psychoneuro 2003; 29(5): 207-208
DOI: 10.1055/s-2003-39628
Übersicht

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erwartungen an die psychiatrisch genetische Forschung

Franciska Illes1 2 , Marcella Rietschel1 2
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn
  • 2Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim
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Korrespondenzadresse:

Dipl. Psych. Franciska Illes

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität Bonn

Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn

Publication History

Publication Date:
30 May 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Fortschritte in der psychiatrisch genetischen Forschung werfen neue ethische, gesetzliche und soziale Fragen und Probleme auf. In einer repräsentativen Umfrage in Deutschland wurden die Hoffnungen und Ängste gegenüber dieser Forschung erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit eine positive Einstellung hinsichtlich psychiatrisch genetischer Forschung hat, aber auch, dass gleichzeitig die Hälfte der Befragten ethische Bedenken ihr gegenüber äußern. Befürchtungen bestanden insbesondere bezüglich der Weitergabe der Informationen an Arbeitgeber oder Krankenversicherungen.

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Abstract

The advances in psychiatric genetic research raise new ethical, legal and social questions and problems. Hopes and fears associated with this research were assessed in a representative sample of the general population in Germany. The results show, that the majority has positive attitudes towards psychiatric genetic research, however, 52 % express moral doubts simultaneously. Fears were expressed especially concerning the transfer of genetic information to employers or to health insurance companies.

Die genetische Forschung und ihre Implikationen haben eine intensive öffentliche und fachliche Diskussion ausgelöst. Im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen medizinische, rechtliche, soziale und ethische Fragen. Einerseits werden große Hoffnungen hinsichtlich effizienterer Diagnose-, Präventions- und Therapiemöglichkeiten geäußert, andererseits aber bestehen auch Befürchtungen v.a. in Hinblick auf ungenügenden Datenschutz, Einschränkung der Selbstbestimmung, Wandel des Menschenbildes, soziale Diskriminierung, Umgang mit dem Wissen über unausweichliche bzw. möglicherweise entstehende Erkrankungen und der prädiktiven und pränatalen Testung [2].

Bislang war allerdings die Einstellung der Öffentlichkeit in Deutschland zur psychiatrisch genetischen Forschung und ihrer Implikationen nicht bekannt. Um diese zu erfassen, wurde im Rahmen des Deutschen Humangenomprojektes eine Studie durchgeführt, in der eine repräsentative Stichprobe von 3077 Personen diesbezüglich befragt wurden [1]: Insgesamt äußerten 79 % der Befragten eine positive Einstellung zu psychiatrisch genetischer Untersuchung (vgl. Abb. 1), und 87 % begrüßten das Ziel der Forschung neue Medikamente zu entwickeln. Gleichzeitig gaben 52 % an, ethische Bedenken gegenüber der Forschung zu haben (vgl. Abb. 2). Für den Fall der Identifikation von Vulnerabilitätsgenen forderte die Mehrheit (84 %) die Möglichkeit freiwilliger psychiatrisch genetischer Untersuchungen auf Kosten der Krankenkassen, wobei pränatale Untersuchungen bzw. Testung von Minderjährigen von 60 % bzw. 63 % der Befragten abgelehnt wurden. Knapp die Hälfte (45 %) gab an, sich einer psychiatrisch genetischen Untersuchung unterziehen zu wollen, sofern diese verfügbar wäre, wobei 48 % von dem Angebot solch einer Untersuchung verunsichert wären und 32 % Angst hätten, die Ergebnisse emotional nicht verkraften zu können. Die Mehrheit der Befragten lehnte die mögliche Weitergabe psychiatrisch genetischer Untersuchungsergebnisse an den Arbeitgeber (89 %) oder an Krankenversicherungen (74 %) ab, wünschte sich jedoch, dass Menschen, die besonders verantwortungsvolle Aufgaben ausüben (wie z.B. Piloten) psychiatrisch genetisch untersucht werden würden (65 %).

Die Ergebnisse spiegeln eine differenzierte Meinung der Bevölkerung mit sowohl realistischen als auch unrealistischen Erwartungen und Befürchtungen wider. Um diesen Rechnung zu tragen besteht ein klarer Handlungsbedarf. Politische und juristische Regelungen - z.B. bzgl. der Inanspruchnahme prädiktiver Testung oder den Zugangsmöglichkeiten zu genetischen Informationen - könnten zur Klarheit beitragen. Politiker, Forscher und insbesondere Behandelnde sollten sich der komplexen Erwartungen bewusst sein, um Missverständnissen vorbeugen und Ratsuchende besser betreuen zu können.

Danksagung:

Dieses Projekt wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert (01KU 9909).

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Literatur

  • 1 Illes F, Rietz C. et al. . Attitudes towards psychiatric genetic research and testing in the German general population and in selected population groups.  In: Wadzack J, Haese A, Löhmer B (Eds). Progress Report 1999-2002-German Human Genome Project.  DHGP, Berlin. 2002;  38-39
  • 2 Petermann F, Wiedebusch S. et al. . Fortschritte der Humangenetik - eine interdisziplinäre Herausforderung.  In: Petermann F, Wiedebusch S, Quante M (Hrsg.). Perspektiven der Humangenetik: Medizinische, psychologische und ethische Aspekte.  Ferdinand Schönigh, Paderborn. 1997;  9-20
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Korrespondenzadresse:

Dipl. Psych. Franciska Illes

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität Bonn

Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn

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Literatur

  • 1 Illes F, Rietz C. et al. . Attitudes towards psychiatric genetic research and testing in the German general population and in selected population groups.  In: Wadzack J, Haese A, Löhmer B (Eds). Progress Report 1999-2002-German Human Genome Project.  DHGP, Berlin. 2002;  38-39
  • 2 Petermann F, Wiedebusch S. et al. . Fortschritte der Humangenetik - eine interdisziplinäre Herausforderung.  In: Petermann F, Wiedebusch S, Quante M (Hrsg.). Perspektiven der Humangenetik: Medizinische, psychologische und ethische Aspekte.  Ferdinand Schönigh, Paderborn. 1997;  9-20
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Dipl. Psych. Franciska Illes

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität Bonn

Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn