Einführung
Einführung
Jährlich erkranken in der BRD etwa 46 000 Frauen an
Brustkrebs. Allein in Deutschland sterben pro Jahr 19 000 Frauen an dieser
Erkrankung. Etwa alle 3 Minuten wird die Diagnose Brustkrebs gestellt, und jede
8. Minute verstirbt eine Patientin. Diese Verhältnisse haben mittlerweile
dazu geführt, Öffentlichkeit und Gesundheitswesen zu alarmieren.
Grundsätzliche Fragen werden gestellt nach besserer Prophylaxe bei
Brustkrebs und entsprechender medizinischer Behandlung. Die Psychosomatik
beschäftigt sich schon seit ca. 1952 mit dem Zusammenhang zwischen
psychischen Einflussgrößen und Krebserkrankung [1]. Daraus entstanden Konzepte und
Forschungsansätze, die schrittweise in die Disziplin einer
„Psychosozialen Onkologie” mündeten. Im Mittelpunkt stand
die Frage, inwieweit psychosoziale Faktoren (Rechtsansprüche im Rahmen von
Versorgungseinrichtungen, Gründen und Erhalten familiärer und soziale
Netzwerke, medizinische und psychische Rehabilitation etc.) geeignet sind, den
Heilungsprozess positiv zu beeinflussen, die Überlebenszeit zu
verlängern und die Lebensqualität der Erkrankten zu verbessern.
Eine zweite Fragerichtung galt den innerseelischen und
persönlichkeitstypischen Bewältungsmöglichkeiten. Hierzu liegen
vielfältige, einander jedoch oft widersprechende Ergebnisse vor.
Methodisch ausreichend angelegte Studien, die beispielsweise eine Kombination
von quantitativen und qualitativen Verfahren verwenden, stimmen jedoch darin
überein, dass bestimmte Bewältigungs-Fertigkeiten, wie
„fighting spirit” oder die Möglichkeit des Affektausdrucks
einen Zusammenhang mit den Kriteriumsvariablen „längere
Überlebenszeit” und „höhere Lebensqualität”
aufweisen [2].
Begriffsbestimmung Psychoonkologie/Psychotraumatologische
Onkologie
Begriffsbestimmung Psychoonkologie/Psychotraumatologische
Onkologie
Weitgehend ungeklärt blieben bis heute das Berufsprofil eines
„Psychoonkologen” und die Frage seiner beruflichen Qualifikation.
Dagegen gibt es einen wissenschaftlichen Diskurs über Gegenstandsbereich
und Arbeitsfeld der Psychoonkologie.
Nach v. Kerekjarto (S. 97 - 98)[3] bedeutet Psychoonkologie die begriffliche
Zusammenfassung von Aktivitäten auf einem Feld, in dem Krebskranke mit und
in ihrer Umgebung in ihrer krankheitsspezifischen Problematik Hilfe
erfahren.
Ein wesentliches Element in der Psychoonkologie ist das
interdisziplinäre Engagement, das sich auf psychosomatische,
somatopsychische und psychosoziale Aspekte des onkologisch erkrankten Menschen
bezieht.
Nach Kappauf [4]umfasst dieses
interdisziplinäre Arbeitsgebiet:
-
soziale und psychische Faktoren sowie Verhaltensmuster, welche
die Krebsmorbidität und -Mortalität beeinflussen (psychosomatische
Aspekte)
-
direkte Auswirkungen der Krebserkrankung oder -therapie auf
Psyche und Hirnleistung (somatopsychische Aspekte)
-
psychische Auseinandersetzung der Patienten, ihrer
Angehörigen und der medizinischen Betreuer mit der Krebserkrankung in
ihren verschiedenen Stadien (psychosoziale Aspekte).
Auch die Definition von Psychoonkologie durch Holland und Rowland im
„Handbook of Psychooncology” [5]
bezeichnet als Schwerpunkt die emotionalen Krankheitsreaktionen der Patienten,
Angehörigen und Behandler in allen Erkrankungsphasen sowie die Frage nach
psychischen und sozialen Faktoren und deren Einfluss auf Krebsmorbidität
und -mortalität. Tschuschke beschreibt Psychoonkologie als ein
„heterogenes wissenschaftliches Terrain, auf dem versucht wird, hoch
komplexe Vorgänge im menschlichen Organismus zu beschreiben, um sie
für die Behandlung an Krebs erkrankter Menschen zu nutzen”
[6] (S.225).
Trotz der vielfältigen Versuche, den Gegenstandsbereich der
Psychoonkologie zu definieren, existiert bis heute leider weder eine anerkannte
Berufs- oder Zusatzbezeichnung, noch aber eine Aus- oder Weiterbildung, die
- nach geregelten Qualitätsstandards und damit verbundener
Qualitätssicherung - jemanden dazu befähigt, sich „guten
Gewissens” Psychoonkologe zu nennen. So wird der
„Psychoonkologe” in Deutschland zur Zeit noch allein durch den
Inhalt seiner Tätigkeit definiert, die darin besteht, irgendwie geartete
psychische Elemente in die Arbeit mit onkologischen Patienten einzubringen.
Grob gesagt, liegt eine wissenschaftliche und juristische
„Grauzone” vor, die um so problematischer erscheint, je mehr
Betroffene vorhanden sind und - damit verbunden - je stärker
die Nachfrage nach fachgerechter und qualitätsgesicherter psychologischer
bzw. psychotherapeutischer Arbeit sich entwickelt.
Wenn wir - ausgehend von der Definition von Psychologie als
Lehre vom Erleben und Verhalten des Menschen -
diese Begrifflichkeit auf den Gegenstandsbereich der Onkologie übertragen,
liegt es nahe, Psychoonkologie als Lehre vom Erleben und Verhalten des
onkologisch erkrankten Patienten zu umschreiben. Was erlebt und wie
verhält sich ein Mensch, der an Krebs erkrankt ist, die entsprechende
Diagnose erhält, der die medizinischen - sehr aggressiven -
Maßnahmen (oft widerwillig) über sich ergehen lässt und der,
wie aus heiterem Himmel, sich gezwungen sieht, sich mit seinem hypothetischen
oder gar real nah bevorstehenden Tod auseinander zu setzen? „Psychotraumatologie” als Lehre von seelischen
Verletzungen, ihren Ursachen und Folgen, ihrer Prävention, Rehabilitation
und ihren therapeutischen Möglichkeiten bildet insofern eine
Ergänzung zur traditionellen Psychoonkologie, als im Verlauf einer
Krebserkrankung zahlreiche potentiell traumatische Situationsfaktoren
auftreten, wie sie auch sonst bei akut oder chronisch verlaufenden
lebensbedrohlichen Krankheiten zu beobachten sind sowie bei Störungen, die
eine dauerhafte Behinderungen oder Entstellung erwarten lassen
[7] (S. 326).
Blake-Mortimer et al. [8] beschreiben
bereits die Diagnosemitteilung einer lebensbedrohlichen Erkrankung als
potentielles Desaster für Betroffene und Angehörige.
Übereinstimmend mit der Mehrzahl der Veröffentlichungen
auf diesem Gebiet wollen wir die psychischen Beschwerden und Symptome im
folgenden nach den Phasen der Behandlung einer Krebserkrankung unterteilen.
Loscalco und Brintzenhofeszoc [9] haben die Probleme,
die Erkrankte in den verschiedenen Phasen beschäftigen zusammengefasst,
die wir hier auszugsweise wiedergeben wollen.
Zum Zeitpunkt der Diagnoseerstellung und
-mitteilung erleben onkologische Patienten meist eine Vielzahl
psychischer Beschwerden bzw. Symptome wie Furcht, Angst, Depression,
Verleugnung, Intrusionen oder Numbing (Benommenheit), Dissoziationen, Ohnmacht,
Konfusion, Entsetzen, Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit, Ärger,
Verlust des Vertrauens in Gott, des Vertrauens zu sich selbst, zum eigenen
Körper und in ihre Mitmenschen. Einige dieser Erlebnismuster wie
Intrusionen, Numbing, Vermeidung/Verleugnung oder „Hyperarrousal”
lassen sich dem psychotraumatischen Belastungssyndrom (PTBS) zuordnen.
Ein weiterer kritischer Zeitpunkt scheint die Phase der medizinischen Therapie zu sein, da sich die
Patientin, z. B. bei der Chemotherapie, wie „vergiftet”
fühlen, was die Besorgnis über die eigene körperliche
Versehrtheit noch weiter steigern kann. Zu den zuvor genannten Symptomen tritt
jetzt ein verstärktes Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit, treten
Unruhe, Schuldgefühle, Furcht vor Intimität und Sexualität,
Erbrechen und Übelkeit, Verletzbarkeit und Schmerzzustände hinzu.
