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DOI: 10.1055/s-2002-36151
Kosten der Frühverrentung am Beispiel der Schizophrenie
Costs of Early Retirement - the Case of Schizophrenia Wir danken dem Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger (Frankfurt am Main) für die Unterstützung bei der Beschaffung der Daten zum Rentenzugang nach Diagnosegruppen.Publication History
Publication Date:
16 December 2002 (online)
Zusammenfassung
Die Schizophrenie ist eine schwere psychotische Krankheit, die relativ frühzeitig im Lebenszyklus auftritt und häufig die Arbeitsfähigkeit so nachhaltig herabsetzt, dass es zu einer Erwerbsunfähigkeit kommt. Die Krankheit verursacht somit nicht nur erhebliche direkte, sondern auch indirekte Kosten, die sich insbesondere in den Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) wiederspiegeln. In dieser Studie werden Statistiken der GRV zur Frühverrentung ausgewertet. Jährlich werden in Deutschland weit über sechstausend Männer und Frauen mit der ersten Diagnose Schizophrenie (295 nach ICD-9) neu verrentet. Das durchschnittliche Verrentungsalter mit dieser Diagnose liegt für Männer bei 39 und für Frauen bei 42 Jahren. Bei den Männern erfolgen 14,7 Prozent aller Verrentungen der unter 40-Jährigen mit der Diagnose Schizophrenie. Entsprechend hoch sind die Ausgaben der GRV. Allein der Barwert der Rentenzahlungen für einen durchschnittlichen männlichen Rentenfall beträgt 215 000 Euro. Werden auch die Einnahmeausfälle der gesamten Sozialversicherung und der Einkommensteuer berücksichtigt, ergibt sich ein Barwert von 560 000 Euro. Eine Simulation der Bestandszahlen auf Basis der Neuzugänge ergibt für das Jahr 2000 einen Rentenbestand von 125 000 Personen im Alter unter 65 Jahren in der GRV, die ursprünglich mit der ersten Diagnose Schizophrenie verrentet wurden. Die GRV wird hierdurch jährlich mit Rentenzahlungen in Höhe von etwa 1,3 Milliarden Euro belastet; hinzu kommen Einnahmeausfälle der Sozialversicherung und des Fiskus von nochmals etwa 2 Milliarden Euro. Da in der GRV nur ⅔ der Personen im Erwerbsalter pflichtversichert sind, spiegeln diese Zahlen nicht die gesamten Kosten wieder.
Abstract
Schizophrenia is a severe psychic disorder that occurs at young age and often leads to a work disability. The disease not only induces direct costs in the health care system but also indirect costs that show up in the social security system. In this study, we apply statistics from the social security administration on early retirement due to disability. Over 6000 males and females per year are retiring with the diagnosis schizophrenia (classified as 295, ICD-9). The average retirement age is 39 for males and 42 for females. Schizophrenia is the most important single reason for early retirement before age 40. Of all male cases of disability retirement under the age of 40, 14,7 percent are due to schizophrenia. The present discounted value of pensions paid out before the standard retirement age of 65 is 215 000 Euro for an average male. Moreover, the revenue loss in income taxes and pay-roll contributions amounts to 345 000 Euro. In the year 2000, a total of 125 000 persons under the age of 65, who originally entered retirement with the diagnosis schizophrenia, are estimated to be receiving a pension. The corresponding annual expenditures of the social security system reach 1.3 Billion Euro; the revenue loss (pay-roll plus income taxes) reaches 2 Billion Euro. Since only two thirds of the working age population is covered by the social security system, the costs of early retirement due to schizophrenia are underestimated by a factor of at least one third.
Schlüsselwörter
Schizophrenie - Indirekte Kosten - Frühverrentung
Key words
Schizophrenia - Indirect cost - Early retirement
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1 Wie schwierig die Abschätzung ist, macht die folgende Rechnung deutlich: Bei einer Dunkelziffer von 25 Prozent und einer fachärztlichen Versorgungsrate von 75 Prozent ergäbe sich eine Prävalenz von 0,37 Prozent. Unter der Annahme, dass nur 50 Prozent der Betroffenen erkannt und davon wiederum nur 50 Prozent fachärztlich versorgt werden, würde die Prävalenz in der Gesamtbevölkerung sogar bei 0,84 Prozent liegen.
2 In den ersten sechs Wochen einer Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung einschließlich der Beiträge zur Sozialversicherung verpflichtet und trägt somit einen Teil der Kosten.
3 Da Transferzahlungen der GRV nach dem vorherigen Einkommen bemessen werden, geben sie einen Anhaltspunkt für den Ausfall an Humankapital und sind ökonomisch als Kosten zu bewerten. Die Erhebung von Beiträgen und Steuern zur Finanzierung dieser Transfers bewirkt zudem Umverteilungseffekte und Zusatzlasten bei den Erwerbstätigen. Außerdem führt Arbeitsausfall zu Einnahmeausfällen der öffentlichen Hand.
4 Eine alternative Sichtweise auf dieses Problem ist die Theorie der externen Effekte. Das Gesundheitswesen produziert positive externe Effekte für das Budget der GRV, die aber nicht honoriert werden, was zu einer Unterversorgung führt. Die klassische Lösung dieses Problems besteht in der Internalisierung - beispielsweise durch eine Pigou-Steuer.
5 Seit 1992 wird im Rentenrecht der Begriff „Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit” zur Abgrenzung von „Altersrenten” verwendet. Der Begriff „Frührente” wird in diesem Aufsatz der Einfachheit halber als Synonym weiter verwendet.
6 Vgl. VDR-Statistik Rentenzugang, 1999. Bis zum Jahr 1999 einschließlich wurde die Klassifikation nach ICD-9 verwendet. Im Jahr 2000 erfolgte die Umstellung auf ICD-10, doch wurde leider ein großer Teil der Meldungen nach ICD-9 abgegeben. Daher werden im Folgenden nur Daten bis zum Jahr 1999 verwendet.
7 Es ist davon auszugehen, dass Schizophrenie aufgrund von Komorbidität an weiteren Fällen von Erwerbsunfähigkeitsrenten beteiligt ist. Über die Komorbidität gibt es jedoch bisher kein publiziertes Datenmaterial, da standardmäßig nur die „erste” Diagnose statistisch ausgewertet wird. Außerdem können sich Abgrenzungsprobleme zu ähnlichen Diagnosen ergeben. Die Fallzahlen des Zugangs in eine Erwerbsminderungsrente in den Diagnosegruppen 259-299 betrugen 6106 Männer und 6351 Frauen.
8 Hierbei werden ein Reallohnanstieg von 1,5% und ein realer Diskontsatz von 3% unterstellt.
9 Ein noch umfassenderes Maß für die volkswirtschaftlichen Kosten ist das entgangene Bruttoarbeitsentgelt einschließlich der Arbeitgeberbeiträge. Wird das durchschnittliche Arbeitsentgelt der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Jahres 2000 zugrundegelegt, dann beträgt der volkswirtschaftliche Verlust über 33750 Euro pro Jahr.
10 Eine Sensitivitätsanalyse zeigt, dass selbst bei einer 10-fach erhöhten Sterblichkeit immer noch mit 99 000 Bestandsrentern zu rechnen ist.
11 Hinzu kommen noch pensionierte Beamte, die in der Regel deutlich höhere Renten beziehen.
Prof. Dr. R. Schnabel
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften · Universität Essen
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