw. ein Peersystem (16 Nennungen), weiteren Informationen zum
Themenkreis Frühgeburt (10 Nennungen), der Schaffung eines Elternraums
für Gespräche und als Ruheraum (5 Nennungen), Stillberatung,
weitergehender Unterstützung durch Ärzte, Empathie in der Situation
(je 4 Nennungen), Unterstützung bei der psychischen Verarbeitung,
Unterstützung durch eine pädagogische Beratung und eine/n
Seelsorger/in (je 3 Nennungen), Vorbereitung auf zu Hause, Unterstützung
durch Hebammen und Nachsorge (je 2 Nennungen). 4 Mütter machten weitere
Angaben (spätere psychologische Betreuung der Kinder, partnerschaftlicher
Umgang mit den Eltern auf der Station, Therapie für die Eltern, Trennung
von Eltern reifgeborener Kinder auf der Entbindungsstation).
Einwirkung der Frühgeburt als traumatisches Ereignis zu
den Messzeitpunkten
76.9 % der Mütter liegen einen Monat nach der
Geburt über dem Cutoff-Wert für ein klinisch signifikantes Trauma
(53.8 % Trauma, 23.1 % schweres Trauma), ein Jahr
nach der Geburt sind es 49.0 % (38.2 % Trauma,
10.8 % schweres Trauma). Von den Müttern, bei denen die
Geburt mehr als 2 Jahre zurück liegt, liegen zum aktuellen Zeitpunkt
17.2 % über dem Cutoff-Wert (14.3 % Trauma,
2.9 % schweres Trauma). 23.1 % der Väter
liegen einen Monat (15.4 % Trauma, 7.7 % schweres
Trauma) und ein Jahr nach der Geburt (7.7 % Trauma,
15.4 % schweres Trauma) über dem Cutoff-Wert für ein
klinisch signifikantes Trauma. Von den Vätern, bei denen die Geburt mehr 2
Jahre zurücklag, liegt zum aktuellen Zeitpunkt einer über dem
Cutoff-Wert für ein klinisch signifikantes Trauma
(12.5 %).
Mütter versus Väter
Mütter und Väter wurden hinsichtlich der dissoziativen
Erlebnisweisen in der Situation der Frühgeburt sowie der traumatischen
Einwirkung der Frühgeburt zu den 3 Zeitpunkten (einen Monat, ein Jahr,
mehr als 2 Jahre nach Geburt) mit dem U-Test von Mann-Whitney verglichen.
Mütter geben ein hoch signifikant höheres Ausmaß dissoziativen
Erlebens (Z = -3.03**), eine hoch signifikant
höhere traumatische Einwirkung einen Monat nach Geburt
(Z = -2.80**) und eine signifikant höhere
traumatische Einwirkung ein Jahr nach Geburt
(Z = -1.97*) als Väter an. Mehr als 2 Jahre nach
der Geburt finden sich keine Unterschiede (Z = -.88).
Bivariate Zusammenhänge
Das Ausmaß der dissoziativen Erlebnisweisen in der Situation
der Frühgeburt korreliert bei Müttern positiv mit der traumatischen
Einwirkung der Frühgeburt zu allen Zeitpunkten (einen Monat nach Geburt:
N = 63, r = 35**; ein Jahr
nach Geburt: N = 55, r = .30*,
mehr als zwei Jahre nach Geburt: N = 35,
r = 34*), bei Vätern einen Monat nach der Geburt
(N = 13, r = .50*).
Bezüglich des Zusammenhangs zwischen medizinischen Risiken
des Kindes und der traumatischen Einwirkung ließen sich aufgrund der
geringen Beteiligung von Vätern nur die Daten der Mütter statistisch
auswerten. Zum Zeitpunkt einen Monat nach der Geburt gehen ein geringeres
Gestationsalter und Geburtsgewicht sowie ein längerer Aufenthalt auf der
Neugeborenenintensivstation, eine längere Liegezeit im Inkubator und mehr
im Zusammenhang mit der Frühgeburt aufgetretene Krankheitsbilder mit einer
stärkeren traumatischen Einwirkung der Frühgeburt einher. Zum
Zeitpunkt ein Jahr nach der Geburt findet sich ein Zusammenhang zwischen
niedrigerem Gestationsalter, längerem Aufenthalt auf der
Neugeborenenintensivstation sowie mehr Komplikationen während des
Klinikaufenthaltes und einer stärkeren traumatischen Einwirkung der
Frühgeburt. Zum Zeitpunkt mehr als 2 Jahre nach der Geburt korreliert
einzig die Anzahl der im Zusammenhang mit der Frühgeburt aufgetretenen
Krankheitsbilder positiv mit der Stärke der traumatischen Einwirkung der
Frühgeburt. Eine Zusammenstellung der Korrelationen zeigt Tab. [3].
