intensiv 2003; 11(2): 76-78
DOI: 10.1055/s-2003-38861
Intensivmedizin
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DGEM: neue Leitlinien zur enteralen Ernährung

Hanno H. Endres1 , Holger Beuse1
  • 1Redaktion AnInt.de, Münster
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Publication Date:
13 May 2003 (online)

Am Rande des Kurses „Ernährung, Diätetik, Infusionstherapie” hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) Ende Februar im Rahmen einer Pressekonferenz evidenzbasierte Leitlinien zur enteralen Ernährung vorgestellt.

Abb. 1 DGEM-Logo

Die DGEM hat es sich zur Aufgabe gemacht, die wissenschaftlichen und praktischen Belange auf dem Gebiet der Ernährungsmedizin und Stoffwechselforschung zu fördern. Unter ihrer Schirmherrschaft wurde die Leitlinie Enterale Ernährung entwickelt.

„Die offenen Fragen von Patienten und Ärzten und die Unsicherheit gegenüber den Krankenkassen gaben den Ausschlag dafür, die Leitlinie Enterale Ernährung zu erstellen”, begründet Professor Dr. Herbert Lochs, Präsident der DGEM und Herausgeber der Leitlinie.

In 15 Expertengruppen, bestehend aus Fachärzten, Ernährungswissenschaftlern, Diätassistenten, Pflegenden, Apothekern, Juristen, Theologen und Vertretern der Selbsthilfegruppen, wurde dabei in zwei Jahren die Literatur für jedes Themengebiet gesammelt und bewertet.

Unter der Leitung von Prof. Dr. K. G. Kreymann, Oberarzt an der Medizinischen Klinik I des Zentrums für Innere Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, entwickelte eine Arbeitsgruppe die Indikationen zur enteralen Ernährung bei Intensivpatienten.

Abb. 2 Prof. Dr. K. G. Kreymann

Ein wesentliches Problem bestand darin, dass die Intensivpatienten keiner homogenen Patientengruppe zuzuordnen sind, da diese bezüglich der Grunderkrankungen, der durchgeführten Prozeduren und der Beeinträchtigung des Gastrointestinaltraktes variieren. Überschneidungen mit den in den anderen Leitlinien behandelten Patientengruppen, die ebenfalls zeitweise intensivmedizinisch betreut werden, sind also unvermeidbar.

Die Leitlinie behandelt demnach schwer kranke Patienten, die nicht nur kurzfristig und routinemäßig nach einer Prozedur auf einer Intensivstation behandelt wurden, sondern eine längere Intensivtherapie benötigen und nicht eindeutig einer der in den anderen Kapiteln abgehandelten Diagnosen zugeordnet werden konnten. Hierzu zählten in erster Linie Patienten mit Multiorganversagen oder schwerer Sepsis.

Anhand aller Originalarbeiten, Metaanalysen und Übersichtsartikel in englischer und deutscher Sprache, die nach dem 1.1.1985 zu dem Themenkomplex der enteralen Ernähung kritisch Kranker erschienen sind, wurden die Intensivsterblichkeit, die 28-Tage-Mortalität sowie die Dauer der Intensivbehandlung bzw. der Krankenhausbehandlung untersucht.

Die Arbeitsgruppe hat erarbeitet, dass bei Patienten, die sich innerhalb von 14 Tagen nicht ausreichend ernähren können, die Mortalität erhöht ist. Patienten, die innerhalb von sieben Tagen nicht oral ernährt werden können, sollten unabhängig vom Ausgangsernährungszustand eine enterale Ernährungstherapie erhalten.

Mehrere klinische Studien haben untersucht, ob der klinische Verlauf durch eine frühzeitige enterale Ernährung (also innerhalb der ersten 24 Stunden nach Aufnahme auf der Intensivstation) günstig beeinflusst werden kann.

Neben der frühzeitigen Zuführung der Nährsubstrate ist die Aufrechterhaltung der normalen Funktion des Magen-Darm-Traktes ein weiteres Ziel dieser Maßnahme, da eine Störung zu einer Verstärkung der Entzündungsreaktion beitragen kann.

