Der Klinikarzt 2003; 32(9): 300-305
DOI: 10.1055/s-2003-42385
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Häufig gesehen, wenig behandelt - Früherkennung und Interventionen bei riskantem Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit von Alkohol

Frequently Seen, Rarely Treated - Early Diagnosis and Interventions in Risk Drinking, Alcohol Abuse and DependanceU. Hapke1 , K. Bott1 , B. Wedler1 , J. Riedel1 , J. Freyer1 , K. Stegemann1 , Chr. Pockrandt1 , B. Hartmann1 , U. John1
  • 1Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Medizinische Fakultät, Universität Greifswald (Direktor: Prof. Dr. U. John)
Weitere Informationen
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Anschrift für die Verfasser

Dr. Ulfert Hapke

Inst. für Epidemiologie und Sozialmedizin

Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald

Walther-Rathenau-Str. 48

17487 Greifswald

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. September 2003 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Riskanter Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit von Alkohol finden sich bei 10-20 % der stationären Patienten. Vorliegende Studien zeigen, dass der Krankenhausaufenthalt ein günstiger Zeitpunkt ist, das Alkoholproblem anzusprechen und die Betroffenen zu einer Änderung ihres Trinkverhaltens und/oder einer Inanspruchnahme von weiter gehenden Hilfen zu motivieren. Bei der Intervention, die in Form einer ärztlichen Empfehlung oder einer kurzen Beratung erfolgen kann, hat sich die Motivierende Gesprächsführung besonders bewährt. Sie besteht in ihrem Kern aus vier Grundprinzipien und vier allgemeinen Techniken. Die Anwendung dieser Techniken lässt sich am besten in einem zwei- bis dreitägigen Workshop oder durch ein praxisnahes Training im Krankenhaus erlernen.

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Summary

Prevalence rates of risk drinking, alcohol abuse and dependence among hospital patients range from 10 to 20 %. Studies show that the hospital stay represents a „window of opportunity” to address the alcohol problem and to motivate people to change their drinking behaviour and/or to utilize remedial programmes. Motivational Interviewing has been especially beneficial with respect to the intervention in a general hospital setting, which can be brief advice or counselling. Motivational Interviewing consists of four basic principles and four basic methods, which can be taught in a two or three days workshop or within a practical context-bound skills training in the hospital.

Die mit 10-20 % hohe Prävalenz von Patienten mit riskantem Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit von Alkohol in Krankenhäusern ist durch eine Reihe von Studien gut belegt [8] [10]. Für die medizinische Behandlung sind die häufigen Alkoholfolgeerkrankungen von besonderer Bedeutung [3]. Von hoher gesundheitsökonomischer Relevanz ist jedoch der Sachverhalt, dass chirurgische Patienten mit Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit längere Liegezeiten aufweisen. Für den Bereich der Inneren Medizin wurde festgestellt, dass Patienten mit Infektionen, Neoplasien oder gastrointestinalen Erkrankungen signifikant länger in stationärer Behandlung sind, wenn zusätzlich eine Alkoholproblematik besteht [4].

Anhand von zwei größeren Forschungsprogrammen des Bundesministeriums für Gesundheit (1992-1995) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (seit 2001) konnten effiziente Konzepte der Früherkennung [6] [14] [15] und Intervention [7] [8] entwickelt werden. Ein motivational günstiger Zeitpunkt für die Intervention ist ein Krankenhausaufenthalt, denn dann ist der Patient aus seinem sozialen Umfeld gelöst, er erlebt einen Entzug und/oder wird mit einer somatischen Erkrankung konfrontiert [16]. Daher sollte man in dieser Situation versuchen, Einfluss auf die Trinkgewohnheiten des Patienten zu nehmen. Alkoholabhängige Patienten sollten in das bestehende Behandlungsnetz integriert werden, das mit Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen, Fachambulanzen, Schwerpunktpraxen und spezialisierten Kliniken für Beratung, Therapie, Entzug und Entwöhnung ausgewiesen ist. Nutzen die Patienten diese Angebote, liegen die Erfolgsraten mittlerweile bei über 50 % [11].

Bei der Intervention, die in Form einer ärztlichen Empfehlung oder einer kurzen Beratung erfolgen kann, hat sich die Motivierende Gesprächsführung [12] besonders bewährt [2] [5] [9].

