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DOI: 10.1055/s-2003-43146
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Atypische versus Niedrigpotente Neuroleptika
Korrespondenzadresse
Dr. med. Thilo Hashemi
Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Rheinischen Kliniken Essen.
45147 Essen
eMail: Thilo.Hashemi@uni-essen.de
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
24. Oktober 2003 (online)
Im Internetportal des Deutschen Ärzteblatts vom 12.05.2003[1] wurde ein Bericht über die Meta-Analyse von Leucht et al. (Lancet 2003; 361: 1581-1589)[2] bezüglich eines Vergleichs von Neuroleptika der neueren Generation zu niedrigpotenten konventionellen Neuroleptika veröffentlicht. Unter der Überschrift „Atypische Antipsychotika: Zweifel an besserer Verträglichkeit” wurde berichtet, dass in der Untersuchung alleine für Clozapin eine stärkere Wirkung gefunden worden sei und dass eine überlegene Wirkung und bessere Verträglichkeit der atypischen Antipsychotika hinsichtlich der EPS-Problematik nicht erwiesen sei.
Die niedrigpotenten Neuroleptika seien somit eine kostengünstige Alternative zu den neueren Medikamenten.
Eine kritische Analyse der Ärzteblattmeldung und des Originalartikels ergibt folgendes Resultat: Die Schlussfolgerungen der Autoren des Originalartikels auf die mangelnde Überlegenheit atypischer Neuroleptika können als relativ weitgehend betrachtet werden. Die Wiedergabe im Deutschen Ärzteblatt (DÄB) ist darüber hinaus unklar und überinterpretierend. So findet im DÄB eine verwirrende Vermischung der Begriffe „ältere Neuroleptika”, „niedrig dosierte” und „niedrig potente Neuroleptika” statt. Die Ärzteblatt-Aussage, dass nur für Clozapin eine stärkere Wirkung gefunden wurde, ist so nicht korrekt. Vielmehr konnte in der Untersuchung nur für Clozapin als einziger Substanz eine gleichzeitige Überlegenheit sowohl hinsichtlich Wirksamkeit als auch EPS-Rate festgestellt werden. Bezüglich EPS kommen die Autoren in der Tat zu dem Schluss, dass neuere Atypika im Vergleich mit niedrigpotenten Neuroleptika nach aktueller Studienlage nicht überlegen sind - solange letztere im Dosisbereich bis zu 600 mg/die Chlorpromazinäquivalente gegeben werden. In höheren Dosierungen verschwindet dieser Effekt. Bezüglich der Wirksamkeit stellen die Autoren hingegen für die Gruppe der Atypika gegenüber den niedrigpotenten Neuroleptika eine moderat stärkere Wirksamkeit fest. Diese potenziellen Vorteile sollten nach Autorenmeinung daher ein Faktor in klinischen Entscheidungssituationen zugunsten der Atypika sein.
Im Einzelnen wurden für Olanzapin vier Studien ausgewertet, in denen eine stärkere Wirksamkeit der Substanz bei nur grenzwertig signifikanter Überlegenheit hinsichtlich der EPS-Rate (p = 0,07) festgestellt wurde, wobei wichtig zu erwähnen ist, dass dabei auch eine Studie berücksichtigt wurde, in der alle Chlorpromazinpatienten prophylaktisch Benzatropin erhielten. Für Quetiapin wurde eine Studie gefunden, in der ein Vergleich gegen Chlorpromazin bis zu maximaler Dosierung von 384 mg/die gezogen wurde (an anderer Stelle der Arbeit wird von einer antipsychotischen Wirkung von Chlorpromazin erst ab 300 mg/die ausgegangen). In diesem Dosisbereich konnte eine stärkere Wirksamkeit von Quetiapin bei gleicher Verträglichkeit gefunden werden. Für Risperidon konnten in einer kleinen Studie (n = 42) im Vergleich gegen niedrigdosiertes Methotrimeprazine (mittl. Dos.: 100 mg/die; max. 150 mg/die) keine signifikanten Verträglichkeitsunterschiede bei stärkerer Risperidon-Wirksamkeit gefunden werden. Für Amisulprid wurden eine (n = 30), für Zotepin fünf und für Remoxipride vier Untersuchungen gefunden, in denen ohne nähere Angaben keine outcome-Unterschiede festgestellt wurden.
