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DOI: 10.1055/s-2003-42275
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Endometriose - Eine Erkrankung ohne Lobby
Endometriosis - A Disease that has no LobbyPublication History
Publication Date:
23 September 2003 (online)
Die Differenzialdiagnose der Endometriose ist schwierig, es gibt keine pathognomonischen Symptome, ihre Ursachen sind unbekannt, ihr Fortschreiten ist variationsreich und nur unvollständig geklärt. Das Beschwerdebild hängt von der Lokalisation und nicht vom Schweregrad der Erkrankung ab. Diese Tatsachen sind vielleicht von entscheidender Bedeutung für die geringe Beachtung, die diese Problemkrankheit in den vergangenen Jahrzehnten in der Medizin erfahren hat. Sie ist eine Erkrankung „ohne Lobby”: keiner kümmert sich intensiv um sie:
Die Frauenärzte/innen nicht, da die schwierige Differenzialdiagnostik nicht in der Praxis zu leisten ist und einen invasiven Eingriff erfordert. Die Hausärzte nicht, da sie differenzialdiagnostisch gar nicht an Endometriose denken und oft nur symptomatische Schmerztherapie verordnen. Die Fachärzte der Nachbardisziplinen Urologie, Chirurgie, Gastroenterologie nicht, da sie die Krankheit oft nicht kennen. Die endoskopischen Operateure nicht, da sie bei makroskopischem Verdacht die Pathologie einfach chirurgisch entfernen und damit das Problem als gelöst betrachten. Die Endokrionologen nicht, da sie frustriert erkennen mussten, dass Östrogenentzug allein die Krankheit nicht dauerhaft beherrscht. Die Forscher nicht - zumindest in Deutschland im Gegensatz zu Belgien, und den angloamerikanischen Ländern - da aufwendige Grundlagenforschung neben den klinischen Aufgaben über längere Zeiträume nicht zu leisten ist. Die Pharmaindustrie nicht, da teure Substanzen auch nur temporären Erfolg bringen und zur symptomatischen Behandlung preiswerte Präparat auszureichen scheinen, die weitere Forschungsinvestitionen nicht lohnenswert erscheinen lassen. Viele der leidenden Frauen nicht, da ihre Mütter ihnen klar gemacht haben, dass Menstruationsbeschwerden etwas normales sind, dass die Dysmenorrhö und die Unterbauchschmerzen nach der ersten Schwangerschaft verschwinden; was oft zusätzlich vom Hausarzt bestätigt wurde.
So wird verständlich, dass die meisten Lehrbücher der Endometriose nur ein kurzes Kapitel oder gar nur einen Absatz widmen, obwohl sie die zweithäufigste benigne, proliferative Erkrankung der Frau ist. Man schätzt, dass etwa 7-15 % der weiblichen Bevölkerung während der Phase der Geschlechtsreife eine Endometriose haben, wobei in ca. 50 % der Fälle die Herde aktiv sind, Beschwerden verursachen, fortschreiten und Organe und Organfunktionen zerstört. Die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr ist genauso hoch wie beim Mammakarzinom! Vergleicht man die Aktivitäten für diese Erkrankung mit den Bemühungen um die Endometriose so führt die Endometriose ein Schattendasein. Die klinische Realität in Deutschland ist entmutigend:
vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnosestellung vergehen im Mittel 6 Jahre (bei Sterilitätspatientinnen 3 Jahre, bei Schmerzpatientinnen bis zu 10 Jahren !). Fehldiagnosen - wie Adnexitis, psychogene Beschwerden, PMS, Pelviopathie - werden häufiger gestellt als die richtige Diagnose! Bei Beckenwandbefall mit Ureterstenose wird die Endometriose erst erkannt, wenn beim 1/3 der Frauen bereits eine irreparabel stumme Niere vorliegt.
Die Stiftung Endometriose Forschung, das Europäische Endometrioseinformationszentrum und die Endometriose-Vereinigung Deutschland e. V. mit ihren zahlreichen Selbsthilfegruppen bemühen sich seit einigen Jahren die Situation zu verbessern. Auch der 5. Deutsche Endometriose-Kongress und dieses Schwerpunktheft sollen Interesse an dieser Erkrankung wecken, Forscher motivieren, Wissen und Aufklärung der Ärzte und Patientinnen verbessern mit dem gemeinsamen Ziel, die facettenreiche Erkrankung besser in den Griff zu bekommen.
Prof. Dr. med. K.-W. Schweppe · Direktor der Frauenklinik Ammerland
Ammerland Klinik GmbH · Akadem. Lehrkrankenhaus der Univ. Göttingen
Lange Straße 38
26655 Westerstede