psychoneuro 2003; 29(9): 403-408
DOI: 10.1055/s-2003-43143
Schwerpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychoedukation in der Behandlung bipolarer affektiver Erkrankungen

Gerd Dietrich1 , Petra Wagner1 , Peter Bräunig1
  • 1Klinikum Chemnitz gGmbH, Klinik für Psychiatrie, Verhaltensmedizin und Psychosomatik, Chemnitz
Further Information
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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. habil. Peter Bräunig

Klinikum Chemnitz gGmbH

Klinik für Psychiatrie, Verhaltensmedizin und Psychosomatik

Dresdner Str. 178

09131 Chemnitz

Publication History

Publication Date:
24 October 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Basierend auf einem biologisch determinierten Ätiologiekonzept wurde über viele Jahre in der Behandlung bipolarer Erkrankungen die medikamentöse Therapie favorisiert. Empirische Befunde, die aufzeigten, dass trotz Einhaltung des medikamentösen Behandlungsregimes nahezu 75 % der Betroffenen im 5-Jahres-Intervall ein Rezidiv erleiden, führten zur Integration psychotherapeutischer Interventionsformen in die Behandlung bipolarer Erkrankungen. Adjuvant zur medikamentösen Therapie scheint Psychoedukation - die Informationsvermittlung über die Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten - eine vielversprechende Methode, den Krankheitsverlauf sowie die Krankheitsbewältigung günstig zu beeinflussen und insbesondere die medikamentöse Behandlungscompliance zu erhöhen.

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Summary

Based on a biologically determined etiological concept, pharmacotherapy has long been the sole treatment strategy for this disorder. Empirical findings, however, showed that despite their compliance with pharmacotherapy, nearly 75 % of subjects suffering from this disorder relapse within a 5-year-period., This led to the integration of psychotherapeutic interventions in the treatment of bipolar disorders. In addition to pharmacotherapy, psychoeducation seems to be a promising method for coping with the illness. Psychoeducation is a tool by which knowledge about the disorder and its treatment positively influences the course of the illness, enhances coping and improves patients' adherence to medication and thus reduces relapse rates.

In der Behandlung bipolarer affektiver Erkrankungen dominieren noch immer pharmakologische Behandlungsstrategien. Auf der Basis einer hypothetisierten Ätiopathogenese, für die biologische Determinanten entscheidend sind, wurde das Auftreten von Rezidiven ursächlich in erster Linie auf medikamentöse Noncompliance des Betroffenen zurückgeführt. Studienergebnisse zu Beginn der 90er-Jahre, die aufzeigten, dass trotz complianter Einnahme der rezidivprophylaktischen Medikation bei ca. 75 % der Betroffenen im 5-Jahresintervall ein Rezidiv auftrat, führten zu einer Modifikation der Ätiologievorstellungen in Richtung eines adäquater erscheinenden biopsychosozialen Erkrankungsmodells. Dieses Modell trägt dabei vor allem der Beobachtung Rechnung, dass soziale bzw. interpersonelle Faktoren - als Stressoren wirkende Lebensereignisse - bei der erneuten Exazerbation der Symptomatik eine wichtige Rolle spielen.

Die ursprüngliche Favorisierung biologischer Komponenten bei Krankheitsgenese und -verlauf, hatte zur Folge, dass relativ spät, eigentlich erst mit Integration der psychosozialen Betrachtungsweise, intensive Bemühungen gestartet wurden, psychotherapeutische Behandlungsverfahren für die bipolare Erkrankung zu entwickeln. Vielversprechend erscheinen dabei die Familienfokussierte Therapie [7], die Interpersonelle und Soziale Rhythmustherapie [6], kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren [1] [9] sowie vorwiegend psychoedukativ orientierte Ansätze [16].