Tab. 3: Medizinische Risiken
des Kindes und traumatische Einwirkung bei
Müttern
| Traumatische
Einwirkung der Frühgeburt |
Medizinische Risiken des Kindes | 1 Monat nach Geburt
(N≥57) | 1 Jahr nach Geburt
(N≥47) | > 2 Jahre nach Geburt
(N≥34) |
Gestationsalter | 0.31** | 0.26* | 0.14 |
Geburtsgewicht | 0.30** | 0.19 | 0.00 |
Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation | 0.31** | 0.28* | 0.14 |
Liegezeit
im Inkubator | 0.29* | 0.19 | 0.05 |
Komplikationen während des Klinikaufenthaltes | 0.14
| 0.30* | 0.17 |
In
Zusammenhang mit der Frühgeburt stehende Krankheitsbilder
während/nach Klinikaufenthalt | 0.27* | 0.21 | 0.34* |
*. Die Korrelation nach Pearson ist auf dem Niveau von 0.05
(1-seitig) signifikant.
**. Die Korrelation nach Pearson ist auf dem Niveau von
0.01 (1-seitig) signifikant.
Die Qualität der Partnerbeziehung korreliert nicht mit der
traumatischen Einwirkung der Frühgeburt zu späteren Zeitpunkten.
Post-hoc wurde der Zusammenhnag zwischen der mütterlichen
Einschätzung des Umgangs der ÄrztInnen/Schwestern mit ihnen und der
traumatischen Einwirkung der Frühgeburt erhoben: bezüglich des
Umgangs der ÄrztInnen mit den Eltern zeigen sich hoch signifikante bzw.
signifikant negative Zusammenhänge einen Monat
(N = 63, r = .32**) und ein
Jahr nach der Geburt (N = 53,
r = .23*): je schlechter der Umgang eingeschätzt
wird, desto höher ist die traumatische Einwirkung. Die Einschätzung
des Umgangs der Schwestern mit ihnen korreliert signifikant negativ mit der
traumatischen Einwirkung der Frühgeburt ein Jahr
(N = 53, r = .28*) und mehr als 2
Jahre nach der Geburt (N = 33,
r = .39*).
Diskussion
Die Studie zeigt, dass die Frühgeburt des Kindes
traumatisierend für Eltern und vor allem für Mütter wirken kann.
Hier betrifft dies im ersten Monat mehr als 3 Viertel der Mütter und fast
ein Viertel der Väter und ein Jahr nach der Geburt noch beinahe die
Hälfte der Mütter und ein Viertel der Väter. Selbst mehr als 2
Jahre nach der Geburt zeigen mehr als ein Sechstel der Mütter und ein
Zehntel der Väter eine Traumatisierung durch die Frühgeburt. Im
Hinblick auf Interventionen lassen sich Rückschlüsse ziehen. Ein an
der Traumatisierung orientiertes Interventionskonzept hat vermutlich
größere Wirkung als auf dem Stresskonzept basierende
Interventionen.
