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DOI: 10.1055/s-2003-41783
Neurorestauration beim Morbus Parkinson durch Zellersatz und endogene Regeneration
Neurorestauration in Parkinson's Disease by Cell Replacement and Endogenous RegenerationPublication History
Publication Date:
28 August 2003 (online)
Der Morbus Parkinson ist durch die kontinuierliche Degeneration dopaminerger Neuronen der Substantia nigra pars compacta charakterisiert, was zu einer Reduktion des Botenstoffs Dopamin im Striatum mit der daraus folgenden klinischen Trias Bradykinesie, Rigidität und Ruhetremor führt. Die Selektivität der dopaminergen Degeneration macht den Ersatz der untergegangenen oder erkrankten dopaminergen Nervenzellen sehr attraktiv. Seit vielen Jahren wird deshalb die intrastriatale Transplantation von primärem, embryonalem, humanem, mesenzephalem Gewebe, welches reich an dopaminergen Neuronen ist, zur regenerativen Therapie des Morbus Parkinson eingesetzt. Aktuelle offene und doppelblinde Transplantationsstudien belegen das „proof-of-principle” dieser Zellersatzstrategie im menschlichen Gehirn, die Technik ist jedoch nicht zum generellen Einsatz geeignet [1] [2]: Zwar wird durch funktionelle Bildgebung und neuropathologische Untersuchungen die Integration der dopaminergen Zellen des Transplantats in das Striatum der Patienten demonstriert, aber nur bei Subpopulationen von Patienten sind signifikante Verbesserungen der klinischen Parameter zu beobachten. Zusätzlich sind bei 7 - 15 % der Patienten unwillkürliche Dyskinesien nach kurzzeitigem Absetzen der Dopaminergika aufgetreten [1] [2]. Insgesamt wirft die Transplantation von primären dopaminergen Zellen beim Morbus Parkinson viele wissenschaftliche, logistische und ethische Fragen auf. Können wir geeignete Zellen (Transplantate) identifizieren bzw. entwickeln? Ist eine (endogene) Regeneration im erkrankten Gehirn möglich?
Grundsätzlich ergeben sich bei der klinischen Verwendung von humanen Zellen oder Geweben erhebliche logistische und ethische Probleme, die durch die Verwendung von embryonalem/fetalem Gewebe noch potenziert werden. Die Entwicklung von Techniken zur Expansion von Vorläufer- oder Stammzellen können Lösungen dieser Probleme bedeuten. Mögliche Zellquellen beinhalten embryonale Stammzellen oder gewebsspezifische neurale Stammzellen (NSZ). Studien der letzten 10 Jahre zeigen, dass NSZ sowohl aus embryonalem/fetalem als auch aus adultem humanen ZNS dargestellt und isoliert werden können. Diese NSZ können über viele Monate im Labor kultiviert und in alle wesentlichen Zelltypen des menschlichen Gehirns, also gliale, oligodendrogliale und neuronale Zellen differenziert werden [3]. Die Darstellung von funktionellen dopaminergen Neuronen gelang bisher jedoch lediglich aus NSZ, die aus fetalem Mittelhirn der Ratte oder Maus gewonnen wurden [4] [5]. Wir konnten nun erstmals zeigen, dass auch humane NSZ aus dem fetalen Mittelhirn unter spezifischen Bedingungen über lange Zeit expandiert und in Zellen differenziert werden können, die alle wesentlichen morphologischen und funktionellen Eigenschaften dopaminerger Neuronen aufweisen [6]. Bisher ist keine dopaminerge Differenzierung adulter NSZ berichtet worden. Andererseits können totipotente embryonale Stammzellen gezüchtet und durch sehr effektive Differenzierungsprotokolle in dopaminerge Nervenzellen differenziert werden [7].