Alle Interventionsformen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, basieren dabei mit unterschiedlicher Gewichtung auf Psychoedukation. In Abhängigkeit von der psychoedukativen Schwerpunktlegung fließen zusätzlich weitere Behandlungselemente mit ein, die sich an den von den jeweiligen Autoren favorisierten Einflussfaktoren auf Krankheitsentstehung und -verlauf orientieren.

So ist in der Familienfokussierten Therapie [7] bipolarer Erkrankungen neben psychoedukativen Elementen das familiäre Interaktionsverhalten ein zentrales Therapieziel. Untersuchungen zufolge sehen die Autoren ein familiäres Klima, in dem stark affektbesetzte Ausdrucks- und Verhaltensweisen vorherrschen und wenig Verständnis im täglichen Miteinander entgegengebracht wird, mit einem ungünstigen Krankheits- und Behandlungsverlauf assoziiert. Die Interpersonelle und Soziale Rhythmustherapie [6] hingegen hypothetisiert die Implikation interpersoneller Konflikte sowie die Derhythmisierung biologischer Zyklen als krankheitsauslösend bzw. -aufrechterhaltend. Demgegenüber sehen kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze [1] [9] dysfunktionale Kognitionen in enger Verbindung mit der erneuten Symptomexazerbation.

Bevor wir uns im Weiteren auf die psychoedukativen Aspekte dieser Ansätze konzentrieren, muss jedoch betont werden, dass entsprechend des derzeitigen Forschungsstandes nach wie vor im Rahmen einer wirkungsvollen Therapie bipolarer Erkrankungen die medikamentöse Behandlung als unbedingt erforderlich anzusehen ist. Psychotherapeutische bzw. psychoedukative Interventionen können nur als zusätzliche, unterstützende Behandlungsmaßnahmen gelten.

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Psychoedukation: Was ist das?

Allgemein wird mit „Psychoedukation” die Informationsvermittlung über die Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten bezeichnet, wobei psychologische Betrachtungsweisen Berücksichtigung finden. Alternativ könnte „Psychoedukation” auch so definiert werden, dass es sich hierbei um eine Informationsvermittlung über die Erkrankung handelt, die dazu dient, die psychische Befindlichkeit zu verbessern bzw. zu stabilisieren. Ziel ist es, Selbsthilfemöglichkeiten im Umgang mit der Erkrankung zu aktivieren, die Behandlungscompliance zu erhöhen und damit das Wiedererkrankungsrisiko abzusenken.

Zu beachten ist, dass unter dem Begriff „Psychoedukation” ganz unterschiedliche Arten der Wissensvermittlung zusammengefasst werden. So zählen hierzu Informationsbroschüren, Bücher, Videobänder, Fernsehsendungen, Internetseiten bzw. -foren bis zu elaborierten Gruppenprogrammen, die von mindestens einem ausgebildeten Therapeuten (Arzt, Psychotherapeut oder Psychologe) durchgeführt werden.

Da von allen psychoedukativen Interventionsformen der therapeutengeleiteten Form in der Behandlung bipolarer Erkrankungen eine besondere Bedeutung zukommt, werden wir uns im Folgenden nur auf diese Variante der Psychoedukation beziehen.

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Entwicklung von psycho-edukativen Ansätzen in der Behandlung bipolarer Erkrankungen

Die Idee der Psychoedukation ist nicht neu. Erste Ansätze wurden im Rahmen der Behandlung somatischer Erkrankungen, wie z.B. Diabetes oder kardio-vaskuläre Symptomatiken, entwickelt und konzentrierten sich hauptsächlich auf das Training der korrekten Einnahme von Medikamenten. Wegweisend waren hier Beobachtungen, die ungünstige Behandlungsverläufe in Zusammenhang mit der nicht ordnungsgemäßen Einnahme der Medikation sahen. Das so genannte Medikamententraining, d.h. die Einnahme der Medikation unter Aufsicht des Pflegepersonals, war zentraler Bestandteil der ersten Psychoedukationsformen.

Angewandt auf psychische Symptomatiken bewährte sich der psychoedukative Ansatz schon relativ frühzeitig in der Schizophreniebehandlung und gilt hier heute als grundlegendes therapeutisches Element.

Während erste psychotherapeutische Behandlungsversuche bipolarer Erkrankungen am familiären Unterstützungssystem anknüpften, wobei aus heutiger Sicht unklar bleibt, inwieweit hierbei psychoedukative Elemente eingebunden waren, wurde in der Folge gemäß der vorherrschenden biologisch orientierten Ätiologiehypothese in psychoedukativer Weise an der Erhöhung der medikamentösen Compliance gearbeitet. Praktisch sind daher erste psychoedukative Bemühungen in der Behandlung bipolarer Erkrankungen ebenfalls gleichbedeutend mit Medikamententraining [4]. Neue Impulse in der Entwicklung psychotherapeutischer Interventionen resultierten dann zu Beginn der 90er-Jahre, basierend auf Befunden von Evaluationsstudien. Der neue psychotherapeutische Akzent bestand in einer Ausweitung der Perspektive hinsichtlich syndromauslösender bzw. -aufrechterhaltender Faktoren. Psychoedukation, ureigenstes Element kognitiv-verhaltenstherapeutischen Arbeitens, entstanden aus der praktischen Umsetzung des verhaltenstherapeutischen Axioms der Transparenz, erlangte inzwischen aufgrund ihres zeitökonomischen Charakteristikums und vielversprechender empirischer Evaluationsbemühungen eine Art Autonomie. Die oftmals getroffene Differenzierung zwischen Psychoedukation und Kognitiver Verhaltenstherapie bleibt allerdings aufgrund der Teil-Ganzes-Relation in gewisser Weise artifiziell, erscheint aber angesichts der Forderung moderner Forschungsstandards, nach kontrollierten empirischen Analysen therapeutischer Wirkfaktoren, hilfreich und sinnvoll. Festzuhalten bleibt, dass Psychoedukation im Zuge einer modernen Psychotherapieperspektive integrativer Bestandteil unterschiedlicher therapeutischer Richtungen ist. Das Ausmaß der Einbeziehung psychoedukativer Elemente variiert dabei, wie schon erwähnt, zwischen den therapeutischen Ansätzen.

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Rahmenbedingungen von Psychoedukation

Therapeutengeleitete Psychoedukationsformen können nach Setting und Zielgruppe differenziert werden:

So gibt es zum einen Psychoedukation sowohl im stationären, tagesklinischen als auch ambulanten Rahmen. Zum anderen wird Psychoedukation in Abhängigkeit von der Teilnehmerzusammensetzung als Psychoedukation für Betroffene, für Angehörige oder für beide Teilnehmergruppen gemeinsam angeboten. Weiterhin kann unterschieden werden zwischen Psychoedukation in Einzel- oder Gruppenform.

Im Vergleich zur Psychoedukation im Einzelsetting scheinen Gruppenprogramme nicht nur aus ökonomischer Sicht einige Vorteile zu bieten.

Denn, auch wenn Gruppenprozesse bei psychoedukativen Gruppenprogrammen nicht primär im Vordergrund stehen, ist der Einfluss von Gruppenwirkfaktoren nicht zu unterschätzen und sollte unbedingt genutzt werden [17].

Denkt man insbesondere an krankheitsbedingtes Fehlverhalten, wie es während manischer Episoden auftritt, scheint doch die nur im Gruppensetting zu machende Erfahrung, anderen geht es genauso, den Betroffenen von der im Nachhinein oftmals schambesetzten Bewertung der Verhaltensexzesse enorm zu entlasten und damit zu helfen. Darüber hinaus sind die Möglichkeit der gegenseitigen Unterstützung und die Chance, aus den Erfahrungen anderer Betroffener zu lernen sowie generell das Gefühl, unter Mitbetroffenen eher verstanden zu werden, eindeutig positiv einzustufen.