Die Ergebnisse lassen auf Risikofaktoren schließen, wenn auch
aufgrund der geringen Beteiligung von Vätern nur die auf Mütter
bezogenen Ergebnisse als statistisch abgesichert gelten können. Bei
Müttern gehen starke dissoziative Erlebnisweisen in der Situation der
Frühgeburt mit einer stärkeren traumatischen Einwirkung zu allen
Zeitpunkten einher, bei Vätern nur im ersten Monat nach der Geburt. Auch
wenn dieses Ergebnis auf einer sehr kleinen Anzahl von Vätern beruht und
Mütter ein höheres Ausmaß an Dissoziationen angeben, finden
sich in der Praxis - vor allem bei unerwarteten Frühgeburten -
häufig Indizien für dissoziatives Erleben bei Vätern. Sie
berichten, dass sie in der Situation (Warten vor dem Operationssaal in der
Ungewißheit, ob Frau und Kind überleben) Empfindungen hatten wie
„als wären sie in einem Film” oder „als wäre
alles gar nicht wahr”. Dissoziatives Erleben sollte abgefragt und
geklärt werden, allein die Erklärung dieser Phänomene hat einen
stabilisierenden und entlastenden Effekt bei Eltern.
Je geringer das Gestationsalter und das Geburtsgewicht des Kindes
sind, desto stärker ist bei Müttern die traumatische Wirkung der
Frühgeburt im ersten Monat und ein Jahr nach der Geburt. Das
Gestationsalter steht nicht nur für das medizinische Risiko des Kindes,
sondern auch dafür, wie viele Wochen der Schwangerschaft die Mutter
verloren hat. Die Frühgeburt erfordert eine starke kognitive und
emotionale Umstellung, anzunehmen ist, dass sowohl das mütterliche Konzept
vom Kind als auch das Selbstbild der Mutter noch weniger differenziert und
konkret sind als bei einer Termingeburt [16]. Die
Stärkung des elterlichen Selbstbildes sollte Inhalt der Intervention sein.
Auch haben Mütter häufig Schuldgefühle in Bezug auf die
Frühgeburt [14]
[16].
Die Schuld am Tod oder an schwerer Schädigung anderer gehört zu den
Faktoren, die jeder für sich oder im Zusammenwirken wahrscheinlich
traumatisierend wirken [17]. Eventuelle
Schuldgefühle sollten abgefragt und bearbeitet werden.
Je länger die Aufenthaltsdauer des Kindes auf der
Intensivstation ist und das Kind im Inkubator liegt, desto stärker ist die
traumatische Einwirkung der Frühgeburt bei Müttern im ersten Monat
und ein Jahr nach der Geburt, bei den Vätern zeigt sich dieser
Zusammenhang mehr als 2 Jahre nach der Geburt. Auch diese Variablen bilden mehr
ab als medizinische Probleme: während der Intensivbehandlung des Kindes
ist der Kontakt der Eltern zu ihm eingeschränkt und von der
Stabilität des Kindes und den Regeln der Intensivstation bestimmt. Dies
reduziert die elterliche Handlungsfähigkeit und verstärkt das
Gefühl, hilflos zu sein und das Kind nicht schützen zu können,
was stark traumatogen wirken kann [1]. In der
Intervention sollten Möglichkeiten zum Kontakt aufgezeigt und
gestützt sowie Hilflosigkeitsgefühle bearbeitet werden.
Komplikationen, die im Verlauf des Klinikaufenthaltes des Kindes
auftreten, sowie während der Klinikzeit und nach der Entlassung
aufgetretene Krankheitsbilder gehen mit einer stärkeren traumatischen
Wirkung der Frühgeburt ein Jahr und mehr als zwei Jahre nach der Geburt
bei Müttern einher. Dies korrespondiert mit Annahmen, wonach eine
Häufung traumatischer Ereignisse zu einer kumulativen Traumatisierung
führen kann [11]. Eltern, die sich gerade von
dem initialen Schock der Frühgeburt erholen, werden bei weiteren
Komplikationen erneut mit potentiell traumatisierenden Ereignissen
konfrontiert. Dies stört die Erholungsphase und verstärkt die
traumatische Einwirkung der gesamten Erfahrung. Im Hinblick auf Interventionen
bedeutet dies, die kumulative Traumatisierung zu beachten und das traumatische
Material zu differenzieren. Eine negativere mütterliche Einschätzung
des Umgangs der ÄrztInnen und Schwestern mit ihnen geht ebenfalls mit
einer stärkeren traumatischen Wirkung der Frühgeburt einher. Hier
bestätigt sich, dass Eltern starken Kommunikationsbedarf gegenüber
den StationsmitarbeiterInnen haben und gleichzeitig sehr sensibel auf
Störungen in der Kommunikation reagieren [3]. Im
Setting Neugeborenenintensivstation kann es unbeabsichtigt zu einer
Verstärkung der Traumatisierung durch StationsmitarbeiterInnen kommen. So
gibt es in Notfallsituationen oft nicht die Möglichkeit, auf die
psychische Situation der Eltern einzugehen. Hinzu kommt die Diskrepanz im
Erleben: was für StationsmitarbeiterInnen alltäglich ist, kann
für Eltern ein verstörendes und die traumatische Wirkung
verstärkendes Ereignis sein. Erwartungswidrig zeigt sich keine protektive
Wirkung der Zufriedenheit mit der Partnerschaft.
