Das Suchthilfesystem in Deutschland blickt auf eine lange Tradition
mit psychosozialen Ansätzen im ambulanten Bereich zurück.
Stationäre Akutbehandlungen finden im Rahmen von Entgiftungen in
Psychiatrischen Kliniken oder Allgemeinkrankenhäusern statt.
Längerfristige vollstationäre Behandlungen finden in den
Rehabilitationskliniken statt. Daneben gibt es ein etabliertes Versorgungssytem
für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Störungen und
Erkrankungen. Es gliedert sich ebenso in einen ambulanten bzw. stationären
Bereich mit Akutbehandlung aber auch einer längerfristigen Behandlung bei
chronischen Erkrankungen, einem verzweigten Komplementärsystem sowie einer
rehabilitativen Behandlung auf.
Menschen mit einer psychischen Erkrankung und einer weiteren
Suchterkrankung erfahren oft, dass beide Versorgungssysteme die
Behandlungsbedürftigkeit der jeweils anderen comorbiden Störung als
Ausschlusskriterium formulieren. Dieses gilt mit einer besonderen Schärfe,
wenn sie an einer so genannten frühen Störung leiden und erst recht
bei der expliziten Frage nach einer psychotherapeutischen Behandlung. Den
Zugang zur Psychotherapie in spezialisierten Fachkliniken oder bei
niedergelassenen Psychotherapeuten ist ihnen weitgehend verschlossen.
Dieser Artikel soll einen Einblick in die Dialektisch-Behaviorale
Therapie, einer spezialisierten Psychotherapie für borderlinegestörte
Patienten, geben. Diese Therapie ermöglicht die Integration von
suchtmedizinischen Gesichtspunkten und somit auch die Behandlung einer
besonders schwer gestörten, comorbiden Patientengruppe.
Psychotherapie für Suchtkranke
Psychotherapie für Suchtkranke
Die psychotherapeutische Behandlung ist oft abhängig von der
Grundausrichtung der Therapeuten. Die Therapie findet somit ansatzbezogen,
z. B. psychoanalytisch, verhaltenstherapeutisch, systemisch usw., statt.
Insgesamt und auch im suchttherapeutischen Bereich ist eine Entwicklung zu mehr
störungsspezifischen Verfahren erkennbar [1].
Eine große Bedeutung haben kognitiv-verhaltenstherapeutische
Verfahren, wobei eine im engeren Sinn „spezifische”
Psychotherapie für Suchtkranke nicht existiert. Etabliert sind
Therapieverfahren wie „cue exposure” - klassisches
Expositionsverfahren mit Darbietung eines Schlüsselreizes (z. B.
gefülltes Bierglas) - oder „kontrollierte
Trinkprogramme” mit dem Ansatz der Modifikation problematischer
Verhaltensweisen (in diesem Fall Alkoholkonsum mit Kontrollverlust). Dazu ist
die heutige Therapie von Suchtkranken geprägt von Basisverfahren wie der
motivierenden Gesprächsführung unter Einbeziehung des familiären
oder sozialen Umfeldes [2, 3].
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren
folgen der Grundannahme, dass Suchtmittelkonsum eine problematische, erlernte
Verhaltensweise ist, die mit geeigneten therapeutischen Interventionen
verändert und wieder verlernt werden kann [4].
Anwendung finden diese Verfahren u. a. beim
Rückfallpräventionstraining. Es werden
typische und individuelle Situationen und Reizkonstellationen identifiziert,
die üblicherweise mit oder ohne Entwicklung von „craving”
(Suchtdruck) zu Suchtmittelkonsum führen. Die Behandlung umfasst dann zum
einen die Bewusstmachung der typischen Ausgangskonstellationen. Zum anderen
zielt sie auf eine Verdeutlichung von Konsequenzen des Konsums
(positive/negative Verstärkung, Löschung, Bestrafung) hin.
Adäquate Verhaltensweisen lassen sich imaginativ oder im Rollenspiel
erarbeiten.
Zur Umstrukturierung dysfunktionaler
Kognitionen gibt es verschiedene Methoden. Unter einer „kognitiven
Vorbereitung” können solche therapeutischen Maßnahmen
verstanden werden, die vor der Durchführung von Verhaltensübungen,
z. B. Ablehnung von angebotenem Alkohol, stattfinden. Sie haben zum
Ziel, den Betroffenen zu neuen Kenntnissen über das gestörte
Verhalten (z. B. Alkoholkonsum immer wenn Alkohol angeboten wird, trotz
des Wissens um Kontrollverlust) und über angemessenes Verhalten zu
verhelfen. Sie sollen auf diese Weise Einblick in die komplexen
Bedingungszusammenhänge ihres Störungsbildes bekommen [5, 6, 7].
