Suchttherapie 2002; 3(3): 168-172
DOI: 10.1055/s-2002-34325
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zwei Systeme - eine Substitution

Von den Schwierigkeiten beim Wechsel Substituierter von der Gesetzlichen Krankenversicherung in das Gefängnis und umgekehrtTwo Systems - One SubstitutionOn the Difficulties of the Change of Substituted Patient from Health Insurance to Prison or BackKarlheinz Keppler1 , Heino Stöver1
  • 1Ärztlicher Dienst der JVA für Frauen, Vechta
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Dr. med. Karlheinz Keppler M.A.

Medizinaldirektor - Frauenarzt, Ärztlicher Dienst der JVA für Frauen

An der Propstei 10

49377 Vechta

Email: Karlheinz.Keppler@jva-vec.niedersachsen.de

Publication History

Publication Date:
25 September 2002 (online)

Table of Contents

Substitution innerhalb und außerhalb der Gefängnisse folgt weder in der Praxis noch in den rechtlichen Hintergründen und Vorgaben [1] den gleichen Bedingungen. Deutlich wird das an den Unterschieden in den Regularien, die von den Gremien der Gesetzlichen Krankenversicherung (= GKV) vorgeschrieben werden und an den Regularien der Bundesärztekammer (= BÄK).

Nur die übergeordneten gesetzlichen Vorgaben des Betäubungsmittelgesetzes (= BtMG) [2] und der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (= BtMVV) [3] gelten gleichermaßen für die gefängnisinterne wie für die Substitution in der GKV.

Im BtMG sind die Rechtsgrundlagen für die Abgabe von Betäubungsmitteln durch den Arzt zum Zwecke der Substitution niedergelegt. Danach ist die Abgabe von Substitutionsstoffen durch den Arzt zur Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig.

In der BtMVV werden die Einzelheiten der Substitution näher geregelt. Neben den Verschreibungshöchstmengen der einzelnen Substitutionsmittel wird festgelegt, für welche Bestimmungszwecke ein Substitutionsmittel verschrieben werden darf und unter welchen Bedingungen Substitution zulässig ist (z. B. Behandlungskonzept, Beikonsumfreiheit, Mitgaberegelung). Darüber hinaus wird auf die anerkannten Regeln nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft verwiesen. Die BÄK wird in die Pflicht genommen, Empfehlungen für das Verschreiben von Substitutionsmitteln auf Grundlage des Standes der medizinischen Wissenschaft zu erarbeiten. Außerdem ist in der letzten Novellierung der BtMVV vorgeschrieben worden, dass ab dem 1. Juli 2002 alle Patienten beim Substitutionsregister (geführt bei der Bundesopiumstelle) unverzüglich an- und abgemeldet werden müssen. Zusätzlich müssen ab dem 1. Juli 2002 alle substituierenden Ärzte, bis auf definierte Ausnahmen, über die Fachkunde „Suchtmedizin” verfügen.

Die (NUB-, AUB-,) BUB-Richtlinien [4] gelten nur für die Substitution im System der GKV. Die Entwicklung dieser Richtlinien ist gut an der Terminologie abzulesen. Während sie in der Anfangsphase NUB-Richtlinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsrichtlinien) hießen, wechselte die Terminologie später zu AUB-Richtlinien (Anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsrichtlinien) und heißen gegenwärtig BUB-Richtlinien (Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsrichtlinien). Diese Richtlinien werden im Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen festgelegt. Eine unbefristete bzw. auf zwölf Monate befristete Behandlung eines Patienten zulasten der GKV wird nach den Richtlinien nur genehmigt, wenn bereits eine schwere Erkrankung vorliegt (HIV, Hepatitis, Abszesse, Lungenentzündung, Tuberkulose etc.). Weitere Gründe für befristete Genehmigungen zur GKV-Substitution sind Schwangerschaft, anstehende Operationen, Warten auf einen Therapieplatz etc.

Hier unterscheiden sich die Richtlinien der GKV ganz wesentlich von denen der BÄK, die in ihren Richtlinien die Substitution auch aus präventiven Gründen für zulässig erachtet, z. B. um das Auftreten einer HIV-Infektion zu verhindern. Insofern sind Privatpatienten (aber theoretisch auch inhaftierte Patienten) besser gestellt als Kassenpatienten.

