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DOI: 10.1055/s-2003-37854
Welche Studien, welcher Mangel?
Zu den Beiträgen aus DMW 42/2002 und 46/2002Publication History
Publication Date:
29 April 2004 (online)
Die Schwächen unseres Gesundheitssystems und die steigenden finanziellen Lasten erschweren angeblich den Fortschritt in der Grundlagen- und Therapieforschung [6]. So sehr es das Verdienst des Autors ist, den klinischen Versuch als Element der Therapieoptimierung ins Gespräch zu bringen, wir benötigen keine Namensneuschöpfung wie „Therapieoptimierungsstudie“. Die „randomisierte, kontrollierte Studie“ ist das pragmatische Instrument der patientenbezogenen, medizinischen Forschung [3] [7]. Der Name erläutert ihre Konzeption: Bilde vergleichbare Patientengruppen durch Parallelgruppen-Randomisierung und verhindere Voreingenommenheiten (bias) gegenüber der zu prüfenden Behandlung durch Blindheit von Arzt und Patient [1] [3]. Was das Experiment für den Physiker, ist die randomisierte, kontrollierte Studie für den mit dem Patienten beschäftigten Mediziner. Sie allein kann ihm reproduzierbare Daten liefern - vorausgesetzt er hält die Regeln der Planung und Durchführung randomisierter, kontrollierter Studien ein [3].
Während man in englischsprachigen medizinischen Zeitschriften wie „New England Journal of Medicine“, „Lancet“ oder „British Medical Journal“ jede Woche nicht nur eine, sondern oft mehrere randomisierte, kontrollierte Studien finden kann, sucht man diese in deutschen medizinischen Zeitschriften meist vergebens. Hier gibt es Übersichten, retrospektive Studien, Kasuistiken, aber fast keine randomisierten, kontrollierten Studien [15]. Kennen oder schätzen deutsche Ärzte ihre Aussagekraft so wenig? Wissen sie nicht, dass gesichertes medizinisches Wissen, evidenzbasierte Medizin [14], Cochrane reviews [13] und Leitlinien [2] vor allem auf den Ergebnissen randomisierter, kontrollierter Studien basieren? Fehlt es in Deutschland wirklich an der „gewachsenen Kultur“ für randomisierte, klinische Studien [15]?
Ein deutliches Zeichen hierfür ist, dass unsere Produktion an randomisierten kontrollierten Studien im Vergleich mit Ländern ähnlicher Gesundheitssysteme niedrig ist [15]. Warum? In anderen Ländern führen nicht nur Ärzte von Universitätskliniken und Lehrkrankenhäuser, sondern auch Ärzte in Stadt- und Kreiskrankenhäusern, ja sogar niedergelassene Ärzte randomisierte, kontrollierte Studien durch. Liegt es bei uns allein an den Schwierigkeiten der Finanzierung von Studien [6] [15]? Natürlich ist die Initiative des BMBF zur finanziellen Förderung von Koordinierungszentren für klinische Studien (KKS) zu begrüßen [15], jedoch ist unser Defizit an randomisierten Studien nicht primär durch Geldmangel verursacht.
Deutsche Ärzte haben ein Ausbildungsdefizit. Sie kennen die Methodologie der randomisierten, kontrollierten Studie nicht. Ihnen fehlt das Studien-Know-how. Im Ausland lernen bereits Medizinstudenten und angehende Ärzte in der Klinik, welche Wertschätzung ihre Ausbilder der randomisierten, kontrollierten Studie entgegenbringen, wie man sie konzipiert und durchführt. Daher ist es für sie später kein Problem, Studien als Instrument zur Lösung eigener, medizinischer Fragen einzusetzen. Warum scheitern bei uns so viele Studenten mit ihrer Doktorarbeit [5]? Wer wäre für die Einbindung in eine randomisierte Studie geeigneter als der promotionswillige Medizinstudent? Aber viele akademischen Lehrer wissen zu wenig über Studienplanung und -durchführung: Welche Studienform (retrospektiv, prospektiv, retrolektiv, prolektiv, Fall-Kontroll- oder Kohort- oder randomisierte, kontrollierte Studie usw.) ist am besten geeignet, meine Fragestellung zu beantworten? Wie muss ich die Studie planen und durchführen, damit ich valide Daten erhalte?
Andererseits fehlt in Deutschland die „patientenbezogene Forschung“[15], die der Wissenschaftsrat und die Deutsche Forschungsgemeinschaft erst kürzlich wieder so dringlich angemahnt haben [4] [15]. Es liegt auf der Hand: Ihre Themen finden sich beim niedergelassenen Arzt häufiger als an Kliniken. Zudem gibt es dort ein im Vergleich zu den Universitätskliniken ein viel größeres, aber ungenutztes Patientenreservoir. Zwei Beispiele aus meiner Praxis: 1. Sind „Hämorrhoidenmittel“ Placebos oder mehr? Es gibt hierzu keine einzige zuverlässig durchgeführte randomisierte, kontrollierte Studie [11]. 2. Dem Willen des Gesetzgebers zufolge sollen die Krankenkassen demnächst ihren Versicherten Disease-Management-Programme anbieten, die evidenzbasiert und leitliniengestützt sind [8]. Auf dem Sektor Proktologie gibt es hierfür jedoch nicht eine evidenzbasierte Leitlinie [12]. Wenn man das Know-how gezielt anbietet, warum sollten sich nicht viel mehr Ärzte an der Lösung patientenbezogener, medizinischer Probleme beteiligen? Sowohl von ihrem Status als auch von ihren Interessen her dürfen wir davon ausgehen, dass nicht-universitäre Kliniker und niedergelassene Ärzte hieran interessiert sind [10].