Aus diesen Angaben wird eine sehr unsichere Datenlage ersichtlich. Wie die Autoren selbst anmerken, wäre der Vorteil von Olanzapin noch eindeutiger bei Weglassen der Benzatropinprohylaxe ausgefallen und es damit zu einem signifikanten Ergebnis gekommen. Ob es sich bei den berücksichtigten Quetiapin- und Risperidonstudien um geeignete Vergleiche handelt, bleibt angesichts der niedrigen Typika-Dosen und fehlenden Atypika-Dosisangaben dahingestellt. Dasselbe gilt bei einer kleinen Fallzahl für die Amisulpridstudie sowie bei mangelnden Angaben für drei von fünf Zotepinstudien.
Als wesentliches Ergebnis der Untersuchung von Leucht et al. ergibt sich somit, dass
-
die Studienlage bezüglich des Vergleichs Atypika - niedrigpotente Neuroleptika unzureichend ist
-
sich - mit Einschränkungen - ältere niedrigpotente Neuroleptika im Dosisbereich bis 600 mg Chlorpromazinäquivalente von Atypika nicht hinsichtlich der EPS-Rate unterscheiden.
Jedoch sind, wie bereits auch die Autoren anmerken, die zur Verfügung stehenden Studien entweder zu alt (Publikationszeitraum 1974-2000), sodass teilweise noch keine standardisierten Wirksamkeitsparameter erhoben wurden, oder es wurden zu kurze Zeiträume gewählt (nur eine Studie über ein Jahr, zwei über 12 Wochen, der Rest kürzer), um daraus definitive Rückschlüsse auf die Über- oder Unterlegenheit von Atypika zu ziehen. Darüber hinaus wird auch darauf verwiesen , dass der optimale antipsychotisch wirksame Dosisbereich von Chlorpromazin in der Literatur unterschiedlich eingeschätzt wird mit Angaben von 375-940 mg/die. Die möglicherweise gleich gute Verträglichkeit ist aber nur relevant, wenn auch die Wirksamkeit in diesem Bereich vergleichbar ist.
Zu dem Schluss, dass die Datenlage zur Beurteilung der Überlegenheit atypischer Neuroleptika unzureichend ist, kommt im Übrigen auch die Task Force der WPA in ihrem Update vom März 2003 (Kupfer DJ, Sartorius N, editors. The Usefulness and Use of Second-Generation Antipsychotic Medications - an Update. Current Opinion in Psychiatry 2003; 16 (Suppl.1): 7-21). Es bleibt also festzuhalten, dass entgegen dem suggestiven Titel im Ärzteblatt keine verlässliche Datenbasis existiert, aufgrund derer eine Bevorzugung von niedrigpotenten Neuroleptika gegenüber Atypika begründet werden könnte. Der Autor Leucht votiert bezüglich der Wirksamkeit sogar eher für die Atypika.
1 Meldung: Deutsches Ärzteblatt vom 12. Mai 2003
1 Atypische Antipsychotika: Zweifel an besserer Verträglichkeit
1 Das geringe Risiko von extrapyramidalen Nebenwirkungen gilt als wesentlicher Vorteil der so genannten Atypischen Antipsychotika gegenüber älteren Neuroleptika. Doch eine systematische Übersicht und Meta-Analyse im Lancet (2003; 361: 1581-89) kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass dieser Vorteil auf einem ungeeigneten Vergleich mit hoch dosiertem Haloperidol beruht. Psychiater der Technischen Universität München sehen in den älteren Medikamenten deshalb eine kosteneffektive Option in der Behandlung der Schizophrenie. Niedrig potente Neuroleptika wie Chlorpromazin würden weltweit häufig eingesetzt, vor allem in Ländern, deren Gesundheitssystem sich die neueren und wesentlich teureren Medikamente nicht leisten könne. Ein Grund für die niedrige Dosierung ist das geringere Risiko von extrapyramidalen Nebenwirkungen (EPS). Ihre Inzidenz ist bei den Medikamenten dosisabhängig. Dosisabhängig ist im Prinzip auch die Wirkung, doch dass die niedrig dosierten Medikamente schlechter wirken als die neuen Atypischen Antipsychotika, sei keineswegs sicher.
1 Leucht hat zu diesem Zweck 31 prospektive randomisierte Studien mit insgesamt 2 320 Patienten analysiert. Ergebnis: Nur für Clozapin wurde eine stärkere Wirkung gefunden. Das Mittel ist auch gleichzeitig mit weniger EPS assoziiert. Clozapin hat aber den Nachteil, dass es zu schweren Blutbildveränderungen kommen kann, die unerkannt zum Tod führen können. Deshalb werden häufiger andere Atypische Antipsychotika bevorzugt.