In der Phase der Remission erlebt der
Patient, neben Gefühlen von Dankbarkeit und Erleichterung die Angst,
verlassen zu werden, hypochondrische Symptome, bisweilen psychoseähnliche
Wahrnehmungen und Halluzinationen, Zwangsgedanken, Gefühle von Einsamkeit,
Ausbrüche von Ärger und vor allem Rezidivangst.
Den stärksten Distress und sozusagen den
„Super-Gau” (größtes anzunehmendes Unglück)
erleben die Patienten häufig beim Auftreten eines Rezidivs, was sich vor allem in Schockerleben,
Gefühlen von Hilf- und Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühlen und
Vertrauensverlust, Gefühlen der Entfremdung, gesteigerter Verletzbarkeit,
Kontrollverlust und Angst vorm Sterben ausdrückt [6].
Die hier aufgeführte Erlebnissequenz unterliegt im einzelnen
einer individuellen Abwandlung. Praktisch alle Betroffenen jedoch erfahren im
Zusammenhang mit einer Krebsdiagnose eine Lebenskrise, einige weisen die
Symptome einer psychotraumatischen Belastungsstörung auf (s. u.).
Zudem lässt sich an der typischen Sequenz der Beschwerden und Symptome von
Krebspatientinnen ablesen, dass sie über sämtliche Phasen der
Erkrankung hinweg immer wieder neu belastet bzw. traumatisiert werden
können. Fischer & Riedesser bezeichnen diese Verlaufsgestalt teils
unterschwelliger, teils manifest traumatischer Situationsfaktoren, die den
Erholungsprozess immer von neuem unterbrechen können, als Situationstyp
einer „kumulativen Traumatisierung”
[7] (a. a. O. S. 124). Im Sinne der
„sequentiellen Traumatisierung” (ebd.
S.124) können auch verschiedene traumatische Sequenzen im Krankheits- bzw.
Behandlungverlauf wie eine „Schichtung” einander
überlagern[7].
Die „psychotraumatologische Onkologie” befasst sich
nun schwerpunktmäßig mit dem Teil des Klientels, der in einem der
Krankheitsstadien traumatisiert wird, beginnend mit der Mitteilung einer
infausten Diagnose oder Prognose oder auch mit den subjektiv bemerkten
Anzeichen der Erkrankung.
Als Arbeitsdefinition können wir daher die
„Psychotraumatologische Onkologie” als „professionelle
Beschäftigung mit dem Erleben und Verhalten des durch eine Krebserkrankung
seelisch verletzten (traumatisierten) Menschen bezeichnen, einschließlich
der Möglichkeiten von Prävention, Rehabilitation und Therapie der
psychischen Traumatisierung in Wechselwirkung mit dem körperlichen
Genesungsprozess”.
Was ist ein psychisches Trauma?
Was ist ein psychisches Trauma?
Wie erwähnt, beschreiben Blake-Mortimer et al.
[8] bereits die Situation der Diagnosemitteilung einer
lebensbedrohlichen Erkrankung als ein „potentielles Desaster für
Betroffene und Angehörige”. Bis zu 30 % der
Betroffenen wiesen in seiner Untersuchung „psychiatrische
Störungen” auf. Ein Drittel der Langzeit-Überlebenden zeigt
eine unvollständige Anpassung an die Diagnose sowie den medizinischen
Behandlungsverlauf und blieb noch 6 Jahre nach Diagnosestellung psychisch
auffällig. Psychotraumatische Belastungsreaktionen (PTBR) wurden immer
wieder festgestellt, in den einzelnen Studien zwischen 1,4 % und
39,7 % [10],[6].
Im „Lehrbuch der Psychotraumatologie”
[7] wird ein Trauma definiert als
„vitales Diskrepanzerlebnis zwischen
bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen
Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit
und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung
des Selbst- und Weltverständinisses bewirkt”.
Überträgt man diese Kriterien auf den Bereich der
Psychoonkologie, so scheinen sie in zahlreichen Fällen erfüllt. Eine
an Brustkrebs erkrankte Frau wird oft von Gefühlen der Hilf-,
Hoffnungslosigkeit und schutzloser Preisgabe überflutet, wodurch eine
„dauerhafte Erschütterung des Selbst- und
Weltverständnisses” eintreten kann.
In ihrem „Lehrbuch der Psychotraumatologie”
führen Fischer & Riedesser weiter eine handlungstheoretische
Definition von psychischer Traumatisierung aus. Trauma lässt sich demnach
als „unterbrochene Handlung” verstehen, als unterbrochene
„fight- oder flight-Reaktion”, manchmal auch verbunden mit
„freezing”, mit Erstarren, wie es beim sogenannten
„Totstellreflex” von Tieren zu beobachten ist angesichts einer
lebensbedrohlichen Situation. Dieses Konzept wird am Modell des
„Situationskreises” nach v. Uexküll & Wesiack näher
ausgearbeitet [7] (S. 82). Charakteristisch für
den Situationskreis ist das Zusammenspiel von „Merkwelt” und
„Wirkwelt” bei Tier und Mensch, von Wahrnehmen und Handeln: Wir
handeln, wie wir wahrnehmen und nehmen wahr in Kategorien potentiellen
Handelns.
Als Unterscheidungsmerkmal der „Speziellen
Psychotraumatologie” bei chronischen oder
lebensbedrohlichen Erkrankungen bezeichnen Fischer und Riedesser
[7] den Umstand, dass der bedrohliche Einfluss nicht
aus der Außenwelt, sondern aus dem eigenen Körperinneren stammt. Die
flight/fight- Reaktion kann hier zwar aktiviert, jedoch nicht in Handlung
umgesetzt werden. Die traumatische Reaktion (im Sinne des
„Verlaufmodells psychischer Traumatisierung”
a. a. O.) ist dadurch gekennzeichnet, vor etwas fliehen zu
wollen, was in einem selbst liegt und somit gar nicht vermieden werden
kann.
Oft kommt es im Zusammenhang mit der Diagnosestellung zu
„peritraumatischer Dissoziation”. Es treten
Wahrnehmungsveränderungen auf, die sich als
„Leerlaufhandeln” oder „Pseudohandeln” verstehen
lassen, aus einer Situation heraus, in der die Handlung
„versagt”. Was tun wir, wenn wir nichts mehr tun können?
Manche Wahrnehmungsveränderungen lassen sich in diesem Sinne als in die
Wahrnehmung verlagerte Handlung verstehen: Über dem Geschehen schweben und
von außen zusehen, Einengung der sensorischen Sphäre, wie beim
sogenannten „Tunnelblick”, eine Veränderung des
Zeiterlebens, entweder vom Typ „Zeitraffer” (die Zeit wird
verkürzt wahrgenommen) oder als „Zeitlupe” - als
bliebe die Zeit stehen. Man kann weder fliehen noch kämpfen kann und ist
zur Passivität verurteilt angesichts einer überwältigenden
Gefahr.
Dynamik der psychischen Traumatisierung
Dynamik der psychischen Traumatisierung
Im Folgenden werden wir die innere Dynamik der psychischen
Traumatisierung näher ausführen und am Beispiel der Krebserkrankung
erläutern.
Fischer & Riedesser bezeichnen das traumatisch unterbrochene
Wahrnehmungs-/Handlungsmuster terminologisch als „Traumaschema”.
„Schemata” sind in einer entwicklungspsychologischen Perspektive
nach Piaget „sensomotorische” Kreisprozesse, in denen Wahrnehmen
und Handeln kreisförmig in einer Weise ineinander greifen, wie es im
„Situationskreis-Modell” näher ausgeführt wird. Vor
allem in Situationen akuter Gefährdung reagieren wir mit
„sensomotorischen Schemata”, die auf einer reflexgesteuerten
Grundlage ablaufen. Beim „Traumaschema” handelt es sich -
entsprechend dem Modell von „Trauma als unterbrochener Handlung”
- um eine Struktur, die in der Erinnerung die traumatische Erfahrung
repräsentiert, in jener obskur erscheinenden Wahrnehmungsveränderung,
die für die peritraumatische Erfahrung kennzeichnend ist. Retrospektiv
sind dann Erinnerungsfragmente zu beobachten, wie etwa Vorstellungsbilder,
Körpersensationen, Geräusche und Gerüche als unterbrochene
Handlungsansätze. Es handelt sich beim „Traumaschema”
demnach um die sensorischen und motorischen Teilrepräsentationen der
traumatisch unterbrochenen Handlung.
Das Traumaschema besitzt die dynamische Tendenz, sich zu
„reproduzieren”, die unterbrochene Handlung wieder aufzunehmen.
