PiD - Psychotherapie im Dialog 2002; 3(4): 324-330
DOI: 10.1055/s-2002-36084
Standpunkte

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ethnopsychoanalytische Aspekte der Adoleszenz - Adoleszenz und Omnipotenz

Mario  Erdheim
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Publication Date:
11 December 2002 (online)

Abstract

Ein wesentlicher Grundzug der Adoleszenz ist die Omnipotenz, die dem Individuum die Kraft gibt, sich der Realität entgegenzusetzen und seine Pläne zu realisieren. Um dazu fähig zu sein, muss es seine Größen- und Allmachtsfantasien mit seinen Ich-Fähigkeiten verknüpfen, was in den verschiedenen Lebensphasen in immer neuen Anläufen versucht werden muss. Der Aufbau innerer Räume, in denen die Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit ausgehalten werden muss, spielt dabei eine wesentliche Rolle, und während der Adoleszenz entscheidet sich, welche Kanäle das Individuum zur Verfügung haben wird, um seine Omnipotenz umzusetzen: Arbeit, Freizeit oder Gewalt.

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1 Es ist nicht zufällig, dass René Descartes, einer der Begründer der neuzeitlichen Philosophie, der Problematik der Unterscheidung von Traum und Realität großes Interesse zuwandte. Weil er zum Schluss kommt, dass es keine eindeutigen Kriterien gibt, die eine Unterscheidung ermöglichen, kommt er zum Schluss, dass nur dem Zweifel zu trauen ist (Descartes 1637, S. 53).

2 Die psychoanalytische Theorie betrachtet die Omnipotenz vor allem von ihrer negativen Seite her, als gestörten Narzissmus, dem Größenwahn verwandter als der Inspiration. Damit unterläuft aber der Psychoanalyse ein ähnlicher Fehler, wie wenn sie die Sexualität nur aus der Sicht der Sexualpathologie behandeln wollte.

3 Zu erinnern wäre an den Potlach, bei der wertvolle Güter zerstört wurden, um damit die Macht des Häuptlings zu beweisen (vgl. Mauss 1923-24).

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