1 Für diese Medikamente sind jedoch eine überlegene Wirkung und eine bessere Verträglichkeit hinsichtlich der EPS-Problematik nicht erwiesen, schreiben die Autoren. Olazepin besitzt, so die Gruppe, nur eine fragliche bessere Verträglichkeit. Für Amisulprid, Quetiapin und Risperidon gebe es nur eine unschlüssige Studie, für Ziprasidon und Sertindol gar keine Untersuchung.
1 Für Zotepin und Remoxiprid gebe es einige Hinweise dafür, dass diese Mittel die gleiche Rate von EPS haben wie die schwach wirksamen Neuroleptika. Chlorpromazin verursache in Dosierungen von unter 600 mg/die keine im Vergleich zu den neuen Medikamenten erhöhte Rate an EPS. Insgesamt sei die Datenlage zu schlecht, um daraus Empfehlungen abzuleiten. Leucht fordert deshalb neue Studien zu den älteren Medikamenten. Wenn sie gleich stark wirksam seien und nicht häufiger zu EPS führen, seien sie eine kostengünstige Alternative zu den neueren Medikamenten.
2 New generation antipsychotics versus low-potency conventional antipsychotics: a systematic review and meta-analysis
2 Leucht S, Wahlbeck K, Hamann J, Kissling W. Lancet 2003; 361: 1581-1589
2 BACKGROUND: The clearest advantage of new generation, atypical antipsychotics is a reduced risk of extrapyramidal side-effects (EPS), compared with conventional compounds. These findings might have been biased by the use of the high-potency antipsychotic haloperidol as a comparator in most of the trials. We aimed to establish whether the new drugs induce fewer EPS than low-potency conventional antipsychotics. METHODS: We did a meta-analysis of all randomised controlled trials in which new generation antipsychotics had been compared with low-potency (equivalent or less potent than chlorpromazine) conventional drugs. We included studies that met quality criteria A or B in the Cochrane Collaboration Handbook, and assessed quality with the Jadad scale. The primary outcome of interest was the number of patients who had at least one EPS. We used risk differences and 95 % CIs as measures of effect size. FINDINGS: We identified 31 studies with a total of 2320 participants. Of the new generation drugs, only clozapine was associated with significantly fewer EPS (RD=-0.15, 95 % CI -0.26 to -0.4, p=0.008) and higher efficacy than low-potency conventional drugs. Reduced frequency of EPS seen with olanzapine was of borderline significance (-0.15, -0.31 to -0.01, p=0.07). Only one inconclusive trial of amisulpride, quetiapine, and risperidone and no investigations of ziprasidone and sertindole were identified, but some evidence indicates that zotepine and remoxipride do not lead to fewer EPS than low-potency antipsychotics. Mean doses less than 600 mg/day of chlorpromazine or its equivalent had no higher risk of EPS than new generation drugs. As a group, new generation drugs were moderately more efficacious than low-potency antipsychotics, largely irrespective of the comparator doses used. INTERPRETATION: Optimum doses of low-potency conventional antipsychotics might not induce more EPS than new generation drugs. Potential advantages in efficacy of the new generation drugs should be a factor in clinical treatment decisions to use these rather than conventional drugs.
2 Quelle: www.ncbi.nlm.nih.gov
#Korrespondenzadresse
Dr. med. Thilo Hashemi
Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Rheinischen Kliniken Essen.
45147 Essen
eMail: Thilo.Hashemi@uni-essen.de
1 Meldung: Deutsches Ärzteblatt vom 12. Mai 2003
1 Atypische Antipsychotika: Zweifel an besserer Verträglichkeit
1 Das geringe Risiko von extrapyramidalen Nebenwirkungen gilt als wesentlicher Vorteil der so genannten Atypischen Antipsychotika gegenüber älteren Neuroleptika. Doch eine systematische Übersicht und Meta-Analyse im Lancet (2003; 361: 1581-89) kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass dieser Vorteil auf einem ungeeigneten Vergleich mit hoch dosiertem Haloperidol beruht. Psychiater der Technischen Universität München sehen in den älteren Medikamenten deshalb eine kosteneffektive Option in der Behandlung der Schizophrenie. Niedrig potente Neuroleptika wie Chlorpromazin würden weltweit häufig eingesetzt, vor allem in Ländern, deren Gesundheitssystem sich die neueren und wesentlich teureren Medikamente nicht leisten könne. Ein Grund für die niedrige Dosierung ist das geringere Risiko von extrapyramidalen Nebenwirkungen (EPS). Ihre Inzidenz ist bei den Medikamenten dosisabhängig. Dosisabhängig ist im Prinzip auch die Wirkung, doch dass die niedrig dosierten Medikamente schlechter wirken als die neuen Atypischen Antipsychotika, sei keineswegs sicher.