Grundsätzlich gelten für die Substitution in Gefängnissen die BUB-Richtlinien der GKV allenfalls über einen Umweg. Der Umfang der medizinischen Versorgung der Inhaftierten ist im Strafvollzugsgesetz im Kapitel Gesundheitsfürsorge (§§ 56-66) festgelegt. Immer wieder (zum Teil wörtlich) verweist der Gesetzgeber hier auf die Vorgaben der GKV. Tenor des Gesetzes ist in diesen Paragrafen eindeutig eine Angleichung der gefängnismedizinischen Versorgung an die Versorgung der in der GKV Versicherten. Darüber hinaus ist in einigen Bundesländern die Substitution über Erlasse dergestalt geregelt, dass ausdrücklich auf die Vorgaben der BUB-Richtlinien verwiesen wird.

Dennoch kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten beim Wechsel von substituierten Patienten aus dem System der GKV in das Gefängnis, aber auch umgekehrt, beim Wechsel nach Haftentlassung vom Gefängnis in die GKV.

Einige Falldarstellungen mögen das erläutern.

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Fall Anton B.

Anton B. befindet sich in Substitution mit Methadon im System der GKV. Er wird substituiert wegen einer bestehenden HCV-Infektion mit Nachweis von HCV-RNA. Die Indikation ist also auch nach den restriktiven BUB-Richtlinien eindeutig und rechtfertigt eine unbefristete Substitution zulasten der GKV. Die bisherige Substitution verlief tadelsfrei. Er wird allerdings in der baden-württembergischen Anstalt X wegen einer schon drei Jahre zurückliegenden Straftat inhaftiert. Der Zeitraum zwischen Straftat und Inhaftierung ist deshalb so lang, da noch verschiedene Revisionsverfahren abzuwickeln waren. Eine Substitution wird wegen der ablehnenden Haltung des dortigen Anstaltsarztes („Methadon ist eine Kapitulation vor der Sucht”) in diesem Gefängnis nicht angeboten. Es wird daher eine Entzugsbehandlung mit Kodein-Präparaten mit Anton B. durchgeführt und die Substitution beendet. Die einzige Möglichkeit, die Anton B. bleibt, ist das mühsame Beschreiten des Klageweges. Entsprechende Urteile sind bereits ergangen. Das Landgericht Dortmund [5] schreibt in der Begründung, dass das Gericht nicht den Arzt dazu verurteilen könne, jemanden zu substituieren, wohl aber den Justizvollzug, dem Patienten eine solche Behandlung zu ermöglichen. In der Realität kann das die Verlegung in eine andere Anstalt bedeuten. Ähnlich entschieden haben das OLG Frankfurt und das LG Bochum.

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Fall Christian D.

Christian D. befindet sich in einer so genannten Privatsubstitution. Das heißt, dass der Arzt im System der GKV keine weiteren Ressourcen mehr frei hat, da die ihm von seiner Kassenärztlichen Vereinigung (= KV) zugebilligten Substitutionsplätze bereits besetzt sind, oder es heißt, dass der Arzt mit einer sog. Privatsubstitution einfach schneller mehr verdienen kann als bei einer mit hohem administrativen Aufwand befrachteten Substitution im System der GKV. Christian B. wird inhaftiert in der nordrhein-westfälischen Anstalt Y. Grundsätzlich wird dort substituiert. Allerdings sind auch dort die Plätze knapp, so dass der dortige Anstaltsarzt entsprechend seiner Erlasslage immer dann weiter substituiert, wenn der Patient bei Rückfrage beim vorsubstituierenden Kollegen bei der KV angemeldet ist, einschließlich Code-Nummer und Genehmigung durch die KV.

Da bei diesem Patienten keine Anmeldung vorliegt, wird er vom Methadon entzogen.

Grundsätzlich erleichtert wird eine Entscheidung des Gefängnisarztes, eine Substitution nicht fortzusetzen, wenn der Patient zusätzlich mit erkennbarem Beikonsum kommt und/oder wenn der Patient in der Zeit unmittelbar vor der Inhaftierung nicht mehr beim extern substituierenden Arzt erschienen ist.

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Fall Emil F.