Anzumerken ist, dass im Zuge der geforderten empirischen Evaluation von Psychoedukation als eigenständige Interventionsform in der Behandlung bipolarer Erkrankungen die Implikation von Gruppenwirkfaktoren allerdings konfundierend zu werten und gleichzeitig in entsprechenden Forschungsdesigns zu berücksichtigen ist.

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Inhalte psychoedukativer Ansätze

Entsprechend den unterschiedlichen Bedürfnissen der Teilnehmergruppen unterliegen die Inhalte und Zielsetzungen geringfügigen Modifikationen. So muss in der psychoedukativen Arbeit mit Betroffenen der Umfang und die Art der Informationsvermittlung dem jeweiligen Erkrankungsstatus angepasst werden, um nicht Gefahr zu laufen, zu überfordern. Im Rahmen der Psychoedukation mit Angehörigen sollte der andere Blickwinkel auf die Erkrankung und ihre Folgen Berücksichtigung finden und damit der veränderten Bedürfnislage Rechnung getragen werden.

Aufgrund der im vorangegangenen Abschnitt angedeuteten Vorteile psychoedukativer Gruppenprogramme haben wir stellvertretend für alle psychoedukativen Ansätze deren Zielsetzungen in Tabelle 1 aufgeführt.

Übergeordnetes Ziel bleibt für alle Formen der Psychoedukation, das Wiedererkrankungsrisiko abzusenken und den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern.

Hieraus ergeben sich für psychoedukative Behandlungsansätze folgende zentrale Themenschwerpunkte:

  • Informationsvermittlung über die Erkrankung (Epidemiologie, Symptomatik, phänotypische Varianz, Ätiologie, Verlauf) und die Behandlungsmöglichkeiten

  • Vermittlung von Copingstrategien, d.h. Hilfen, die den Umgang mit der Erkrankung erleichtern

  • Rückfallprophylaxe.

Vergleichbar einem Baukastensystem werden in modernen Psychoedukationsprogrammen diese inhaltlichen Schwerpunkte in Form von sitzungsbezogenen „Themenbausteinen” bzw. Modulen strukturiert und bearbeitet. [Tabelle 2] gibt einen Überblick möglicher Module psychoedukativer Behandlungsprogramme. Die einzelnen Themenbausteine sollten dabei weniger in traditioneller Lehrermanier abgehandelt werden, als vielmehr gemäß moderner Unterrichtsdidaktik unter Einsatz ansprechender Materialien und technischer Hilfsmittel (Polylux, Flipchart) gemeinsam erarbeitet werden.

Unterstützung in der didaktischen Vorgehensweise erhalten Therapeuten durch entsprechende elaborierte Behandlungsmanuale, die sowohl für einzel- als auch gruppentherapeutische Maßnahmen vorliegen. Einen Überblick gibt hierzu Tabelle 3. Die Sitzungsfrequenz variiert zwischen 5-20 Stunden, die in der Regel im wöchentlichen Turnus stattfinden. Während einige Interventionsformen bereits in der akuten Phase einsetzen [6], scheint aus unserer Erfahrung die Indikation zur Psychoedukation erst in der subakuten Phase sinnvoll. In der Akutbehandlung erweisen sich aus unserer Einschätzung supportive Maßnahmen eher geeignet als psychoedukative.

Hinsichtlich Psychoedukation mit Angehörigen von bipolar Erkrankten liegt derzeit lediglich ein Programm in manualisierter Form vor [7]. Sehr interessant, aber leider nicht manualisiert, erscheint diesbezüglich die Vorgehensweise von van Gent & Zwart [15], deren fünf Sitzungen umfassendes Gruppenprogramm sich ausschließlich an Angehörige bipolar erkrankter Menschen richtet. Zentral sind neben der Vermittlung von Erkrankungswissen und Unterstützungsstrategien die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse, die oftmals von Partnern psychisch erkrankter Menschen vernachlässigt wird. Letztgenannter Aspekt scheint dabei besonders wichtig, da hierdurch Frustrationen und Konflikte entstehen können, was sich wiederum ungünstig auf die Symptomatik des Betroffenen auswirken kann.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass weitere Anregungen aus der Angehörigenarbeit im Rahmen der Schizophreniebehandlung entnommen werden können[3].