Obwohl die vorliegenden Studien nur sehr bedingt eine verallgemeinernde Schlussfolgerung zulassen, kam die Arbeitsgruppe zu dem Ergebnis, dass die frühzeitige enterale Ernährung bei kritisch kranken Patienten einer erst später begonnenen enteralen Ernährung überlegen ist.

Weiter wurde untersucht, ob bei Patienten, die keine Zeichen für Mangelernährung ausweisen und enteral ernährt werden können, die enterale Ernährung prinzipiell der parenteralen Ernährung vorzuziehen ist.

Vorhandene Studien und eine Metaanalyse, die über 1800 Patienten umfasst, belegen, dass die Form der Ernährung keinen Einfluss auf die Überlebensrate hat, wenngleich unter enteraler Ernährung weniger infektiöse Komplikationen auftreten.

Einen Vorteil der parenteralen Ernährung konnte keine Studie nachweisen, weshalb die Leitlinie empfiehlt, Patienten, die enteral ernährt werden können, enteral zu ernähren. Eine Ausnahme stellen Patienten mit einer schweren Mangelernährung dar, deren Überlebens- und Komplikationsrate durch eine zusätzliche parenterale Ernährung verbessert werden können.

Die Arbeitsgruppe befasste sich weiterhin mit der Frage, ob bei kritisch kranken Patienten mit chirurgischer Sepsis generell ohne Rücksicht auf den Schweregrad der Erkrankung eine Ernährung mit einer immunmodulierenden Sondennahrung von Vorteil ist.

Die einzelnen, zur Unterstützung des Immunsystems mit speziellen Fettsäuren, Aminosäuren, Nukleotiden und Antioxidantien angereicherten Sondennahrungen sind je nach Hersteller sehr unterschiedlich zusammengesetzt, weshalb eine verallgemeinernde Auswertung nicht möglich ist.

Der Mehrzahl der Studien, die die Immunonutrition untersucht haben, liegt die Anwendung des identischen Präparates zugrunde, sodass die Arbeitsgruppe zu dem Ergebnis kommt, dass nur die weniger kranken Intensivpatienten von der Ernährung mit immunmodulierender Sondennahrung profitieren, die enteral mit mehr als 2500 ml/72 h oder mindestens 5750 ml innerhalb von 7 Tagen ernährt werden können. Für schwer kranke Patienten, die nicht in diesem Sinne ausreichend enteral ernährt werden können, kann zurzeit keine Empfehlung gegeben werden.

Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass die Ernährungstherapie bei Intensivpatienten weiter ausdifferenziert werden muss und sehr genau auf die speziellen Bedürfnisse eines Patienten zugeschnitten sein sollte [Aktuel Ernaehr Med 2003; 28 (Supplement 1): S42-S50].

Die Leitlinien Enterale Ernährung Chirurgie und Transplantation wurden unter der Leitung von Prof. Dr. A. Weimann, Klinik für Allgemein- und Visceralchirurgie am Städtischen Klinikum St. Georg Leipzig, erarbeitet.

Abb. 3 Prof. Dr. A. Weimann

Die Indikationen für eine enterale Ernährung sind auch in der Chirurgie die Prophylaxe und Behandlung der Mangelernährung. In der Chirurgie ist die Bedeutung des Ernährungsstatus für die postoperative Morbidität und Letalität bei verschiedenen Krankheitsbildern retrospektiv und auch prospektiv gezeigt worden.

Ist die Mangelernährung besonders relevant für die Prognose nach Organtransplantation, beeinflusst der Ernährungsstatus auch wesentlich die Morbidität in der Chirurgie alter Menschen. So ist bei schwerer Mangelernährung die Verschiebung einer Operation zur Durchführung einer gezielten enteralen Ernährung angezeigt.

Generell ist postoperativ eine Unterbrechung der Nahrungszufuhr nicht erforderlich. Ein frühzeitiger oraler bzw. enteraler Kostaufbau führt zur Verminderung des Risikos einer Infektion und wirkt sich günstig auf die Krankenhausverweildauer aus. Der orale Kostaufbau sollte sich vor allem nach der Toleranz des Patienten richten.