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Früherkennung

Um Missbrauch und Abhängigkeit bereits frühzeitig erkennen zu können, eignen sich vor allem Fragen an den Patienten, die mögliche Probleme im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum zum Gegenstand haben. Ein diagnostisch besonders effizientes Verfahren hierzu ist der „Lübecker Alkoholabhängigkeits- und -missbrauchs-Screening-Test” (LAST) [15]. Dieser Fragebogen, der eigens für das Screening im Krankenhaus entwickelt wurde, erwies sich im internationalen Vergleich gegenüber anderen Verfahren überlegen. Mit lediglich sieben Fragen an den Patienten ist er zudem ökonomisch und praktikabel.

Die Fragen kann der Arzt entweder selbst stellen und dokumentieren, aber auch der Patient kann die Antworten selbst ankreuzen. Schon während des Kontakts mit dem Patienten lassen sich die Fragen auswerten und nutzen. Treffen zwei der sieben erfragten Aspekte zu, besteht eine positive Screening-Diagnose, die dann Anlass für ein beratendes Gespräch gibt.

Bei den Laborparametern haben vor allem eine Gesamtinformation aus GGT, ALAT, ASAT, MCV, Kreatinin und Harnstoff diagnostischen Wert. Einzelne Parameter, wie beispielsweise auch das CDT, haben sich nicht als hinreichend diagnostisch effizient erwiesen und sind Fragebogenverfahren deutlich unterlegen [1]. Zudem widerspricht es dem Konzept der „Motivierenden Gesprächsführung”, den Patienten mit Laborwerten konfrontativ zu überführen. Vielmehr sollten diese dazu dienen, dem Patienten objektiv vor Augen zu führen, welche Auswirkung der Alkoholkonsum auf körperliche Funktionen hat. Hierfür eignen sich auch vorliegende gesundheitliche Störungen und Erkrankungen, die sich nach ihrem Grad der Assoziation zum Alkoholkonsum differenzieren lassen [3] [7]:

  • akute alkoholbedingte gesundheitliche Störungen (z.B. Intoxikationen, pathologische Alkoholintoxikationen oder Alkoholentzugssyndrome und häufig hiermit verbundene Komplikationen, wie Krampfanfälle, Delirien oder vegetative Störungen)

  • chronisch degenerative Alkoholfolgeerkrankungen, die ätiologisch einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum haben und bei Patienten mit geringem oder moderatem Alkoholkonsum nicht oder nur äußerst selten vorkommen (z.B. äthyltoxische Leberzirrhosen oder Polyneuropathien)

  • gesundheitliche Störungen, Erkrankungen oder Verletzungen, die bei Vorliegen von Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit gehäuft auftreten, deren Auftreten aber nicht ausschließlich bzw. nicht immer auf einen Alkoholkonsum zurückzuführen ist (z.B. Traumata des Kopfes und der oberen Extremitäten oder gastrointestinale Blutungen).

Wichtig ist, dem Patienten die Zusammenhänge zwischen seinem Alkoholkonsum und diesen negativen Konsequenzen zu verdeutlichen.

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Risikokonsum, Missbrauch, Abhängigkeit

Gemäß dem internationalen Klassifikationssystem der Erkrankungen, dem ICD-10, besteht eine Alkoholabhängigkeit, wenn mindestens drei der folgenden sechs Kriterien erfüllt sind:

  • starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren

  • verminderte Kontrollfähigkeit, den Alkoholkonsum zu beenden

  • Alkoholkonsum mit dem Ziel, Entzugssymptome zu lindern oder ein körperliches Entzugssyndrom

  • Nachweis einer Toleranz

  • eingeengtes Trinkverhalten, das heißt Alkoholkonsum eher nach dem psychischen oder physischen Bedarf als nach äußeren Anlässen oder Vernachlässigung von Interessen zugunsten des Alkoholkonsums

  • anhaltender Konsum trotz Nachweises der schädlichen Folgen.