Emil F. konsumiert aktuell Drogen. Er ist zum Strafantritt geladen und weiß, wann er in naher Zukunft seine Haftstrafe anzutreten hat. Er hat davon gehört, dass in dem Gefängnis, in dem er inhaftiert werden soll, eine Substitution angeboten wird, und er hat gehört, dass seine Chancen auf Substitution im Gefängnis ungleich größer sind, wenn er bereits substituiert in das Gefängnis kommt. Er geht daher zu Dr. Z. in seiner Stadt, der mit der örtlichen Drogenberatung zusammenarbeitet und substituiert. Als er dort um eine Substitution nachfragt, wird ihm gesagt, dass leider derzeit bei Dr. Z. keine Plätze für Substitution frei sei. Er erklärt daher Dr. Z., dass er in wenigen Tagen inhaftiert werde und er von daher im Grunde die Substitutions-Ressourcen der Praxis nur unwesentlich belaste. Auf diesem Hintergrund erklärt sich Dr. Z. bereit, ihn zu substituieren. Nach wenigen Tagen stellt er sich zum Strafantritt in der JVA Y., die als ausgesprochen substitutionsfreundlich gilt und in der eine breite Substitution angeboten wird. Allerdings geht die breite und engagierte Substitution in dieser Anstalt ausschließlich zulasten der Mitarbeiter im Ärztlichen Dienst und im Krankenpflegedienst in dieser Einrichtung. Obwohl sie seit über 10 Jahren und derzeit aktuell über 100 Patienten substituieren, haben sie weder personelle noch sonstige zusätzliche Ressourcen erhalten. Sie haben daher den Wunsch, die Substitution auf ca. 100 Patienten zu begrenzen, und haben aus diesem Grunde eine Warteliste mit derzeit ca. 15 Patienten, die zum Teil bereits seit mehreren Monaten auf die Substitution warten. Da der dortige Arzt die Erfahrung gemacht hat, dass die Anzahl der von draußen kommenden, substituierten Patienten weit größer ist als die Anzahl der Patienten, die während der Haft in die Substitution genommen werden, hat er zusammen mit seinen Mitarbeitern Kriterien erstellt, unter welchen Bedingungen von draußen kommende Patienten nahtlos weitersubstituiert werden und wann nicht. Da er das oben skizzierte Phänomen kennt (Ansubstituieren kurz vor der Haft), wurde vom Arzt und seinen Mitarbeitern festgelegt, dass eine Vorsubstitution von weniger als vier Wochen einen Grund für eine Nicht-Weitersubstitution nach Inhaftierung darstellt. Emil F. wird mit Methadon entzogen und nicht weiter substituiert. Er hat die Möglichkeit, sich auf die Warteliste setzen zu lassen.

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Fall Grete H.

Grete H. ist drogenabhängig und schwanger. Von ihrem behandelnden Arzt außerhalb des Gefängnisses ist sie auf eine neue Substitutionssubstanz (Buprenorphin = Subutex®) eingestellt worden. Buprenorphin verursacht beim Neugeborenenen im Vergleich mit der herkömmlichen Substitutionssubstanz Methadon ein geringeres bzw. kein neonatales Abstinenzsyndrom. Nach Einlieferung in eine Frauenhaftanstalt in Bayern stellt sich heraus, dass mit dem neuen Substitutionsmittel Buprenorphin dort noch überhaupt keine Erfahrungen vorliegen. Auch die Frage, ob vom Buprenorphin auf Methadon umgestellt werden kann, kann dort nicht beantwortet werden. Das Buprenorphin wird also abgesetzt. Die Entzugssymptomatik wird symptomatisch behandelt.

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Fall Ingo J.