Es gibt ein, natürlich nur unter vorgehaltener Hand, aber immer wieder zu hörendes Vorurteil von Klinikern gegenüber niedergelassenen Ärzten, sie seien ja nur am Geldverdienen interessiert. Auch Niedergelassene benötigen Motivation für ihre Arbeit. Auch ihnen ist Selbst- und Fremd-Wertschätzung wichtig. Ein Lob anderer sowie eigene medizinische Erfolge sind wichtige Stimuli für ihre Arbeit, so wie es die Mitarbeit an randomisierten Studien sein kann, weil sie das Prestige des Arztes steigert. Warum geben wir nicht vermehrt Anreize zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Zentren und Niedergelassenen für eine „patientenorientierte Forschung“ mittels randomisierter, kontrollierter Studien?
An erster Stelle sind die Universitäts- und Lehrkrankenhäuser aufgerufen, den Lern-Nachholbedarf für randomisierte, kontrollierte Studien bei Medizinstudenten und Ärzten in der Ausbildung zu decken. Mit Hilfe von Koordinierungszentren für klinische Studien (KKS) und den florierenden Kompetenznetzen [16] kann vermehrt methodisches Wissen für eine patientenbezogene Forschung in die Praxis gelangen. Im Gegenzug können niedergelassene Ärzte und nichtuniversitäre Krankenhäuser Patienten in Studien einbringen. Jeder beteiligte Arzt erfährt durch „learning by doing“ mit solchen Zentren methodisches Wissen, evt. auch zur Durchführung eigener randomisierter, kontrollierter Studien. Ganz nebenbei können so neue Werte für die ärztliche Tagesarbeit entstehen, die der beklagten Bürokratisierung, Ghettoisierung, Demotivation und sinkenden ärztlichen Moral entgegenwirken [9] und einen positiven Stimulus gegenüber der quälende Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen, täglichen, ärztlichen Tuns darstellen.
Literatur
- 1 Altmann D G. Randomisation. Essential for reducing bias. Brit Med J. 1991; 302 1481-1482
- 2 Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung . Checkliste Methodische Qualität von Leitlinien. Dtsch Ärztebl. 2000; 97 1170-1172
- 3 Consort statement . Revised recommendations for improving the quality of reports of parallel-group randomised trials. Lancet. 2001; 357 1191-1194
- 4 Deutsche Forschungsgemeinschaft „Klinische Forschung: Denkschrift“. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 1999
- 5 Dewey M. Medizinische Dissertationen: Wie unterscheiden sich erfolgreiche von abgebrochenen Projekten?. Dtsch Med Wochenschr. 2002; 127 1307-1311
- 6 Hiddemann W. Klinische Studien - ein bedrohtes Element der Therapieoptimierung. Dtsch Med Wochenschr. 2002; 127 2185
- 7 Horton R, Smith R. Time to register randomised trials. Brit Med J. 1999; 319 865-866
- 8 Jachertz N. Disease Management: Warten auf Leitlinien. Dtsch Ärzteblatt. 2002; 99 597
- 9 Pendleton D, King J. Values and leadership. Brit Med J. 2002; 325 1352-1355
- 10 Röbke Th. Chancen Medica. Ein Beruf- drei Welten. Die Zeit. 2002; 47 84
- 11 Rohde H. Hämorrhoidenmittel - Placebos oder mehr?. Dtsch Ärzteblatt. 2002; 99 1133
- 12 Rohde H. Disease Management: Warten auf Leitlinien. Dtsch Ärzteblatt. 2002; 99 1011
- 13 Rüther A, Antes G. Evidence based medicine und die Cochrane Collaboration: Konzepte und Mittel zur Qualitätsverbesserung medizinischen Handelns. GQMG-Newsletter. 1997; 4 16-21
- 14 Sackett D L, Rosenberg W MC, Gray J AM, Haynes R B, Richardson W S. Evidence based medicine: what it is and what it isn`t. Brit Med J. 1996; 312 71-72
- 15 Siewert J R, Niethammer D. Klinische Forschung in Deutschland. Dtsch Med Wochenschr. 2002; 127 2469-2474
- 16 Zylka-Menhorn V. Kompetenznetze in der Medizin. Dtsch Ärzteblatt. 2002; 99 3240-3241
Autor
Prof. Dr. med. Henning Rohde
Praxis für Endoskopie und Proktologie
Friesenplatz 17a
50672 Köln