Handchir Mikrochir Plast Chir 2002; 34(5): 277-291
DOI: 10.1055/s-2002-36315
Übersicht

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur Standardisierung des therapeutischen Vorgehens bei der Versorgung von Amputations- und amputationsartigen Verletzungen im Unterschenkelbereich - das „integrative Therapiekonzept“[*]

Standardized Management of Subtotal and Total Amputation Injuries at the Lower Leg Level - the “Integrated Treatment Concept”R. Hierner1 , C. Cedidi2 , A. M. Betz3 , A. C. Berger4
  • 1 Plastische, Reconstructieve en Esthetische Chirurgie, Handchirurgie en Brandwondencentrum, Universitaire Ziekenhuis Gasthuisberg, Katholieke Universiteit Leuven, Leuven/Belgien
  • 2 Klinik für Plastische und Handchirurgie, Klinikum Wuppertal GmbH, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Witten-Herdecke, Wuppertal
  • 3 Therapiezentrum Martinsmühle, Wadern-Wadrill
  • 4 International Neuroscience Institute (INI), Hannover
Further Information

Publication History

Eingang des Manuskriptes: 11. Februar 2002

Angenommen: 28. August 2002

Publication Date:
19 December 2002 (online)

Preview

Zusammenfassung

Durch eine strenge Indikationsstellung zur Replantation, den differenzierten Einsatz verschiedener Replantationskonzepte und einer optimalen postoperativen Begleittherapie („integratives Therapiekonzept“) kann eine deutliche Ergebnisverbesserung sowie Verringerung der postoperativen Komplikationen erzielt werden.

Auf die überragende Bedeutung des „adäquaten Débridements“ von geschädigtem Gewebe im Hinblick auf die Verbesserung der funktionellen Ergebnisse und die Reduktion von lokalen (Thrombose, Infekt) und systemischen (Crush-Syndrom, Ischämie-Reperfusions-Syndrom) Komplikationen wird ausdrücklich hingewiesen. Die postoperative Physiotherapie stellt einen integralen Bestandteil der erfolgreichen Therapie dar, da nur durch intensive und langanhaltende Physiotherapie das durch die Replantation geschaffene funktionelle Potenzial richtig ausgeschöpft werden kann. Eine Kürzung dieser Leistung durch die Krankenkassen ist deshalb nicht gerechtfertigt.

Trotz der initial bedeutend höheren Kosten und der längeren Behandlungsdauer ist eine Replantation im Unterschenkelbereich - wenn technisch möglich, indiziert und gewollt, einer Stumpfversorgung vorzuziehen. Bei exakter Indikationsstellung, einwandfreier Operationstechnik und optimaler Nachbehandlung (Krankengymnastik, Sekundäreingriffe usw.) können bessere funktionelle Ergebnisse als bei prothetischer Versorgung erreicht werden, und eine psychische Beeinträchtigung durch die fehlende Körperintegrität tritt nicht auf. Auch aus sozioökonomischer Sicht verursacht eine erfolgreiche Unterschenkelreplantation auf lange Sicht deutlich geringere Kosten als eine primäre Stumpfversorgung mit frühzeitiger prothetischer Versorgung.

Im Gegensatz zur Lokalsituation am Unterschenkel, für die es klinische, objektivierbare Kriterien gibt, aufgrund welcher bereits am Unfalltag das funktionelle Ergebnis und die Behandlungsdauer mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden können, gibt es derzeit noch keine objektiven Entscheidungshilfen für die Vorhersage der Auswirkung der Replantation auf den Gesamtorganismus. Die Vorhersage des Replantationsrisikos aufgrund subjektiver klinischer Erfahrung ist bei etwa 11 % der replantierten Patienten nicht ausreichend. In diesen Fällen wird der Patient lebensbedrohlich durch die Replantation gefährdet. Hier bleibt derzeit nur die „Schadensbegrenzung“ durch sofortige Reamputation aus vitaler Indikation. Das Ziel zukünftiger Studien muss es sein, objektivierbare Kriterien zu definieren, um eine derartige Gefährdung für den Patienten von vornherein zu vermeiden.

Abstract

Because of better defined indications and operative concepts for replantation, and better postoperative management, there has been a clear improvement of results. In spite of the higher costs and the longer time of recovery after lower leg replantation compared to primary amputation and early prosthetic fitting, replantation should be carried out if possible, indicated and desired.

The importance of adequate debridement of any damaged tissue is the key to better functional results, leading to the reduction of local (thrombosis, infection) and/or systemic (crush-syndromes, ischemia-reperfusion-syndromes) complications. Postoperative physiotherapy also plays a decisive role. The functional potential after replantation can only be achieved if adequate physiotherapy is applied over an extended period of time.

Provided exact indication, meticulous operative technique and adequate postoperative physiotherapy, better functional results, lack of prosthesis-related problems and lack of psychological disturbances caused by missing body integrity will result. On the other hand, the lack of good replantation indicates primary amputation and early subsequent prosthetic fitting in the benefit of the patient.

Contrary to the local situation at the lower leg, for which objective clinical criteria are existing which predict with a high probability the functional outcome and the duration of therapy at the time of injury, there are no objective criteria to predict systemic impairment of the patient caused by the replantation. The actual forecast based on subjective clinical experience is not sufficient for at least 11 % of the replanted patients. In those cases there will be danger of life during the postoperative period because of mono-, oligo-, or multiple organ failure requiring immediate secondary reamputation to reduce harm for the patient. The aim of future studies must be an objective predictive score in order to primarily avoid harm to such a patient.

1 * Nach einem Vortrag auf der 23. Jahrestagung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Mikrochirurgie der peripheren Nerven und Gefäße vom 18. bis 20. Oktober 2001 in Innsbruck

Literatur

1 * Nach einem Vortrag auf der 23. Jahrestagung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Mikrochirurgie der peripheren Nerven und Gefäße vom 18. bis 20. Oktober 2001 in Innsbruck

Prof. Dr. med. Robert Hierner

Plastische, Reconstructieve en Esthetische Chirurgie, Handchirurgie en Brandwondencentrum
U. Z. Gasthuisberg, Katholieke Universiteit Leuven

Herestraat 49

3000 Leuven

Belgien

Email: robert.hierner@uz.kuleuven.ac.be