Eine Reproduktion des Traumaschemas kann ausgelöst werden einmal durch
explizit oder implizit erinnerte Schlüsselreize oder sog.
„trigger” (z. B. der Geruch von Chemikalien, Sessel der dem
gleicht, in dem die Patientin zum Diagnosezeitpunkt gesessen hat etc.), zum
andern durch die spontane Tendenz, die bisher ungelöste Problemsituation
wieder herzustellen, um sie nun zu bewältigen und die unterbrochene
Handlung vollenden zu können. Diese Vollendungstendenz (completion
tendency) als dynamischer Motor der postexpositorischen Erfahrung wurde von dem
nordamerikanischen Traumaforscher Mardi Horowitz hervorgehoben und in einer
Weise näher ausgearbeitet, die die folgende Abbildung verdeutlichen
kann:
Abb. 1 Zyklus der
Traumaverarbeitung [7] (S.95). Erklärung: Die aktuelle traumatische Erfahrung
durchläuft zunächst die Quadranten I bis III und pendelt sich dann
zwischen II und III ein. Damit entsteht jener Wechsel zwischen Intrusion und
Vermeidung, der zum Kern der Traumasymptome im „basalen
Psychotraumatischen Belastungssyndrom” (bPTBS) gehört.
Bei den „intrusiven” Nachhallerinnerungen bzw.
Erinnerungsfragmenten optischer (Arzt im weißen Kittel), akustischer
(„Ihr Tumor war bösartig”), taktiler (Anlegen der
Chemoinfusion, Injektionsnadel etc) oder olfaktorischer Art (Chemogeruch)
handelt es sich allerdings nicht um eine Erinnerung im gewöhnlichen
Verständnis. Vielmehr wird aus hirnphysiologischen Gründen die
traumatische Erfahrung oft ohne räumlichen und zeitlichen Kontext
prozessiert, bedingt durch Unterfunktion bzw. Überlastung der für die
Kontextualisierung zuständigen Strukturen (insbesondere der
Hippocampusregion). Während der sogenannten
„flash-back”-Phasen wird die traumatische Situation demnach real
wieder durchlebt, was einer Retraumatisierung der Betroffenen gleichkommt.
Genau aus diesem Grunde mobilisiert der Organismus all seine Ressourcen, um ein
mit der Reproduktion des Traumaschemas verbundenes, erneutes Durchleben des
Traumas zu verhindern. Hierbei handelt es sich um eine physiologisch wie auch
psychologisch sinnvolle, ja notwendige Abwehrmaßnahme, da eine
Retraumatisierung den Gesamtzustand der Persönlichkeit weiter
verschlimmern würde.
Psychotraumatische Abwehrmechanismen bei onkologischen
Patienten
Wie sind traumaspezifische Abwehrmaßnahmen bei chronisch
und/oder lebensbedrohlich Erkrankten beschaffen? Fischer & Riedesser
[7] haben vorgeschlagen, das traditionelle
psychodynamische Abwehrkonzept um traumabezogene Abwehrformen zu erweitern und
dafür die Bezeichnung „psychotraumatische Abwehr”
vorgeschlagen. Ein Beispiel sind die erwähnten Formen von Dissoziation,
mit Depersonalisierung, Derealisierung und verschiedenen Modifikationen des
Zeiterlebens oder der Verleugnung/Vermeidung des Traumas im nachhinein. Solche
Abwehrmaßnahmen stellen ein funktionelles Instrumentarium bereit, dessen
sich die Persönlichkeit bedient, um eine weitere Schädigung zu
vermeiden, die sich aus der vorzeitigen Reproduktion des Traumaschemas
ergäbe.
Eine grundlegende Abwehrreaktion bei chronisch Kranken nach
Fischer & Riedesser [7] besteht darin, „mit
den Mitteln der Projektion den Körper der Außenwelt zuzuschlagen, um
die Krankheit dann wie einen äußeren Feind bekämpfen zu
können” [7] (S.325).Eine weitere, hierzu
komplementäre Abwehrform spaltet das zentrale
„Ich-selbst-Gefühl” immer mehr vom
„Körper-Ich” ab, was der Rettung der Integrität des
Selbst dienen soll [7] (S.328). Viele Patientinnen
zeigen gegenüber der Erkrankung ein Verleugnungsverhalten, das als
traumakompensatorisches Schema dient und nicht in Frage gestellt werden sollte.
Dysfunktional hingegen werden traumakompensatorische Strategien, wie
Verleugnung, wenn sie gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen zur Folge
haben, etwa:
-
Patientin denkt bei östrogen-invasiven Mamma-Ca über
baldige Schwangerschaft nach
-
Es wird der mögliche bevorstehende Tod bei
diagnostiziertem Rezidiv ausgeblendet und die Patientin beschäftigt sich
immer wieder mit der Sorge um ihre Attraktivität
-
Trotz Ablatio will Patientin sofort wieder nach Hause und
schwere Hausarbeit verrichten und will sie sich „nicht wegnehmen
lassen”
Psychotraumatische Faktoren und Reaktionen in den einzelnen
Erkrankungsphasen
Psychotraumatische Faktoren und Reaktionen in den einzelnen
Erkrankungsphasen
Diagnose Krebs
Eine solche potentiell traumatische Situation stellt die
Diagnosemitteilung dar, die leider oft unempathisch vorgetragene Mitteilung
einer infausten Prognose. In diesem Falle tritt der Patient bisweilen bereits
mit einer akuten oder chronifizierten posttraumatischen Belastungsreaktion in
die wiederum belastende körperliche Behandlung ein.
Nach Fischer & Riedesser werden viele Krankheiten als Strafe
erlebt, was ein Schuldgefühl der Betroffenen auslöst. „Warum
gerade ich?” „Was habe ich falsch gemacht?” Hätte ich
dies oder jenes nicht getan, wäre ich nicht krank geworden” -
sind immer wieder Fragen und Aussagen, die das Dilemma auch von
Brustkrebs-Patientinnen aufzeigen.
Die psychotraumatische Reaktion ist,
ähnlich wie nach äußeren traumatischen Ereignissen, durch
Verleugnung und Vermeidung einerseits und intrusive Erlebnisphänomene
andererseits gekennzeichnet.
Die charakteristischen Phasen des Traumaerlebens (Schockphase,
Einwirkungsphase, Erholung vs. traumatischer Prozess) unterliegen allerdings
insofern einer Veränderung, als bei einer infausten Prognose die
völlige Erholung, also eine Rückkehr zum Ausgangszustand, nicht
erwartet werden kann. Somit bleibt eine „Restbelastung” aus jeder
traumatischen Sequenz bestehen und wird in die nächste Behandlungsphase
hineingetragen. Die „Vollendung des Traumazyklus” kann also nur
bis zu diesem Punkt voranschreiten. Nach einem Durchgang durch Verzweiflung,
Wut und Gefühle extremer Sinnlosigkeit kann die Patientin den Zustand
eines relativen „psychoökologischen Gleichgewichts”
wiedergewinnen [7].
Im typischen Verlauf einer sich über längere Zeit
erstreckenden Erkrankung wie Krebs sind in der ersten
Schockphase bei Konfrontation mit der Krankheit Erlebnisphänomene zu
beobachten, wie sie auch bei äußeren Traumata auftreten.
Tunnelsicht, Ablaufen des Lebensfilms, Veränderung der inneren Wahrnehmung
im Raum und Zeiterleben (Zeitlupe, Zeitraffer etc.). Kübler-Ross hat
verschiedene Phasen der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod beschrieben, wie
Protest, Verleugnung, Akzeptieren und Sinnfindung, die sich im Bezugssystem der
Psychotraumatologie, im Anschluss an Abb. [1],
genauer verstehen lassen. Nach dem ersten Aufschrei, dem ersten Anteil der
psychotraumatischen Reaktion (Quadrant 1 in Abb. [1]), folgt häufig als Gegenpart die
Verleugnungsphase (Quadrant 2) mit dem Versuch, alles zu verdrängen, was
an die Krankheit erinnern kann (was bei körperlicher Versehrtheit oft nur
schwer möglich ist).
In der Einwirkungsphase setzt sich immer
stärker das Gefühl durch, der Bedrohung nicht ausweichen zu
können. Gefühle von Gelähmtsein, Wut im Wechsel mit Depression,
entsprechen hier dem Vermeidungsflügel des bPTBS. Der Seite der Intrusion
(Quadrant 3) zuzuordnen sind: Plötzlich sich aufdrängende Gedanken an
den Krebs, Schlafstörungen, Erregungs- und Überflutungszustände
sowie Vorstellungsbilder vom unmittelbar bevorstehenden Tod.
