Notfall Medizin 2003; 29(7/08): 314-315
DOI: 10.1055/s-2003-41774
Rettungswesen

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gefährden die DRGs die Versorgung im Katastrophenfall? - Wettbewerb statt Daseinsfürsorge

P. Sefrin1
  • 1Klinik für Anaesthesiologie der Universität Würzburg (Direktor: Prof. Dr. med. N. Roewer)
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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Peter Sefrin

Sektion für präklinische Notfallmedizin, Klinik und Poliklinik für Anaesthesiologie der Universität Würzburg

Josef-Schneider-Straße 2

97080 Würzburg

Publication History

Publication Date:
28 August 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Schon jetzt ist das Gros der Krankenhäuser auf einen Massenanfall von Verletzten und Erkrankten nicht vorbereitet. In vielen Fällen fehlen die dafür erforderlichen Katastrophenpläne, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Durch die geplante Einführung der DRGs werden die Kapazitäten stationärer Einrichtungen der Gesundheitsversorgung reduziert. Nach Einführung der DRGs werden 20-30 % der Krankenhäuser in ihrer finanziellen Existenz gefährdet sein.

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Summary

Currently, most hospitals are not in the state of preparation needed to cope with a sudden massive influx of injured or sick patients. In many cases, the necessary plans for dealing with major disasters as required by law, are lacking. In consequence of the introduction of DRGs. the capacity of hospital facilities for medical care will be further reduced, and the financial situation of some 20-30 % of hospitals will approach the point at which their very existence is endangered.

Die Einführung des DRG- (Diagnosis Related Groups) Systems als durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschaliertes Vergütungssystem nach australischem Vorbild, zwingt die Krankenhausträger, mehr als bisher, medizinische Zielvorgaben ökonomischen Überlegungen unterzuordnen. Nach der Entscheidung von Bundestag und Bundesrat wird das System flächendeckend eingeführt und zwar in mehreren Stufen ab 2003 bis 2007. Zum 1. Januar 2007 sollen die Leistungen aller Krankenhäuser grundsätzlich gleich vergütet werden (Festpreise). Es stehen im Mittelpunkt der Ausgabensteuerung nicht mehr Budgetabschlüsse, sondern die Preishöhe (Basisfallwert) und die regelmäßige Überprüfung und Fortschreibung der Leistungskalkulationen (Bewertungsregulationen). Damit wird sich der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser erhöhen, was nicht ohne Auswirkung auch auf den Massenanfall von Patienten und den Katastrophenfall bleiben wird. Mit der Einführung der DRGs wird die Philosophie der Daseinsfürsorge und die damit verbundene Wertvorstellung aufgegeben, was in der Unterstellung gipfeln könnte, „Wettbewerb statt Daseinsfürsorge”.

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Leistungen den tatsächlichen Anforderungen anpassen

Mit Einführung des leistungsorientierten Vergütungssystems, das für eine bestimmte Behandlung unter einer bestimmten Diagnose eine für alle Krankenhäuser pauschale Vergütung vorsieht, sollen die Leistungskapazitäten den tatsächlichen Anforderungen angepasst werden. Krankenhäuser können zukünftig nur dann profitieren, wenn sie Patienten schnell entlassen, was den Patientendurchgang erhöhen wird. Dies wird zwangsläufig zu einem Abbau der Krankenhausbetten führen.

Mit Wegfall der Ost-West-Bedrohung wurden deutliche Kürzungen im Katastrophenschutz vorgenommen. So fielen 70000 Pflegebetten in Hilfskrankenhäusern ebenso dem Rotstift zum Opfer, wie die Bevorratung von Sanitätsmitteln und Medikamentenvorhaltungen. Damit wird eine angemessene klinische Weiterversorgung vieler Betroffener unter Nutzung der präklinischen Versorgung durch Notärzte im Katastrophenfall in Frage gestellt.