Ingo J. ist in der Haft entlassungsvorbereitend auf Methadon eingestellt worden. Ingo J. und die ihn betreuenden Mitarbeiter des gefängnisinternen Drogenberatungsdienstes versprechen sich davon eine größere Rückfallprophylaxe-Chance für die sensible Zeit unmittelbar nach Haftentlassung. Der Suchtberatungsdienst versucht, in einer großen Stadt Thüringens einen Arzt zu finden, der bereit ist, die Substitution nach der Haft fortzusetzen. Es findet sich in der Stadt nicht ein einziger Arzt, der bereit wäre zu substituieren. Daraufhin entschließt sich Ingo J., nach Haftentlassung in eine große Stadt in Hessen zu gehen. Über die dortige Drogenberatung bekommt der Suchtberater eine Liste mit substituierenden Ärzten. Nachdem er die ganze Liste abtelefoniert hat, stellt sich heraus, dass die Kontingente bei den einzelnen Ärzten ausgelastet sind. Es findet sich kein freier Platz, der eine Weitersubstitution möglich machen würde. Nachdem der Suchtberater des Gefängnisses sich nach diesen frustierenden Bemühungen erneut an die örtliche Drogenberatung wendet, wird ihm vertraulich unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteillt, dass Ingo J. am besten einfach als haftentlassener, substituierter Patient nach Entlassung bei einem der Ärzte erscheinen solle. Eine Substitution werde dann aufgrund der entstandenen Zwangslage weitergeführt.

Hintergrund dieser Arzt-Mangel-Situation ist, dass viele Ärzte sich nicht an der Substitution beteiligen wollen. Sie befürchten, dass drogenabhängige Patienten bei den anderen Patienten diffuse Ängste auslösen und diese so verprellen („Ich gehe doch nicht zum Drogendoktor”). Zudem ist die Vergütung von Substitution im Kassenärztlichen System derart unattraktiv, dass auch das keine zusätzliche Motivation mehr bedeutet.

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Fall Karl L.

Karl L. ist in einer JVA im Norden Deutschlands substituiert. Er ist HIV-positiv und hat mehrere AIDS-definierende Erkrankungen. Im Zusammenhang mit seiner hochgradigen Sucht ist er methadonsubstituiert. Er hat zur Finanzierung seiner Sucht einen Raubüberfall auf eine norddeutsche Tankstelle begangen und eine Strafe von fünf Jahren erhalten. Er kommt aus Süddeutschland. Auch seine Familie, zu der er immer guten Kontakt hatte, lebt dort. Da er nicht weiß, wie lange er noch zu leben hat, will er den Kontakt zu seiner Familie halten. Er beantragt, zur Verbüßung seiner Strafe in ein Gefängnis in der Nähe seines süddeutschen Lebensmittelpunkts verlegt zu werden. Der Suchtberater fragt vor seiner Verlegung die Möglichkeiten der Substitution in der süddeutschen Anstalt ab. Er erfährt, dass dort keine Substitution möglich ist. Karl L. ist die Substitution so viel wert, dass er auf eine Verlegung und Familienkontakt verzichtet und in der norddeutschen JVA seine langjährige Haftstrafe absitzt. Sollten seine Familienangehörigen ihn besuchen wollen, so haben sie jedesmal ca. 2 × 700 km Fahrstrecke zu bewältigen. Sollte Karl L. einmal Lockerungen erhalten und seine Familie besuchen wollen, so gilt für ihn das Gleiche.

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Fall Maria N.

Maria N. lebt in Bayern. Sie ist drogenabhängig und hat zwei Kinder. Das ältere von beiden ist mit sechs Jahren in der Folge von Misshandlungen durch den Vater gestorben. Das Gericht urteilt, dass die junge, überforderte Mutter, die selbst oft Opfer von Misshandlungen durch den Ehemann war, hätte erkennen müssen, dass dem Kind durch die Misshandlungen des Ehemannes möglicherweise eine Lebensgefahr gedroht hat. Es verurteilt deshalb Maria N. zu einer Strafe von vier Jahren wegen Beihilfe bzw. unterlassener Hilfeleistung. Mittlerweile hat Maria N. ein 1-jähriges Kind. Sie sieht ein, dass ihre Drogenabhängigkeit zumindest in Teilen mit ursächlich war sowohl für die Partnerwahl als auch für die Art der Partnerbeziehung als auch für die Geschehnisse, die zum Tode des Kindes geführt haben. Sie beschließt, alles zu vermeiden, was zu einem Schaden für das zweite Kind führen könnte. Um ihre Drogenabhängigkeit in den Griff zu bekommen, bemüht sie sich um Aufnahme in eine Substitution. Außerdem will sie sich nicht von ihrem Kind trennen und strebt deshalb eine Aufnahme in einem Gefängnis mit angeschlossener Mutter-Kind-Einrichtung an. In der Einrichtung in ihrem Bundesland ist nicht nur eine Substitution ausgeschlossen, grundsätzlich werden keine drogenabhängigen Mütter mit Kind aufgenommen. Eine Nachfrage bei Mutter-Kind-Einrichtungen in anderen Bundesländern ergibt ein ähnliches Bild. Lediglich in einem Bundesland hat sie Glück. Dort werden seit kurzem auch drogenabhängige Mütter aufgenommen, allerdings nur dann, wenn sie zeigen, dass sie etwas gegen ihre Sucht tun wollen, z. B. durch Teilnahme an einer Substitution.

