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DOI: 10.1055/s-2003-815004
Der Fortschritt ist cool
Neue ILCOR-Klasse-I-EmpfehlungThe Cool ProgressNew ILCOR-Level-I-StatementPublication History
Publication Date:
07 October 2004 (online)
Tierexperimente belegen schon seit über zehn Jahren den zerebroprotektiven Effekt der Hypothermie nach Hypoxie wie auch anderen Noxen. Eindrucksvolle Kasuistiken von akzidenteller Hypothermie, z. B. kindliche Ertrinkungsunfälle, wiesen immer wieder auf den Nutzen der Unterkühlung beim Herz-Kreislauf-Stillstand hin. Dass nicht nur die sofortige Kühlung, z. B. beim Einbruch ins Eis, einen schützenden Effekt auf den Hirnstoffwechsel und die Integrität der Zelle hat, sondern auch die erst auf der Intensivstation begonnene therapeutische Hypothermie, hat die Europäische Multizenterstudie (Hypothermia after Cardiac Arrest Study Group, HACA) unter Leitung von Sterz u. Holzer (Wien) eindrucksvoll belegt [1]: Es wurden 137 Patienten für 24 Stunden unter Relaxation und Narkose auf 33 ± 1 C° gekühlt. Die Verbesserung des Outcomes ohne wesentliches neurologisches Defizit (CPC 1 - 2 nach 6 Monaten) von 39 auf 55 % nach primär erfolgreicher Reanimation nach Kammerflimmern ist in ihrer Deutlichkeit überraschend. Dies ist umso bemerkenswerter, als es in der klinischen Reanimationsforschung extrem schwierig ist, einen Trend in Einzeldaten auch bis ins Outcome fortzusetzen und den Nutzen dort nachzuweisen. Als Beispiel sei an die ACD-Pumpe zur Herzmassage mit eindeutigen hämodynamischen Befunden, aber nur schwer belegter Outcomeverbesserung erinnert oder auch an die aktuelle Vasopressindiskussion.
Natürlich ging es auch bei dieser Studie nur um die „guten” Reanimationspatienten: Die Einschlusskriterien (unter anderem Alter unter 75, Kammerflimmern als Erstbefund und stabiler Kreislauf bei Krankenhausaufnahme) erfüllten nur 275 Patienten, die im Studienzeitraum von drei Jahren im Rettungsdienstbereich der neun Studienzentren (u. a. Wien, Helsinki, Brüssel, Brügge, Bonn) reanimiert wurden. Bei der Bewertung dieser Fakten darf nicht unterschätzt werden, dass die Prognose von Patienten, die die medizinisch-logistischen Einschlusskriterien nicht erfüllen, nicht Null, aber auch nicht weit davon entfernt ist.
Parallel zur Publikation der HACA-Studie hat die Arbeitsgruppe von Bernard in vier Kliniken in Melbourne/Australien mit kleinerer Patientenzahl (n = 77) ähnliche Ergebnisse durch Oberflächenkühlung schon im Rettungsdienst erzielt und im selben Heft des New England Journal of Medicine publiziert [2]. Beiden Publikationen galt ein Editorial von Peter Safar, dem 2003 verstorbenen Vater der Reanimationsforschung, in dem er im Februar 2002 zusammenfassend die milde Hypothermie nach erfolgreicher Wiederbelebung empfahl - „so früh wie möglich und für wenigstens 12 Stunden” [3].
Schon im Oktober 2002 hat die „ALS-Task Force” des ILCOR-Gremiums die Konsequenzen aus den Veröffentlichungen des New England Journals gezogen und im Vorgriff auf die erst 2005 zu erwartenden neuen Reanimationsrichtlinien die therapeutische Hypothermie empfohlen: „Bewusstlose Erwachsene mit Spontankreislauf nach präklinischer Reanimation sollten auf 32 - 34 °C für 12 - 24 Stunden gekühlt werden, wenn der Initialrhythmus Kammerflimmern war. Diese Kühlung kann auch für andere Initialrhythmen oder die innerklinische Reanimation von Vorteil sein”. Diese Klasse-I-Empfehlung des ILCOR-Gremiums wurde erst im Juni 2003 veröffentlicht [4] und ist bislang im deutschen Sprachraum noch unzureichend wahrgenommen worden.
Inzwischen ist auch die risikoarme Kühlungstechnik durch Oberflächenkühlung und gekühlte Infusionen (2 - 3 Liter 6 - 8 °C kalte Lösung ohne Lungenödem in 22 Fällen) belegt [5]. Und auch die Beschränkung auf kardial bedingte Herzstillstände (für diese, speziell nach Kammerflimmern gelten die wissenschaftlichen Belege) scheint nach einer Publikation von vier nicht koronaren Kasuistiken aus Finnland nicht länger notwendig [6]. Fehlende Nebenwirkungen sowie die vorliegende Klasse-I-Empfehlung des ILCOR-Gremiums lassen ein weiteres interessiertes Zuwarten und Beobachten nicht mehr zu - zumal wir für die Therapie post-CPR auf der Intensivstation kein anderes spezifisches Konzept haben.