Ein Alkoholmissbrauch, bzw. schädlicher Gebrauch gemäß ICD-10 liegt dann vor, wenn trotz einer nachweisbaren Schädigung durch den Alkoholkonsum das schädigende Gebrauchsmuster fortgesetzt wird. Trinkt der Patient durchschnittlich so große Mengen an Alkohol, dass ein erhöhtes Risiko für eine Schädigung besteht, spricht man von einem riskanten Alkoholkonsum [Tab. 1]. Ebenfalls riskant ist es, wenn Trinkmengen des hoch gefährlichen Konsums häufiger als einmal im Monat zugeführt werden (so genanntes „binge-drinking”).

Das wichtigste Behandlungsziel bei Alkoholabhängigen ist die Alkoholabstinenz. Bei Alkoholmissbrauch sind Gebrauchsmuster so zu verändern, dass die negativen Konsequenzen in Zukunft nicht mehr auftreten. Eine Reduktion der Trinkmenge sollte bei riskantem Konsum angestrebt werden. Die konkrete Umsetzung von Trinkzielen wird durch die Verwendung von Berechnungstabellen [Tab. 2] gefördert.

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Motivation und Intervention

Wie wir heute wissen, ist die Motivation, an dem Alkoholproblem etwas zu ändern, das Resultat psychologischer Prozesse, die sich je nach Stadium der Änderungsabsicht unterscheiden [12] - und zwar zwischen den Stadien der Absichtslosigkeit, Absichtsbildung, Vorbereitung, Handlung und Aufrechterhaltung.

Keine Motivation das Konsumverhalten zu ändern, besteht im Stadium der Absichtslosigkeit. Das Stadium der Absichtsbildung dagegen ist vor allem durch ein Anwachsen der Auseinandersetzung mit dem eigenen Trinkverhalten und seinen Konsequenzen charakterisiert. Die Person wägt Argumente ab, die für bzw. gegen eine Änderung ihres Konsumverhaltens sprechen. Im Stadium der Vorbereitung plant der Betroffene Aktivitäten, im Stadium der Handlung unternimmt er konkrete Schritte - er sucht beispielsweise eine Selbsthilfegruppe auf. Befindet sich der Patient bereits im Stadium der Aufrechterhaltung, festigt er sein Zielverhalten (z.B. die Abstinenz).

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Absichtslosigkeit

Die Beratungen in der Phase der Absichtslosigkeit bestehen aus vier verschiedenen Bausteinen:

  • Informationen anbieten

  • Probleme bestimmen

  • Diskrepanzen entwickeln

  • Anbindung.

Zum einen muss der Patienten Informationen erhalten, die sich auf den Alkoholkonsum und die daraus resultierenden Konsequenzen beziehen. Dazu zählen zum Beispiel Informationen über den Risikokonsum [Tab. 1], über vorliegende Laborbefunde und die aktuellen Beschwerden.

Ein weiterer Schritt besteht darin, die Probleme des Patienten zu bestimmen. Der Bezug zu der Person des jeweiligen Patienten wächst durch seine Fragen zu den angebotenen Informationen, zu bestehenden Gesundheitsstörungen, die mit dem Alkoholkonsum assoziiert sind, oder - sofern durchgeführt - aus einzelnen Antworten aus Screening-Fragebögen. Ist dem Patienten eine direkte Thematisierung seines Trinkverhaltens und der Folgeprobleme unangenehm, ist zunächst zu versuchen, diese Gefühle selbst zum Gegenstand des Gespräches zu machen. Zeigt sich auch hierbei ein deutlicher Widerstand, sollte man dies respektieren und das Thema wechseln.

Vielen Patienten fällt es leichter, zunächst über ihren Stress, über Probleme am Arbeitsplatz oder ähnliches zu sprechen. Der Respekt des Arztes gegenüber Verletzlichkeiten des Patienten, die sich häufig zunächst in Widerstand und Abwehr äußern, sind hierbei ein entscheidendes Grundprinzip. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten können der Alkoholkonsum und die damit verbundenen Sorgen aber ohne Probleme angesprochen werden.