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Fall Otto P.

Otto P. bemüht sich schon seit einiger Zeit um eine Substitution im System der GKV. Zu seinem eigenen Glück (aber leider nicht glücklich für eine Substitution) hat er sich im Verlauf seiner Drogenkarriere keine gravierenden Erkrankungen erworben. Auch eine Abstinenztherapie sieht er derzeit für sich nicht als Alternative. Ebenso wenig steht eine Operation an. Die substituierenden Ärzte, die er aufsucht, sehen keine Möglichkeit, ihn im Rahmen der BUB-Richtlinien zulasten der GKV zu substituieren. Sie können ihm nur eine so genannte „Privatsubstitution” anbieten, bei der der Patient die Substitution selbst bezahlt. Das kann sich Otto P. nicht leisten. Aufgrund einer länger zurückliegenden Straftat ist er vor einiger Zeit schon verurteilt worden. Nach diversen Revisionen ist das Urteil nun rechtskräftig. Er tritt seine Strafe in dem Gefängnis Q. an. Dort hat gerade ein neuer Arzt begonnen, als Anstaltsarzt zu arbeiten. Da dieser Arzt bis zu seinem Amtsantritt als Gefängnisarzt in einer psychiatrischen Klinik mit zahlreichen Suchtpatienten gearbeitet hat, sind ihm die Kautelen einer Substitutionsbehandlung geläufig. Obwohl es in seinem Bundesland einen Erlass gibt, der die Substitution in den Gefängnissen an die Vorgaben der GKV koppelt, nimmt er die Vorgaben der Richtlinien der BÄK als Leitschnur und substituiert den Patienten während der Haft.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Trotz vergleichsweise eindeutiger Verordnungslage ist es zurzeit in den Gefängnissen Deutschlands völlig arbiträr, wer, wen, wann, wo und unter welchen Bedingungen substituiert. Ordnet man die Substitutionssituation in den Gefängnissen der einzelnen Bundesländer auf einem Vierer-Kontinuum (flächendeckend - flächendeckend mit Lücken - nicht flächendeckend/unter bestimmten Voraussetzungen - vereinzelt/gar nicht) ein, so ergibt sich das folgende Bild:

flächendeckend:
Hamburg, Bremen, Berlin, Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen

flächendeckend mit Lücken:
Schleswig-Holstein

nicht flächendeckend/unter bestimmten Voraussetzungen:
Saarland, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern

vereinzelt/gar nicht:
Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg

Vor dem Hintergrund dieser unbefriedigenden Situation hat sich im letzten Jahr der Verordnungsgeber bemüht, eine Vereinheitlichung zu erreichen. Er hat die BÄK in die Pflicht genommen, anerkannte Regeln der ärztlichen Kunst und damit gewissermaßen Standards der Substitution niederzulegen. Diese Standards wurden in den Richtlinien der BÄK [6] festgeschrieben, die aber bisher von ihrer Wirkung her eine gewisse Beliebigkeit und Unverbindlichkeit hatten [7].

In der Präambel wird Drogenabhängigkeit als chronische und behandlungsbedürftige Erkrankung definiert. Als oberstes Ziel der Substitution wird die Suchtfreiheit postuliert. Als mögliche Stufen der Behandlung gelten (i) Sicherung des Überlebens, (ii) gesundheitliche und soziale Stabilisierung, (iii) berufliche Rehabilitation und soziale Reintegration und (iv) Opiatfreiheit. Substitution verläuft individuell unterschiedlich lange und kann eine Behandlungsform sein, auch wenn sie nicht unmittelbar und zeitnah zur Opiatfreiheit führt. Sie soll dann eingesetzt werden, wenn sie im Vergleich zu anderen Behandlungen die größere therapeutische Chance bietet. Die Substitution wird darüber hinaus als präventive Maßnahme für HIV und Hepatitis gesehen, sowohl für den Drogenabhängigen als auch für die Gesamtbevölkerung.

