Einleitung
Einleitung
Die in Deutschland streng reglementierte Substitutionsbehandlung
Heroinabhängiger erreicht viele derjenigen nicht, bei denen die Sucht die
schwersten Folgen zeigt (schlechter körperlicher Zustand, hohe
Infektionsraten und rasches Herausfallen aus den sozialen Bezügen) und
deren Behandlung am nötigsten wäre. Eine aufsuchende Sozialarbeit
kann diesen Mangel verringern [1]. Frauen, die sich
zur Finanzierung der Sucht prostituieren, gehören zu dieser schwer
erreichbaren Gruppe. Kinder werden ihnen meist genommen, da sie nicht in der
Lage sind, sie aufzuziehen. Für diese Frauen gibt es deshalb in einigen
Städten, z. B. in Bremen [2], spezielle
Programme, um sie für eine Behandlung der Sucht zu erreichen.
Im schwedischen Methadonprogramm konnte bereits 1989 gezeigt werden,
dass 70 % der Frauen die Prostitution aufgegeben haben
[3]. Das wird auch deshalb als notwendig angesehen, um
die Verbreitung von HIV unter den meist nicht drogenabhängigen Freiern zu
vermindern.
Seit 1991 war die Substitutionsbehandlung bundesweit in den
NUB-Richtlinien geregelt, die die Behandlung zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung nur bei Vorliegen zusätzlicher schwerer Erkrankungen
(z. B. AIDS, Tuberkulose, Krebs) erlaubten. In Hamburg dagegen wurden
bereits seit August 1988 Methadon-Einzelfallbehandlungen durchgeführt.
Nach der Indikationsliste der zuständigen Sachverständigenkommission
der Ärztekammer war die Behandlung z. B. bei ungewöhnlich
malignem Verlauf oder bei erfolgreicher Vorbehandlung mit einem
DHC-Präparat gerechtfertigt oder sogar geboten. Anfang 1990 wurde ein
Vertrag zwischen Sozialbehörde, KV, Ärztekammer, Apothekerkammer und
den gesetzlichen Krankenkassen geschlossen (Vertrag über die Abgabe von
Methadon-L-Polamidon zu Substitutionszwecken), der diese großzügige
Indikationsregelung festschrieb. Die Behandlung durfte aber erst nach
Zustimmung einer von der Ärztekammer eingesetzten
Sachverständigenkommission beginnen [4]. Damit
diese Kommission ihre Entscheidung treffen konnte, musste der Arzt, der die
Substitutionsbehandlung durchführen wollte, einen Antrag stellen. Diesem
mussten ein Lebenslauf der Heroinabhängigen und eine befürwortende
Stellungnahme einer Beratungsstelle, die die psychosoziale Betreuung
durchführte, beigefügt werden.
Das „Cafe Sperrgebiet” ist eine Beratungsstelle
für obdachlose, sich prostituierende drogenabhängige Frauen. Viele
der dort betreuten Frauen wünschten nach Angaben der Leiterin der
Einrichtung eine Substitutionsbehandlung. Sie konnten aber die oben
beschriebenen Vorleistungen nicht erbringen.
Eine Behandlung nach den damals gültigen NUB-Richtlinien
wäre zwar in einigen Fällen möglich gewesen, scheiterte aber
ebenfalls daran, dass die Frauen keine Arztpraxis aufsuchten. Auch bei diesem
Verfahren wäre es meist notwendig gewesen, die Entscheidung einer
Kommission abzuwarten. Deshalb suchten 2 Ärztinnen und 1 Arzt diese Frauen
im Sommer 1994 in der Beratungsstelle in Hamburg auf und boten ihnen eine
Substitutionsbehandlung ohne Vorbedingungen an. 44 Frauen nahmen dieses Angebot
wahr. Sie wurden zunächst außerhalb der damals geltenden Regelungen,
aber toleriert von Politik und Kassen mit d,l-Methadon und Levomethadon
behandelt.
