Einleitung
Die idiopathische Osteomyelofibrose ist eine chronische, myeloproliferative Erkrankung,
die durch eine klonale Proliferation von Stammzellen gekennzeichnet ist. Die sekundär
stattfindende Myelofibrose des Knochenmarks kann zur extramedullären Blutbildung in
verschiedenen Organen und Geweben führen wie beispielsweise in der Milz, der Leber
oder den Lymphknoten. Die Mitbeteiligung des Hautorgans stellt eine extrem seltene
Manifestation dar.
Fallbericht
Anamnese/Erstbefund: Eine 67-jährige Patientin stellte sich mit seit zwei Monaten bestehenden disseminierten,
erythematösen, indolenten Makeln und lividen papulonodulären Läsionen von 0,5 bis
1,5 cm Durchmesser im Abdominalbereich ambulant vor (Abb. [1]).
Abb. 1 Klinisches Erscheinungsbild der extramedullären Hämatopoese im Abdominalbereich.
Bei der körperlichen Untersuchung präsentierte sich die Patientin in altersgerechtem
Allgemein- und gutem Ernährungszustand. Die Leber war drei Zentimeter unter dem Rippenbogen
in der Medioklavikularlinie, die Milz drei Zentimeter unterhalb des linken unteren
Rippenbogens palpabel; pathologische Lymphknotenschwellungen waren nicht nachweisbar.
Befunde diagnostischer Untersuchungen: Hämoglobin von 10,6 g/dl, Hämatokrit von 32,4 %, Leukozyten 4600/mm3, davon 15,2 % Lymphozyten, 74,1 % neutrophile Granulozyten, 6,7 % Monozyten und 3,6
% Eosinophile.
Wiederholte Knochenmarkpunktionen zeigten eine fortgeschrittene Markfibrose sowie
Osteosklerose.
In der histologischen Untersuchung der Hautbioptate Nachweis eines gemischten dermalen
Infiltrates bestehend aus zahlreichen Histiozyten und myeloischen Zellen, die atypischen
Megakaryozyten ähnelten. Zellen der Erythropoese wurden nicht nachgewiesen.
Ergänzende Untersuchungen: Die mehrkernigen Riesenzellen waren in der immunhistochemischen Färbung kräftig positiv
für CD-61, einen Marker für Megakaryozyten. Bei der Naphthol-D-As-Chloroacatatesterase-Reaktion
fanden sich im Infiltrat zahlreiche myeloische Zellen (vgl. Abb. [2]).
Abb. 2 Gemischtes dermales Infiltrat bestehend aus histiozytären, myeloischen und multinukleären
Zellen. Die mehrkernigen Zellen sind CD61-positiv (rechter oberer Einschub) und negativ
in der Naphthol-D-As-Chloroacatatesterase-Reaktion, bei der myeloische Zellen nachgewiesen
werden (linker unterer Einschub).
Therapie und Verlauf: Acht Monate vor der beginnenden Hautmanifestation erhielt die Patientin eine Radiatio
unbekannter Dosis und stand unter einer Erhaltungstherapie mit Hydroxyurea (Litalir®,
500 mg/Tag).
Zwei Monate nach der ambulanten Erstvorstellung kam es zur Expansion der Hautläsionen,
so dass eine erneute Strahlentherapie in Betracht gezogen, aber nicht mehr durchgeführt
wurde, da es zum massiven Progress der Erkrankung kam, die durch starke Knochenschmerzen
kompliziert wurde, die ausschließlich durch Gabe von Opioiden zu beherrschen waren.
Der Krankheitsverlauf wurde durch eine auftretende Anämie (Hämoglobin 2,6 g/dl), eine
Thrombozytopenie (26 × 109/l) und einen Blastenschub mit 80 % undifferenzierten myeloischen Blasten kompliziert.
Mehrfache Bluttransfusionen und eine symptomatische Schmerztherapie vermochten die
Situation nicht zu stabilisieren. Während des Voranschreitens der Erkrankung blieben
die Hautinfiltrate unverändert.
16 nach der Erstdiagnose verstarb die Patientin, nach Konversion der Osteomyelofibrose
in eine chronisch-myeloische Leukämie (CML), an einem Blastenschub, der mittels Wiederholung
der Knochenmarkbiopsie und des peripheren Blutbildes bestätigt wurde.
Diskussion
Die kutane extramedulläre Hämatopoese ist eine ungewöhnliche Manifestation einer Osteomyelofibrose.
Die primäre Myelofibrose ist durch eine klonale Proliferation von defekten Stammzellen
und eine konsekutive Markverdrängung mit Ersatz durch fibröses Bindegewebe charakterisiert
[1]. Demzufolge kann die Blutbildung in andere retikuloendotheliale Organe, wie die
Milz, die Leber und Lymphknoten, verlagert werden. Wenig häufig findet die Hämatopoese
in den Nieren und Nebennieren, im retroperitonealen Fettgewebe oder der Pleura statt
[2]. Die Haut stellt einen sehr seltenen Manifestationsort dar.
