Psychiatr Prax 2003; 30(6): 295-296
DOI: 10.1055/s-2003-42168
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gerhard Mauz 1925 - 2003

Gerhard Mauz 1925 - 2003Asmus  Finzen
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Publication Date:
11 September 2003 (online)

Gerhard Mauz war neben Rudolf Augstein über Jahrzehnte der bekannteste und, ich meine, profilierteste Journalist des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel”. Seine Bekanntheit hatte gewiss auch damit zu tun, dass er als Reporter im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern des Spiegel das Privileg hatte, seine Beiträge mit seinem Nahmen zu zeichnen. Gerhard Mauz war Gerichtsreporter. Er berichtete von 1964 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1990 fast wöchentlich aus den Gerichtssälen der Republik - und weniger regelmäßig, gelegentlich gemeinsam mit seiner Nachfolgerin Gisela Friedrichsen lange Jahre danach. Er war stilbildend für die Gerichtsberichterstattung der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Er wurde zum Vorbild für eine ganze Generation. Er macht die reflektierte Berichterstattung aus dem Gerichtssaal zu einem Genre, das heute in keiner seriösen Zeitung fehlt und hatte auf diese Weise nachhaltigen Einfluss auf das Rechtsverständnis der Bürgerinnen und Bürger. Er wurde Vorbild einer Generation von Journalisten, die hinter dem Verbrechen nicht in erster Linie die Sensation, die Bösartigkeit der Täter, sahen und sehen, sondern auch und vor allem die menschlichen Verstrickungen hinter der Tat, die Leiden der Opfer, die Leiden der Angehörigen - aber eben auch die Verstrickung des Täters, den Weg in die Tat, so unverständlich sie letzten Endes auch bleiben mochte. Die Komplexität seiner Darstellung, die immer gut verständlich blieb, die menschliche Wärme in seinen Berichten war es, die ihn nicht nur zur Leitfigur vieler jüngerer Journalisten machte, sondern auch für Juristen und Psychiater. Nicht wenige von ihnen motivierte er zu ihrer Berufswahl; nicht wenige Angehörige unserer Profession motivierte er, sich auf den steinigen Weg der forensisch-psychiatrischen Begutachtung zu begeben.

Meine erste Begegnung mit Gerhard Mauz war eine mit dem Redner, nicht mit dem Schreiber. 1970, Mauz befand sich bereits auf der Höhe seiner Prominenz, hatten Joachim Ernst Meyer und Hans Lauter zu einer Tagung über Psychiatrie und Gesellschaft in die Evangelische Akademie Loccum eingeladen. Mauz war einer der Hauptredner. Er war schon damals immer in Eile. Aber er blieb, als die Tagung zu explodieren drohte. 1968 lag hinter uns, aber die Eskalation kam dennoch unerwartet. Wir befanden uns nicht unter Studenten. Die Teilnehmer waren meist etablierte Psychiater. Die 30-Jährigen unter uns waren klar in der Minderheit. Die Kontroverse entzündete sich an dem damals gerade erschienenen Buch von Frank Fischer mit dem Titel „Irrenhäuser”, dem Ergebnis einer teilnehmenden Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus, das damals in der Öffentlichkeit und in der Psychiatrie hohe Wellen schlug. Von Seiten der Psychiater herrschte überwiegend Empörung. Sie wollten die Akademietagung nutzen und eine Resolution gegen das Buch an die Öffentlichkeit zu richten. So wie Fischer sie dargestellt habe, seien die Verhältnisse nicht. Im Übrigen gäben sie sich seit vielen Jahren redliche Mühe, die Situation der psychisch Kranken in den Anstalten zu bessern. Die Gegensätze prallten aufeinander. Es schien um Sieg und Niederlage zu gehen. Eine Einigung auf eine konstruktive Linie schien unmöglich. In dieser Situation griff Gerhard Mauz ein mit seiner glänzenden Rhetorik, seiner argumentativen Überzeugungskraft und jener Gabe zur Vermittlung, die er viele Jahre als Betriebsratvorsitzender des Spiegelverlages einsetzen konnte.

Er fragte: Ja wie sind die Verhältnisse in Ihren Kliniken denn? Sind Sie zufrieden damit? Wie kommt es, dass Sie jahrelang von ihren Vorgesetzten nicht gehört worden sind? Wie kommt es, dass manche von Ihnen Redeverbot in der Öffentlichkeit erhalten haben? Wäre dies nicht die Gelegenheit, gemeinsam an die Öffentlichkeit zu treten, deutlich zu machen, dass die Fischerschen Darstellungen möglicherweise an manchen Stellen überzeichnet sind, dass die Verhältnisse in den psychiatrischen Anstalten und Kliniken aber in der Tat beklagenswert sind, dass der Personalmangel, die baulichen Verhältnisse, die therapeutischen und die Lebensbedingungen der Kranken sowie die Arbeitsbedingungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an die Grenze des Unerträglichen reichen. Er fragte, ob die Anwesenden diesen Augenblick der öffentlichen Aufmerksamkeit wirklich verstreichen lassen wollten, ohne ihn wirksam und konstruktiv zu nutzen. Er fand Gehör. Er konnte nun endlich abreisen. Die Zurückgebliebenen setzten den geplanten Tagungsablauf aus und machten sich an die Arbeit, im zweitägigen harten Ringen jene Loccumer Resolutionen zu formulieren, die nicht nur einen der wichtigsten Anstöße zur Psychiatrieenquete vermittelte, sondern die damals bereits die wichtigsten Leitgedanken des erst fünf Jahre danach abgeschlossenen Werkes enthielten. Ich meine deshalb, dass wir Gerhard Mauz neben Caspar Kulenkampff, Heinz Häfner und Walter Picard als einen der Väter der Psychiatrieenquete bezeichnen dürfen. Denn wäre diese Tagung gescheitert, die Generationen, die sich damals in der DGPN und DGSP in Stellung brachten hätten keinen Weg gefunden, streitbar miteinander umzugehen, kontrovers und bis zum Ende etwas auszufechten und sich am Schluss dennoch zu einigen.