Können diese dopaminergen Neuronen aus Stamm- oder Vorläuferzellen die untergegangenen Nervenzellen bzw. ihre Funktion beim Morbus Parkinson ersetzen? Diese Frage kann derzeit nicht abschließend beantwortet werden, da bisher keine klinischen Studien mit diesen Zellen durchgeführt worden sind. Transplantationsstudien mit primären fetalen dopaminergen Neuronen belegen das Anwachsen der Zellen im Wirtsstriatum mit variablen klinischen Effekten und der Entwicklung von Dyskinesien [1] [2]. Die wichtigsten Ziele sind also die Generierung von großen Mengen an funktionellen (mesenzephalen) dopaminergen Neuronen und die Verhinderung von transplantatinduzierten Dyskinesien. Transplantationsstudien mit dopaminergen Neuronen aus Vorläuferzellen sind bisher hauptsächlich im 6-Hydroxydopamin-Rattenmodell des Morbus Parkinson durchgeführt worden [3]. Die erste publizierte Studie arbeitete mit prädopaminergen Vorläuferzellen aus der fetalen Substantia nigra und zeigte ein Einwachsen der Zellen ebenso wie eine funktionelle Rekonstitution der Verhaltensauffälligkeiten [8]. Dieser Zelltyp erlaubt jedoch nicht die Herstellung großer Zellmengen. Im Gegensatz dazu können aus embryonalen Stammzellen der Maus nahezu unbegrenzt mesenzephale dopaminerge Neuronen generiert werden. Nach Transplantation in das Striatum von Parkinson-Ratten entstehen funktionelle dopaminerge Nervenzellen und eine nahezu vollständige Normalisierung des Verhaltens [7]. Studien mit embryonalen Stammzellen humanen Ursprungs sind bisher nicht berichtet worden. Der wesentliche Nachteil dieser Zellen liegt in der Entstehung von Teratomen an der Implantationsstelle bei einer relevanten Anzahl von Tieren. Dies scheint eine exklusive Eigenschaft von embryonalen Stammzellen zu sein und wurde bei Transplantationen von prädopaminergen Vorläuferzellen oder NSZ bisher nicht beobachtet. Dopaminerge Neuronen aus gewebsspezifischen NSZ der Ratte sind zuerst von Carvey u. Mitarb. in Parkinson-Tiermodelle implantiert worden [9]. Es zeigte sich eine vollständige, mit der Transplantation von primären Zellen vergleichbare, funktionelle und histologische Rekonstitution der Tiere. Nachfolgende Studien bestätigen diese Ergebnisse. Vorläufige Daten mit vergleichbaren humanen Zellen ergaben ähnliche funktionelle Resultate (unpublizierte Daten). Da in den verwendeten Tiermodellen keine Dyskinesien beobachtet werden, kann bisher nicht beurteilt werden, ob die genannten stammzellbasierten Transplantationsstrategien mit dem Auftreten von Dyskinesien vergesellschaftet sind.
Alle Transplantationsstrategien erscheinen aussichtslos, wenn das adulte Gehirn keine eigene regenerative Kapazität besitzt. Es bestehen kaum Zweifel daran, dass auch, wenn noch so viele Zellen generiert werden können, bei fehlender Akzeptanz der Zellen vom adulten Gehirn keine positiven (klinischen) Resultate erwartet werden können. Regeneration bzw. Neurogenese im adulten Gehirn, insbesondere im Bulbus olfactorius, ist jedoch seit langem bekannt. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass bei Mäusen, die in einer abwechslungsreicheren Umgebung leben, mehr neue Neuronen im Hippokampus existieren als bei der Vergleichsgruppe in normalen Käfigen. Diese Daten belegen, dass adulte Vorläuferzellen zumindest teilweise mit neuronaler Rekonstitution und Plastizität assoziiert sind. Kürzlich konnten im adulten menschlichen Gehirn, einschließlich der Substantia nigra, Zellen nachgewiesen werden, die ihr proliferatives Potenzial und ihre Eigenschaft zur Differenzierung in gliale und neuronale Zellen in vitro beibehalten [10] [11]. In einer jüngst erschienenen Studie konnten Zhao u. Mitarb. erste Evidenzen für regenerative Prozesse auch in der adulten Substantia nigra zeigen [12]. Die Daten