Ergänzend zur Bestimmung der Problemlage ist darauf zu achten, Gesundheitswünsche, Ziele und Wünsche bezüglich der individuellen Befindlichkeit und Lebensführung zu erarbeiten. Diskrepanzen, die zwischen dem Alkoholkonsum, seinen subjektiv positiven Effekten (z.B. Entspannung) und seinen negativen Konsequenzen bestehen, werden hierbei gegeneinander aufgewogen. Dabei bleibt es dem Patienten überlassen, die Schwere oder die Bedeutsamkeit dieser Konsequenzen zu beurteilen. All dies reflektiert der Betroffene vor dem Hintergrund seiner subjektiven Wünsche, Ziele und Werte.

Bei der Information über weitergehende Behandlungsmöglichkeiten ist es wichtig, den Patienten wissen zu lassen, dass sich seine Motivation zur Änderung des Alkoholkonsums nicht in diesem Moment zwangsläufig ändern muss, dass aber der Krankenhausaufenthalt oder andere Ereignisse dazu beitragen können. Viele Patienten, die zwar momentan keine Änderungsabsicht haben, werden später möglicherweise einmal Hilfe suchen, weil sie aufgrund sozialer, zwischenmenschlicher oder gesundheitlicher Probleme in Bedrängnis geraten oder schlicht etwas für ihre Gesundheit tun wollen.

Daher ist es sinnvoll, den Patienten eine Telefonnummer oder die Anschrift einer entsprechenden Anlaufstelle zu geben. Gleiches gilt für Patienten, die zwar abstinenzmotiviert sind, jedoch keine Unterstützung durch Einrichtungen der Suchtkrankenversorgung in Anspruch nehmen wollen. Der Patient wird darauf hingewiesen, dass er bei regelmäßiger Kontrolle seiner Laborwerte durch den Hausarzt die gesundheitlichen Folgen des Alkoholkonsums beobachten kann.

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Absichtsbildung

Hat der Betroffene bereits begonnen, sich über eine Änderung seines Trinkverhaltens Gedanken zu machen, verändern sich auch die Ziele der Beratung. Auch hier besteht diese aus vier Elementen:

  • Diskrepanzen fördern

  • Informationen über Hilfen geben

  • Ziele definieren

  • Anbindung.

In der Phase der Absichtsbildung wird zunächst exploriert, welche Diskrepanzen der Patient bei sich selbst beobachtet hat. Auf der Grundlage einer positiven Rückmeldung über diesen Prozess der Auseinandersetzung wird versucht, die einzelnen Diskrepanzen möglichst klar herauszuarbeiten.

Weiterhin werden den Patienten Informationen über das suchtspezifische Hilfesystem angeboten. Auch weitere Möglichkeiten, wie sie beispielsweise der Sozialdienst oder die Krankenhausseelsorge bieten, sollten angesprochen werden, wenn hierfür eine Indikation besteht.

Zudem unterstützt der Arzt die Patienten dabei, sich auf Grundlage der zuvor beschriebenen, präzisierten Diskrepanzen konkrete Ziele zu setzen. Hierbei wird kein Wert darauf gelegt, möglichst alle Problembereiche umfassend abzudecken. In der Regel werden vielmehr nur einige wenige Vorsätze herausgearbeitet, deren Realisierung nach Einschätzung des Patienten und des Arztes realistisch erscheinen.

Die Anbindung des Patienten erfolgt mit dem Ziel, die Auseinandersetzung mit der Alkoholproblematik zu fördern. Auch jetzt wird der Patient darauf hingewiesen, dass er bei regelmäßiger Kontrolle seiner Laborwerte durch den Hausarzt mehr über die gesundheitlichen Folgen des Alkoholkonsums erfahren kann. Dies soll die bewusste Auseinandersetzung des Patienten mit seinen alkoholbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen erhöhen. Zusätzlich werden dem Patienten weitergehende Beratungskontakte angeboten, die allerdings kein Abstinenzgebot implizieren, um so die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme von Hilfen zu senken.

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Vorbereitung und Handlung

Nur zwei Elemente müssen bei Beratungen in der Phase der Vorbereitung und Handlung angestrebt werden: Zum einen sind die Ziele, die sich die Patienten zuvor gesteckt haben, zu konkretisieren. Zum anderen gilt aber auch wie in den anderen Phasen der Verhaltensänderung, dass die Patienten in ein Netzwerk der verschiedenen Hilfsangebote eingebunden werden.