In ähnlicher Rolle habe ich Gerhard Mauz Anfang der 90er-Jahre noch einmal erlebt, wieder in einer Evangelischen Akademie, diesmal in Bad Boll, wieder zu einem streitbaren Thema, dem Umgang der Medien, insbesondere der Sensationspresse, mit der Suizidberichterstattung. Mauz brachte Beispiele dafür, wie grässlich diese in der Tat gelegentlich ist. In bewegenden Worten schilderte er sie. Zugleich vermittelte er Einblicke in die Situation der Journalisten, die für die zu Recht inkriminierte Massenpresse arbeiteten, die oft mit ihrem Gewissen nicht hinter dem Job standen, den sie verrichteten, von denen viele den Absprung suchten, ihn in einem gesättigten, dazu von Großkonzernen beherrschten Markt aber nicht fanden. Gewiss das sei keine Entschuldigung …

In seiner Gerichtsberichterstattung konzentrierte Gerhard Mauz sich auf Schwurgerichtsverfahren, auf Verbrechen gegen das Leben. Und hier wiederum über viele Jahre in besonderer Weise auf Beziehungstaten. Das war gewiss kein Zufall. In dem Jahr, in dem Mauz seine Tätigkeit beim Spiegel begann war Wilfried Raschs wegweisende Monografie über die Tötung des Intimpartners erschienen. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass dieses Werk in Verbindung mit Gerhard Mauz Berichterstattung die rechtliche und menschliche Würdigung solcher Taten, die den größten Teil der Verbrechen gegen das Leben ausmachen, im Lauf der darauf folgenden Jahrzehnte nachhaltig veränderte. Zahlreiche Gespräche am Rande von solchen Verfahren, an denen ich als Sachverständiger beteiligt war, vermittelten mir Einblick in seine Denkweise, sein menschliches Verständnis auf der einen Seite, seine Unnachsichtigkeit mit juristischen und psychiatrischen Schlampereien auf der anderen Seite, seine Härte gegenüber Voreingenommenheit vor allem bei Richtern und bei psychiatrischen Sachverständigen.

Mauz war eben nicht nur geschätzt; er war zugleich gefürchtet. Und wenn aus seiner Sicht irgendwo der Wurm drin war, konnte er sehr beharrlich sein - zuletzt im Verfahren gegen Monika Weimar, die wegen der Tötung ihrer Kinder zunächst verurteilt, dann freigesprochen, später wieder verurteilt worden war. Mauz hat mit seiner Beharrlichkeit nicht nur zu mancher Wiederaufnahme beigetragen, zu mancher Korrektur eines Justizirrtums. Er hat auch Änderungen von Einstellungen und Haltungen bewirkt, und, in Einzelfällen, auch Karrieren gebremst. Für die forensische Psychiatrie war er mit seinen Mahnungen, längst ein Faktor der Qualitätssicherung, als dieses Wort noch ungebräuchlich war. Über aller Kritik hat er mit seiner Berichterstattung zugleich eine konstruktive Solidarität mit der Psychiatrie und der Psychologie vor Gericht bewiesen und zu einem besseren Verständnis der Öffentlichkeit beigetragen.

Gerhard Mauz wurde 1925 als Sohn eines Psychiaters in Tübingen geboren. Seine Freunde sagen, dass ihn die Schwäbische Kindheit tief geprägt habe. 1939 zog er mit seiner Familie nach Königsberg, wo sein Vater den Lehrstuhl für Psychiatrie übernahm. Dort verbrachte er die ersten Kriegsjahre, bis er Soldat werden musste. Nach dem Krieg studierte er Psychologie und Rechtswissenschaften. Er arbeitete einige Jahre als Lektor beim S. Fischer-Verlag, bis er Anfang der 60er-Jahre Journalist bei der Welt wurde. Dort zog er mit seinen Reportagen über die Hochwasserkatastrophe 1962 erstmals größere Aufmerksamkeit auf sich. Seine Berichte von der Bergwerkskatastrophe in Lengede, Ergebnis seiner unermüdlichen beharrlichen Präsenz vor Ort, machten ihn zum großen Journalisten. Sie waren auch letzten Endes Anlass für den Wechsel zum Spiegel. In den letzten Jahren war es still um ihn geworden. Seine gesundheitlichen Probleme waren seinen Freunden bekannt. Am 14. August 2003 starb er in Reinbeck bei Hamburg.

Asmus Finzen, Basel

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