Suchttherapie 2002; 3(4): 241-245
DOI: 10.1055/s-2002-36183
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Dialektisch-Behaviorale Therapie bei Suchtkranken mit schweren Persönlichkeitsstörungen

Dialectic-Behavioral Therapy for Addicts with Severe Personality DisordersMarkus Stuppe1
  • 1Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ZPPM, Krankenanstalten Gilead gGmbH, vBA Bethel
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Dr. med. Markus Stuppe

Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Oberarzt der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen, Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ZPPM, Krankenanstalten Gilead gGmbH, vBA Bethel

Remterweg 69/71

33617 Bielefeld

Email: Stuppe@psychiatrie.gilead.de

Publication History

Publication Date:
19 December 2002 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Psychotherapie in der Suchtmedizin entwickelt sich in Richtung mehr störungsspezifischer Verfahren. Bei Menschen, die an einer Borderline-Störung erkrankt sind, hat sich die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) als eine solche Behandlungsform etabliert. Die ätiologischen Bedingungen, die einzelnen Therapiemodule und das Behandlungssetting werden erläutert. Die DBT lässt sich auch effektiv bei comorbid suchtkranken Patienten anwenden. Dieses gelingt um so besser, wenn suchtspezifische Interventionen einen integrativen Teil im Gesamtsetting darstellen. Es gibt unterschiedliche Erfahrungen in der Behandlung von alkohol- und primär drogenabhängigen Patienten mit einer Borderline-Störung.

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Abstract

In the last years diagnosis-related modified psychotherapy became more relevant for addiction medicine. Dialectic-Behavioral Therapy (DBT) provides a validated concept specifically tailored for people suffering from Borderline Personality Disorder. In this article etiology, separate therapy modules and the treatment setting is explained. DBT can efficiently be used for co-morbid addicts. It is even more effective if the specific intervention techniques for the treatment of addiction build an integrative part of the whole setting. Nevertheless, we have different experiences with the treatment of alcohol and primary illicit drug dependent patients with Borderline Personality Disorder.

Das Suchthilfesystem in Deutschland blickt auf eine lange Tradition mit psychosozialen Ansätzen im ambulanten Bereich zurück. Stationäre Akutbehandlungen finden im Rahmen von Entgiftungen in Psychiatrischen Kliniken oder Allgemeinkrankenhäusern statt. Längerfristige vollstationäre Behandlungen finden in den Rehabilitationskliniken statt. Daneben gibt es ein etabliertes Versorgungssytem für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Störungen und Erkrankungen. Es gliedert sich ebenso in einen ambulanten bzw. stationären Bereich mit Akutbehandlung aber auch einer längerfristigen Behandlung bei chronischen Erkrankungen, einem verzweigten Komplementärsystem sowie einer rehabilitativen Behandlung auf.

Menschen mit einer psychischen Erkrankung und einer weiteren Suchterkrankung erfahren oft, dass beide Versorgungssysteme die Behandlungsbedürftigkeit der jeweils anderen comorbiden Störung als Ausschlusskriterium formulieren. Dieses gilt mit einer besonderen Schärfe, wenn sie an einer so genannten frühen Störung leiden und erst recht bei der expliziten Frage nach einer psychotherapeutischen Behandlung. Den Zugang zur Psychotherapie in spezialisierten Fachkliniken oder bei niedergelassenen Psychotherapeuten ist ihnen weitgehend verschlossen.

Dieser Artikel soll einen Einblick in die Dialektisch-Behaviorale Therapie, einer spezialisierten Psychotherapie für borderlinegestörte Patienten, geben. Diese Therapie ermöglicht die Integration von suchtmedizinischen Gesichtspunkten und somit auch die Behandlung einer besonders schwer gestörten, comorbiden Patientengruppe.