Im eigenen Rettungsdienst haben wir mit improvisierten Kühlungstechniken (Aufdecken, Icepacks, kalte Infusionen, ggf. Gefriergut aus der häuslichen Tiefkühltruhe) alle Patienten bereits bei Ankunft auf der Intensivstation innerhalb des therapeutischen Temperaturfensters von 32 - 34 °C gehabt, die meisten deutlich im angestrebten Bereich. Die Patientenzahl in dieser ersten Auswertung ist allerdings noch zu klein, um definitive Empfehlungen zu formulieren [7]. Die Fortsetzung erfolgte auf der Intensivstation mit gekühlten Lösungen unter Narkose und Relaxation zur Vermeidung der Wärmeproduktion. Es sprechen die Logik und auch unsere ersten Ergebnisse dafür, dass sich das Ergebnis der HACA-Studie noch deutlich verbessern lässt, denn in der Studie wurde wegen der Randomisierung erst auf der Intensivstation mit der Kühlung begonnen und die Zieltemperatur wurde erst im Median aller Patienten acht Stunden nach Wiederkehr des Spontankreislaufs erreicht (nach Beseitigung anfänglicher Logistikprobleme hatten wir die Patienten der beiden Bonner Studienzentren allerdings in zwei bis zweieinhalb Stunden im Zielgebiet).
Für die Intensivstation sind bessere, weil elektronisch geregelte, Kühlverfahren vorhanden (z. B. intravenöse Kühlkatheter, Fa. Alsius), andere in Weiterentwicklung (Kühlmatratze und Zelt, Fa. KCI). Ob sie sich durchsetzen, wird auch eine Frage der Bezahlbarkeit und vielleicht medikolegaler Rahmenbedingungen sein.
Für den Rettungsdienst sind die geschilderten Behelfsverfahren zunächst ausreichend (eine elektrische Kühlbox auf dem NEF für die Infusionen wäre hilfreich und auch kein nennenswerter Aufwand) - man muss die vorhandenen Möglichkeiten nur endlich anwenden. Dabei soll nicht vergessen werden, dass die Kühlmaßnahmen erst nach Wiederherstellung des Kreislaufs infrage kommen, also z. B. mit Beginn des Transports.
Keinesfalls dürfen durch Kühlung Zeit und Manpower vergeudet werden, die für die Durchführung der Basis- und erweiterten Maßnahmen gemäß den ILCOR-Richtlinien erforderlich wären. Auch andere Interventionen, z. B. die sofortige Koronarangiographie, dürfen durch Kühlungsmaßnahmen nicht verzögert werden.
Weitere Details werden wir in einem der nächsten Hefte des „Notarzt” präsentieren.
Packen wir’s endlich an: Der Fortschritt ist cool.
Literatur
- 1 The Hypothermia after Cardiac Arrest Study Group . Mild therapeutic hypothermia to improve neurologic outcome after cardiac arrest. N Engl J Med. 2002; 346 549-556
- 2 Bernard S A, Gray T W, Buist M D, Jones B M, Silvester W, Gutteridge G, Smith K. Treatment of comatose survivors of out-of-hospital cardiac arrest with induced hypothermia. N Engl J Med. 2002; 346 557-563
- 3 Safar P J, Kochanek P M. Therapeutic hypothermia after cardiac arrest (editorial). N Engl J Med. 2002; 346 612-613
- 4 Nolan J P, Morley P T, Hoeck T L Vanden, Hickey R W,. ALS Task Force . Therapeutic hypothermia after cardiac arrest. An advisory statement by the Advanced Life Support Task Force of the International Liaison Committee on Resuscitation. Resuscitation. 2003; 57 231-235 , und Circulation 2003; 108: 118 - 121
- 5 Bernard S, Buist M, Monteiro O, Smith K. Induced hypothermia using large volume, ice-cold intravenous fluid in comatose survivors of out-of-hospital cardiac arrest: a preliminary report. Resuscitation. 2003; 56 9-13
- 6 Silvast T, Tiainen M, Poutiainen E, Roine R O. Therapeutic hypothermia after prolonged cardiac arrest due to non-coronary causes. Resuscitation. 2003; 57 109-112
- 7 Födisch M J, Bartsch A. Preclinical cooling treatment as early start of therapeutic hypothermia in out-of-hospital cardiac arrest. A Case Report. Crit Care Med. 2003; 31, 12 (Suppl) A 64
A. Bartsch
Ev. Waldkrankenhaus
53177 Bonn
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