Auch der traumatische Prozess ist
gekennzeichnet von Perioden der Intrusion in Abwechslung mit Verleugnungsphasen
und den dazugehörigen Erlebniszuständen (s. o.) und
emotionalen Reaktionen.
„Alltagspsychologische” Traumatheorie
„Alltagspsychologische” Traumatheorie
Aus dem persönlichkeitstypischen „Kontrollstil”,
der die individuellen Abwehr- und Bewältigungsstrategien umfasst, allein
lässt sich der konkrete Umgang mit der traumatischen Erfahrung noch nicht
ausreichend verstehen. Welche drängenden Fragen inhaltlicher Art stellen
sich, wenn wir von einer Krebserkrankung erfahren? Diese unterscheiden sich
nicht grundsätzlich von denen der wissenschaftlichen Traumaforschung, so
dass wir als Heuristik auf 3 Schlüsselkonzepte einer naiven oder
„alltagspsychologischen Traumatheorie” zurückgreifen
können, auf die ätiologische, präventive und
reparative Komponente des „traumakompensatorischen Schemas”,
die im folgenden näher ausgeführt werden:
Wie hat es zu der Erkrankung kommen
können?
Die Antwort auf diese Frage wird in einer „naiven”
Theorie der Ätiologie ausgearbeitet, die
häufig irrationale Momente von Selbstbeschuldigung enthält.
Unbewusste Phantasien, auch aus frühen Stadien der Ich-Entwicklung,
können zur Selbstanklage beitragen (ich war ungehorsam, war den Eltern
kein gutes Kind, habe mich falsch ernährt, zu ausschweifend gelebt,
usf.).
Wie kann ein solches Geschehen in Zukunft
verhindert werden?
Die Antwort läuft auf eine „naive” Theorie der
Prävention hinaus, wie
zum Beispiel „alles meiden, was der traumatischen Situation irgendwie
ähnelt”. Etwa „ich werde ab jetzt kein Fleisch mehr essen,
werde mich immer angepasst verhalten” etc.
Auch die präventive Komponente kann
irrationale Anteile enthalten, verbunden mit unbewussten Konflikten und
Phantasien. Bei der Angstausbreitung beispielsweise wird das Stimulusspektrum
für eine mögliche erneute Gefährdung immer weiter ausgedehnt.
Diese Hypertrophie der präventiven Komponente geht u. a. auch auf
den Umstand zurück, dass die traumatische Situation oft nur
bruchstückhaft erinnert werden kann. Damit kommt ein paradoxes Element in
die naiv-psychologische Präventionstheorie, das sich etwa
folgendermaßen umschreiben lässt: Wie kann ich mich gegen eine
Katastrophe schützen, von der ich zwar weiß, dass sie einmal
eingetreten ist, deren Einzelheiten und Zustandekommen ich aber nicht mehr
erinnern kann? An diesen paradoxen „Schleifen” kann das
therapeutische Angebot korrektiv ansetzen.
Wie kann das Trauma, die seelische Verletzung
geheilt werden?
Die Antwort wird in der naiven Heilungstheorie, in ihrer
therapeutischen oder „reparativen
Komponente” gegeben. Auch hier ist die alltagspsychologische
Traumatheorie nicht immer funktional. Manche Betroffene gehen so vor, dass sie
so weiter leben wie bisher und sich gegen jegliche Veränderung
sträuben: „Was von selbst kommt, geht auch von selbst”. Eine
andere Heilungstheorie fällt mit Verleugnung und Dissoziation zusammen.
Der persönlichkeitstypische Kontrollstil und inhaltliche Operationen der
Traumaabwehr wirken zusammen. Grundsätzlich können jedoch inhaltliche
Annahmen der „alltagspsychologischen Traumatheorie” und
Abwehroperationen bis zu einem gewissen Grade unabhängig voneinander
variieren. So kann ein Patient dissoziieren und dennoch die Heilung seines
Traumas von immer erneuter Konfrontation mit Situationen erwarten, die seiner
ursprünglichen traumatischen Erfahrung ähnlich sind.
Psychodynamik der Symptombildung
Psychodynamik der Symptombildung
Betrachtet man die beiden traumadynamischen Strukturen, das
Traumaschema und das traumakompensatorische
Abwehrsystem, in ihrem gegenseitigen Zusammenspiel, dann wird deutlich, dass
sie aus einem gemeinsamen Ursprung hervorgehen, nämlich die traumatische
Situation, in unserem Falle die Diagnose Krebs. Hier schon werden erste,
reflexhafte Abwehrmaßnahmen wirksam, wie zum Beispiel die erwähnten
Phänomene der peritraumatischen Dissoziation: Veränderungen der
Wahrnehmung und/oder der motorischen Sphäre, wie etwa
„freezing” , Erstarrung, Depersonalisation oder Derealisation und
Phänomene wie Amnesien. Eine Patientin berichtet: „Es war wie im
Film. Der Arzt saß mir gegenüber und sagte, ich hätte Krebs,
aber es hatte nichts mit mir zu tut. Ich war wie ein Zuschauer, der auf die
nächste Szene wartet”. Eine weitere Patientin berichtet:„
Nach der OP wurde ich kurz wach. Ich sah den Arzt an meinem Bett stehen. Ich
fragte, noch halb schlafend:” Und? bösartig?”. Ich kriegte
nur noch mit, wie er mit dem Kopf nickte, da bekam ich eine mörderische
Panik und kippte irgendwie weg. Das nächste, woran ich mich erinnere ist,
das ich in meinem Jogging-Anzug auf der Bettkante sitze und
frühstücke. Mein Partner meint, das sei 2 Tage nach der OP gewesen.
An alles, was dazwischen liegt, kann ich mich nicht mehr erinnern.” Bei
dieser „peritraumatischen Amnesie” nimmt die Reaktion der
Patienten Symptomcharakter an. Wir werden im folgenden untersuchen, wie die
psychologische Struktur solcher Traumasymptome beschaffen ist.
Tritt im postexpositorischen Zeitraum keine wirkliche Erholung und
Heilung ein, so wirkt das Traumaschema (im folgenden TS) in latentem Zustand
dynamisch fort. Jetzt geht die traumatische Erfahrung in eine
Langzeitperspektive ein, wobei das Traumaschema als dynamisches Agens durch das
„traumakompensatorische Schema” (im folgenden TKS) mehr oder
weniger erfolgreich „gegengesteuert” wird. Wie in einem
früheren Beitrag von Fischer u. Nathan [11] in
dieser Zeitschrift gezeigt, entspricht die Chronifizierung nicht immer dem
Störungsbild „chronisches PTBS”. Statistisch gesehen, ist
dies eher selten der Fall und stellt eine besonders „ungünstige
Lösung” dar, die im psychodynamischen Modell von „Trauma als
unterbrochener Handlung” mit einer extremen Schwächung des
traumakompensatorischen Systems einhergeht.
In den meisten Fällen, wie zum Beispiel beim
„leistungskompensatorischen Verlaufstyp” [11] wird das TS erfolgreich an seiner Reproduktion
gehindert und so der Schaden für die Persönlichkeit eingegrenzt. Die
Betroffenen bleiben arbeits- und leistungsfähig, solange jedenfalls, bis
ein Erschöpfungszustand sich meldet oder bis durch zusätzliche
äußere und/oder innere Belastungsfaktoren das kompensatorische
System so geschwächt wird, dass die Persönlichkeit
„dekompensiert”. Während der
„Trauma-Latenzphase” bilden Traumaschema und
traumakompensatorisches Schema ein dynamisches Gleichgewichtssystem, das die
innere Struktur des „traumatischen Prozesses” bestimmt. Unter
„traumatischem Prozess” verstehen wir daher, ganz ähnlich
wie bei einem somatischen Krankheitsprozess, ein Krankheitsgeschehen, das durch
pathogene und salutogene Faktoren zeitweilig in einem relativen, wenn auch
labilen Gleichgewicht gehalten wird, unter bestimmten Bedingungen jedoch
- im Sinne des positiven Feedbacks - bedrohlich eskalieren kann.
Die folgende Graphik veranschaulicht diese dynamische Balance des traumatischen
Prozesses als vektorielles Geschehen, gebildet aus gegenläufigen
Kraftfeldern, die nach Art eines „Parallelogramms der
Kräfte” in der Diagonalen kompromisshaft zusammenwirken.