Auch nach Herz-, Lungen- und Nierentransplantation ist bei unkompliziertem Verlauf ein frühzeitiger oraler Kostaufbau anzustreben. Die Erfahrungen mit der Gabe einer Immunonutrition sind noch gering. Derzeit gibt es keine Hinweise für ungünstige Auswirkungen unter Immunsuppression [Aktuel Ernaehr Med 2003; 28 (Supplement 1): S51-S60].

Im Teil „Ethik und Recht” der DGEM-Leitlinie werden übergreifende Regeln, Probleme und Grenzfragen behandelt, die für die Sicherheit und Orientierung des Entscheidens und Handelns auf allen Gebieten der Anwendung enteraler Ernährung von Bedeutung sind.

Die enterale Ernährung ist in zweierlei Hinsicht „künstliche Ernährung”:

Sie verwendet industriell gefertigte Nahrung in für bestimmte therapeutische Ziele definierter Zusammensetzung und Zubereitungsform. Sie nutzt ggf. besondere Zugangswege (nasogastrale Sonde, perkutan endoskopische Gastrostomie bzw. Jejunostomie (PEG, PEJ)).

Der Einsatz von Sondennahrungen erfolgt stets auf der Basis eines medizinisch begründeten Behandlungszieles. Eine Ernährungssonde darf nicht allein zum Zweck der Reduktion des Pflegeaufwandes gelegt werden. Auch bei liegender PEG sind alle Möglichkeiten einer natürlichen Nahrungszufuhr auszuschöpfen (Nahrungsgenuss, Zuwendung von Pflegenden, Training der Nahrungsaufnahmefunktionen).

Das Fortbestehen der Indikation für eine Sondenernährung muss in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Der Arzt muss in Situationen, in denen die Indikation (bei Komplikationen, im Sterbeprozess …) nicht mehr gegeben ist, bereit sein, die Entscheidung für eine Behandlungsalternative einschließlich Behandlungsabbruch zu treffen und muss dies den Entscheidungsberechtigten auch nachvollziehbar vermitteln.

Die grundsätzlichen Erfordernisse der Aufklärung und Einwilligung müssen bei der Ernährungstherapie in jeder Hinsicht beachtet werden. Neben den für enterale Ernährung spezifischen sind deshalb folgend auch zugehörige generelle Aspekte aufgeführt.

Die Ernährung über eine enterale Ernährungssonde bedarf als ärztlicher Eingriff in die Körperintegrität des Patienten grundsätzlich der Einwilligung des informierten Patienten bzw. des Vertretungsberechtigten. Auch der nicht einwilligungsfähige Patient ist seinem Auffassungsvermögen gemäß über die geplanten Maßnahmen zu informieren.

In Eilfällen, in denen die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters nicht oder nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, ist der mutmaßliche Wille des Patienten maßgebend. Soweit keine anderen Anhaltspunkte erkennbar sind, gilt „in dubio pro vita”. Im Übrigen ist der mutmaßliche Patientenwille mit großer Sorgfalt zu ermitteln, insbesondere wenn es um die Beendigung einer Ernährungstherapie geht. Die Anhaltspunkte für den Willen des Patienten, insbesondere Mitteilungen von Angehörigen, Pflegenden und anderen Zeugen, sind vorsorglich zu dokumentieren.

Bei schwersten Krankheitszuständen und im Sterben kann die Sicherung von Lebensqualität zum alleinigen Behandlungsziel werden und die Sicherung der Lebensdauer und des Überlebens tritt als therapeutisches Ziel zurück [Aktuel Ernaehr Med 2003; 28 (Supplement 1): S36-S41].

Weitere Kapitel der DGEM-Leitlinie Enterale Ernährung beschäftigen sich mit Grundlagen und Ernährungsstatus und betrachten die enterale Ernährung jeweils aus der Perspektive von Onkologie, Gastroenterologie, Hepatologie, Nephrologie, Diabetologie, Kardiologie und Pneumologie sowie Wasting bei HIV und anderen chronischen Infektionskrankheiten.

Hanno H Endres (hhe)
Holger Beuse (holbeu)

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