Aktuelle Ernährungsmedizin 2002; 27(5): 315-316
DOI: 10.1055/s-2002-34023
Verlautbarung
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Beikostprodukte auf Milchbasis

Stellungnahme der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und JugendmedizinSupplementary Dairy-Based FoodsB.  Koletzko Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin: Hans-Josef Böhles, Jobst Henker, Mathilde Kersting, Berthold Koletzko (Vorsitzender), Michael J. Lentze, Reinhard Maaser, Friedrich Manz, Frank Pohlandt, Hildegard Przyrembel (Gast)
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Publikationsdatum:
11. September 2002 (online)

Kuhmilch in der Ernährung im 2. Lebenshalbjahr

Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin nimmt zum Einsatz von Kuhmilch und Kuhmilchprodukten sowie von milchhaltiger Beikost Stellung [1]: Bis zum Ende des ersten Lebensjahres soll mindestens eine Milchmahlzeit pro Tag gegeben werden, die aus Muttermilch oder Säuglingsmilchnahrung besteht [2] [3]. In den ersten 10 - 12 Lebensmonaten wird die Verwendung handelsüblicher Trinkmilch nicht empfohlen [4] [5], vor allem weil Trinkmilch einen niedrigen Eisengehalt hat, die Resorption von Nichthämeisen auch aus anderen Lebensmitteln behindert, und bei Säuglingen gehäuft okkulte Blutverluste im Stuhl induziert [6] [7] [8]. Vorläufige, bisher nur in Abstractform mitgeteilte Beobachtungen weisen darauf hin, dass die Eisenversorgung im zweiten Lebenshalbjahr nicht nur durch Trinkmilch, sondern in gleicher Weise auch durch fermentierte Milchprodukte beeinträchtigt werden kann [9]. Auch hinsichtlich der Zufuhr anderer Nährstoffe ist Trinkmilch für die Säuglingsernährung insgesamt deutlich ungünstiger als Muttermilch oder Säuglingsmilchnahrungen, u. a. ist der Proteingehalt der Kuhmilch mehrfach höher als in der Muttermilch.

Mit der Beikost erhält der Säugling im 2. Lebenshalbjahr einen Getreide-Milch-Brei mit ca. 200 ml Milch/Tag, der selbst zubereitet oder industriell hergestellt (Trockenprodukte, Gläschenkost) sein kann. Ein zusätzliches Angebot von Milch und Milchprodukten (z. B. Joghurt, Quark) mit der Beikost ist nicht erwünscht, denn im 2. Lebenshalbjahr wird mit der derzeitigen Ernährungspraxis bereits eine weit über dem Bedarf [10] liegende Eiweißzufuhr bis zu täglich 5 g/kg Körpergewicht und mehr erreicht [11] [12] [13].

Ein zusätzlicher Verzehr von Milch und Milchprodukten würde zu einer weiteren Erhöhung der Eiweißzufuhr führen, die keinen Nutzen hat, aber vermeidbare renale und metabolische Belastungen mit sich bringt. Eine den Bedarf überschreitende Eiweißzufuhr erfordert eine Steigerung der renalen Harnstoffausscheidung. Bei Erwachsenen führte eine mäßige Steigerung der Eiweißzufuhr zu einem adaptiven Anstieg der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und der Nierengröße [14] [15]. Die potenzielle renale Molenlast der Kuhmilch ist mit 46 mosm/100 kcal mehr als dreimal so hoch als bei Muttermilch (14 mosm/100 kcal) und etwa doppelt so hoch wie bei üblichen Beikostprodukten (23 mosm/100 kcal) und Säuglingsmilchnahrungen (20 - 39 mosm/100 kcal), so dass für eine ausgeglichene Wasserbilanz eine höhere Flüssigkeitszufuhr erforderlich werden kann [16]. Eine hohe Proteinzufuhr im Säuglingsalter erhöht die Konzentrationen zirkulierender Aminosäuren und stimuliert die Insulinsekretion [17]. Epidemiologische Studien zeigten eine Assoziation zwischen hoher Eiweißzufuhr im Säuglings- und Kleinkindalter und einem erhöhtem Adipositasrisiko im späteren Lebensalter [18] [19] [20]. Als zugrunde liegender Mechanismus wird eine durch Protein stimulierte IGF-1-Sekretion mit Auswirkungen auf das Gewebewachstum diskutiert. Diese Hypothesen lassen sich mit der Beobachtung vereinbaren, dass gestillte Kinder im späteren Alter ein niedrigeres Adipositasrisiko aufweisen als flaschenernährte Kinder, die eine höhere Eiweißzufuhr erhalten [21]. Vergleichbare Effekte wurden in experimentellen Untersuchungen beobachtet [22] [23]. Zudem verdrängt in der Praxis der Säuglingsernährung ein übermäßiger Verzehr von Milch und Milchprodukten andere, vollwertige Beikostmahlzeiten mit hohen Gehalten von Kohlenhydraten und anderen erwünschten Bestandteilen [2] und beeinträchtigt somit die Qualität der Nährstoffzufuhr. Insgesamt ergibt sich also durch reichlichen Verzehr von Milch und Milchprodukten im Säuglingsalter kein Vorteil, aber es besteht begründete Besorgnis über mögliche Nachteile.

Literatur

  • 1 Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin: Hans-Josef Böhles, Jobst Henker, Mathilde Kersting, Berthold Koletzko (Vorsitzender), Michael J. Lentze, Reinhard Maaser, Friedrich Manz, Frank Pohlandt, Hildegard Przyrembel (Gast) . Beikostprodukte auf Milchbasis.  Monatsschr Kinderheilkd. 2002;  150 8
  • 2 Kersting M. Ernährung des gesunden Säuglings. Lebensmittel- und mahlzeitenbezogene Empfehlungen.  Monatsschr Kinderheilkd. 2001;  149 4-10
  • 3 Koletzko B. Milchnahrungen für gesunde, reifgeborene Säuglinge.  Monatsschr Kinderheilkd. 1992;  140 (10) F71-F82
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  • 21 von Kries R, Koletzko B, Sauerwald T, von Mutius E, Barnert D, Grunert V. et al . Breast feeding and obesity: cross sectional study.  BMJ. 1999;  319 (7203) 147-150
  • 22 Metges C C. Does dietary protein in early life affect the development of adiposity in mammals?.  J Nutr. 2001;  131 (7) 2062-2066
  • 23 Koletzko B, von Kries R. Gibt es eine frühkindliche Prägung des späteren Adipositasrisikos?.  Monatsschr Kinderheilkd. 2001;  149 11-18

Univ.-Prof. Dr. Berthold Koletzko

Dr. von Haunersches Kinderspital der Universität München

Lindwurmstraße 4

80336 München

eMail: Claudia.Wellbrock@kk-i.med.uni-muenchen.de

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