Unseres Wissens wurde eine kutane extramedulläre Hämatopoese bei Patienten mit Osteomyelofibrose
bisher in 25 Fällen beschrieben [3]. Andere ätiologische Ursachen schließen die Erythroblastosis fetalis, das fetofetale
Transfusionssyndrom, Neugeborene mit stattgehabten viralen Infektionen (TORCH-Syndrom
= Toxoplasma, Others [andere Erreger], Rubella, Cytomegalovirus, Herpes), das Plasmozytom (multiples Myelom, Mb. Kahler) und die hereditäre Sphärozytose
(Mb. Minkowski-Chauffard) ein (vgl. Tab. [1], [1]).
Tab. 1 Ursachen der extramedullären Hämatopoese
| - Erythroblastosis fetalis |
| - fetofetales Transfusionssyndrom |
| - Neugeborene mit intrauterinen viralen Infektionen (TORCH-Syndrome = Toxoplasma, Others, Rubella, Cytomegalovirus, Herpes) |
| - hereditäre Sphärozytose (Mb. Minkowski-Chauffard) |
| - Plasmozytom (multiples Myelom, Mb. Kahler) |
| - bei Erwachsenen in Assoziation mit Osteomyelofibrose |
Mizoguchi [4] berichtete über einen Mann mit spezifischen Infiltraten aller drei Blutzelllinien,
die sogar schon vor der Diagnosestellung detektiert wurden.
Die extramedulläre Hämatopoese kann in Form der Erythro-, Granulo-, Thrombo- und Lymphozytopoese
stattfinden. In unserem Fall prädominierten atypische Megakaryozyten, die eine wichtige
Rolle bei der Pathogenese der Myelofibrose spielen [5]. Unser Fallbericht unterstreicht die Tatsache, dass die Abwesenheit von Zellen der
Erythropoese nicht zur Unterscheidung zwischen dem Vorliegen einer Osteomyelofibrose
beziehungsweise einer myeloischen Leukämie dienlich ist. Allerdings kann die Osteomyelofibrose
in seltenen Fällen in eine chronisch-myeloische Leukämie (CML) transformieren. Der
Nachweis atypischer Megakaryozyten könnte eine mögliche Konversion anzeigen [1].
Ein breites Spektrum der Effloreszenzen dieser spezifischen Läsionen ist beschrieben
worden und reicht von rötlich-violetten oder rosafarbenen Makulae, Papeln und Nodi
über Blasen und Hämorrhagien bis hin zu bilateralen Ulzerationen [4]
[6].
Die Ursache für die kutane Manifestation der Osteomyelofibrose sowie die prognostische
Wertigkeit des extramedullären Befalls unterliegen zahlreichen Spekulationen. Die
Haut ist in die embryonale Hämatopoese einbezogen und könnte die Fähigkeit im Erwachsenenalter
unter bestimmten Fähigkeiten wieder aufnehmen. Manche Autoren korrelieren das Ausmaß
der Hautläsionen mit dem Grad der Markfibrosierung [5], während andere Autoren eine Beziehung zur vorangegangenen Splenektomie sehen [2]
[7]. In unserem Fall kam es auch ohne durchgeführte Splenektomie zur kutanen Osteomyelofibrose.
Es wird postuliert, dass die Hautinfiltrate in der finalen Phase der Grundkrankheit
auftreten und die pathologischen Veränderungen im Blut widerspiegeln sollen [8]. Diese These lässt sich anhand des vorhandenen Schrifttums nicht in allen Fällen
nachvollziehen. Bei unserer Patientin traten die Hautläsionen zu einem Zeitpunkt auf,
wo die Erkrankung noch nicht sehr fortgeschritten war und nahmen bei Progredienz der
Erkrankung nicht weiter zu. Der Hautbefall ist daher kein verlässliches Prognosekriterium.
Von den 25 Fällen, die bisher in der Literatur beschrieben wurden, gehen nur wenige
Autoren auf die Therapie einer kutanen Osteomyelofibrose ein. Eine Splenektomie scheint
keinen Einfluss auf die Hautbeteiligung zu haben [6]
[7]. Drei Patienten erhielten eine Strahlentherapie mit schnellen Elektronen, worunter
es bei einem Patienten zu einer Regression [6], bei einem zu einer verzögerten Progression [7] und bei einer Patientin zu keinem Ansprechen kam [9]. Obwohl Schofield [2] eine dramatische Besserung durch Hydroxyurea beschrieb, war bei unserer Patientin
kein Effekt bezüglich der Hautinfiltrate zu beobachten. Die durchgeführte Strahlentherapie
führte lediglich zur Verminderung der Schmerzen für einige Wochen.
Aufgrund der Seltenheit der extramedullären Hämatopoese bei Osteomyelofibrose liegen
keine evidenzbasierten Daten zum Management vor, jedoch könnten weitere detaillierte
Fallberichte, die die Therapie mit einbeziehen, das Vorgehen sowie die Prognose positiv
beeinflussen.