Abb. 2
: Psychodynamik des Traumas [12]
(S.77). Die Vektoren A und Z befinden sich in einem labilen Gleichgewicht, das
in einer Spirale von positivem Feedback leicht eskalieren kann. Das
Gleichgewicht kann beeinflusst werden, einmal durch Stimulation des
Traumaschemas, wie beispielsweise bei Retraumatisierung und/oder einer
vorschnellen Wiederannäherung an traumatische Gedächtnisinhalte im
Versuch, die traumatisch unterbrochene Handlung im Sinne der „naiven
Heilungstheorie” zu vollenden. Eine andere Störungsquelle entsteht,
wenn die traumakompensatorische Abwehr durch innere oder äußere
Bedingungen geschwächt bzw. in Frage gestellt wird.
In der Untersuchung von Nathan & Fischer [11] konnten 7 Faktoren ermittelt werden, die bei
psychosomatischen Patienten mit Traumahintergrund die Trauma-Kompensation
beeinflussen. Im einzelnen handelt es sich um:
-
Weitere traumatische Situationen
-
Wegfall bisheriger protektiver Faktoren
-
neue protektive Faktoren
-
Retraumatisierungen durch Aktualisierung früherer
traumatischer Situationen
-
Erschöpfungserscheinungen und damit verbundenes Scheitern
bisheriger traumakompensatorischer Mechanismen (vor allem beim
leistungskompensatorischen Verlauf, dem Sucht-Verlauf und aufgrund von
Altern)
-
zusätzliche Konfliktsituationen neurotischer Art
-
zusätzliche sich kumulierende subtraumatische
Belastungen.
Symptome als Kompromissbildung. Die
Diagonale im Kräfteparallelogramm entspricht einem dynamischen Kompromiss,
der mit der Ausbildung der Symptome verbunden ist. Die Symptome bei
traumatischer Ätiologie entsprechen dem „minimalen kontrollierten Handlungs- oder
Ausdrucksfeld” (MKH/A): Zumindest in einem kleinen, eng
umschriebenen, dafür jedoch überschaubaren Bereich versucht die
Persönlichkeit, die im Trauma verlorene Handlungskontrolle wieder
herzustellen und ihre traumatisch bedingte Hilflosigkeit zu überwinden
(z. B. Schlaflosigkeit, weil während des Schlafs
„Kontrollverlust” droht). Die Symptome werden in die Diagonale
der Graphik eingetragen. Im Symptom sind TS und TKS kompromisshaft gebunden.
Mit Ausbildung eines Trauma-Symptoms entsteht daher eine vergleichsweise
stabile Struktur, die ein vorübergehendes Gleichgewicht der
gegenläufigen Kräfte sichert. Hat man die wichtigsten Symptome eines
Patienten in die Fenster der Diagonalen des Parallelogramms von Abb. [2] eingetragen, kann man heuristisch jetzt auch umgekehrt
fragen, worin der Anteil von TS und TKS an der Symptombildung besteht.
Ein Beispiel ist die oben geschilderte dissoziativ-amnestische
Reaktion der aus der Operation erwachten Patientin. Als der Arzt auf die Frage,
ob ihr Befund „bösartig” sei, bejahend nickt, verfällt
sie in eine 2-tätige „Ohnmacht”. An diese Zeit kann sie sich
später nicht mehr erinnern. Dieses Symptom entspricht einer
psychotraumatischen Notfallreaktion. Es lässt sich im einzelnen als
dynamischer „Kompromiss” zwischen dem überwältigenden
Schockerlebnis einerseits verstehen und dem Bestreben des Organismus
andererseits, auch in dieser Extremsituation noch die Kontrolle über das
unerträgliche Erlebnis zu bewahren - durch
„Ausschaltung” des Erlebniszentrums, nämlich des
Bewusstseins.
Konsequenzen für die psychotherapeutische Behandlung von
Brustkrebs-Patientinnen
Konsequenzen für die psychotherapeutische Behandlung von
Brustkrebs-Patientinnen
Unsere Ausführungen legen u. a. den Schluss nahe, dass
es einer speziellen Methode bedarf, um Krebspatienten psychotherapeutisch in
angemessener Form zu behandeln. Die traditionellen psychotherapeutischen
Richtlinienverfahren mit ihrer Aufteilung von psychodynamisch vs. behavioralem
Vorgehen scheinen hier zu kurz zu greifen. Erforderlich beim
„Disease-Management” von Krebspatientinnen ist eine
konzeptgeleitete Kombination und Integration beider Verfahren mit einem breiten
Wissenshintergrund in Psychotraumatologie und Psychoonkologie.
Psychodynamisch-behaviorales Vorgehen bei der Behandlung von
Krebspatienten
Psychodynamisch-behaviorales Vorgehen bei der Behandlung von
Krebspatienten
Als Modell für die konzeptgeleitete Integration der
erforderlichen Kompetenzen kann die Mehrdimensionale
Psychodynamische Traumatherapie MPTT [12]
betrachtet werden. Es handelt sich um ein manualgeleitetes Verfahren der
Traumatherapie, das einen befriedigenden Evaluationsstand für verschiedene
Gruppen von Traumapatienten aufweist [13]. Das
Verfahren verbindet den erforderlichen psychodynamischen Verständniszugang
mit einem breiten Spektrum ebenfalls indizierter behavioraler und kognitiver
Trainingselemente, die gezielt auf Stabilisierung des traumakompensatorischen
Systems ausgerichtet sind.
In der Planung und Therapiegestaltung berücksichtigt die MPTT 4
unterschiedliche Dimensionen des Traumageschehens und stimmt diese in
Therapieplanung und -durchführung gezielt aufeinander ab.
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Den bisherigen „natürlichen” Traumaverlauf mit den
Phasen von Schock, postexpositorischer Einwirkung und Erholungsphase (bei
chronisch Kranken nur bedingt möglich) bzw. traumatischem Prozess.
Entsprechend wird nach den Regeln der Krisenintervention, der Akuttherapie bzw.
der Therapie traumatischer Prozesse vorgegangen. Die Interventionen zielen
darauf ab, den natürlichen Prozess der Traumaverarbeitung in Gang zu
halten, das TKS zu stärken, zu differenzieren und so die
Traumaverarbeitung zu fördern, soweit dies vom Krankheitsgeschehen her
möglich ist bzw. ratsam erscheint.
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Traumatische Situationsfaktoren.
Hier wird die genaue Konstellation der Situationsfaktoren ermittelt und in der
Interventionsplanung berücksichtigt. In die Interventionsplanung
einbezogen werden die 5 klassischen „Paradigmen” des
traumatischen Einflusses nach Ochberg [14]:
(Selbst)Verlust, Viktimisierung, Angst und Erregung, negative Intimität,
Erlebnisse von Todesnähe sowie die beschriebenen typischen
Situationsfaktoren und -konstellationen bei einer lebensbedrohlicher
Erkrankung.
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Soziale Umwelt und
Persönlichkeit. Berücksichtigt werden bei der Planung
individuell die protektiven vs. negativen Faktoren im sozialen Umfeld, etwa
die
Mittraumatisierung von Angehörigen; traumadynamische Konzepte wie
Traumaschema, traumakompensatorisches Schema, Desillusionierungsschema,
zentrales traumatisches Situationsthema sowie die entsprechenden
persönlichkeitstypischen „states of mind”; individueller
Kontrollstil, also Coping und Abwehrstrategien des Einzelnen, Strukturkonzepte
der Persönlichkeit, Übertragungsangebote, stabile innere Beziehungen,
die als Kern des Arbeitsbündnisses fungieren können, Strukturkonzepte
der Persönlichkeit, Fähigkeit zur Selbstberuhigung und
Spannungstoleranz, salutogene Faktoren der Beziehungsgestaltung, der
individuelle Bindungstyp im Sinne der Bindungstheorie, traumatische
Einflüsse der Lebensgeschichte, schließlich besondere
Gefährdung wie Abhängigkeit von Drogen, Alkohol, Medikamenten und
Suizidgefährdung.
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Therapieverlauf. Zu Therapiebeginn
wird ein hypothetischer Verlaufsplan erstellt, der für unter den
vorgenannten Gesichtspunkten eine optimale, individuell adaptierte
Interventionslinie festlegt. Nach dem „Dialektischen
Veränderungsmodell” [15] ergeben sich die
strategischen Fragen beispielsweise nach der Möglichkeit des Herstellens
einer „minimalen Differenz” zwischen Arbeitsbündnis und
Übertragungsbeziehung ( hier im Sinne des Traumaschemas). Nach diesem
Kriterium werden sowohl Fragen des Settings entschieden (z. B. keine
Therapie in weißem Kittel oder auf der Chemotherapiestation etc.) wie
auch der Aufbau einer tragfähigen und stützenden kooperativen
Arbeitsbeziehung, wobei kognitiv-behaviorale Techniken wie
Distanzierungstechniken und Erlebnisdosierung von besonderer Bedeutung
sind.
