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DOI: 10.1055/s-2002-36312
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Kommentar zur Arbeit von M. Stöhr: Nerven-Engpass-Syndrome - Qualitätsanforderungen an die neurologische und neurophysiologische Diagnostik
Handchir Mikrochir Plast Chir 2002; 34: 269 - 274Invited Commentary on the Article of M. Stöhr: Entrapment Neuropathies - Quality Requirements for Neurological and Neurophysiological DiagnosisPublication History
Eingang des Manuskriptes: 23. Juli 2002
Angenommen: 4. August 2002
Publication Date:
19 December 2002 (online)
Die Arbeit von Stöhr behandelt neben kurzen Hinweisen auf die Symptomatologie die diagnostischen Qualitätskriterien der wichtigsten Nervenkompressionssyndrome der oberen Extremitäten mit Betonung auf den elektrophysiologischen Untersuchungstechniken. Sie wendet sich somit primär an diejenigen, die mit diesen Untersuchungstechniken umgehen. Sie ist jedoch auch für den Operateur von Interesse, der sich nicht selten mit unsicheren und zweifelhaften Befunden, die seine operative Entscheidung beeinflussen, konfrontiert sieht. Wertvoll sind hier vor allem die Hinweise auf fehlerhafte Untersuchungen und Interpretationsfehler. Die Arbeit enthält außerdem Vorschläge für eine einheitliche Nomenklatur, die zu den unverzichtbaren Qualitätskriterien gehört.
Es sind vor allem die Kompressionssyndrome der Nn. ulnaris und radialis, denen unterschiedliche pathogenetische Vorstellungen zugrunde liegen, die zu therapeutischen Irrwegen führen. Dies zeigt sich zum Beispiel bei der Frage des „therapieresistenten Tennisellenbogens“. Nicht ganz so kontrovers sind die Auffassungen zur Ulnariskompression am Ellenbogen. Ob sich der von Stöhr aus der anglo-amerikanischen Literatur (AAEM 1999[1]) übernommene Begriff der UNE durchsetzen kann, bleibt abzuwarten.
Stöhr betont, dass trotz eines einheitlichen klinischen Bilds verschiedene Ursachen der Ulnarisneuropathie anzunehmen seien. Dies mag insofern zutreffen, als verschiedene Pathomechanismen wie beispielsweise Ulnarisspätparese nach Trauma, bei Ellenbogengelenkarthrosen, die Ulnarisluxation und der M. epitrochleoanconaeus dem Krankheitsbild zugrunde liegen können. Eigene intraoperative Beobachtungen bei mehr als 3000 operierten Fällen zeigen jedoch, dass es sich letztlich um ein einheitliches Krankheitsbild handelt, dessen gemeinsame pathogenetische Grundlage im Bereich des Kubitaltunnels zu suchen ist. Für diese Annahme spricht, dass - unabhängig von der Genese -
die Kompression im Bereich des Kubitaltunnels umso ausgeprägter war, je fortgeschrittener die klinische Läsion war, und die postoperative Neurographie eine verbesserte Leitfähigkeit des Nervs nach der einfachen Dekompression zeigt (Assmus 19942).
Stärkere Veränderungen des N. ulnaris im Sulkus und die Größe des Pseudoneuroms korrelieren weitgehend mit der taillenförmigen Einschnürung und vermehrten Vaskularisierung des Nervs im Bereich des Kubitaltunnels. Die Bilder ähneln sehr einem fortgeschrittenen Karpaltunnelsyndrom, das ja bekanntlich auch sehr viele Ursachen (besser: Auslöser) haben kann, ohne dass man von verschiedenen Karpaltunnelsyndromen spricht. Es bietet sich daher an, wie bereits von Sunderland (1978[3]) vorgeschlagen, von einem Kubitaltunnelsyndrom als Oberbegriff (Assmus 1994[2]) zu sprechen, das in eine primäre Form ohne fassbare morphologische Veränderungen im Bereich des Ellenbogengelenks und eine sekundäre Form, die die Ulnarisparesen nach lange zurückliegenden Traumen (Spätparesen), bei Ellenbogengelenkarthrosen, Ulnarisluxationen und M. epitrochleoanconaeus einschließt, unterteilt wird. Die therapeutische Entscheidung bezüglich der operativen Technik (Dekompression oder Verlagerung) ist dem jeweiligen Einzelfall anzupassen, wobei die Fälle mit ausgeprägten morphologischen Veränderungen eher für eine (korrekt durchgeführte) Verlagerung, die anderen für die einfache Dekompression geeignet sind.
Diese Fragen liegen jedoch außerhalb der hier behandelten diagnostischen Qualitätskriterien und könnten Thema eines interdisziplinären Diskussionsforums für gemeinsame evidenzbasierte Leitlinien sein. Letztere wären Voraussetzung für die Etablierung eines Qualitätsmanagements „Nervkompressionssyndrome“ oder „Nervchirurgie“.
Literatur
- 1 American Association of Electrodiagnostic Medicine ( AAEM). Practice Parameter to electrodiagnostic studies in ulnar neuropathy at the elbow: Summary statement. Muscle Nerve. 1999; 22 (Suppl 8) S171-S174
- 2 Assmus H. Die einfache Dekompression des N. ulnaris beim Kubitaltunnelsyndrom mit und ohne morphologische Veränderungen. Erfahrungsbericht anhand von 523 Fällen. Nervenarzt. 1994; 65 846-853
- 3 Sunderland S. Nerves and Nerve Injuries. Edinburgh, London, New York; Churchill Livingstone 1978
Dr. med. Hans Assmus
Neurochirurgische Gemeinschaftspraxis
Ringstraße 3
69221 Dossenheim
Email: hans_assmus@t-online.de