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Psychotherapie für Suchtkranke

Die psychotherapeutische Behandlung ist oft abhängig von der Grundausrichtung der Therapeuten. Die Therapie findet somit ansatzbezogen, z. B. psychoanalytisch, verhaltenstherapeutisch, systemisch usw., statt. Insgesamt und auch im suchttherapeutischen Bereich ist eine Entwicklung zu mehr störungsspezifischen Verfahren erkennbar [1].

Eine große Bedeutung haben kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren, wobei eine im engeren Sinn „spezifische” Psychotherapie für Suchtkranke nicht existiert. Etabliert sind Therapieverfahren wie „cue exposure” - klassisches Expositionsverfahren mit Darbietung eines Schlüsselreizes (z. B. gefülltes Bierglas) - oder „kontrollierte Trinkprogramme” mit dem Ansatz der Modifikation problematischer Verhaltensweisen (in diesem Fall Alkoholkonsum mit Kontrollverlust). Dazu ist die heutige Therapie von Suchtkranken geprägt von Basisverfahren wie der motivierenden Gesprächsführung unter Einbeziehung des familiären oder sozialen Umfeldes [2, 3].

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren folgen der Grundannahme, dass Suchtmittelkonsum eine problematische, erlernte Verhaltensweise ist, die mit geeigneten therapeutischen Interventionen verändert und wieder verlernt werden kann [4].

Anwendung finden diese Verfahren u. a. beim Rückfallpräventionstraining. Es werden typische und individuelle Situationen und Reizkonstellationen identifiziert, die üblicherweise mit oder ohne Entwicklung von „craving” (Suchtdruck) zu Suchtmittelkonsum führen. Die Behandlung umfasst dann zum einen die Bewusstmachung der typischen Ausgangskonstellationen. Zum anderen zielt sie auf eine Verdeutlichung von Konsequenzen des Konsums (positive/negative Verstärkung, Löschung, Bestrafung) hin. Adäquate Verhaltensweisen lassen sich imaginativ oder im Rollenspiel erarbeiten.

Zur Umstrukturierung dysfunktionaler Kognitionen gibt es verschiedene Methoden. Unter einer „kognitiven Vorbereitung” können solche therapeutischen Maßnahmen verstanden werden, die vor der Durchführung von Verhaltensübungen, z. B. Ablehnung von angebotenem Alkohol, stattfinden. Sie haben zum Ziel, den Betroffenen zu neuen Kenntnissen über das gestörte Verhalten (z. B. Alkoholkonsum immer wenn Alkohol angeboten wird, trotz des Wissens um Kontrollverlust) und über angemessenes Verhalten zu verhelfen. Sie sollen auf diese Weise Einblick in die komplexen Bedingungszusammenhänge ihres Störungsbildes bekommen [5, 6, 7].

Therapeutische Maßnahmen, die pragmatisch und nah am Alltag der Abhängigkeitskranken angesiedelt sind, spielen eine große Rolle. Solchen Überlegungen entspricht das (Gruppen-)Training sozialer Kompetenzen. Hier werden Fähigkeiten bei der Bewältigung von Alltagssituationen, bei Konflikten in der Familie, bei Ämter- und Behördengängen, bei der Kontaktaufnahme mit Mitmenschen und bei einer sinnvollen Freizeitgestaltung vermittelt.

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Dialektisch-Behaviorale Therapie

Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan ist neben der Übertragungsfokussierten Psychodynamischen Psychotherapie [8] eine weitere störungsspezifische, empirisch validierte Therapie, die für borderlinegestörte Patienten entwickelt wurde. Nach der ICD-10 wird dieses Störungsbild als emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus (F60.31) [9], nach den DSM IV-Kriterien auf der Achse II als Borderline-Persönlichkeitsstörung (301.83) klassifiziert [10]. Die DBT fand initial Anwendung bei der Behandlung von schwerst borderlinegestörten Frauen mit massiven selbstverletzenden und suizidalen Verhaltensmustern. Hier hat sie sich als eine praktikable und effektive Behandlungsform erwiesen.

Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) lehnt sich zu einem Großteil an verhaltenstherapeutische Techniken an [11 15].

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Ätiologisches Konzept

Zum Verständnis der DBT ist es hilfreich, sich die ätiologische Konzeption der zugrunde liegenden Borderline-Störung zu verdeutlichen. Wesentliches Merkmal ist die emotionale Dysregulation. Es wird angenommen, dass sie zum einen auf neurobiologischen Faktoren beruht und zum anderen auf traumatische Erfahrungen zurückzuführen ist [11].

Ein zweites Merkmal ist das so genannte „nonvalidierende Umfeld”. Das nonvalidierende Umfeld führt bei den Betroffenen dazu, dass Reaktionen vor allem emotionaler Art und die Mitteilung persönlicher Erfahrungen nicht als stimmige Selbstbeschreibungen akzeptiert werden können. Dieses liegt daran, dass durchaus adäquate Reaktionen vom Umfeld nicht wahrgenommen, trivialisiert, zurückgewiesen, direkt kritisiert, bestraft oder als sozial unakzeptabel charakterisiert werden. Das Umfeld, z. B. die Eltern des Betroffenen, interpretieren stimmige Reaktionen als überreaktiv, paranoid, überempfindlich, manipulativ, naiv usw. Normale Reaktionen werden pathologisiert. Der borderlinegestörte Patient kann daher private Erfahrungen und Emotionen nicht mit sozial akzeptierten normativen Erfahrungswerten vergleichen. Es fehlen effektive Fähigkeiten zur Emotionsregulation und das Vertrauen in die eigenen emotionalen und kognitiven Erfahrungen als adäquate Antwort auf Ereignisse. Das Individuum hat vielmehr gelernt, eigene Erfahrungen aktiv zu unterdrücken und Außenwahrnehmungen oder Bestätigungen zu übernehmen.

Ein weiteres wichtiges Element im Verständnis der emotionalen Dysregulation ist das Wissen um die gestörte Spannungsreduktion. Physiologisch kommt es nach einem entsprechenden Stimulus zu einer Emotion (Kognition, Affekt, Motorik, Vegetativum) mit einer adäquaten Antwort (Handlung, Kommunikation, Kognition), die zu einer Spannungsreduktion führt. Beim borderlinegestörten Menschen führt dieser gleiche Stimmulus zu einer entsprechenden Emotion, die entweder negiert und in der Folge nicht wahrgenommen oder negiert und dann falsch und verstärkt wahrgenommen wird. Die Antwort ist in jedem Fall inadäquat, und es kommt nicht zu einem Spannungsabfall, sondern zu einem Spannungsanstieg. Beim Maximum der Spannung treten parasuizidale Verhaltensmuster, dissoziative Zustände oder auch affektive Durchbrüche auf. Bei suchtkranken Menschen setzt zu diesem Zeitpunkt oftmals Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenkonsum ein. Vor diesem Hintergrund ist Suchtmittelkonsum als eine inadäquate Antwort auf einen als unkontrollierbar erlebten Spannungsanstieg zu verstehen, die jedoch in der Folge tatsächlich zum erforderlichen Spannungsabbau führt. Die Konsummuster können durchaus parasuizidale Ausmaße annehmen oder auch dissoziative Zustände induzieren, was die besondere Schwierigkeit der Behandlung dieser comorbid gestörten Menschen deutlich macht.

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Dialektik

Die DBT verfolgt explizit dialektische Behandlungsstrategien. Der Therapeut vermittelt die Akzeptanz und das Verständnis einer großen Not. Gleichzeitig erinnert er an den Wunsch nach Veränderung. Erlebnisse und problematische Verhaltensweisen müssen validiert, andererseits aber auch Veränderungsstrategien erarbeitet werden. Der Therapeut ist aufgefordert, in der Kommunikation warm und zugewandt zu bleiben. Andererseits darf er aber auch innerhalb eines wohldurchdachten Therapieplans intuitiv provokante und freche Kommunikationsmuster anwenden, wenn dieses dazu führt, z. B. Anstrengungen effektiver zu gestalten oder die Motivation zu steigern. Voraussetzung hierfür ist sicherlich eine tragfähige Beziehungsgestaltung.