Im Zentrum steht die Frage, wie das Herstellen einer
„optimalen Differenz” zur traumatischen Vorerfahrung
gefördert werden kann. Dieser Frage untergeordnet ist ein
„antizipatorisches Repertoire” an Techniken und Selbstmanagement,
das individuell auf den Patienten zugeschnitten wird und somit hilft, Blockaden
der Traumaverarbeitung aufzulösen und die Verarbeitungskapazität zu
stärken.
Idealtypischer Sitzungsverlauf mit MPTT-Akuttherapie bei
Brustkrebs - Diagnose
Idealtypischer Sitzungsverlauf mit MPTT-Akuttherapie bei
Brustkrebs - Diagnose
Die Traumatherapie durchläuft klassischerweise die Phasen der
Stabilisierung, der Traumabearbeitung sowie der Integration (des Traumas in die
Persönlichkeit und der Reintegraion der traumatisierten
Persönlichkeit in ihr soziales Umfeld). Diese Abfolge kann als ein
Leitbild für die Therapeutin gelten. Sie sollte sich aber bewusst sein,
dass ein schematischer Ablauf dieser Phasen in der Praxis keineswegs zu
erwarten ist. Realistischer ist die Annahme einer zyklischen Abfolge einzelner
Schritte der Stabilisierung, der Traumabearbeitung und -integration, die
sukzessiv an „Verarbeitungstiefe” gewinnen.
Im Therapiekonzept der MPTT sind diese Schritte folgendermaßen
ausdifferenziert. Am Anfang steht der Aufbau einer
therapeutisch tragfähigen Beziehung im Sinne der „minimalen
Differenz” zwischen traumatischer Vorerfahrung und therapeutischem
Arbeitsbündnis. Der Einsatz sog. „Stabilisierungstechniken”
erfolgt auf dieser Grundlage. Auch hier sollte der Patientin ein möglichst
breiter Raum zur Eigeninitiative eröffnet werden, zum Beispiel durch
Arbeit mit der Trauma-Selbsthilfebroschüre „Erste Hilfe bei
schweren seelischen Belastungen - neue Wege nach dem Trauma”
[16]. Erfahrungsgemäß sind Patienten in
der Lage, sich Stabilisierungsübungen aus der Broschüre selbst
herauszusuchen, die für die Stärkung ihrer individuellen
traumakompensatorischen Bemühungen optimal geeignet sind (ebd.). Die
Therapeutin konzentriert sich in der Stabilisierungsphase darauf,
kognitive Strukturierung und Übersichtsbildung zu
fördern bis hin zur Gestaltbildung der traumatischen
Situation. Mit der Patientin gemeinsam arbeitet die Therapeutin
zunächst an der kognitiven Rekonstruktion der
traumatischen Erfahrung. Sind hier Fortschritte gesichert, tritt die Suche nach
einer konstruktiven Lösung in den Vordergrund.
Wenn diese erfolgreich verläuft, kann von dieser neuen Ebene des Erlebens
und Verhaltens aus jetzt die traumatische Erfahrung auch emotional wirksam durchgearbeitet werden. Die
entsprechende Faustregel lautet: „Die Konstruktion geht einer (emotional
wirksamen) Rekonstruktion der traumatischen Erfahrung voraus”.
Andernfalls muss mit emotionaler Überflutung und Dekompensation gerechnet
werden. Mit einer emotional wirksamen Bearbeitung des Traumas geht die
„Rückkehr” der Patientin in die Welt ihrer sozialen
Lebensbezüge (Schritt der Integration bzw. sozialen Reintegration) Hand in
Hand.
Wir werden die einzelnen Schritte im folgenden näher
ausführen und Beispiele für therapeutische Interventions- und
Gestaltungsmöglichkeiten geben. Die Beispiele dienen hier vor allem der
Anschaulichkeit.
Beziehungsaufbau und Stabilisierung
Grundsätzlich gilt in der MPTT ein „Primat der
Beziehungsgestaltung vor der Technik”. Erforderlich ist also, zu Beginn
die minimale Differenz zwischen Arbeitsbündnis
und traumatischer Vorerfahrung aufzubauen (Regeln s. MPTT-Manual). Dadurch
entsteht ein stabiles Arbeitsbündnis, auf dessen Grundlage eine
erfolgreiche Zusammenarbeit möglich wird.
Konzepte der Psychoonkologie werden verbunden mit dem Wissen
über den dynamischen Verlauf einer Traumatisierung und ihrer Behandlung.
Einerseits muss berücksichtigt werden, dass bei einer chronischen
Erkrankung oft keine Rückkehr zum Ausgangszustand möglich ist
(körperliche Versehrtheit, Amputationen, dauerhafte Behinderung oder
Beeinträchtigung etc.) Anderseits ist es wichtig, der Patientin die Idee
einer grundsätzlichen Heilung zu erhalten, so lange jedenfalls, bis ein
Rezidiv auftritt (im Falle einer Metastasierung). Je nach Verlauf sollte
zusätzlich geprüft werden, ob die Patientin über den Tod,
Verabschiedung, Beziehungsklärung, spirituelle Inhalte etc. sprechen
möchte. Viele Patientinnen trauen sich nicht, diese Themen anzusprechen,
reagieren aber erleichtert, wenn sie vom Therapeuten angeleitet werden. Aber
Vorsicht ist geboten (nicht aufdrängen!). Wenn die Patientin ablehnt,
sollte dies auf jeden Fall akzeptiert, das Gesprächs- und
Beziehungsangebot jedoch aufrecht erhalten werden.
Die Patienten haben in der Regel (bei ambulanter Vorstellung) die
Schockphase sowie die Einwirkungsphase schon erlebt. Sie kommen also oft in der
Erholungsphase, wobei zu berücksichtigen ist,
dass der physische „Heilungsprozess” meist noch nicht
abgeschlossen ist.
Als Basisstrategie der MPTT gilt das Anknüpfen an den
natürlichen Prozess der Traumaverarbeitung. Der Patientin sollte die
Entscheidung überlassen werden, worüber sie als erstes sprechen will.
An dieser Themenwahl der Patientin ist häufig erkennbar, in welcher Phase
der Traumaverarbeitung sie sich befindet, welchen individuellen Kontrollstil
sie bevorzugt, also welche Coping- bzw. Abwehrmechanismen zu
berücksichtigen sind. (Nicht: „Wie kann ich Ihnen helfen, was
führt Sie zu mir”.. sondern eta: „Erzählen Sie doch
einfach mal....”). Dieses narrative Vorgehen empfinden die meisten
Ca-Patienten als sehr hilfreich und erleben es oft als erstes Wiedererlangen
der Kontrolle über ihre Situation. Die implizite Botschaft des Therapeuten
von der ersten Stunde an sollte sein: „Entscheiden
Sie sich für das Leben”.
Vom ersten Kontakt an ist es wichtig, das Augenmerk auf das als
Gegengewicht zum Trauma entwickelte Traumakompensatorische
Schema zu lenken. Es ist zur Beruhigung, Stärkung und Stabilisierung
des psychischen Befindens notwendig, diese spontanen Versuche der Selbstrettung
zu stärken. Dabei gilt es, die Komponenten des TKS zu berücksichtigen
und die individuellen Antworten (können auch rationale Ideen sein) des
Patienten „herauszufiltern”.
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a. ätiologisch (wodurch ist das Trauma/die
Krebserkrankung entstanden?)
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b. reparativ (wie kann das Trauma/ der Krebs geheilt
werden?)
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c. präventiv (was kann ich tun, um eine
Retraumatisierung zu verhindern?)
Dabei sollte der Akzent allmählich von der körperlichen
Erkrankung auf die seelischen Möglichkeiten der Verarbeitung hin
verschoben werden.
Ca- Erkrankte geben sich oft die Schuld und stellen häufig
ihre gesamte bisherige Lebensweise und Lebensgeschichte in Frage.
Interventionslinie: „Es gibt keine
Krebspersönlichkeit”. Für Ca-Erkrankte ist primär
wichtig, wie sie dabei mitwirken können, die Krebserkrankung zu heilen.
Sie benötigen Informationen darüber, was sie für ihre Heilung
Adäquates tun können (Achtung: Nicht mit Information
überfrachten, da Traumatisierte zur „Überkompensierung”
neigen! Eher zusätzlich Übungen zur Entspannung anbieten).
Fragen der grundsätzlichen Einstellung dem Leben gegenüber, Umgang
mit Angst und Aggression etc., Umgang mit gesunder und bewusster Lebensweise,
Umgang mit emotionalem Stress stehen hier im Fordergrund.