Diese Regelungen gelten für alle Ärzte, die Substitutionsbehandlungen durchführen. Eine umfassende Beratung soll durch eine Beratungskommission der Ärztekammer gewährleistet sein. Die gesetzlichen Vorgaben müssen eingehalten werden.

Voraussetzungen für den Beginn einer Substitution sind jetzt nur noch das Vorliegen einer manifesten Opiatabhängigkeit (auch kürzer als 2 Jahre), Bestehen der Abhängigkeit seit längerer Zeit, erfolglose Abstinenzversuche und/oder Unmöglichkeit einer drogenfreien Therapie und/oder bessere Therapiechance unter Substitution.

Die substitutionsgestützte Behandlung ist nur zulässig im Rahmen eines umfassenden Therapiekonzeptes. Das Therapiekonzept muss mehr umfassen als nur die Vergabe des Substituts. Regelmäßige Gespräche, medizinische Untersuchungen und Koordination von ärztlicher Arbeit und psychosozialer Betreuung sind hierzu erforderlich. Die kontinuierliche psychosoziale Betreuung wird als entscheidend für den Therapieerfolg angesehen. Ihr Umfang richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen und nach dem Krankheitsverlauf.

Mit dem Patienten sind umfassende Vereinbarungen zutreffen. Er ist über alle Modalitäten der Behandlung umfassend aufzuklären. Außerdem werden in den Richtlinien sehr umfangreich Anamnese und Diagnostik festgeschrieben.

Als Substitutionsmittel sind die in der BtMVV genannten Substanzen zulässig. Die Einstellung auf die erforderliche Dosis muss mit besonderer Sorgfalt geschehen, im Zweifel auch stationär (z. B. bei polytoxikomanen Patienten). Die Verabreichung muss unter kontrollierten Bedingungen erfolgen.

Der behandelnde Arzt muss dem Patienten einen Behandlungsausweis ausstellen, in dem die aktuelle Tagesdosis in Milligramm (mg) aufgeführt ist.

Es müssen unangemeldete, stichprobenartige qualitative Urinkontrollen auf Beigebrauch anderer Suchtmittel durchgeführt werden. Wenn ein aktueller Beikonsum festgestellt wird, der den Patienten bei zusätzlicher Verabreichung des Substituts gesundheitlich gefährden würde, hat die Vergabe des Substituts an diesem Tage zu unterbleiben. Die Gründe für den Beikonsum müssen abgeklärt werden, seine Ursache muss eruiert werden und Möglichkeiten der Beseitigung müssen gesucht werden. Führen eine Dosisanpassung und die Ursachenforschung nicht zum gewünschten Ergebnis, gelten als Abbruchkriterien: (i) fortgesetzter, problematischer, die Therapieziele gefährdender Beikonsum, (ii) Verweigerung der Kontrollen, (iii) unzureichende Kooperationsbereitschaft des Patienten, (iv) Weitergabe und/oder Handel mit Suchtstoffen.

Eine definitive Beendigung der Behandlung kann angestrebt werden, wenn sich die Lebenssituation des Patienten stabilisiert hat. Dann sollte das Methadon langsam ausschleichend abgesetzt werden, Dosisreduktionen von weniger als 10 % in der Woche werden im Allgemeinen gut toleriert.

Darüber hinaus regeln die Ärztekammer-Richtlinien noch das Vorgehen bei Arztwechsel, bei Take-Home-Verschreibung, die extensiven Dokumentationspflichten des Arztes und die Qualitätssicherung.

Der behandelnde Arzt muss eine Qualifikation erwerben. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das die Fachkunde „Suchtmedizinische Grundversorgung”.

Nach der Niederlegung dieser Standards in den Richtlinien der Bundesärztekammer bemüht sich nun das Bundesministerium für Gesundheit, diese Vorgaben auch zur Grundlage der Substitution im System der GKV werden zu lassen. Derzeit sträubt sich der Bundesausschuss (das Gremium, in dem Vertreter der Krankenkassen und der KV sitzen) noch, dieser Vorgabe zu folgen, so dass wohl eine weitere verbindliche Regelung von Gesetzesqualität erforderlich werden wird.