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Therapiephasen

Die DBT gliedert sich in 3 Therapiephasen.

In der ersten Therapiephase werden Problembereiche bearbeitet, die direkt das Leben selbst, eine akzeptable Lebensqualität oder die Aufrechterhaltung der Therapie gefährden. Diese Phase ist deutlich hierarchisiert. Sie ist von dem Oberziel „Herstellung von Stabilität” geprägt.

  1. Erste Priorität hat die Bearbeitung von suizidalem und parasuizidalem Verhalten. Im Vordergrund steht die Bewältigung von suizidalen Krisen, der Umgang mit parasuizidalen Handlungen, drängenden suizidalen Impulsen, Drohungen und Phantasien. (Para)suizidales Verhalten wird grundsätzlich als inadäquates Problemlöseverhalten verstanden, das verändert werden kann. Der Therapeut sollte grundsätzlich immer die entwicklungsgeschichtliche und derzeitige Sinnhaftigkeit dieses Verhaltens herausarbeiten und gleichzeitig die große Not des Patienten wahrnehmen. Der oft gehörte Vorwurf, sich nur „agierend” zu verhalten, ist nicht hilfreich.

  2. Erst danach lässt sich therapiegefährdendes Verhalten bearbeiten. Hierunter werden Verhaltensweisen von Patienten oder Therapeut verstanden, die die Therapie auf die Dauer sehr wahrscheinlich gefährden. Auf Seiten des Therapeuten bedeutet das z. B. das zu frühe Fokussieren auf traumatische Inhalte, zu starkes Drängen auf Veränderung oder zu unklare Strukturen im Therapiesetting. Auf Seiten des Patienten bedeutet das z. B. Zuspätkommen oder Nichterscheinen zu vereinbarten Terminen, „Vergessen” von Hausaufgaben, Unaufmerksamkeit, verletzende Kritik usw. Solche Verhaltensweisen müssen rasch erkannt und verändert werden. Die große Sorge um die mögliche Überforderung der schwer kranken Patienten darf nicht dazu führen, pathologisches Verhalten zu lange zu tolerieren. Wenn diese Verhaltensweisen in funktionaler Beziehung zu suizidalem Verhalten stehen, kommt es in der Folge regelmäßig zu mangelhaften Fortschritten in der Therapie.

  3. An dritter Stelle steht Verhalten, das die Lebensqualität beeinträchtigt. In den Fokus der Behandlung treten schwere dissoziative Phänomene, exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum, kriminelle Handlungen, Vernachlässigung von Hygiene, Ernährung und notwendiger medizinischer Behandlung. Dieses sind deutlich schwerer zu verändernde Verhaltensweisen, die unmittelbare Krisen verursachen und oft auch im Zusammenhang mit höher hierarchisierten Problembereichen oder Lebenszielen des Patienten stehen. Als Grundregel gilt die vorrangige Bearbeitung des (existenziell) bedrohlichsten Verhaltens und die Lösung einfacherer vor komplexen problematischen Verhaltensweisen.

  4. An vierter Stelle steht die Verbesserung von Verhaltensfertigkeiten. Insbesondere geht es hier um die Vermittlung von Fertigkeiten wie Achtsamkeit, Ausgestaltung zwischenmenschlicher Fähigkeiten, Umgang mit Gefühlen, Stresstoleranz und Selbstmanagement. Diese Fertigkeiten werden in einer sehr strukturierten und manualisierten Form erläutert und unter Anleitung praxis- und lebensnah geübt.