Der Erfolg der Behandlung wird an Haltequote, Verringerung des
Beikonsums, Abstinenzraten und Verbesserung der sozialen Situation
(Wohnsituation, Fähigkeit zur Versorgung der Kinder) gemessen. Für
die Haltequote wurden die behandelnden Ärztinnen befragt, Angaben zum
Beikonsum werden nach den Ergebnissen der Urinkontrollen gemacht, die Fragen
zur sozialen Situation beantworteten die Patientinnen anhand von Fragebogen. Da
die Daten in verschiedenen Praxen erhoben wurden, liegen sie nicht für
alle Patientinnen vollständig vor.
Untersuchte und behandelte Gruppe
Untersuchte und behandelte Gruppe
Die Frauen waren bei Beginn der Heroinabhängigkeit
durchschnittlich 19 Jahre alt (12-33, Median 18 Jahre). Die Behandlung
begann durchschnittlich 8 Jahre später (1-26 Jahre, Median
6 Jahre); die Frauen prostituierten sich zur Finanzierung der
Abhängigkeit seit durchschnittlich 4 Jahren (1-12 Jahre, Median
4 Jahre). 20 Frauen machten in einem Fragebogen Angaben zur Situation
während ihrer Kindheit. 10 wuchsen mit mindestens einem süchtigen
Elternteil auf, 13 gaben körperliche Misshandlungen in der Kindheit an, 5
beschrieben sexuellen Missbrauch.
Von 33 Frauen gab es Informationen zur Wohnsituation: 28 von ihnen
lebten in schlechten Wohnverhältnissen (in von den Sozialämtern
belegten „Hotels”, bei drogenabhängigen Bekannten oder waren
obdachlos), 5 in guten (eigene Wohnung, bei den Eltern oder einem nicht
drogenabhängigen Partner). Trotz des schweren Verlaufs, der zur
Beschaffungsprostitution führte, hatte nur die Hälfte der hier
beschriebenen Frauen Erfahrungen mit stationären Entzügen und
Abstinenztherapien. 8 von 15 befragten Frauen hatten vor Beginn der
Substitutionsbehandlung keinen stationären Entzug versucht, 7 waren nach 1
bis 5 stationären Entzügen rückfällig geworden. 11 von 20
befragten Frauen hatten keine, die übrigen 9 hatten 1 bis 7mal mit
stationären Abstinenztherapien versucht, den Heroinkonsum aufzugeben. 15
waren wegen drogenbedingter Notfallsituationen schon mehrfach im Krankenhaus
behandelt worden, 7 gaben Selbstmordversuche in der Vorgeschichte an. Mehrere
Frauen waren stationär wegen septischer Thrombosen, schwer verlaufender
Pneumonien, Lungenabszessen und Endokarditiden behandelt worden. Bei der
klinischen Untersuchung waren die oberflächlichen Armvenen bei 29 Frauen
zerstört, alle hatten Abszesse, 10 davon an Hals oder Leisten, bei 16
bestanden Ulcera. 11 waren untergewichtig, 17 hatten ein erheblich
sanierungsbedürftiges Gebiss. Eine bekannte HIV-Infektion wurde
bestätigt, zwei weitere wurden bei der Erstuntersuchung entdeckt. Bei 27
nachuntersuchten Patientinnen wurden drei HIV-Infektionen neu entdeckt, eine
davon drei Monate nach Behandlungsbeginn. Nach Syphilis wurde bei 18 Frauen
gesucht: Dabei wurde keine Infektion festgestellt. Dieser Befund weicht
auffällig von den Bremer Ergebnissen ab: Dort wurde bei 9 von 29 Frauen
eine Syphilis festgestellt [2]. 28 von 40
(70 %) untersuchten Frauen hatten eine ausgeheilte
Hepatitis-B-Infektion (HbsAg war bei keiner der Frauen nachweisbar), 34 von 40
(85 %) hatten eine Hepatitis C [5]. Die
Hepatitis-C-Prävalenz ist sehr hoch, auch bei kurzer Suchtdauer: Bereits
nach 4 Jahren waren 6 von 7 Frauen infiziert. Das ist sehr viel mehr, als sonst
in Hamburg beschrieben [6]
[7].