2. Kognitive Strukturierung und Übersichtsbildung
Dem Patienten soll nun ein kognitiver (im
Gegensatz zu einem gefühlsmäßigen) Zugang zur Erkrankung
vermittelt werden (zu Ca und zu Trauma). Er soll eine Übersicht erhalten
über den Verlauf der Krebserkrankung (Achtung: nicht überfrachten und
keine vorschnellen Prognosen). Eher: „Ich möchte Sie einladen, mit
mir darüber nachzudenken, wie sich der weitere Verlauf der Heilung
vollziehen wird”. Hier sollten auch Reha-Maßnahmen sowie andere
psychosoziale Einrichtungen (soweit noch nicht genutzt) besprochen werden. Des
weiteren ist es für die Patienten äußerst wichtig, die Symptome
der Traumatisierung zu erkennen. So denken zum Beispiel Patientinnen, die an
Intrusionen leiden, sie könnten verrückt werden (Intervention: Eine
normale Reaktion auf eine „verrückte Situation” nach dem
psychotraumatologischen Prinzip einer „Normalisierung” der
Traumasymptome). Andere Patienten haben häufige Kopfschmerzen und/oder
Konzentrationsschwächen und entwickeln aufgrund dessen Panik vor
Hirnmetastasen.
Bei der kognitiven Rekonstruktion (der traumatischen Situation,
des zentralen traumatischen Situationsthemas, Kürzel: ZTST) lautet die
Leitfrage, was die Patientin am meisten verletzt hat, was sie mit der Diagnose
also subjektiv verbindet. Hier sollte sehr vorsichtig vorgegangen werden, denn
die Patientin erlebt ihren „unzuverlässigen” Körper oft
noch als Feind, da die Bedrohung von „innen” kommt. In dieser
Phase der Behandlung kann die Patientin möglicherweise schon über den
Zeitraum von Anfangsverdacht bis Diagnosemitteilung (geleitet) berichten. Beim
Abfragen der destruktiven Gedanken werden die oft irrationalen Ängste
klarer (aber auch die rationalen). Das Vorgehen des Therapeuten kann sein:
Verständnis zeigen für die Ängste und Befürchtungen, neues
Denkmodell anbieten („ Wenn Sie statt dessen ..... denken könnten,
wie würden Sie sich dann fühlen?”). Achtung: Die angebotenen
Denk-Alternativen (hilfreiche Gedanken) müssen der Patientin realistisch
erscheinen und am besten in einem geleiteten Dialog von ihr selbst entwickelt
werden.
Im Falle von anstehenden Nach-Untersuchungen haben beispielsweise
alle Patienten große Angst vor Rezidiv-Entdeckung. Welche Einstellung
kann hier hilfreich sein? Möglichkeiten des Umgangs mit solchen
Situationen (Angstreduktion) anbieten!
3. Gestaltbildung der traumatischen Situation (Stichworte:
Übersicht statt Gefangensein, von der passiven Zuschauerin zur aktiv
Handelnden)
Das Vorgehen kann sein, der Patientin eine geleitete
Übersicht über Behandlungsmethoden der Krebstherapie zu geben, Wege
mit ihr zu erarbeiten, wie sie sich in welcher Reihenfolge und in welchen
Bereichen an ihrer Heilung beteiligen kann. Gegebenenfalls eine „kämpferische” Einstellung dem Krebs
gegenüber fördern, Chemo-, Strahlentherapie als vorübergehenden
„Partner” gegen den Krebs deklarieren und auch hier die
traumabezogene Symptomatik erklären sowie den hilfreichen Umgang damit
unterstützen.
4. Suche nach konstruktiver Lösung
Als nächstes kann an der konstruktiven
Lösung des Traumaschemas gearbeitet werden. Oft erteilt die Patientin
der Situation von sich aus eine konstruktive Bedeutung,
z. B.:„Ich erlaube mir erst seit der Erkrankung, etwas für
mich zu tun”, oder „Seitdem ich krank bin, kümmert sich
meine Familie um mich” etc.). Auch hier ist das Anstreben eines
„psychoökologischen Gleichgewichtes” sinnvoll, da die
Patientin ja häufig nicht zum ursprünglichen (Körper-)Zustand
zurückfinden kann.
5. Emotionales Durcharbeiten
Erst wenn eine konstruktive Lösung gefunden ist, kann eine
affektiv wirksame Rekonstruktion und Durcharbeitung
der traumatischen Erfahrung beginnen, die bis hin zum Zentralen Traumatischen Situationsthema gehen kann. Dieser
Vorgang kann auch durch imaginative Übungen unterstützt werden,
beispielsweise durch eine Variante der „Screen-Technik”, in der
die Konfrontation mit dem Kern der traumatischen Erfahrung durch die Patientin
kontrolliert wird. Zusätzlich können „innere Helfer”
installiert, der „sichere Ort” verankert werden
[17],[12]. Als Regel gilt:
Erst wenn eine zuverlässige Stabilität erreicht ist und genügend
„Stabilisierungstechniken” verfügbar sind, kann die
„heiße Phase” des emotionalen Durcharbeitens in Angriff
genommen werden. Beginnt die Patienten zu früh mit diesem Schritt, muss
die Therapeutin unbedingt energisch „gegensteuern” und das
traumakompensatorische System weiter stärken, da sonst mit emotionaler
Überflutung und evtl. mit erneuter Traumatisierung gerechnet werden
muss.
Grundsätzlich muss die Behandlung von CA-Erkrankten als
ganzheitliches Handlungsmodell verstanden werden, worin der psychoonkologisch/
psychotraumatologisch tätige Psychotherapeut lediglich ein Glied in einem
Netzwerk ist (neben Familie, Freunden, Selbsthilfe-Gruppen, behandelndem Arzt,
Sozialdiensten, Versorgungsamt, Homöopathin, ReHa-Einrichtungen etc.).
Daher gilt es, die Rolle der Ca-Patientin in der Therapie zu stärken und
die Handlungsfähigkeit sowie das Gefühl der Kontrolle über das
eigene Leben wieder herzustellen. Dies kann geschehen z. B. durch:
Aktivierung, Verantwortungsübernahme, beispielsweise durch Führen
eines Behandlungspasses; Verhalten des Patienten gegenüber dem Arzt
besprechen und patientengerechtes Umgehen üben, z. B. Einfordern
von klar verständlichen Diagnosen und Prognosen, realistische Darstellung
des Verlaufs etc.; Vernetzung mit psychosozialen Diensten unterstützen und
fördern; z. B.durch Adressenvermittlung, Telefonkontakte
herstellen, Partner in die Therapie mit einbeziehen, wenn die Patientin es
wünscht und es sinnvoll erscheint... .).
Zum Abschluss der therapeutischen Beratung/Behandlung sollte eine
psychologische Rückfallprophylaxe durchgeführt werden, die
abschließen kann mit dem Angebot der Therapeutin, sich bei auftretenden
Problemen wieder an sie wenden zu können. Von vielen Patienten wird ein
solches Angebot mit Erleichterung aufgenommen, selbst wenn sie nicht mehr
darauf zurückkommen müssen, da allein der Gedanke, sich nicht
endgültig von einer hilfreichen Person trennen zu müssen, beruhigend
weiterwirkt.
Anforderungen an eine Aus- und Weiterbildung des
psychoonkologisch/psychotraumatologisch arbeitenden ärztlichen bzw.
psychologischen Psychotherapeuten
Anforderungen an eine Aus- und Weiterbildung des
psychoonkologisch/psychotraumatologisch arbeitenden ärztlichen bzw.
psychologischen Psychotherapeuten
Um eine Psychotherapie durchzuführen, die sowohl die Dynamik
des Traumas als auch die situationsspezifischen Anforderungen der
Krebserkrankung erfüllt, ist es notwendig, sich als Therapeut ein
Repertoire an Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erarbeiten, das
„verfahrensübergreifend” traumatologische,
tiefenpsychologische sowie verhaltenstherapeutische Aspekte beinhaltet.
Körpertherapeutische Elemente (z. B. Atemtechniken zur Beruhigung
und Reduktion der Ängste, die eigenen Grenzen kennenlernen, auf Bewegung
und Haltung achten, z. B. nach Brustoperationen) sowie grundlegende
Hypnosefähigkeiten (um beispielsweise mit Dissoziationen geleitet zu
verfahren und sie mit der Patientin zu „üben”, um so das
Gefühl von Kontrollverlust zu verringern) sind von Vorteil und unseres
Erachtens auch notwendig. Der Therapeut sollte durch Selbsterfahrung gelernt
haben, welche eigenen Ängste ihm in einem solchen Behandlungssetting
begegnen und in Übertragungs- und Gegenübertragungssituation
aktiviert werden könnten. Der Umgang mit Gefühlen von Hilflosigkeit
während der Sitzungen sowie die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod
sollten von der Therapeutin aktiv im Rahmen von Selbsterfahrung gelernt werden.