In dieser Phase der Umsetzung hat der Patient bereits Zielvorstellungen entwickelt, die zur Änderung seines bisherigen Verhaltens führen sollen. Diese Ziele können sehr konkret (z.B. „ich möchte eine Entwöhnungsbehandlung beginnen”) oder auch sehr diffus sein (z.B. „ich muss mein Leben vollständig ändern”).

Die Beratung legt ihren Schwerpunkt darauf, die Umsetzung dieser Vorsätze in Form einer konkreten Handlungsplanung zu unterstützen. Die Umsetzung von Zielen, die sich auf das Trinkverhalten beziehen, wird an konkreten Beispielen aus der Lebenswelt des Patienten bearbeitet. Dazu zählt zum Beispiel die Reduktion des konsumierten Alkohols, der Umgang mit Alkohol am Arbeitsplatz oder Vereinbarungen mit dem Ehepartner.

Den Patienten werden regelmäßige Besuche des Hausarztes empfohlen, wobei ein Rückgang pathologischer Laborwerte als positiver Verstärker fungiert. Wurde bereits im Vorfeld daran gedacht, zur Umsetzung der gesteckten Ziele weitergehende Hilfsangebote zu nutzen, so werden die Patienten dabei unterstützt, möglichst noch während des Krankenhausaufenthalts mit den entsprechenden Einrichtungen Kontakt aufzunehmen.

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Anmerkungen

Neben den Mitarbeitern der von Dr. U. Hapke geleiteten Arbeitsgruppe „Intervention” sind noch weitere Mitautoren der in das Projekt eingebundenen Abteilungen und Kliniken zu erwähnen:

  • H.-J. Rumpf; Universität zu Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Direktor: Prof. Dr. F. Hohagen)

  • W. Wacke, K. Spieker, F. Szigat; Universität Greifswald, Medizinische Fakultät, Klinik für Innere Medizin A (Direktor: Prof. Dr. G. Kraatz)

  • A. Hummel; Universität Greifswald, Medizinische Fakultät, Klinik für Innere Medizin B (Direktor: Prof. Dr. S. Felix)

  • R. Laun; Universität Greifswald, Medizinische Fakultät, Chirurgische Klinik und Poliklinik, Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie (Direktor: Prof. Dr. A. Ekkernkamp)

  • L. Wilhelm; Universität Greifswald, Medizinische Fakultät, Chirurgische Klinik und Poliklinik, Abteilung für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie (Direktor: Prof. Dr. C.-D. Heidecke)

  • W. Hosemann; Universität Greifswald, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie (Direktor: Prof. Dr. W. Hosemann)

Das Bundesministerium für Gesundheit (326-4914-8/38) sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (01 EB 0120, 01 EB 0121 und 01 EB 9406) haben die zitierten Forschungsarbeiten der Autoren finanziell unterstützt. Die genannten Arbeiten - aber auch weitere Artikel - können unter der angegebenen Korrespondenzanschrift kostenfrei bezogen werden. Weitere Informationen zur „Motivierenden Gesprächsführung” sind unter http://motivationalinterview.org zu finden.

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Aufrechterhaltung

Auch Patienten, die ihren Alkoholkonsum bereits vor dem Krankenhausaufenthalt beendet haben, werden in das Konzept miteinbezogen. Die Beratung umfasst hier die Elemente

  • positive Rückmeldung geben

  • Beratungsbedarf prüfen

  • Inanspruchnahme thematisieren.

Viele abstinente Alkoholabhängige erhalten nur selten positive Rückmeldungen über die erreichte Verhaltensänderung. Bei der Besprechung aktueller gesundheitlicher Probleme soll den Patienten eine positive Resonanz über die bewältigte Problematik gegeben werden. Liegen zum Beispiel Befunde aus früheren Aufenthalten vor, kann dem Patienten der Rückgang pathologischer Laborwerte mitgeteilt werden.

In den ersten Jahren der Abstinenz, muss der Patient seinen Alltag und sich selbst an seine geänderte Lebensführung anpassen. Häufig nimmt er Probleme, die er in der Trinkzeit nicht oder nur kaum realisiert hat, erst nach Beendigung des Alkoholkonsums deutlicher wahr. Die Beratung soll daher die aktuelle Zufriedenheit mit der geänderten Lebenssituation und die Reaktion des sozialen Umfeldes herauskristallisieren, und bei Bedarf werden Möglichkeiten weitergehender Behandlung aufgezeigt.