Ergebnisse
Ergebnisse
Tab. 1 Haltequote nach einem
und nach fünf
Jahren
n = 44 | in Behandlung | regulär beendet | Behandlung abgebrochen | gestorben | |
| Angaben in
Klammern = n | gesamt |
nach 1
Jahr | 86 % | (38) | | | 11 % | (5) | 2 % | (1) | (44) |
nach 5
Jahren | 59 % | (26) | 11 % | (5) | 23 % | (10) | 7 % | (3) | (44) |
41 von den 44 Frauen haben innerhalb einiger Monate die Bedingungen
des Hamburger Methadonvertrags erfüllt. Nach einem Jahr waren noch 38
Frauen (86 %) in Behandlung (eine Frau war am Ende des 1.
Behandlungsjahres gestorben, 5 hatten die Behandlung abgebrochen), nach 5
Jahren waren es noch 26 (59 %). 5 Frauen hatten das
Substitutionsmittel ausschleichend abgesetzt, zwei Frauen waren im zweiten
Behandlungsjahr gestorben (eine 4. Frau starb im 7. Behandlungsjahr; 4
Frauen setzten das Substitutionsmittel im 6. Behandlungsjahr ab). 11 Frauen
hatten die Behandlung z. T. mehrfach unterbrochen, 10 sind nach einem
Abbruch bis zum Befragungszeitpunkt nicht wieder in Behandlung gekommen.
Während der Substitutionsbehandlung versuchten 5 von 19 dazu
befragten Frauen mit jeweils 1-3 stationären Langzeittherapien
Abstinenz zu erreichen, keine war damit erfolgreich.
Von 26 der 41 überlebenden Frauen lagen Informationen zur
Prostitution vor (Angaben der Patientinnen, klinischer Eindruck der
behandelnden Ärztinnen, Informationen anderer Patientinnen). Danach hatten
20 Frauen die Prostitution aufgegeben, 6 gingen weiter der Prostitution
nach.
Die Wohnverhältnisse besserten sich erheblich: Von 33 Frauen
wohnten nach 5 Jahren Behandlung 28 in guten Verhältnissen, nur noch 5 in
schlechten. Zu Beginn der Behandlung hatten 8 Frauen 11 Kinder, von denen
keines bei der Mutter lebte. Unter der Substitutionsbehandlung konnten 4 der
Frauen insgesamt 7 Kinder wieder zu sich nehmen. Während der
Substitutionsbehandlung wurden von 10 Frauen 13 Kinder geboren, die alle von
ihren Müttern erzogen werden. Ein Kind starb an den Misshandlungen, die es
vom Partner der Mutter erlitt.
Das Methadon wurde - wie in Hamburg üblich - in
einer Apotheke eingenommen. Die durchschnittliche Dosierung betrug zu Beginn
der Behandlung 130 mg d,l-Methadon (bei Verordnung von Levomethadon
wurde die Dosis 1:2 umgerechnet) mit einem Bereich zwischen 55 und
200 mg (Median 120 mg). 27 Frauen benötigten mehr als
100 mg. Nach 5 Jahren wurden durchschnittlich 65 mg d,l-Methadon
verordnet (Median 60 mg), und nur 6 Frauen benötigten mehr als
100 mg.
Zu den Urinkontrollen gab es nach einem Jahr von 23 Frauen
Ergebnisse, nach 2 und 5 Jahren von 15 Frauen. Der Konsum von Heroin und Kokain
ging deutlich zurück. Nach einem Jahr waren in 30 % der
Urinproben Heroin und Kokain nachweisbar, nach 2 Jahren in
20 %. Nach einem Jahr waren bei einem Drittel der Frauen nie
Heroin und bei der Hälfte nie Kokain nachzuweisen, ab dem 2. Jahr war das
bei 2/3 der Frauen der Fall. Ständigen Beikonsum hatten in den ersten
beiden Behandlungsjahren etwa 20 % der Frauen, im 5. Jahr noch
eine (Kokain) bzw. 2 (Heroin) von 15 untersuchten Frauen.