1 Leucht hat zu diesem Zweck 31 prospektive randomisierte Studien mit insgesamt 2 320 Patienten analysiert. Ergebnis: Nur für Clozapin wurde eine stärkere Wirkung gefunden. Das Mittel ist auch gleichzeitig mit weniger EPS assoziiert. Clozapin hat aber den Nachteil, dass es zu schweren Blutbildveränderungen kommen kann, die unerkannt zum Tod führen können. Deshalb werden häufiger andere Atypische Antipsychotika bevorzugt.
1 Für diese Medikamente sind jedoch eine überlegene Wirkung und eine bessere Verträglichkeit hinsichtlich der EPS-Problematik nicht erwiesen, schreiben die Autoren. Olazepin besitzt, so die Gruppe, nur eine fragliche bessere Verträglichkeit. Für Amisulprid, Quetiapin und Risperidon gebe es nur eine unschlüssige Studie, für Ziprasidon und Sertindol gar keine Untersuchung.
1 Für Zotepin und Remoxiprid gebe es einige Hinweise dafür, dass diese Mittel die gleiche Rate von EPS haben wie die schwach wirksamen Neuroleptika. Chlorpromazin verursache in Dosierungen von unter 600 mg/die keine im Vergleich zu den neuen Medikamenten erhöhte Rate an EPS. Insgesamt sei die Datenlage zu schlecht, um daraus Empfehlungen abzuleiten. Leucht fordert deshalb neue Studien zu den älteren Medikamenten. Wenn sie gleich stark wirksam seien und nicht häufiger zu EPS führen, seien sie eine kostengünstige Alternative zu den neueren Medikamenten.
2 New generation antipsychotics versus low-potency conventional antipsychotics: a systematic review and meta-analysis
2 Leucht S, Wahlbeck K, Hamann J, Kissling W. Lancet 2003; 361: 1581-1589
2 BACKGROUND: The clearest advantage of new generation, atypical antipsychotics is a reduced risk of extrapyramidal side-effects (EPS), compared with conventional compounds. These findings might have been biased by the use of the high-potency antipsychotic haloperidol as a comparator in most of the trials. We aimed to establish whether the new drugs induce fewer EPS than low-potency conventional antipsychotics. METHODS: We did a meta-analysis of all randomised controlled trials in which new generation antipsychotics had been compared with low-potency (equivalent or less potent than chlorpromazine) conventional drugs. We included studies that met quality criteria A or B in the Cochrane Collaboration Handbook, and assessed quality with the Jadad scale. The primary outcome of interest was the number of patients who had at least one EPS. We used risk differences and 95 % CIs as measures of effect size. FINDINGS: We identified 31 studies with a total of 2320 participants. Of the new generation drugs, only clozapine was associated with significantly fewer EPS (RD=-0.15, 95 % CI -0.26 to -0.4, p=0.008) and higher efficacy than low-potency conventional drugs. Reduced frequency of EPS seen with olanzapine was of borderline significance (-0.15, -0.31 to -0.01, p=0.07). Only one inconclusive trial of amisulpride, quetiapine, and risperidone and no investigations of ziprasidone and sertindole were identified, but some evidence indicates that zotepine and remoxipride do not lead to fewer EPS than low-potency antipsychotics. Mean doses less than 600 mg/day of chlorpromazine or its equivalent had no higher risk of EPS than new generation drugs. As a group, new generation drugs were moderately more efficacious than low-potency antipsychotics, largely irrespective of the comparator doses used. INTERPRETATION: Optimum doses of low-potency conventional antipsychotics might not induce more EPS than new generation drugs. Potential advantages in efficacy of the new generation drugs should be a factor in clinical treatment decisions to use these rather than conventional drugs.
2 Quelle: www.ncbi.nlm.nih.gov
#Korrespondenzadresse
Dr. med. Thilo Hashemi
Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Rheinischen Kliniken Essen.
45147 Essen
eMail: Thilo.Hashemi@uni-essen.de