Ein weiterer Bestandteil der Beratung ist die Thematisierung der bisherigen Inanspruchnahme von Hilfen. Hierbei werden negative Erfahrungen aufgearbeitet und Informationen über alternative Hilfsangebote aufgezeigt.

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Motivierende Gesprächsführung

Für eine effektive Beratung hat sich die „Motivierende Gesprächsführung” besonders bewährt. Sie erweist sich nicht nur bei Patienten mit einer Alkoholproblematik als hilfreich, sondern immer dann, wenn es darum geht, den Patienten zu motivieren - also auch für eine Erhöhung der Therapietreue für eine bestimmte Medikation, diagnostische und operative Maßnahmen sowie Krankengymnastik oder Diät.

Die Motivierende Gesprächsführung wurde im Kontext der Behandlung von substanzabhängigen Menschen entwickelt. Ziel ist die Förderung der Motivation zur Änderung von Substanzkonsum und resultierender Probleme. Beratungs- und Behandlungsstrategien sind spezifisch auf unterschiedliche psychologische Prozesse abgestimmt, die im jeweiligen Stadium der Änderungsbereitschaft Verhaltens- und Einstellungsänderungen fördern können. Besonders erfolgreich im Vergleich zu anderen Verfahren ist das Konzept bei Betroffenen, die keine Änderungsbereitschaft oder aber Ambivalenz zeigen. Die Grundprinzipien und die allgemeinen Techniken der Motivierenden Gesprächsführung fassen die [Tabellen 3] und [4] zusammen.

Ziel der Beratung ist es, Äußerungen zur Eigenmotivation herauszuarbeiten. Die Motive der Änderungsbereitschaft werden von den Patienten auf kognitiver, affektiver oder intentionaler Ebene ausgedrückt. Es gilt, diese Prozesse zu verstärken, indem man sie fokussiert. Die Motivierende Gesprächsführung ist für die Frühintervention in der medizinischen Versorgung grundsätzlich gut geeignet und wirksam [8].

Die Ausbildung in „Motivierender Gesprächsführung” findet traditionell in zwei- bis dreitägigen Workshops statt. Für den Bereich der medizinischen Versorgung hat sich das „context-bound communication skills training” als vorteilhaft erwiesen [13]. Hierbei werden die Inhalte den Ärzten jeweils kurz erläutert und im konkreten Patientenkontakt trainiert. Die medizinische Fakultät der Universität Greifswald setzt diese Form der Ausbildung zurzeit im Rahmen eines durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojektes in den Kliniken der Inneren Medizin, der Chirurgie und der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten um. Auch weitere Kliniken der Universität Greifswald und andere Krankenhäuser der Region wollen sich dem Konzept anschließen.

Tab. 1 Wann ist Trinken ein Risiko?[*]

 

Frauen

Männer

 

bis

0,2 l Wein

0,3 l Wein

risikoarm

0,5 l Bier

0,75 l Bier

3 Schnaps (à 0,2 cl)

5 Schnaps (à 0,2 cl)

 

0,2-0,4 l Wein

0,3-0,5 l Wein

riskant

0,5-1,0 l Bier

0,75-1,5 l Bier

3-6 Schnaps (à 0,2 cl)

5-10 Schnaps (à 0,2 cl)

 

0,4-0,8 l Wein

0,5-1,0 l Wein

gefährlich

1,0-2,0 l Bier

1,5-3,0 l Bier

6-12 Schnaps (à 0,2 cl)

10-20 Schnaps (à 0,2 cl)

mehr als

0,8 l Wein

1,0 l Wein

hoch gefährlich

2,0 l Bier

3,0 l Bier

12 Schnaps (à 0,2 cl)

20 Schnaps (à 0,2 cl)

  • Risikoarmer Konsum beschreibt die Grenzen, bis zu denen für einen gesunden Menschen der Alkoholkonsum unbedenklich ist. Dies gilt nicht für Schwangere oder Menschen mit Erkrankungen, bei denen Alkoholkonsum ein zusätzliches Risiko darstellt.