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Präklinische Versorgung nicht gewährleistet

Die Einführung der DRG-Fallpauschalen in den Krankenhäusern wird weitestgehend ohne Berücksichtigung der präklinischen Versorgung im Bereich des Rettungsdienstes durchgeführt. Die Tatsache, dass in weiten Bereichen Deutschlands der Notarzt des Rettungsdienstes durch das ärztliche Personal der örtlichen Krankenhäuser gestellt wird, bleibt bei der Auseinandersetzung über die Auswirkung dieses Abrechnungssystems, eben auf diese Krankenhäuser, offenbar unberücksichtigt. Es ist zu befürchten, dass es in Zukunft nicht mehr zum Selbstverständnis der Krankenhäuser zählen wird, die prästationäre Notfallversorgung zu gewährleisten, insbesondere um die damit verbundenen Kosten zu vermeiden. In den bisher getroffenen Vereinbarungen über Regelungen für Zu- und Abschläge gemäß § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) findet sich keinerlei Anreiz zur Entsendung von Notärzten für die prästationäre Notfallversorgung. Damit werden auch qualifizierte (Krankenhaus-) Notärzte für den Einsatz im Katastrophenfall nicht mehr zur Verfügung stehen. Das KHG sieht vor, dass die Beteiligung von Krankenhäusern an der Notfallversorgung separat über einen noch nicht festgelegten Zu- bzw. Abschlagsmechanismus zu vergüten ist.

Die Übernahme des Notarztdienstes durch Krankenhausärzte im Rahmen der Regelversorgung wird nicht mehr möglich sein, da die DRGs hierfür keinen Raum lassen. Sofern Krankenhäuser diese Aufgabe übernehmen wollen, bedarf es eines gesonderten Vergütungssystems, oder der Aufnahme der notärztlichen Tätigkeit in die DRGs. Zur Aufnahme von Schwerkranken muss eine Verpflichtung in die Krankenhausgesetze aufgenommen werden, für die es gleichfalls einer gesonderten Vergütung bedarf, um sie zu realisieren. Die Übernahme von Aufgaben der integrierten Versorgung durch Bereitstellung von Notärzten aus dem Krankenhaus für die prästationäre Notfallversorgung muss als Zuschlagstatbestand definiert und vereinbart werden.

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Zwingung zur Leistungskonzentration

Durch die Zwingung zur Leistungskonzentration sind in Bayern seit 1990 insgesamt bereits 22 Krankenhäuser aus dem Krankenhausplan des Freistaates ausgeschieden und stehen damit auch nicht mehr für die Akutversorgung zur Verfügung. In Baden-Württemberg wurden in den vergangenen Jahren insgesamt 4500 Betten gestrichen. Kleinere Krankenhäuser weisen überwiegend eine geringere Behandlungsfrequenz pro Indikation auf. Dies führt zwangsläufig zur Schließung von Abteilungen oder ganzer Krankenhäuser.

Durch die erzwungenen Einsparungen im stationären Bereich stehen im Katastrophenfall keine Reserven zur Verfügung. Die Theorie, die notwendigen Betten für die Akutversorgung durch sofortige Entlassung von Patienten in der Regelversorgung freizumachen, kann bei den durch die DRG erzwungenen minimalen Liegezeiten nicht funktionieren. Bei Bezahlung nach Pauschalen werden die Patienten so schnell wie möglich entlassen. Reserven durch Lazarette des Sanitätsdienstes der Bundeswehr stehen im Inland ebenfalls nicht zur Verfügung.

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Schnittstelle Rettungsdienst-Krankenhaus ist gefährdet

Aus der Sicht der Katastrophen- und Notfallmedizin kann deshalb nur eindringlich davor gewarnt werden, durch überschießende Kosteneinsparungen im Bereich der stationären Versorgung, die Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und Krankenhaus, weiter zu gefährden. Nachdem die Akutversorgung von Schwerverletzten und -erkrankten eine zeitkritische Maßnahme darstellt, muss auch in Zukunft eine zeitnahe adäquate Versorgung garantiert sein. Der Zwang zur Rationalisierung führt inzwischen auch zu einem Abbau der Personalressourcen, was sich auch auf das Versorgungspotential im Katastrophenfall niederschlagen wird. Politische Entscheidungsträger werden aufgefordert bei den geplanten Einsparungen im Gesundheitswesen gemeinsam mit Fachleuten nach Konzepten für einen effektiven Katastrophenschutz zu suchen. Dazu gehören neben Reservebetten auch die Vorbereitung des erforderlichen Personals, nachdem inzwischen auch das Schwesternhelferinnen-Programm des Bundes nicht mehr existiert, aber auch eine Notfallbevorratung von Material und Medikamenten nicht verfügbar ist. Wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat, wird auch Deutschland zukünftig nicht von eventuellen Katastrophen verschont bleiben, auf die eine Vorbereitung unbedingt erforderlich ist.

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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Peter Sefrin

Sektion für präklinische Notfallmedizin, Klinik und Poliklinik für Anaesthesiologie der Universität Würzburg

Josef-Schneider-Straße 2

97080 Würzburg

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Prof. Dr. med. Peter Sefrin

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