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Empirische Evaluation psychoedukativer Ansätze

Generell basieren vergleichende Evaluationsstudien im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung bipolarer Erkrankungen auf einer „Add-on-Strategie”, d. h. zusätzlich zur medizinischen Standardversorgung erfolgen psychoedukative Interventionen. Problematisch erscheint dabei, dass unter „Standardversorgung” einige Studienautoren eine vorwiegend medikamentöse Behandlung verstehen, andere wiederum niederfrequente therapeutische Kontakte mit einschließen, wodurch natürlich die Generalisierbarkeit der Ergebnisse sowie insgesamt die Erbringung eines Effektivitätsnachweises erschwert wird.

Die ersten empirischen Evaluationsbemühungen blieben in der Regel auf Prä-Post-Vergleiche, teilweise ohne Einbeziehung einer adäquaten Kontrollgruppe, reduziert. Selbst das Gros der Experimentalgruppen war hinsichtlich der applizierten Medikation oder des Status der Symptomatik äußerst heterogen, oftmals nicht nach Erkrankungssubtypen spezifiziert; die Stichprobenwahl auf anfallende Stichproben von geringer Größe begrenzt.

Während somit Effektivitätsuntersuchungen in Form von prospektiven randomisierten Studien, die angemessene Katamnesezeiträume einschließen, in der Vergangenheit die große Ausnahme bildeten, um nicht zu sagen, fehlten, ist neuerdings ein Trend erkennbar, psychotherapeutische Interventionen in der Behandlung bipolarer Erkrankungen, und hier vor allem psychoedukative Ansätze im Rahmen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Arbeitens, den modernen Forschungsstandards zu unterziehen [5] [10]. Als Erfolgskriterien werden dabei hauptsächlich das Zeitintervall bis zur Wiedererkrankung, die medikamentöse Compliance, operationalisiert über Laborparameter, der Verlauf der Symptomatik, erfasst insbesondere über Selbstratings, die Hospitalisierungsrate bzw. -dauer und das psychosoziale Funktionsniveau gewählt.

Für psychoedukative Ansätze im Rahmen therapeutischen Arbeitens mit Betroffenen werden dabei in erster Linie günstige Ergebnisse berichtet. So wird für Teilnehmer an psychoedukativen Programmen eine geringere Rückfallrate [5] [10] [14], ein längeres Zeitintervall bis zum Auftreten eines Rezidivs ([5] [10] [Abb 1] u. [Abb 2]), eine geringere Rehospitalisierungsrate [4] [5] [10] [14] sowie eine geringere Hospitalsisierungsdauer [5] festgestellt. Auch bezüglich des Erkennens und Einleitens geeigneter Maßnahmen im Zusammenhang mit Prodromen scheinen Betroffene von bipolaren Erkrankungen durch Informationsvermittlung zu profitieren [10]. Darüber hinaus wird bei Psychoedukationsteilnehmern eine bessere medikamentöse Compliance [4] [10] und ein höheres psychosoziales Funktionsniveau [12] [13] [14] gefunden. Hinsichtlich der allgemeinen Akzeptanz psychoedukativer Maßnahmen werden ebenfalls positive Ergebnisse berichtet.

Allerdings werden vereinzelt auch weniger eindeutige Effekte ausgemacht [11], insbesondere auf subsyndromaler Störungsebene [10].