  • Bei riskantem Alkoholkonsum besteht ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Schäden.

  • Bei gefährlichem Konsum ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass sich negative Konsequenzen einstellen werden.

  • Bei hoch gefährlichem Konsum besteht dringender Handlungsbedarf, weil der Körper erheblich geschädigt wird. Wer häufiger als einmal im Monat solche Mengen an Alkohol zu sich nimmt, hat ein erhöhtes Gesundheitsrisiko.

1 durchschnittliche Trinkmenge pro Tag

Tab. 2 Berechnungstabelle für den Alkoholkonsum

alkoholische Getränke

Alkoholgehalt in Volumenprozent sowie Ausschankmengen und darin enthaltene Alkholmengen

Bier

Volumenprozent

g/0,2 l

g/0,33 l

g/l

Export, Pils, Alt- und Lagerbier, Weizenbier

4-6

6-10

11-16

32-48

Starkbiere, Bock, Doppelbock, Märzenbier

5-8

8-13

13-22

40-66

Wein

Volumenprozent

g/0,2 l

g/0,7 l

g/l

Weißwein

10-12

17-19

59-67

85-95

Rotwein

10-13

17-21

59-73

85-105

Sekt

9-14

15-23

53-79

75-113

Spirituosen

Volumenprozent

g/2 cl

g/4 cl

g/l

Liköre (Eier-, Sahne-, Schokoladenlikör)

20

3

6

162

Bitter- und Kräuterliköre

30

5

10

247

Bitter, Klarer, Korn

32

5

10

264

Edelkirsch, Aquavit, Jägermeister, Kümmerling, usw.

35

6

12

290

Weinbrand, Gin, Obstler, Edelkorn

38

6

12

316

Doppelkorn, Rum, Bacardi, Bommerlunder, Obstbrände

40

7

13

333

Whisky, Calvados

43

7

14

360

Meine jetzige durchschnittliche tägliche Trinkmenge:

Meine zukünftige durchschnittliche Trinkmenge:

Meine jetzige maximale Trinkmenge einmal pro Monat:

Meine zukünftige durchschnittliche Trinkmenge einmal pro Monat:

Tab. 3 Grundprinzipien der motivierenden Gesprächsführung
  • Eine empathische Grundhaltung des Beraters, die es dem Klienten erleichtert, seine Zurückhaltung aufzugeben und sich zu öffnen.

  • Förderung der Wahrnehmung von Diskrepanzen zwischen Zielen und Wünschen des Klienten und seinem Substanzkonsum.

  • Abwehr ist eine gestörte Interaktion zwischen Klient und Berater, die es zu thematisieren gilt (z.B. „Es scheint Ihnen schwer zu fallen, mit mir über Ihren Alkoholkonsum zu sprechen, haben Sie schlechte Erfahrungen damit gemacht?”).

  • Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit wird als ein wichtiges Element einer erfolgreichen intentionalen Verhaltensänderung angesehen, die der Berater durch seine Intervention vermitteln soll.

Tab. 4 Allgemeine Techniken der Gesprächsführung
  • Offene Fragen stellen, die den Klienten ermutigen, von sich zu berichten: Es sollen Fragen vermieden werden, die zum Beispiel Antwortalternativen vorgeben oder die lediglich ein ja oder nein zur Antwort erfordern. Die Fragen des Beraters sollten keine wertenden Implikationen bezüglich möglicher Antworten enthalten.

  • Reflektierendes Zuhören im Sinne eines einfühlenden, nicht wertenden Verstehens: Dadurch erhält der Berater Zugang zu der Lebenswelt und den zentralen Konzepten des Patienten. Kontraindiziert sind hierbei: direktive Anweisungen, Warnungen oder Drohungen, Überredungen mit verschiedenen Argumentationen, Moralisierungen, Schuldzuweisungen oder andere Vorgehensweisen, die dem Klienten eine passive Rolle bei der Bearbeitung und Interpretation seiner jetzigen Lebenssituation zuschreiben.

  • Bestätigen und Unterstützen des Klienten: Positive Rückmeldungen signalisieren dem Patienten, dass er verstanden und angenommen wird.