Wesentlich ist, dass alle zuerst genannten Problembereiche (1.1, 1.2, ...) sicher bewältigt werden müssen, bevor zu höherrangigen Zielen (..., 1.2, 1.3, ...) gewechselt werden kann. Bei Rückkehr zu problematischeren Verhaltensweisen müssen diese wieder erneut und vorrangig bearbeitet werden.

Erst danach ist der Wechsel in die zweite Therapiephase erlaubt. Thematisch geht es hier um die Bearbeitung des posttraumatischen Stresssyndroms. Es kann eine Emotionsexposition oder eine spezifische Traumaarbeit durchgeführt werden.

Es folgt die dritte Therapiephase mit den Zielen der Steigerung der Selbstachtung und des Entwickelns und Umsetzens eigener Ziele.

Angesichts der Schwere der Erkrankung von abhängigkeitskranken Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ist leicht nachvollziehbar, dass viele Menschen die zweite Therapiephase gar nicht oder erst nach intensivem, mehrjährigem Bemühen erreichen können.

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Setting

Bei der Einrichtung des therapeutischen Settings ist wichtig, dass es in das lokale, regionale und interdisziplinäre Hilfesystem eingebettet ist [16]. Einzelne Therapeuten ohne regionale Netzwerkeinbindung kommen bei der Behandlung solcher Patienten rasch an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Sowohl Therapieabbrüche auf Seiten der Patienten als auch Frustration und Erschöpfung auf Seiten der Therapeuten sind dann vorprogrammiert.

Das Behandlungssetting der DBT ist auf mehreren Ebenen verankert. Es finden zwei inhaltlich unterschiedlich ausgestaltete und von zwei Therapeuten begleitete Gruppensitzungen statt: die „Basisgruppe” und die „Fertigkeitengruppe”. In der wöchentlich stattfindenden „Basisgruppe” werden eher theoretische Hintergründe vermittelt. Die Diagnosekriterien für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung werden erläutert. Der Patient erhält einen tief gehenden Einblick in die Ätiologie seiner Erkrankung. Ein ausführlicher Behandlungsvertrag wird vor Beginn vereinbart, und die Gruppenregeln werden nochmals bekräftigt. Gruppenregeln sind z. B. Abmelden bei Nichterscheinen, Akzeptanz der Schweigepflicht, Erledigung von Hausaufgaben, Teilnahme nur nüchtern (ohne erkennbaren Alkohol- oder Drogeneinfluss). Individuelle und gemeinsame Therapieziele werden erarbeitet. Die Anleitung zur Erstellung einer Verhaltensanalyse wird gegeben. Ein spezifisches „DBT-Wochenprotokoll” wird erläutert und angewandt.

In der ebenfalls einmal pro Woche stattfindenden „Fertigkeitengruppe” werden praktische Übungen durchgeführt, die in einem entsprechenden Fertigkeitenprotokoll festgehalten werden.

Beide Gruppenbehandlungen basieren auf einer systematischen und manualisierten Abfolge von vier Behandlungsmodulen. Die bereits o. g. Oberthemen sind innere Achtsamkeit, Stresstoleranz, bewusster Umgang mit Gefühlen und zwischenmenschliche Fähigkeiten. Die Teilnahme an den Gruppen ist verpflichtend, Fehlstunden werden nur begrenzt toleriert. Die Gruppentherapien berücksichtigen nur wenig psychodynamische Zusammenhänge. In den Gruppenstunden fühlen sich die Teilnehmer oft eher an Unterricht als an Psychotherapie erinnert. Vor einem lerntheoretischen Hintergrund profitieren die Teilnehmer nur von den Inhalten, wenn sie regelmäßig teilnehmen können und wollen.

Die „Basisgruppe” und die „Fertigkeitengruppe” sind elementare Bestandteile der ersten Therapiephase. Die Patienten sollten aber auch in späteren Phasen in der Lage sein, diese einmal erlernten Fähigkeiten und Techniken anzuwenden oder rasch zu reaktivieren.