Die empirische Befundlage zu psychoedukativen Ansätzen, die Angehörige einbeziehen bzw. sich speziell an Angehörige richten, zeigt ähnlich günstige Untersuchungsergebnisse. Generell wird Psychoedukation von Angehörigen sehr positiv bewertet, Verständnisgewinn für den Betroffenen und Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch werden dabei besonders hervorgehoben [15]. Eine geringere Rückfallrate, ein längeres symptomfreies Intervall bis zum erneuten Auftreten eines Rezidivs [8], Verbesserungen hinsichtlich des psychosozialen Funktionsniveaus und der familiären Interaktion werden aufgefunden. Aber auch weniger eindeutige Effekte hinsichtlich diverser Krankheitsverlaufsparameter werden verortet, wobei das Informieren der Angehörigen über die Erkrankung bei Betroffenen zunächst auch Ängste auslösen kann [15].

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Fazit

Psychoedukation adjuvant zur medikamentösen Behandlung bipolarer Erkrankungen scheint mit deutlich günstigeren Effekten hinsichtlich Behandlungscompliance, Symptommanagement, der allgemeinen Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit assoziiert zu sein als eine rein pharmakologisch orientierte Behandlung der Erkrankung.

Der Indikationsbereich, welche Variante (Einzel, Gruppen, Einbeziehung von Angehörigen) für welchen Patienten zu welchem Zeitpunkt geeignet erscheint, bedarf noch weiterer empirischer Untersuchung. Interessante Konzepte, wie „extend of expressed emotions” [7] könnten dabei als wichtige Kriterien fungieren.

Leider liegen im Rahmen der Evaluation psychoedukativer Ansätze Prozess-Outcome-Analysen, die z.B. das Ausmaß des Erkrankungswissens oder die Implikation von Zuwendungs- oder Gruppeneffekten kontrollieren, noch nicht vor. Langzeitkatamnesen fehlen bislang. Auch erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt die definitorische Expansion und damit die Subsumierung noch so unterschiedlicher psychotherapeutischer Interventionsformen mit mehr oder weniger elaborierten psychoedukativen Behandlungselementen unter den Psychoedukationsbegriff ungünstig. Die notwendige Systematisierung von Evaluationsversuchen sowie die Generalisierbarkeit der Ergebnisse werden hierdurch unnötig erschwert.

Forschungsbedarf besteht ferner hinsichtlich der Wirkprinzipien von Psychoedukation. Generell wäre denkbar, dass Zuwachs des Erkrankungswissens nicht nur mit einer verstärkten Selbst- bzw. Fremdbeobachtung verbunden ist, sondern auch bei dem Betroffenen behandlungsförderliche Einstellungen generiert, wie z.B. der Erkrankung nicht mehr hilflos ausgeliefert zu sein und deshalb aktiv zum Wohlbefinden beitragen zu können. Diese Steigerung des Selbstwirksamkeitserlebens im Rahmen einer in der watzlawickschen Terminologie als „symmetrisch” bezeichneten Interaktionsbeziehung zwischen Arzt und Betroffenem, die beide zu gleichberechtigten Partnern in der therapeutischen Beziehung macht, dürfte Behandlungscompliance, Krankheitsverlauf und Krankheitsbewältigung sicherlich positiv beeinflussen. Entsprechende empirische Überprüfungen der potenziellen theoretischen Wirkprinzipien, insbesondere auch im Hinblick psychoedukativen Arbeitens mit Angehörigen, wären wünschenswert.

Obwohl die derzeit angewandten Untersuchungsdesigns zur empirischen Evaluation psychoedukativer Ansätze streng genommen noch nicht die Qualität von Efficacy- bzw. Effectiveness-Studien erreicht haben, leisten sie doch einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Fundierung psychoedukativer Interventionen in der Behandlung bipolarer Erkrankungen.