Der Verordnungsgeber hat mit seiner neuen BtMVV insofern eine neue Lage geschaffen, als er die Bundesärztekammer in die Pflicht genommen hat, verbindlich für alle Ärzte die Standards der Substitutionsbehandlung festzuschreiben.

Trotz dieser Vereinheitlichung werden die Chancen auf gleiche Behandlung vielleicht etwas erhöht, aber nicht gesichert.

Es steht zu vermuten, dass auch weiterhin die Substitution in den Gefängnissen sehr von den Gegebenheiten in den einzelnen Anstalten und von der persönlichen Meinung des zuständigen Arztes abhängt. Auch eine Umsetzung der Richtlinien der Bundesärztekammer im System der GKV wird an den weiterhin restriktiven Vorgaben der GKV scheitern. Weiteres Manko ist die niedrige Zahl der Ärzte im System der GKV, die bereit sind zu substituieren.

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Literatur

  • 1 Keppler K. Methadonsubstitution im Justizvollzug Deutschlands. Brockmeier NH, Brodt R, Hoffmann K, Reimann G, Stücker M, Altmeyer P HIV-Infekt. Epidemiologie, Prävention, Pathogenese, Diagnostik, Therapie, Psycho-Soziologie Berlin, Heidelberg; Springer 2000: 818-834
  • 2 Bundesgesetzblatt . Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz-BtMG).  1994;  1/13 359-383
  • 3 Bundesgesetzblatt . Fünfzehnte Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung vom 19. Juni 2001.  Bundesgesetzblatt I. 2001;  1180 ff
  • 4 Bundesärztekammer . Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und über die Überprüfung erbrachter vertragsärztlicher Leistungen.  Deutsches Ärzteblatt. 1999;  96/25 B 1382-1384
  • 5 Dortmund Landgericht . Beschluß vom 1.12.1994 - 9 StVk 71/94 UN. Strafverteidiger.  1995;  3 143-144
  • 6 Bundesärztekammer . Leitlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger.  Deutsches Ärzteblatt. 2002;  99/21 A 1458-1461
  • 7 Bundesärztekammer . Leitlinien der Bundesärztekammer zur Substitutionstherapie Opiatabhängiger.  Deutsches Ärzteblatt. 1997;  94/7 A 401-403

Dr. med. Karlheinz Keppler M.A.

Medizinaldirektor - Frauenarzt, Ärztlicher Dienst der JVA für Frauen

An der Propstei 10

49377 Vechta

Email: Karlheinz.Keppler@jva-vec.niedersachsen.de

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Literatur

  • 1 Keppler K. Methadonsubstitution im Justizvollzug Deutschlands. Brockmeier NH, Brodt R, Hoffmann K, Reimann G, Stücker M, Altmeyer P HIV-Infekt. Epidemiologie, Prävention, Pathogenese, Diagnostik, Therapie, Psycho-Soziologie Berlin, Heidelberg; Springer 2000: 818-834
  • 2 Bundesgesetzblatt . Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz-BtMG).  1994;  1/13 359-383
  • 3 Bundesgesetzblatt . Fünfzehnte Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung vom 19. Juni 2001.  Bundesgesetzblatt I. 2001;  1180 ff
  • 4 Bundesärztekammer . Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und über die Überprüfung erbrachter vertragsärztlicher Leistungen.  Deutsches Ärzteblatt. 1999;  96/25 B 1382-1384
  • 5 Dortmund Landgericht . Beschluß vom 1.12.1994 - 9 StVk 71/94 UN. Strafverteidiger.  1995;  3 143-144
  • 6 Bundesärztekammer . Leitlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger.  Deutsches Ärzteblatt. 2002;  99/21 A 1458-1461
  • 7 Bundesärztekammer . Leitlinien der Bundesärztekammer zur Substitutionstherapie Opiatabhängiger.  Deutsches Ärzteblatt. 1997;  94/7 A 401-403

Dr. med. Karlheinz Keppler M.A.

Medizinaldirektor - Frauenarzt, Ärztlicher Dienst der JVA für Frauen

An der Propstei 10

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