Therapeutische Maßnahmen, die pragmatisch und nah am Alltag
der Abhängigkeitskranken angesiedelt sind, spielen eine große Rolle.
Solchen Überlegungen entspricht das (Gruppen-)Training
sozialer Kompetenzen. Hier werden Fähigkeiten bei der
Bewältigung von Alltagssituationen, bei Konflikten in der Familie, bei
Ämter- und Behördengängen, bei der Kontaktaufnahme mit
Mitmenschen und bei einer sinnvollen Freizeitgestaltung vermittelt.
Dialektisch-Behaviorale Therapie
Dialektisch-Behaviorale Therapie
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan ist
neben der Übertragungsfokussierten Psychodynamischen Psychotherapie [8]
eine weitere störungsspezifische, empirisch validierte Therapie, die
für borderlinegestörte Patienten entwickelt wurde. Nach der ICD-10
wird dieses Störungsbild als emotional instabile
Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus (F60.31) [9], nach den
DSM IV-Kriterien auf der Achse II als
Borderline-Persönlichkeitsstörung (301.83) klassifiziert [10]. Die
DBT fand initial Anwendung bei der Behandlung von schwerst
borderlinegestörten Frauen mit massiven selbstverletzenden und suizidalen
Verhaltensmustern. Hier hat sie sich als eine praktikable und effektive
Behandlungsform erwiesen.
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) lehnt sich zu einem
Großteil an verhaltenstherapeutische Techniken an [11 15].
Ätiologisches Konzept
Ätiologisches Konzept
Zum Verständnis der DBT ist es hilfreich, sich die
ätiologische Konzeption der zugrunde liegenden Borderline-Störung zu
verdeutlichen. Wesentliches Merkmal ist die emotionale
Dysregulation. Es wird angenommen, dass sie zum einen auf
neurobiologischen Faktoren beruht und zum anderen auf traumatische Erfahrungen
zurückzuführen ist [11].
Ein zweites Merkmal ist das so genannte „nonvalidierende Umfeld”. Das nonvalidierende Umfeld
führt bei den Betroffenen dazu, dass Reaktionen vor allem emotionaler Art
und die Mitteilung persönlicher Erfahrungen nicht als stimmige
Selbstbeschreibungen akzeptiert werden können. Dieses liegt daran, dass
durchaus adäquate Reaktionen vom Umfeld nicht wahrgenommen, trivialisiert,
zurückgewiesen, direkt kritisiert, bestraft oder als sozial unakzeptabel
charakterisiert werden. Das Umfeld, z. B. die Eltern des Betroffenen,
interpretieren stimmige Reaktionen als überreaktiv, paranoid,
überempfindlich, manipulativ, naiv usw. Normale Reaktionen werden
pathologisiert. Der borderlinegestörte Patient kann daher private
Erfahrungen und Emotionen nicht mit sozial akzeptierten normativen
Erfahrungswerten vergleichen. Es fehlen effektive Fähigkeiten zur
Emotionsregulation und das Vertrauen in die eigenen emotionalen und kognitiven
Erfahrungen als adäquate Antwort auf Ereignisse. Das Individuum hat
vielmehr gelernt, eigene Erfahrungen aktiv zu unterdrücken und
Außenwahrnehmungen oder Bestätigungen zu übernehmen.
Ein weiteres wichtiges Element im Verständnis der emotionalen
Dysregulation ist das Wissen um die gestörte
Spannungsreduktion. Physiologisch kommt es nach einem entsprechenden
Stimulus zu einer Emotion (Kognition, Affekt, Motorik, Vegetativum) mit einer
adäquaten Antwort (Handlung, Kommunikation, Kognition), die zu einer
Spannungsreduktion führt. Beim borderlinegestörten Menschen
führt dieser gleiche Stimmulus zu einer entsprechenden Emotion, die
entweder negiert und in der Folge nicht wahrgenommen oder negiert und dann
falsch und verstärkt wahrgenommen wird. Die Antwort ist in jedem Fall
inadäquat, und es kommt nicht zu einem Spannungsabfall, sondern zu einem
Spannungsanstieg. Beim Maximum der Spannung treten parasuizidale
Verhaltensmuster, dissoziative Zustände oder auch affektive
Durchbrüche auf. Bei suchtkranken Menschen setzt zu diesem Zeitpunkt
oftmals Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenkonsum ein. Vor diesem Hintergrund
ist Suchtmittelkonsum als eine inadäquate Antwort auf einen als
unkontrollierbar erlebten Spannungsanstieg zu verstehen, die jedoch in der
Folge tatsächlich zum erforderlichen Spannungsabbau führt. Die
Konsummuster können durchaus parasuizidale Ausmaße annehmen oder
auch dissoziative Zustände induzieren, was die besondere Schwierigkeit der
Behandlung dieser comorbid gestörten Menschen deutlich macht.