Die Bearbeitung sehr intensiver persönlicher Probleme und Fragestellungen wird an die ebenfalls verpflichtende Einzeltherapie verwiesen, die einmal pro Woche stattfindet. Thematisch geht es in der Einzeltherapie um die Unterstützung beim Abbau unangemessener und Aufbau angemessener Verhaltensweisen. Dort ist auch der Raum, um alltägliche Erfahrungen und die Herkunftsgeschichte individuell zu reflektieren.

Therapeuten verpflichten sich zur Teilnahme an regelmäßigen Super- oder Intervisionen, einer kollegialen Beratung und einer kontinuierlichen Aus- und Fortbildung.

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Erfahrungen

In unserer Klinik gibt es sowohl Erfahrungen in der Behandlung von borderlinegestörten Patienten mit einer Alkohol- als auch mit einer Drogenabhängigkeit.

Bei beiden Behandlungsgruppen sind die Therapeuten aktiv darum bemüht, dass die Patienten regelmäßig zu allen Terminen kommen und forschen bei Nichtteilnahme nach. (Para)suizidales und therapiegefährdendes Verhalten wird immer wieder von den Therapeuten bearbeitet. Es wird in die Motivationsarbeit investiert, um frühzeitige Therapieabbrüche zu vermeiden. Bei der Geschlechterverteilung ist bemerkenswert, dass der Frauenanteil deutlich überwiegt. Es gibt zwar vereinzelte Nachfragen von Männern, dennoch entscheiden sie sich nur sehr selten, doch an der DBT teilzunehmen.

In der Tendenz gestaltet sich die Arbeit mit den Alkoholabhängigen etwas leichter. Diese Patienten leben in der Regel in stabileren sozialen Bezügen, sind älter, abstinenzfähiger und eher in der Lage, über eine lange Zeit dieser anspruchsvollen und hochfrequenten Therapie zu folgen.

Bei den drogenabhängigen Patienten ist die Abstinenzfähigkeit deutlich geringer ausgeprägt. Alle drogenabhängigen Patienten, die an unseren DBT-Programmen teilnahmen, waren methadonsubstituiert. Der Beigebrauch insbesonders von Cannabinoiden und Benzodiazepinen war hoch und erlaubte gelegentlich nicht die Teilnahme an den Gruppentherapien. Die Abbruchrate war trotz intensiver Bemühungen hoch. Kein Patient ging einer geregelten Arbeit nach. Die Tagesstruktur war oft wechselnd, und angesichts des Beikonsums wird auch das zum Teil szenenahe Leben wieder deutlich. Ein wichtiger Erfahrungswert ist jedoch, dass die Anwendung der „DBT-Techniken” in der Einzeltherapie sehr hilfreich ist und einzelne Patienten in langjährig stabilen Einzeltherapien verblieben sind.

Diese Therapieform ist auch in einer Psychiatrischen Klinik mit regionalem Versorgungsauftrag realisierbar [17, 18]. Der personelle Aufwand bei der Behandlung dieser comorbid gestörten Menschen ist hoch. Die Domäne der Psychotherapie bei borderlinegestörten Patienten liegt sicherlich im ambulanten Bereich. Im stationären oder auch teilstationären Bereich einer Psychiatrischen Klinik finden sich die Patienten, die in Überlastungs- oder auch Krisensituationen dekompensiert sind. Hier zeigen auch die intensiven dysfunktionalen Verhaltensmuster ihre Wirkung. Behandlungsteams werden aufgrund der frühen und tiefenpsychologisch erklärbaren Konfliktlösungsmuster wie Spaltungstendenz oder projektiver Identifikation mit intensiven Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen oft an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit gebracht. Die Techniken der Dialektisch-Behavioralen Therapie ermöglichen den Therapeuten auch in diesen Situationen, aktiv und zielgerichtet handeln zu können. Dieses erleben sowohl die Patienten als auch die Therapeuten als hilfreich und außerordentlich entlastend. Angesichts der Tendenz zur integrativen Versorgung im Gesundheitssystem bietet diese Behandlungsform auch die Eröffnung einer aufenthaltsübergreifenden Behandlung im Wechsel von stationärer, teilstationärer und ambulanter Behandlung.