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Abb. 1

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Abb. 2

Tab. 1 Ziele psychoedukativer Gruppenprogramme differenziert nach Teilnehmern

Psychoedukative Gruppen

Ziele

für Betroffene

selbstverantwortlicher Umgang mit der Erkrankung

Aktivierung von Selbsthilfemöglichkeiten

über Erfahrungsaustausch Vermittlung des Gefühls, mit der Erkrankung nicht allein zu sein, verstanden zu werden, Entlastung von Angst-, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen

Erhöhung der Behandlungscompliance

für Angehörige

Schaffung von Verständnis für krankheitsbedingte Verhaltensweisen

Entlastung durch Erfahrungsaustausch

Angehörige/Bezugspersonen sozusagen zum „Behandlungsverbündeten” gewinnen, um hierdurch den Betroffenen im Umgang mit der Erkrankung zu unterstützen

für Betroffene und Angehörige

Schaffung wechselseitigen Verständnisses

Aktivieren der Familie/des sozialen Netzes als natürliche Unterstützungsquelle

Verminderung des Wiedererkrankungsrisikos; Erleichterung der Krankheitsbewältigung

Tab. 2 Synopsis von Modulen psychoedukativer Ansätze

Module

Kurzbeschreibung des Inhalts Modul

Einführung

Allgemeine Informationsvermittlung über die Erkrankung, ihre Epidemiologie, Verlaufscharakteristika und die Behandlungsmöglichkeiten

Depression

pathognomonische sowie individuelle Symptome, allgemeine bzw. individuelle Verlaufscharakteristika, typische dysfunktionale Kognitionen

Manie

pathognomonische sowie individuelle Symptome, allgemeine bzw. individuelle Verlaufscharakteristika, typische dysfunktionale Kognitionen

Vermittlung eines Ätiologiemodells

Präferiert wird in den manualisierten Programmen die Erläuterung des Diathese-Stress- bzw. Vulnerabilitäts-Stress-Modells, wobei potenzielle individuelle Ätiologiefaktoren in das Modell integriert werden

Medikamentöse Behandlung

Detaillierte Information zur medikamentösen Behandlung; wichtige Fachbegriffe werden erklärt. Insbesondere der Umgang mit Nebenwirkungen, die häufig Auslöser medikamentöser Noncompliance sind, wird thematisiert

Stressmanagement

Identifikation individueller Stressoren; Erlernen von Methoden zur Stressreduktion bzw. Stressbewältigung

Rückfallprophylaxe

Erkennen individueller "Frühwarnzeichen"; Erlernen adäquater Reaktionsweisen auf Erstsymptome, z.B.:

  • bei Depression: Tagesstrukturierung, Planung positiv erlebter Aktivitäten

  • bei Manie: Aktivitätenreduktion, Stabilisierung des Schlaf-Wach-Rhythmus

  • episodenübergreifend: Symptomchecklisten; Führen von Stimmungsprotokollen; Erstellen eines Krisenplanes

Tab. 3 Übersicht psychoedukativer Ansätze

Psychoedukative Ansätze

Setting

 

Einzel

Gruppen

manualisiert

Basco & Rush, 1996 [1]

Lam et al., 1999 [9]

Miklowitz & Goldstein, 1997 [7] [*]

Bauer & McBride, 1996 [2]

Wagner & Bräunig [16]

nicht manualisiert

Cochran, 1984 [4]

Perry et al., 1999 [13]

Frank et al., 1997 [6]

Palmer et al., 1995 [11]

Patelis-Siotis et al., 2001 [12]

Scott et al., 2001 [14]

van Gent & Zwart [15] [**]