Notwendig ist ein gewisses Maß an psychischer Stabilität sowie eine
gute Einschätzung der eigenen psychischen Belastbarkeit.
Eine regelmäßige psychotraumatologische Supervision
erscheint uns in diesem Zusammenhang unerlässlich, um eine
Sekundär-Traumatisierung der Therapeutin zu vermeiden und eine gute
Psychohygiene zu gewährleisten. Weiterhin sollte die Therapeutin einen
Überblick über hilfreiche Gesunderhaltungsstrategien und deren
theoretische Hintergründe besitzen, um sie mit der Patientin zu besprechen
(z. B. Bochumer Gesundheitstraining [18],
Simonton Gesundheitstraining (s. u.), Stress-Bewältigungs-Trainings
[19], Ernährung , Technik der Ritualarbeit
/Phantasiebildreisen [20],
komplementärmedizinische Verfahren [21]. Auch
die Arbeit mit Sinnfragen /Glaubensinhalten/ Glaubenssätzen
[22]
[23] sollte beherrscht
werden.
Nach Simonton ist die beste Krebstherapie eine Kombination der
modernsten medizinischen Methoden mit der bestmöglichen psychologischen
Betreuung. „Das Ergebnis wird besser ausfallen, als für
Chemotherapie oder andere ärztliche Behandlungen allein oder für
psychologische Betreuung allein” [24] (S.25).
Bezüglich der komplementärmedizinische Verfahren muss nach Beuth
[21] neben der wissenschaftlichen Beurteilbarkeit und
der schulmedizinischen Beurteilung auch die Erlebniswelt des Patienten
berücksichtigt werden. Kleine-Gunk [25] stellt
fest, dass wir durch Änderung in der Ernährung, Wahl geeigneter
Nahrungsergänzungsstoffe, körperliches und mentales Training
wirkungsvolle Mittel gegen die Entstehung und das Wachstum einer
Krebsgeschwulst in der Hand haben.
Schneider [26] (S.11) beschreibt als
Behandlerin von Krebskranken die eigene Erschütterung darüber, dass
Patienten Passivität und Uninformiertheit in Situationen erleben, die den
Rang von Lebensentscheidungen haben.
Neben Kenntnissen in den oben genannten Bereichen sollte der
Behandler wichtige Informationen auch über medizinische Sachverhalte
besitzen, wie z. B. Formen (z. B. Chemotherapie,
Strahlentherapie, Hormongaben, Plastiken etc.) und den Ablauf der medizinischen
Versorgung der Patientin (und wie sie sich dabei fühlt!). Hierzu
gehört auch ein Wissen um die Beschwerden, die während bzw. nach
Chemo- oder Strahlentherapie auftreten können und um den
heilungsfördernden Umgang damit (z. B.: Was kann die Patientin tun,
um die Beschwerden ggf. zu verringern, wie kann sie sich auf die jeweiligen
Therapien am besten vorbereiten, welche Möglichleiten der plastischen
Chirurgie gibt es etc.).
Ein weiterer wichtiger Punkt erscheint uns das Verständnis von
medizinischen Befundmitteilungen. Viele Brustkrebs-Patientinnen kommen
verunsichert mit ihren Befunden in der Hoffnung, beim Therapeuten eine
„Übersetzungshilfe” zu bekommen. Sie in dieser Situation
nicht zu enttäuschen, erhält und festigt das Arbeitsbündnis und
fördert das Gefühl der Ptn., sich als „gleichwertige
Partnerin” verstehen zu dürfen. Auch die Frage, welche
alternativmedizinischen Möglichkeiten es gibt und wer hierfür
kompetenter Ansprechpartner ist, wird von den Patienten häufig gestellt.
Selbstverständlich sollte der Therapeut wissen, welche ReHa-Kliniken auf
Karzinom-Erkrankungen spezialisiert sind, wie die mögliche
Wiedereingliederung ins Berufsleben vonstatten geht und worauf die Patientin
hier achten sollte.
Um den Ansprüchen der Qualitätssicherung zu genügen,
sollten die Therapeuten Möglichkeiten der fachgerechten Dokumentation des
Behandlungsverlaufs in ihrer Ausbildung kennen gelernt haben und in ihrer
Praxis einsetzen können, da eine weitere praxisnahe Erforschung dieses
Bereichs immens wichtig ist und bleibt. Die MPTT bietet vielfältige Hilfen
zur Dokumentation und systematischen Therapieplanung an. Zur Zeit wird für
KÖDOPS (Kölner Dokumentationssystem für Psychotherapie und
Traumabehandlung [27] ein Dokumentations- und
Planungsmodul entwickelt, das speziell in der Behandlung Krebskranker
eingesetzt werden kann.
Eine Fort- und Weiterbildung, welche die oben genannten Kriterien
berücksichtigt, wurde von den Autorinnen für Ärzte, Psychologen,
Psychotherapeuten sowie in Abänderung für Angehörige von
Pflegeberufen bzw. Personen im sozialen Bereich oder in beratenden Positionen
entwickelt. Das Curriculum dauert 18 Monate und enthält neben einem
Theorieteil einen umfassenden Selbsterfahrungsteil, der so beschaffen ist, dass
die Ausbildungsteilnehmer „an sich selbst” lernen, verschiedene
Verfahren und Techniken einzusetzen. Die Teilnehmer werden während der
Ausbildung supervidiert und erhalten bei Abschluss eine Zertifizierung.
Anforderungen an eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung des
Pflegepersonals
Anforderungen an eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung des
Pflegepersonals
Die Anforderungen an das in der Onkologie tätige Pflegepersonal
(und Ärzte) unterscheiden sich insofern von denen der ambulant arbeitenden
Psychotherapeuten, als sie während der Hochrisiko-Phasen für eine
traumatische Entwicklung in der Regel die ersten sind, die mit dem Patienten in
Kontakt treten. Ob Diagnosestellung, Chemo- oder Strahlentherapie, erster
Kontakt nach einer Brust-Ablatio: Die Ärztin oder Krankenschwester muss
die emotionale Verfassung, geprägt von Angst, Hilflosigkeit und
Verzweiflung, der Patienten mit „aushalten”. Oft kommt es in
solchen Situationen zu einer sekundären Traumatisierung des
Krankenhauspersonals. Daher sollte dieser Personenkreis eine
regelmäßige psychotraumatologisch fundierte Supervision erfahren. In
der Weiterbildung sollte Wert auf ein gut umsetzbares Stress-Management gelegt
werden. Gleichzeitig ist bei der starken emotionalen Belastung eine
Atmosphäre am Arbeitsplatz vorteilhaft, die geprägt ist von
gegenseitiger Unterstützung und ausreichenden Ruhepausen, nicht von
Konkurrenzdenken und hektischer Stationsroutine.
Die Ausbildung sollte daher den Aspekt der Teamorientierung und
Vernetzung, der Entspannung und der Psychohygiene besonders
berücksichtigen. Der kommunikativen Kompetenz
fällt im Umgang mit Tumorpatientinnen eine besonders wichtige Rolle zu.
Linemayr [28] führte 2001 in einem Beitrag in
Ischl zum Themenbereich Kommunikation eine Studie von Fallowfield
[29] an, die in einer randomisierten Studie zeigen
konnte, dass durch ein videounterstütztes Kommunikationstraining, in dem
typische und schwierige Gesprächssituationen mit onkologischen Patienten
bearbeitet wurden, die Zufriedenheit mit der Kommunikation sowohl bei den
Ärzten als auch bei den Patienten statistisch signifikant verbessert
wurde. Zur gleichen Thematik, so Linemeyr, habe Wesiack eine Metapher
eingebracht und kompetentes Kommunikationsverhalten beschrieben als
„kreatives Pendeln zwischen Empathie und Distanz”.
Die wichtigsten Kommunikationstechniken sind Zuhören und Wahrnehmen, wobei der Wahrnehmung jene
Form der Kommunikation folgen sollte, die den Patienten am ehesten erreichen
kann.
Kommunikative Kompetenz ist in erster Linie eine Haltung und erst
dann eine Fertigkeit. Da sich hier lerntheoretisch orientierte
Kommunikationstrainings anbieten, sollte das Krankenhauspersonal, welches an
der Betreuung von Krebspatienten beteiligt ist, mit entsprechenden Techniken
vertraut sein.