Tab. 2 Opiat/Kokain positive
Ergebnisse bezogen auf die Anzahl der Urinkontrollen
(Angaben in
absoluten Zahlen, in Klammern in
Prozent)
| n = | Opiate positiv | Kokain positiv |
im 5.
Quartal | 23 | 28 von 85 | (33 %) | 23 vo^n 85 | (27 %) |
im 9.
Quartal | 15 | 9 von 48 | (19 %) | 9
von 48 | (19 %) |
im 20.
Quartal | 15 | 6 von 35 | (17 %) | 12 von 35 | (34 %) |
Tab. 3 Ergebnisse der
Urinkontrollen bezogen auf die Patientinnen
(Angaben in absoluten
Zahlen)
| n = | immer Opiate negativ | immer Kokain negativ | immer Opiate positiv | immer Kokain positiv |
im 5.
Quartal | 23 | 8 | 11 | 4 | 5 |
im 9.
Quartal | 15 | 11 | 10 | 3 | 2 |
im 20.
Quartal | 15 | 11 | 9 | 2 | 1 |
Obwohl die Frauen anfänglich nicht in der Lage waren, die
für eine erfolgreiche Substitutionsbehandlung damals für notwendig
gehaltenen Vorleistungen zu erbringen, sind die Behandlungsergebnisse gut
(gemessen an der Haltequote, am Heroin- und Kokainkonsum, sozialer
Rehabilitation und Abstinenz vom Substitutionsmittel [8 10].
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung
Viele Heroinabhängige werden erst spät von der Drogenhilfe
erreicht. Aus ärztlicher Sicht ist es wegen des schlechten
Gesundheitszustands und gesundheitspolitisch zur Vermeidung von HIV- und
Hepatitisinfektionen dringend erforderlich und erfolgversprechend, sich
prostituierende heroinabhängige Frauen aufzusuchen und ihnen eine
Opiaterhaltungstherapie anzubieten.
Fallbeschreibungen
Fallbeschreibungen
Lena
Lena begann mit 13 Jahren, Tabak und Cannabis zu rauchen. Kein
Schulabschluss, keine Lehrstelle, deshalb „flog sie zu Hause
raus”. 16-jährig Beginn des intravenösen Heroinkonsums,
zusätzlich Konsum von Benzodiazepinen und Kokain. Prostitution zur
Finanzierung des Drogenkonsums. Ein Entzugsversuch mithilfe von Bekannten
führte für einen Monat zur Abstinenz. Über das „Cafe
Sperrgebiet” kam sie im August 1994 mit 18 Jahren in die
Substitutionsbehandlung. Bei Behandlungsbeginn waren die Venen der Unterarme
zerstört, es bestand ein Abszess am linken Unterarm. Das Gebiss war in
gutem Zustand, sie war weder mit einer Hepatitis noch mit HIV infiziert.
Wir begannen die Behandlung mit d,l-Methadon in einer Dosierung
zwischen 100 und 130 mg und impften sie gegen Hepatitis B. Die
psychosoziale Betreuung wurde in der „Palette 3”, einer
Einrichtung zur psychosozialen Betreuung Substituierter mit einem Schwerpunkt
in der Betreuung von Müttern und Vätern, geleistet. Lena begann, bei
einer Zeitarbeitsfirma zu arbeiten. Im ersten Behandlungsjahr noch
regelmäßiger Heroin- und Kokainkonsum. Von Februar bis April 1995
unterbrach sie die Behandlung. Sie kam nach zwei Monaten mit vielen Abszessen
und einer Hepatitis C zurück in die Behandlung.
Kurz nach der Wiederaufnahme der Substitutionsbehandlung begann
sie wieder zu arbeiten und nahm am Schulunterricht der Beratungsstelle teil.
Sie konsumierte jetzt nach ihren Angaben nur noch sporadisch. Ab jetzt waren
alle Urinproben sauber. Sie zog zunächst zur Mutter, bekam aber bald eine
eigene Wohnung.