1 Einbeziehung der Familie in das therapeutische Arbeiten

2 speziell für Angehörige von Betroffenen bipolarer Erkrankungen

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Literatur

  • 1 Basco MR, Rush AJ. Cognitive-behavioral therapy for bipolar disorder.  New York, The Guilford Press. 1996; 
  • 2 Bauer M, Mc L Bride. Structured group psychotherapy for bipolar disorder.  New York, Springer. 1996; 
  • 3 Bäuml J, Pitschel-Walz G. Psychoedukation bei schizophrenen Erkrankungen.  Stuttgart: Schattauer. 2002; 
  • 4 Cochran SD. Preventing medical noncompliance in the outpatient treatment of bipolar disorder.  Journal of Consulting and Clinical Psychology. 1984;  52 873-878
  • 5 Colom F, Vieta E, Martinez-Ará A, Reinares M, Goikolea J, Benabarre A, Torren C, Comes M, Corbella B, Parramon G, Corominas J. A randomized trial on the efficacy of group psychoeducation in the prophylaxis of recurrences in bipolar patients whose disease is in remission.  Archives of General Psychiatry. 2003;  60 402-407
  • 6 Frank E, Kupfer DJ, Ehlers CL, Monk TH, Corne C, Carter S, Frankel D. Interpersonal and social rhythm therapy for bipolar disorder: Integrating interpersonal and behavioral approaches.  Behavior Therapist. 1994;  17 143-149
  • 7 Miklowitz DJ, Goldstein MJ. A Family-Focused Treatment Approach.  New York, Guilford Press. 1997; 
  • 8 Miklowitz D, Simoneau T, George E, Richards J, Kalbag A, Sachs-Ericsson N, Suddath R. Family-focused treatment of bipolar disorder: 1-year effects of a psychoeducational program in conjunction with pharmacotherapy.  Biological Psychiatry. 2000;  48 582-592
  • 9 Lam DH, Jones SH, Hayward P, Bright JA. Cognitive therapy for bipolar disorder: A therapist`s guide to concepts, methods and practice.  Chichester, John Wiley & Sons. 1999; 
  • 10 10. DH Lam, Watkins E, Hayward P, Bright J, Wright K, Kerr N, Parr-Davis G, Sham P. A randomized controlled study of cognitive therapy for relapse prevention for bipolar affective disorder.  Archives of General Psychiatry. 2003;  60 145-152
  • 11 Palmer A, Williams H, Adams M. Cognitive behaviour therapy in group format for bipolar affective disorder.  Behavioural and Cognitive Psychotherapy. 1995;  23 153-168
  • 12 Patelis-Siotis I, Young LT, Robb JC, Marriott M, Bieling PJ, Cox LRT. Group cognitive behavioral therapy for bipolar disorder: A feasibility and effectiveness study.  Journal of Affective Disorders, Special Issue. 2001;  65 145-153
  • 13 Perry AN, Tarrier N, Morriss R, Mc K Carthy, Limb K. Randomised controlled trial of efficacy of teaching patients with bipolar disorder to identify early symptoms of relapse and obtain treatment.  British Medical Journal. 1999;  318 149-153
  • 14 Scott J, Garland A, Moorhead S. A pilot study of cognitive therapy in bipolar disorders.  Psychological Medicine. 2001;  31 459-467
  • 15 van Gent E, Zwart F. Psychoeducation of partners of bipolar-manic patients.  Journal of Affective Disorders. 1991;  21 15-18
  • 16 Wagner P, Bräunig P. Psychoedukation bei bipolaren Störungen - Ein Therapiemanual für Gruppen (Druck in Vorbereitung). 
  • 17 Yalom ID. The Theory and Practice of Group Psychotherapy.  New York, Basic Books. 1975; 
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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. habil. Peter Bräunig

Klinikum Chemnitz gGmbH

Klinik für Psychiatrie, Verhaltensmedizin und Psychosomatik

Dresdner Str. 178

09131 Chemnitz

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Literatur

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  • 16 Wagner P, Bräunig P. Psychoedukation bei bipolaren Störungen - Ein Therapiemanual für Gruppen (Druck in Vorbereitung). 
  • 17 Yalom ID. The Theory and Practice of Group Psychotherapy.  New York, Basic Books. 1975; 
#

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Klinik für Psychiatrie, Verhaltensmedizin und Psychosomatik

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09131 Chemnitz

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