legen nahe, dass dopaminerge Neuronen einem kontinuierlichem Turnover unterliegen und die nachgebildeten Neuronen sogar Konnektionen zum Striatum etablieren. Durch selektive Deletion der dopaminergen Neuronen durch 1-Methyl-4-Phenyl-1,2,3,6-Tetrahydropyridine (MPTP) kann die Neubildung der dopaminergen Neurone noch verdoppelt werden. Diese neuen Befunde sind sehr interessant, da sie eine Regeneration durch In-vivo-Neurogenese in der adulten Substantia nigra belegen. Die pharmakologische Beeinflussung bzw. Stimulation der Neubildung von dopaminergen Nervenzellen im adulten Gehirn würde das therapeutische Spektrum des Morbus Parkinson dramatisch erweitern.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass a) die kontrollierte Produktion großer Mengen von dopaminergen Neuronen technisch möglich erscheint und b) das adulte Gehirn ein zumindest partielles regeneratives Potenzial ähnlich wie in jüngeren Entwicklungsstadien besitzt. Bisherige klinische Studien beim Morbus Parkinson zeigen, dass die Umsetzung in die klinische Behandlung nicht einfach ist. Um regeneratives Potenzial beim Morbus Parkinson zu nutzen, müssen zunächst die zugrunde liegenden Mechanismen systematisch untersucht und verstanden werden. Bisherige Analysen verwenden in der Regel Tiermodelle, jedoch müssen wir wissen, ob humane Zellen auf ähnliche regenerative Signale reagieren. Für die Charakterisierung dieser regenerativen Mechanismen in humanen Systemen und die Definition neuer „drug targets” scheinen insbesondere humane dopaminerge Zellmodelle unter Verwendung von embryonalen/fetalen oder adulten Stammzellen exzellente Werkzeuge zu sein.
Literatur
- 1 Freed C R, Greene P E, Breeze R E. et al . Transplantation of embryonic dopamine neurons for severe Parkinson's disease. N Engl J Med. 2001; 244 710-719
- 2 Hagell P, Piccini P, Björklund A. et al . Dyskinesias following neural transplantation in Parkinson's disease. Nat Neurosci. 2002; 5 627-628
- 3 Storch A, Schwarz J. Neural stem cells and neurodegeneration. Curr Opin Invest Drugs. 2001; 3 774-781
- 4 Ling Z D, Potter E D, Lipton J W, Carvey P M. Differentiation of mesencephalic progenitor cells into dopaminergic neurons by cytokines. Exp Neurol. 1998; 149 411-423
- 5 Storch A, Lester H A, Böhm B O, Schwarz J. Functional characterization of dopaminergic neurons derived from mesencephalic progenitor cells. J Chem Neuroanat 2003 26, in press
- 6 Storch A, Paul G, Csete M. et al . Long-term proliferation and dopaminergic differentiation of human mesencephalic neural precursor cells. Exp Neurol. 2001; 170 317-325
- 7 Kim J H, Auerbach J M, Rodrigez-Gómez J A. et al . Dopamine neurons derived from embryonic stem cells function in an animal model of Parkinson's disease. Nature. 2002; 418 50-56
- 8 Studer L, Tabar V, McKay R D. Transplantation of expanded mesencephalic precursors leads to recovery in parkinsonian rats. Nat Neurosci. 1998; 1 290-295
- 9 Carvey P M, Ling Z D, Sortwell C W. et al . A clonal line of mesencephalic progenitor cells converted to dopamine neurons by hematopoietic cytokines: A source of cells for transplantation in Parkinson's disease. Exp Neurol. 2001; 171 98-108
- 10 Lie D C, Dziewczapolski G, Willhoite A R. et al . The adult substantia nigra contains progenitor cells with neurogenic potenial. J Neurosci. 2002; 22 6639-6649
- 11 Roy N S, Wang S, Jiang L. et al . In vitro neurogenesis by progenitor cells isolated from the adult human hippocampus. Nat Medicine. 2000; 6 271-277
- 12 Zhao M, Momma S, Delfani K. et al . Evidence for neurogenesis in the adult mammalian substantia nigra. Proc Natl Acad Sci USA. 2003; 100 7925-7930
Priv.-Doz. Dr. Alexander Storch
Klinik für Neurologie · Universität Ulm
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