Während sie mit einem Drogenabhängigen zusammenlebte,
war im Januar 1996 eine Dosiserhöhung bis 180 mg nötig,
zusätzlich bekam sie wegen Schlafstörungen verschiedene Hypnotika,
u. a. bis 30 mg Diazepam täglich. Das Diazepam konnte in
vier Wochen wieder abgesetzt werden. Ab April 1996 begann sie, die
Methadondosis zu reduzieren. Im Juni erlitt sie eine Fehlgeburt. Bei
130 mg d,l-Methadon musste die Dosis wieder auf 170 mg
erhöht werden. Eine Reduzierung um 5 mg alle 14 Tage vertrug sie
besser. Anfang 1997 wurde sie erneut schwanger, hatte aber viele Probleme mit
dem Kindsvater, einem Alkoholiker, der von ihrem Geld lebte. Sie erreichte ein
Hausverbot für ihn. Am 12.10.1997 wurde ihre Tochter geboren. Wegen der
Entzugssymptomatik blieb das Kind zwei Monate im Krankenhaus. Sie konnte in
dieser Zeit im Schwesternheim wohnen und das Kind täglich besuchen.
Bis zum Juli 1998 konnte sie die Methadondosis auf 25 mg
reduzieren. Die geplante Umstellung auf Buprenorphin für den restlichen
Entzug gelang nicht, wegen Herzrasens musste Buprenorphin wieder abgesetzt
werden. In 12 Monaten wurde das Methadon in kleinen Schritten bis Ende Juli
1999 entzogen. Im Mai 2001 kam sie zu einer Blutuntersuchung in die Praxis.
Nach ihren Worten ging es ihr gut, klinisch bestand kein Anhalt für einen
erneuten Drogenkonsum, der Urin war frei von Opiaten, Kokain und
Benzodiazepinen. Die Tochter war jetzt 3œ Jahre alt, das Sozialamt
drängte sie zu arbeiten, einen Schulabschluss hat sie noch nicht
erreicht.
Anna
„Zu Hause war es nie schön”: 1975 Scheidung der
Eltern, als sie 2 Jahre alt war, kurz danach 2. Ehe der Mutter mit
gewalttätigem, trunksüchtigem Mann. Der Stiefvater misshandelte sie
und die Mutter und missbrauchte sie sexuell vom 9.-12. Lebensjahr.
Fluchtversuche mit 10 und 12 Jahren, Unterbringung in einem Heim, weitere 2
Jahre später in einer betreuten Jugendwohnung. Sie begann mit 10 Jahren,
Zigaretten zu rauchen, und mit 12 Jahren, Alkohol zu trinken und Cannabis zu
rauchen, beides mit dem Ziel, die Wirklichkeit zu vergessen und sich
wohlzufühlen. Mit 14 Jahren Beginn des Heroinkonsums. Das Gefühl beim
Injizieren beschrieb sie mit „wie im 7. Himmel”.
Aus der Jugendwohnung floh sie wegen eines gewalttätigen
Freundes nach Hannover und Frankfurt, wo sie sich obdachlos in der offenen
Drogenszene aufhielt. Mit 16 Jahren schwanger, vom Jugendamt in einer betreuten
Mutter-Kind-Wohnung untergebracht. Während der Schwangerschaft und der
folgenden 18 Monate abstinent und Besuch einer Hauswirtschaftsschule in St.
Georg. Als sie rückfällig wurde, wurde das Kind in einem Heim
untergebracht und später zu Pflegeeltern gegeben. Danach massiver
Rückfall, auch Kokainkonsum. Wegen Raub vier Monate Untersuchungshaft.
Seit dem 18. Lebensjahr Prostitution zur Finanzierung des
Drogenkonsums. Wegen lebensbedrohlicher Überdosierungen 10-mal im
Krankenhaus. zwei stationäre Entgiftungen, Abbruch nach zwei bzw. einer
Woche. Mit 18 Jahren kurzfristige Behandlung mit Methadon, aber wegen fehlender
Wohnung und Aufenthalt in der „Szene” abgebrochen („ich
war noch nicht reif dafür”). 1993 wurde anlässlich eines
Angriffs auf einen Polizeibeamten mit einer blutgefüllten Spritze eine
HIV-Infektion festgestellt.
