Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(50): 2695
DOI: 10.1055/s-2002-36109
Arztrecht in der Praxis
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Rufbereitschaft im Krankenhaus: Darf der Arbeitgeber den Zeitrahmen bis zur Arbeitsaufnahme vorgeben?

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.01.2002 - 6 AZR 214/00H.-J.  Rieger
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Publication Date:
13 December 2002 (online)

Problem Nach § 15 Absatz 6 b BAT, der auch für den Krankenhausbereich gilt, liegt Rufbereitschaft vor, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einem dem Arbeitgeber anzuzeigenden Ort aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Ähnliche Formulierungen finden sich in anderen Tarifverträgen und Richtlinien für Arbeitsverträge (AVR) meist kirchlicher oder karitativer Organisationen (z. B. Caritas, Deutsches Rotes Kreuz usw.). Nirgends ist jedoch geregelt, wie viel Zeit höchstens vom Abruf bis zur Arbeitsaufnahme vergehen darf, um die ordnungsgemäße Patientenversorgung nicht zu gefährden. Es stellt sich daher die Frage, ob der Arbeitgeber bei der Anordnung von Rufbereitschaft von sich aus entsprechende Zeitvorgaben machen darf. Zum Sachverhalt In dem vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall ging es um die Rufbereitschaft eines in der Anästhesieabteilung eines Krankenhauses tätigen Krankenpflegers im Geltungsbereich der AVR des Caritasverbandes. Nach § 7 Absatz 3 AVR hält sich der Mitarbeiter während der Rufbereitschaft an einem von ihm selbst gewählten Ort auf, um bei Anruf kurzfristig die Arbeit aufzunehmen. Der Arbeitgeber hatte diese Bestimmung dahin „konkretisiert”, dass die Zeit zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme maximal 20 Minuten betragen darf. Entscheidung des Gerichts Das BAG geht davon aus, dass durch das Tatbestandsmerkmal „kurzfristig” die Gefährdung des Einsatzes des Diensthabenden durch lange Wartezeiten vermieden werden soll, was unter Umständen zur Folge haben kann, dass sich der Mitarbeiter bei Rufbereitschaft nicht zu Hause aufhalten kann, dann nämlich, wenn seine Wohnung so weit vom Arbeitsort entfernt liegt, dass die Arbeitsaufnahme in angemessen kurzer Zeit nicht möglich ist und der Einsatz deshalb gefährdet wäre. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht schon dann vor, wenn der Arbeitsplatz von der Wohnung des Mitarbeiters, wie hier, in ca. 25-30 Minuten erreichbar ist. Wegezeiten in dieser Größenordnung sind nach Ansicht des Gerichts nicht unüblich und deshalb vom Arbeitgeber auch bei Rufbereitschaft, die herkömmlicherweise überwiegend zu Hause geleistet wird, generell hinzunehmen. Im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst soll die Rufbereitschaft dem Arbeitnehmer grundsätzlich die Gestaltung seiner an sich arbeitsfreien Zeit ermöglichen. Das BAG stellt nicht in Abrede, dass der Krankenhausträger zur ordnungsgemäßen medizinischen Versorgung der Patienten und aus Haftungsgründen darauf angewiesen sein mag, dass das Pflegepersonal in Notfällen innerhalb von 20 Minuten oder sogar noch in kürzerer Zeit tätig wird. Solche Notfälle können jedoch grundsätzliche nicht mit Pflegepersonal in Rufbereitschaft behandelt werden. Sie erfordern in der Regel den Einsatz von Pflegekräften, die innerhalb der für sie geltenden regelmäßigen Arbeitszeit tätig sind oder die Bereitschaftsdienst leisten. Dass die Anordnung von Rufbereitschaft für den Arbeitgeber im Vergleich zum Bereitschaftsdienst und zum Einsatz des Personals während der regelmäßigen Arbeitszeit im Allgemeinen kostengünstiger ist, ist nach Auffassung des Gerichts unerheblich. Die deutlich geringere Entlohnung der Rufbereitschaft gegenüber dem Bereitschaftsdienst ist darin begründet, dass der Mitarbeiter in seiner Freizeitgestaltung weitgehend frei ist. Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine zeitliche Vorgabe von 20 Minuten zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme zwingen könnte, sich in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes aufzuhalten, um ihm dadurch die Möglichkeit, seine Freizeit weitgehend selbst zu gestalten, zu nehmen. Dies käme, so das BAG, der Anordnung von Bereitschaftsdienst gleich. Praktische Konsequenzen aus dem Urteil Die vom BAG entwickelten Grundsätze sind über den konkreten Sachverhalt hinaus von allgemeiner Bedeutung. Das heißt: Bei der Anordnung von Rufbereitschaft - gleichgültig aufgrund welcher tariflichen oder sonstigen Regelung und ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Ärzte oder nichtärztliche Mitarbeiter handelt - ist der Krankenhausträger nicht berechtigt, eine maximale Zeitspanne zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme für den Diensthabenden verbindlich festzulegen. Setzt die sorgfaltsgemäße Versorgung der Patienten im Notfall den Einsatz des ärztlichen oder nichtärztlichen Personals innerhalb einer bestimmten Mindestfrist voraus, muss der Krankenhausträger Bereitschaftsdienst anordnen, auch wenn die Rufbereitschaft für ihn kostengünstiger wäre.

Rechtsanwalt Dr. H.-J. Rieger

Zeppelinstraße 2

76185 Karlsruhe