Die von Eltern am häufigsten gewünschte Unterstützung
bezieht sich auf psychologische Unterstützung, Elterngruppen bzw.
Peersysteme und Informationsvermittlung. Viele Eltern schätzen sich in der
Situation als unterstützungsbedürftig ein.
Die Aussage hinsichtlich der Prävalenz der traumatischen
Wirkung bleibt ungeklärt. Die Repräsentativität der Ergebnisse
ist nicht gegeben: Studien, die auf Internet-Stichproben zurückgreifen,
unterliegen starker Kritik, wie z. B. der, dass sie zu
nicht-probabilistischen Gelegenheitsstichproben führen
[18]. In dem Selbsthilfeforum beteiligen sich
allerdings Eltern verschiedenster sozialer Hintergründe, was sich an der
schriftlichen Artikulation, dem schichtspezifischen Sprachcode und privaten
Informationen in Beiträgen zeigt. Zudem sind im Gegensatz zu der Annahme,
dass deutlich weniger Frauen als Männer das Internet nutzen
[19], Frauen in dem Forum
überrepräsentiert, auch nahmen wesentlich mehr Mütter als
Väter an der Erhebung teil. Dies findet sich generell in Studien mit
Eltern Frühgeborener. Auch nahmen nicht nur sehr junge Eltern teil.
Insgesamt erscheint die Repräsentativität der Studie hinsichtlich des
Aspektes der Internetnutzung als nicht ausschlaggebend eingeschränkt. Der
wesentliche Selektionseffekt liegt darin, dass die Teilnahme an einem
Selbsthilfeforum mit der Suche nach Unterstützung bei Behinderung,
chronischen Erkrankungen und psychosozialen Problemen einhergeht
[19] und davon auszugehen ist, dass in einem
Selbsthilfeforum in erster Linie Eltern vertreten sind, die auf der kind-
und/oder elternbezogenen Ebene Probleme mit der Frühgeburt haben. Dies
bestätigt sich im Vergleich der kindbezogenen Variablen mit den Daten der
Neonatalerhebung Hessen 2000 (Quelle: Geschäftsstelle für
Qualitätssicherung Hessen)[1]: die Stichprobe
beinhaltet mehr Kinder mit niedrigem Gestationsalter und Geburtsgewicht sowie
- betrachtet man die Dauer der maschinellen Beatmung als Indikator
- deutlich kränkere Kinder. Hingegen ist die Geschlechtsverteilung
vergleichbar und die Spannbreite bei Frühgeburten gut abgebildet: die
Daten beziehen sich auf Kinder von der 22. bis zur 36. Schwangerschaftswoche
mit einem Geburtsgewicht von 380 bis 2.460 Gramm, es sind gesunde (z. B.
kein Aufenthalt auf der Intensivstation, keine Beatmung) als auch schwer kranke
Kinder (z. B. Aufenthalt auf der Intensivstation 296 Tage,
Beatmungsdauer 225 Tage).
Abschließend kann festgehalten werden, dass trotz der
Einschränkungen hinsichtlich der Repräsentativität und der
Prävalenz einer traumatischen Wirkung der Frühgeburt bei Eltern die
zentralen Annahmen Bestätigung fanden. Insgesamt bestätigen die
Ergebnisse die potentiell traumatisierende Wirkung der Frühgeburt und
machen Risikofaktoren sowie den Unterstützungsbedarf der Eltern deutlich.
Im Sinne sekundärer Prävention ist ein bedarfsorientiertes Angebot
von Krisenintervention auf Neugeborenenintensivstationen anzustreben.