PiD - Psychotherapie im Dialog 2003; 4(2): 161-165
DOI: 10.1055/s-2003-39520
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Suchtprävention als Mythos: Zwischen Anspruch und Möglichkeit

Guido  Nöcker
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Publication Date:
27 May 2003 (online)

Abstract

Der Beitrag setzt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen suchtpräventiver Praxis auseinander. Ausgehend von der Kritik eines naiven Machbarkeits- und Wirksamkeitsanspruches von Prävention, werden zunächst die zentralen wissenschaftlichen Bezugskonzepte dargestellt und die bisher empirisch geprüften Praxiserfahrungen zusammengetragen. Es wird gezeigt, dass Suchtprävention als gesellschaftliche Aufgabe noch nicht ausreichend Beachtung findet und erst am Anfang ihrer Geschichte als einer wissenschaftlich begründeten und empirisch geprüften, komplexen Interventionsstrategie steht.

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1 Der Begriff Koheränzgefühl ist der Schlüsselbegriff für das Modell der Salutogenese, das sich in der gegenwärtigen Praxis der Gesundheitsförderung und Prävention großer Beliebtheit erfreut. Dabei wird angenommen, dass ein stark ausgeprägtes Kohärenzgefühl dazu führt, dass ein Mensch flexibel auf Anforderungen reagieren kann. Es aktiviert die für die spezifischen Situationen angemessenen Ressourcen und bildet damit eine wesentliche sozialpsychologische Grundlage für Gesundheit (vgl. Bengel u. Mitarb. 2001).

2 Vgl. dazu auch Klaus Riemann (2002a), der in einer Befragung von Fachkräften der Suchthilfe und Jugendberatung für diese These bei 87% der Befragten Zustimmung erhielt.

3 Natürlich muss auch Suchttherapie die Vielfalt biografischer Erfahrungen und die damit zusammenhängenden Kontexte berücksichtigen. In der konkreten Fallarbeit hat es der Therapeut jedoch immer nur mit einer konkreten Person zu tun und dementsprechend nicht mit allen potenziellen Ursachen für Suchterkrankung gleichzeitig.

4 In der öffentlichen Debatte über Suchtprävention wird häufig nicht zwischen Programmzielen und spezifischen Präventionszielen unterschieden. Dies kann zur Folge haben, dass erfolgreiche Maßnahmen (Programme) dennoch als erfolglos wahrgenommen werden, weil sich der Blick allein auf das übergeordnete Präventionsziel gerichtet hat.

5 Es ist auffällig, dass in der Debatte über die Wirksamkeit von Prävention die Frage nach der Intensität von Maßnahmen bislang keine Rolle spielt. Denn zwischen Wirksamkeit und Intensität besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. So kann z.B. ein Medikament seine Wirkung nur dann entfalten, wenn es richtig dosiert ist. Betrachtet man das Verhältnis der vom Bund aufgewandten Mittel für die Tabakprävention (1999: > 1 Mio. Euro) mit den von der Tabakindustrie für Werbung (1999: ca. 308 Mio. Euro) eingesetzten Mitteln, dann zeigt dies doch recht deutlich, dass von intensiver Prävention bisher nicht die Rede sein kann.

6 Angesprochen ist hier z. B. die Frage, worin sich suchtmittelunspezifische Maßnahmen der Suchtvorbeugung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung oder Gewaltprävention unterscheiden.

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