  • Zusammenfassungen zwischen zwei Gesprächsblöcken oder zum Ende der Beratung durch den Berater: Hierbei werden Gesprächsteile zusammengeführt und in eine Struktur gebracht.

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Literatur

  • 1 Aertgeerts B, Buntinx F, Ansons S, Fererry J. Screening properties of questionnaires and laboratory tests for the detection of alcohol abuse ordependence in a general proctice population.  British Journal of General Practice. 2001;  51 172-173
  • 2 Demmel R. Motivational Interviewing: Ein Literaturüberblick.  Sucht - Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis. 2001;  47 171-188
  • 3 Gerke P, Hapke U, Rumpf H-J, John U. Alcohol-related diseases in general hospital patients.  Alcohol & Alcoholism. 1997;  32 179-184
  • 4 Gerke P, Hapke U, Rumpf H-J, John U. Liegezeiten von Patienten mit Alkoholmißbrauch oder Alkoholabhängigkeit in Innerer Medizin und Chirurgie.  Versicherungsmedizin. 1998;  50 67-70
  • 5 Hapke U, Kremer G, Rumpf H-J. Motivational Interviewing.  In: Stimmer F (Hrsg). Suchtlexikon.  München: Oldenburg-Verlag. 2000;  410-413
  • 6 Hapke U, Rumpf H-J, John U. Differences between hospital patients with alcohol problems referred for counselling by physicians' routine clinical practice versus screening questionnaires.  Addiction. 1998;  93 1777-1886
  • 7 Hapke U, Rumpf H-J, John U. Früherkennung und Frühintervention bei Alkoholproblemen.  In: Mann K (Hrsg). Neue Therapieansätze bei Alkoholproblemen, Lengerich  Papst Science Publisher. 2002;  46-58
  • 8 Hapke U. Sekundärpräventive Interventionen bei Patienten mit einer Alkoholproblematik im Allgemeinkrankenhaus: Theoretische Grundlagen und empirische Befunde.  Freiburg im Breisgau: Lambertus. 2000; 
  • 9 John U, Hapke U, Rumpf H-J. Missbrauch oder Abhängigkeit vom Alkohol. Frühdiagnostik und Frühintervention in der Praxis.  Deutsches Ärzteblatt. 2001;  98 A2438-A2442
  • 10 John U, Hill A, Rumpf H-J. et al. . Alcohol high risk drinking, abuse and dependence among tobacco smoking medical care patients and the general population.  Drug and Alcohol Dependence. 2003;  69 189-195
  • 11 Mann K. Neue ärztliche Aufgaben bei Alkoholproblemen.  Deutsches Ärzteblatt. 2002;  99 632-644
  • 12 Miller WR, Rollnick S. Motivational interviewing: Preparing people for change (2nd ed).  New York: Guilford Press. 2002; 
  • 13 Rollnick S, Kinnersley P, Butler C. Context-bound communication skills training: development of a new method.  Medical Education. 2002;  36 377-383
  • 14 Rumpf H-J, Hapke U, Hill A, John U. Development of a screening questionnaire for the general hospital and general practices.  Alcoholism: Clinical and Experimental Research. 1997;  21 894-898
  • 15 Rumpf H-J, Hapke U, John U. LAST Lübecker Alkoholabhängigkeits und -missbrauchs-Screening-Test.  Göttingen: Hogrefe Verlag. 2001; 
  • 16 Rumpf H-J, Hapke U, Meyer C, John U. Motivation to change behavior: Comparison of alcohol dependent individuals in a general hospital and a general population sample.  General Hospital Psychiatry. 1999;  21 348-353
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Anschrift für die Verfasser

Dr. Ulfert Hapke

Inst. für Epidemiologie und Sozialmedizin

Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald

Walther-Rathenau-Str. 48

17487 Greifswald

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Literatur

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  • 16 Rumpf H-J, Hapke U, Meyer C, John U. Motivation to change behavior: Comparison of alcohol dependent individuals in a general hospital and a general population sample.  General Hospital Psychiatry. 1999;  21 348-353
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Anschrift für die Verfasser

Dr. Ulfert Hapke

Inst. für Epidemiologie und Sozialmedizin

Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald

Walther-Rathenau-Str. 48

17487 Greifswald