Dialektik
Dialektik
Die DBT verfolgt explizit dialektische Behandlungsstrategien. Der
Therapeut vermittelt die Akzeptanz und das Verständnis einer großen
Not. Gleichzeitig erinnert er an den Wunsch nach Veränderung. Erlebnisse
und problematische Verhaltensweisen müssen validiert, andererseits aber
auch Veränderungsstrategien erarbeitet werden. Der Therapeut ist
aufgefordert, in der Kommunikation warm und zugewandt zu bleiben. Andererseits
darf er aber auch innerhalb eines wohldurchdachten Therapieplans intuitiv
provokante und freche Kommunikationsmuster anwenden, wenn dieses dazu
führt, z. B. Anstrengungen effektiver zu gestalten oder die
Motivation zu steigern. Voraussetzung hierfür ist sicherlich eine
tragfähige Beziehungsgestaltung.
Therapiephasen
Therapiephasen
Die DBT gliedert sich in 3 Therapiephasen.
In der ersten Therapiephase werden
Problembereiche bearbeitet, die direkt das Leben selbst, eine akzeptable
Lebensqualität oder die Aufrechterhaltung der Therapie gefährden.
Diese Phase ist deutlich hierarchisiert. Sie ist von dem Oberziel
„Herstellung von Stabilität” geprägt.
-
Erste Priorität hat die Bearbeitung von suizidalem und parasuizidalem Verhalten. Im Vordergrund
steht die Bewältigung von suizidalen Krisen, der Umgang mit parasuizidalen
Handlungen, drängenden suizidalen Impulsen, Drohungen und Phantasien.
(Para)suizidales Verhalten wird grundsätzlich als inadäquates
Problemlöseverhalten verstanden, das verändert werden kann. Der
Therapeut sollte grundsätzlich immer die entwicklungsgeschichtliche und
derzeitige Sinnhaftigkeit dieses Verhaltens herausarbeiten und gleichzeitig
die
große Not des Patienten wahrnehmen. Der oft gehörte Vorwurf, sich
nur „agierend” zu verhalten, ist nicht hilfreich.
-
Erst danach lässt sich therapiegefährdendes Verhalten bearbeiten. Hierunter
werden Verhaltensweisen von Patienten oder Therapeut verstanden, die die
Therapie auf die Dauer sehr wahrscheinlich gefährden. Auf Seiten des
Therapeuten bedeutet das z. B. das zu frühe Fokussieren auf
traumatische Inhalte, zu starkes Drängen auf Veränderung oder zu
unklare Strukturen im Therapiesetting. Auf Seiten des Patienten bedeutet das
z. B. Zuspätkommen oder Nichterscheinen zu vereinbarten Terminen,
„Vergessen” von Hausaufgaben, Unaufmerksamkeit, verletzende
Kritik usw. Solche Verhaltensweisen müssen rasch erkannt und
verändert werden. Die große Sorge um die mögliche
Überforderung der schwer kranken Patienten darf nicht dazu führen,
pathologisches Verhalten zu lange zu tolerieren. Wenn diese Verhaltensweisen
in
funktionaler Beziehung zu suizidalem Verhalten stehen, kommt es in der Folge
regelmäßig zu mangelhaften Fortschritten in der Therapie.
-
An dritter Stelle steht Verhalten, das die
Lebensqualität beeinträchtigt. In den Fokus der Behandlung
treten schwere dissoziative Phänomene, exzessiver Alkohol- und
Drogenkonsum, kriminelle Handlungen, Vernachlässigung von Hygiene,
Ernährung und notwendiger medizinischer Behandlung. Dieses sind deutlich
schwerer zu verändernde Verhaltensweisen, die unmittelbare Krisen
verursachen und oft auch im Zusammenhang mit höher hierarchisierten
Problembereichen oder Lebenszielen des Patienten stehen. Als Grundregel gilt
die vorrangige Bearbeitung des (existenziell) bedrohlichsten Verhaltens und
die
Lösung einfacherer vor komplexen problematischen Verhaltensweisen.
