PiD - Psychotherapie im Dialog 2003; 4(1): 32-41
DOI: 10.1055/s-2003-37613
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Soziale Ängste: Die psychodynamische Perspektive in Konzeptbildung und Behandlungsansätzen

Sven  Olaf  Hoffmann
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Publication Date:
05 March 2003 (online)

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Abstract

In der Übersichtsarbeit wird die Ansicht vertreten, dass es sich bei der Sozialen Phobie um eine relevante, häufige und zu Unrecht in der Psychoanalyse bisher so wenig beachtete Störung handelt. Aus der wenigen psychoanalytischen Literatur und aus der Erfahrung des Autors mit solchen Patienten wird eine Konzeption der Pathogenese, vor allem aber der Psychodynamik soziophobischer Zustände entworfen, die sowohl klassischen Positionen folgt als auch neuere Konzepte einbezieht. Aus der Narzissmustheorie erfolgt die Ableitung eines (1.) defizitären Selbstkonzepts, das zu (2.) kompensatorischer Überhöhung verleitet. Dem (3.) Affekt der Scham wird dabei die entscheidende motivierende und verhaltensbestimmende Bedeutung zugesprochen. Einbezogen in das Verständnis wird die (4.) Bindungstheorie (Attachment-Modell von Bowlby) und das noch wenig bekannte (5.) Abwehr/Sicherheits-Modell (Defence/Safety-Modell von Gilbert). Die Ansätze der Psychodynamischen Therapie werden in einem modellhaften Leitfaden entworfen. Sie basieren in wesentlichen Teilen auf einer Ausweitung von Freuds wenig beachteter Empfehlung einer „neuen Aktivität” in der Behandlung von Phobikern und beziehen kognitive Elemente (rationale Aufklärung und Vorbereitung des Patienten) ein. Im Zentrum steht die konstante Bearbeitung der Selbstpathologie, die sich über die Affekte von Scham und Angst oft in Übertragung und Gegenübertragung inszeniert. Eine Kombination mit einer antidepressiven Pharma- oder einer (vorausgehenden oder nachfolgenden) Verhaltenstherapie ist oft unumgänglich, wenn eine weitgehende Remission der hartnäckigen Störung angestrebt ist. Den Abschluss bildet eine vignettenhafte Falldarstellung, die den praktischen Umgang mit dem beschriebenen Therapiekonzept verdeutlicht.