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Literatur

  • 1 Günthner A. Psychotherapie der Sucht.  psycho. 2001;  27 611-614
  • 2 Miller R W, Rollnick S. Motivierende Gesprächsführung. Freiburg; Lambertus 1999
  • 3 Schwoon D R. Motivierende Interventionen bei Suchtkranken. Gölz J Moderne Suchtmedizin Stuttgart; Thieme 1998
  • 4 Vollmer H, Helas I. (Hrsg) .Verhaltenstherapie in der Suchtkrankenhilfe. IFT Texte 7 München; Gerhard Röttger Verlag 1982
  • 5 Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (Hrsg) .Verhaltenstherapie,. Theorien und Methoden Tübingen; DGVT 1996
  • 6 Fliegel S. u.a .Verhaltenstherapeutische Standardmethoden: ein Übungsbuch. Weinheim, Beltz; Psychologie-Verlags-Union 1994
  • 7 Reinecker H. Grundlagen der Verhaltenstherapie. Weinheim, Beltz; Psychologie-Verlags-Union 1994
  • 8 Martius P. Übertragungsfokussierte Psychodynamische Psychotherapie für Borderline-Störungen.  Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis. 2001;  4 643-659
  • 9 Dilling H, Mombour W, Schmidt M H. (Hrsg) .Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10. Bern; Huber Verlag 1993 2. Auflage
  • 10 Saß H, Wittchen H U, Zaudig M. et al .Diagnostische Kriterien des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen DSM-IV. Göttingen; Bern; Toronto; Seattle; Hogrefe 1998
  • 11 Linehan M M. Dialektisch-Behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. München; CIP-Medien 1996
  • 12 Linehan M M. Trainingsmanual zur Dialektisch-Behavioralen Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. München; CIP-Medien 1996
  • 13 Bohus M. Kognitive Verhaltenstherapie bei Borderline Störungen. Hautzinger M Kognitive Verhaltenstherapie bei psychischen Störungen Weinheim: Beltz; Psychologie Verlags Union 1998
  • 14 Bohus M, Berger M. Die Dialektisch-Behaviorale Psychotherapie nach M. Linehan.  Nervenarzt. 1996;  67 911-923
  • 15 Meixner K, Richter H, Bohus M. et al . Zur Behandlungsgeschichte und Versorgungssituation von PatientInnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen in der Bundesrepublik Deutschland.  Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie. 1998;  66 545-552
  • 16 Ketelsen R, Giesche S, Koch-Stoecker S. et al . Therapie von Borderline Störungen.  Soziale Psychiatrie. 2001;  1 28-29
  • 17 Bohus M, Haaf B. Dialektisch-Behaviorale Therapie der Borderline-Störung im stationären Setting.  Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis. 2001;  33 619-642
  • 18 Keller A. Die dialektisch-behaviorale Therapie von Borderline-Störungen in verschiedenen Behandlungssettings.  Fundamenta psychiatrica. 2001;  4 159-163

Dr. med. Markus Stuppe

Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Oberarzt der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen, Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ZPPM, Krankenanstalten Gilead gGmbH, vBA Bethel

Remterweg 69/71

33617 Bielefeld

Email: Stuppe@psychiatrie.gilead.de

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Literatur

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Dr. med. Markus Stuppe

Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Oberarzt der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen, Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ZPPM, Krankenanstalten Gilead gGmbH, vBA Bethel

Remterweg 69/71

33617 Bielefeld

Email: Stuppe@psychiatrie.gilead.de