-
An vierter Stelle steht die Verbesserung von
Verhaltensfertigkeiten. Insbesondere geht es hier um die Vermittlung von
Fertigkeiten wie Achtsamkeit, Ausgestaltung zwischenmenschlicher
Fähigkeiten, Umgang mit Gefühlen, Stresstoleranz und
Selbstmanagement. Diese Fertigkeiten werden in einer sehr strukturierten und
manualisierten Form erläutert und unter Anleitung praxis- und lebensnah
geübt.
Wesentlich ist, dass alle zuerst genannten Problembereiche (1.1,
1.2, ...) sicher bewältigt werden müssen, bevor zu höherrangigen
Zielen (..., 1.2, 1.3, ...) gewechselt werden kann. Bei Rückkehr zu
problematischeren Verhaltensweisen müssen diese wieder erneut und
vorrangig bearbeitet werden.
Erst danach ist der Wechsel in die zweite
Therapiephase erlaubt. Thematisch geht es hier um die Bearbeitung des
posttraumatischen Stresssyndroms. Es kann eine Emotionsexposition oder eine
spezifische Traumaarbeit durchgeführt werden.
Es folgt die dritte Therapiephase mit den
Zielen der Steigerung der Selbstachtung und des Entwickelns und Umsetzens
eigener Ziele.
Angesichts der Schwere der Erkrankung von abhängigkeitskranken
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ist leicht
nachvollziehbar, dass viele Menschen die zweite Therapiephase gar nicht oder
erst nach intensivem, mehrjährigem Bemühen erreichen können.
Setting
Setting
Bei der Einrichtung des therapeutischen Settings ist wichtig, dass
es in das lokale, regionale und interdisziplinäre
Hilfesystem eingebettet ist [16]. Einzelne Therapeuten ohne regionale
Netzwerkeinbindung kommen bei der Behandlung solcher Patienten rasch an die
Grenzen ihrer Belastbarkeit. Sowohl Therapieabbrüche auf Seiten der
Patienten als auch Frustration und Erschöpfung auf Seiten der Therapeuten
sind dann vorprogrammiert.
Das Behandlungssetting der DBT ist auf mehreren Ebenen verankert. Es
finden zwei inhaltlich unterschiedlich ausgestaltete und von zwei Therapeuten
begleitete Gruppensitzungen statt: die „Basisgruppe” und die
„Fertigkeitengruppe”. In der wöchentlich stattfindenden
„Basisgruppe” werden eher theoretische
Hintergründe vermittelt. Die Diagnosekriterien für eine
Borderline-Persönlichkeitsstörung werden erläutert. Der Patient
erhält einen tief gehenden Einblick in die Ätiologie seiner
Erkrankung. Ein ausführlicher Behandlungsvertrag wird vor Beginn
vereinbart, und die Gruppenregeln werden nochmals bekräftigt.
Gruppenregeln sind z. B. Abmelden bei Nichterscheinen, Akzeptanz der
Schweigepflicht, Erledigung von Hausaufgaben, Teilnahme nur nüchtern (ohne
erkennbaren Alkohol- oder Drogeneinfluss). Individuelle und gemeinsame
Therapieziele werden erarbeitet. Die Anleitung zur Erstellung einer
Verhaltensanalyse wird gegeben. Ein spezifisches
„DBT-Wochenprotokoll” wird erläutert und angewandt.
In der ebenfalls einmal pro Woche stattfindenden „Fertigkeitengruppe” werden praktische Übungen
durchgeführt, die in einem entsprechenden Fertigkeitenprotokoll
festgehalten werden.
Beide Gruppenbehandlungen basieren auf einer systematischen und
manualisierten Abfolge von vier Behandlungsmodulen. Die bereits o. g.
Oberthemen sind innere Achtsamkeit, Stresstoleranz, bewusster Umgang mit
Gefühlen und zwischenmenschliche Fähigkeiten. Die Teilnahme an den
Gruppen ist verpflichtend, Fehlstunden werden nur begrenzt toleriert. Die
Gruppentherapien berücksichtigen nur wenig psychodynamische
Zusammenhänge. In den Gruppenstunden fühlen sich die Teilnehmer oft
eher an Unterricht als an Psychotherapie erinnert. Vor einem lerntheoretischen
Hintergrund profitieren die Teilnehmer nur von den Inhalten, wenn sie
regelmäßig teilnehmen können und wollen.
Die „Basisgruppe” und die
„Fertigkeitengruppe” sind elementare Bestandteile der ersten
Therapiephase. Die Patienten sollten aber auch in späteren Phasen in der
Lage sein, diese einmal erlernten Fähigkeiten und Techniken anzuwenden
oder rasch zu reaktivieren.