Bei Beginn der Behandlung 1994 mit 21 Jahren verwahrlost,
abgemagert. Zahlreiche Einstichstellen und vernarbte Abszesse an beiden Armen,
zahlreiche Pyodermieherde. Symptomlose HIV-Infektion mit 890 CD4-Zellen,
Hepatitis-C-Infektion im virämischen Stadium, Immunität nach
Hepatitis B, Eisenmangelanämie mit einem Hb von 10,2 g/dl,
Cholelithiasis.
Regelmäßiger Kontakt zu einer Drogenberatungsstelle.
Die Veränderungen seit der Behandlung mit Methadon beschreibt sie so:
„Die Gier ist weg, ich muss nicht mehr anschaffen, es geht mir
körperlich besser”. Substitution mit maximal 190 mg
d,l-Methadon und wegen der zusätzlichen Benzodiazepinabhängigkeit
Verordnung von maximal 8 mg Clonazepam, ambulant reduzierbar auf
2,5 mg. Anfang 1996 stationärer Entzug nach mehreren Anläufen,
nach mehreren Abbrüchen disziplinarisch entlassen. Rückfall, im
März erneute Substitutionsbehandlung mit maximal 70 mg Levomethadon
und Verordnung von maximal 8 mg Clonazepam, reduzierbar auf
2,5 mg. Massiver Alkoholkonsum. Sie musste die Apotheke wechseln, weil
sie dort gestohlen hatte, wurde disziplinarisch aus einer Wohneinrichtung
für junge Frauen entlassen und vom Sozialamt in einem
„Hotel” untergebracht.
Im November 1996 brach sie die Behandlung ab und kam abgemagert im
April 1997 mit einer Pneumonie, die zunächst im Krankenhaus behandelt
wurde, wieder in Behandlung. Anschließend Haft, ab Juni erneute
Substitutionsbehandlung. Stationäre Teilentgiftung über 5 Wochen,
anschließend ab 1.12.97 Entwöhnung in „Release”.
Abbruch nach acht Wochen, weitere Substitutionsbehandlung (75 mg
Levomethadon, zusätzlich 2 mg Clonazepam), im Frauenhaus
untergebracht.
Zwei kurze stationäre Aufenthalte wegen
Unterschenkelphlegmonen im März und April 1998, im Mai wegen eines
Okkasionsanfalls und eines Abzesses am Unterarm. Ende August neuer
Entwöhnungsversuch in Toppenstedt und Parber, abgebrochen, erneute
Substitutionsbehandlung im Februar 1999 bis zum Entzug in
„Bellavista”, von dort mit 25 mg Levomethadon entlassen,
da ein vollständiger Entzug nicht sinnvoll sei. Anschließend
für sechs Wochen in Untersuchungshaft.
Unterbringung in der Krisenwohnung nach mehreren Anläufen,
stationär im Tropeninstitut für drei Wochen mit Spritzenabszessen und
anschließender Beikonsumentzug in „BellaVista” bis zum
6.4.99. Am Ende des Aufenthalts erschien Tanja „wie
aufgeblüht”.
Am Tage nach der Entlassung erneut inhaftiert, nach sechs Wochen
nach Gnadengesuch entlassen. Sie wurde weiter substituiert. Nach einem
Suizidversuch wurde sie acht Wochen in der Entzugsstation „Bella
Vista”, nach einem weiteren im August 2000 vier Wochen lang in der
Entzugsstation des AKO behandelt, dort am 12.9.00 mit 60 mg L-Polamidon
entlassen und ambulant weiter substituiert.
Anna starb am 31.10.2000 an einer Mischintoxikation. Im Blut
wurden Heroin, Methadon, Kokain, Benzodiazepine und Antidepressiva
gefunden.