Die Bearbeitung sehr intensiver persönlicher Probleme und
Fragestellungen wird an die ebenfalls verpflichtende Einzeltherapie verwiesen, die einmal pro Woche
stattfindet. Thematisch geht es in der Einzeltherapie um die Unterstützung
beim Abbau unangemessener und Aufbau angemessener Verhaltensweisen. Dort ist
auch der Raum, um alltägliche Erfahrungen und die Herkunftsgeschichte
individuell zu reflektieren.
Therapeuten verpflichten sich zur Teilnahme an
regelmäßigen Super- oder Intervisionen, einer
kollegialen Beratung und einer kontinuierlichen Aus- und Fortbildung.
Erfahrungen
Erfahrungen
In unserer Klinik gibt es sowohl Erfahrungen in der Behandlung von
borderlinegestörten Patienten mit einer Alkohol- als auch mit einer
Drogenabhängigkeit.
Bei beiden Behandlungsgruppen sind die Therapeuten aktiv darum
bemüht, dass die Patienten regelmäßig zu allen Terminen kommen
und forschen bei Nichtteilnahme nach. (Para)suizidales und
therapiegefährdendes Verhalten wird immer wieder von den Therapeuten
bearbeitet. Es wird in die Motivationsarbeit investiert, um frühzeitige
Therapieabbrüche zu vermeiden. Bei der Geschlechterverteilung ist
bemerkenswert, dass der Frauenanteil deutlich überwiegt. Es gibt zwar
vereinzelte Nachfragen von Männern, dennoch entscheiden sie sich nur sehr
selten, doch an der DBT teilzunehmen.
In der Tendenz gestaltet sich die Arbeit mit den
Alkoholabhängigen etwas leichter. Diese Patienten leben in der Regel in
stabileren sozialen Bezügen, sind älter, abstinenzfähiger und
eher in der Lage, über eine lange Zeit dieser anspruchsvollen und
hochfrequenten Therapie zu folgen.
Bei den drogenabhängigen Patienten ist die
Abstinenzfähigkeit deutlich geringer ausgeprägt. Alle
drogenabhängigen Patienten, die an unseren DBT-Programmen teilnahmen,
waren methadonsubstituiert. Der Beigebrauch insbesonders von Cannabinoiden und
Benzodiazepinen war hoch und erlaubte gelegentlich nicht die Teilnahme an den
Gruppentherapien. Die Abbruchrate war trotz intensiver Bemühungen hoch.
Kein Patient ging einer geregelten Arbeit nach. Die Tagesstruktur war oft
wechselnd, und angesichts des Beikonsums wird auch das zum Teil szenenahe Leben
wieder deutlich. Ein wichtiger Erfahrungswert ist jedoch, dass die Anwendung
der „DBT-Techniken” in der Einzeltherapie sehr hilfreich ist und
einzelne Patienten in langjährig stabilen Einzeltherapien verblieben
sind.
Diese Therapieform ist auch in einer Psychiatrischen Klinik mit
regionalem Versorgungsauftrag realisierbar [17, 18]. Der personelle Aufwand bei
der Behandlung dieser comorbid gestörten Menschen ist hoch. Die
Domäne der Psychotherapie bei borderlinegestörten Patienten liegt
sicherlich im ambulanten Bereich. Im stationären oder auch
teilstationären Bereich einer Psychiatrischen Klinik finden sich die
Patienten, die in Überlastungs- oder auch Krisensituationen dekompensiert
sind. Hier zeigen auch die intensiven dysfunktionalen Verhaltensmuster ihre
Wirkung. Behandlungsteams werden aufgrund der frühen und
tiefenpsychologisch erklärbaren Konfliktlösungsmuster wie
Spaltungstendenz oder projektiver Identifikation mit intensiven
Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen oft an die Grenzen
ihrer Handlungsfähigkeit gebracht. Die Techniken der
Dialektisch-Behavioralen Therapie ermöglichen den Therapeuten auch in
diesen Situationen, aktiv und zielgerichtet handeln zu können. Dieses
erleben sowohl die Patienten als auch die Therapeuten als hilfreich und
außerordentlich entlastend. Angesichts der Tendenz zur integrativen
Versorgung im Gesundheitssystem bietet diese Behandlungsform auch die
Eröffnung einer aufenthaltsübergreifenden Behandlung im Wechsel von
stationärer, teilstationärer und ambulanter Behandlung.