intensiv 2004; 12(6): 277-285
DOI: 10.1055/s-2004-813613
Intensivmedizin

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Medizinische Fehler im Krankenhaus - Quelle der Besorgnis=0x(126)

Zahlen, Fakten und Ansatzpunkte der PräventionHardy-Thorsten Panknin1
  • 1Berlin
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Publikationsdatum:
09. November 2004 (online)

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Problemstellung und Epidemiologie

Eigentlich sollte das Krankenhaus mit ihren professionellen Mitarbeitern ein sicherer Hafen für die Patienten sein, doch haben Fehler in der Medizin bzw. während einer Krankenhausbehandlung in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Ein Behandlungsschaden oder unerwünschtes Ereignis (adverse event) ist ein unerwünschtes, körperliches oder psychisches Ereignis bei der Gesundheitsversorgung, welches nicht durch die zugrunde liegende Krankheit verursacht wird. Ein Behandlungsfehler (preventable adverse event) ist ein ­vermeidbares, unerwünschtes körperliches oder psychisches Ereignis der Gesundheitsversorgung, welches ebenfalls nicht durch die zugrunde liegende Krankheit verursacht wird.

Als Medikamentenfehler (medication error) wird ein negatives Ereignis zwischen Anordnung eines Medikaments und der Einnahme durch den Patienten bezeichnet.

Zwei große US-amerikanische Studien haben eine Komplikationsrate bei Krankenhausbehandlungen zwischen 2,9 und 3,7 % beschrieben. Zwischen 6,6 und 13,6 % der erfassten Fälle verliefen dabei tödlich.

In beiden Studien waren die Komplikationen Folge von medizinischen Fehlern und hätten vermieden werden können.

Rechnet man diese Zahlen auf die ­Gesamteinweisungsrate in den USA (33,6 Mio./1997) hoch, wie dies in einem Bericht des 1998 gegründeten Komitees zur Qualität der Gesundheitsversorgung des Institute of Medicine (IOM) der Nationalen Akademie [7] getan wird, sterben jährlich mindestens 44 000 bis 98 000 Amerikaner im Krankenhaus infolge medizinischer Fehler. Damit rangieren medizinische Fehler auf Rang acht der Todesursachen-Statistik; noch vor tödlichen Autounfällen, Brustkrebs oder Aids. Diese Zahlen sind Besorgnis erregend, da sie beispielsweise den Absturz eines Großraumflugzeugs pro Tag beziffern.

Darüber hinaus kommt es zu etwa einer Million „Unglücksfällen” während der medizinischen Versorgung, die nicht tödlich sind, aber möglicherweise Folgeschäden nach sich ziehen.

Schätzungen der nationalen Gesamtkosten in den USA durch vermeidbare und unerwünschte Ereignisse mit oder ohne Todesfolge betragen zwischen 17 und 29 Milliarden US-Dollar, wovon die Hälfte der Kosten konsekutive Gesundheitskosten sind.

Neuere Studien aus Australien, Kanada und England bestätigen die Ergebnisse aus den USA. Die Inzidenz von medizinischen Fehlern liegt zwischen 2,9 % und 10,8 % und steigt auf 16,6 % an, wenn auch Fehler im Rahmen der Behandlung vor der Aufnahme eingeschlossen werden [21] [22] [23]. Die Letalitätsrate wird mit 4,9 bis 13,6 % beziffert. Aus den Zahlen kann geschlussfolgert werden, dass die Wahrscheinlichkeit eines Patienten, während der Klinikbehandlung an einem medizinischen Fehler zu versterben, zwischen 1 : 600 und 1 : 200 beträgt!

Die Studien zeigten auch, dass ca. die Hälfte aller Fehler als vermeidbar eingestuft werden konnte.

Es muss dabei aber sehr kritisch angemerkt werden, dass die vermeidbaren unerwünschten Ereignisse mit Todesfällen häufig bei schwer kranken Patienten aufgetreten sind, die sowieso ohne intensivmedizinische Maximal­therapie das Krankenhaus nicht lebend verlassen hätten!

In einem Krankenhaus mit 700 Betten muss beispielsweise bei einer 2 %igen Medikationsfehlerrate mit ca. 2,8 Mio. $ (mittlere Mehrkosten pro betroffenen Patienten 4700 $) gerechnet werden [1].

Allein Medikationsfehler - ob klinisch oder ambulant - führen zu geschätzten 7000 Toten pro Jahr in den USA [7].

All diese Schätzungen repräsentieren nur die Spitze eines Eisberges, da Krankenhauspatienten nur ein kleiner Teil der gefährdeten Bevölkerung („Patienten”) und direkte Krankenhauskosten nur ein Bruchteil der Gesamtkosten sind.

Weitaus mehr Versorgung und zunehmend auch immer komplexere Versorgung finden ambulant statt, beispielsweise bei ambulant tätigen Chirurgen, in Niedergelassenenpraxen oder in Tageskliniken. Hinzu kommen andere Versorgungseinrichtungen wie Pflege- und Altenheime, in denen gefährdete Bevölkerungskreise viele weitere medizinische Dienstleistungen erhalten. Es ist nicht anzunehmen, so heißt es im IOM-Bericht, dass medizinische Kunstfehler allein im Krankenhausumfeld passieren. Wahrscheinlicher ist, dass dies in allen Bereichen der medizinischen Versorgung möglich ist [7].

Literatur

Hardy-Thorsten Panknin

Badensche Straße 49

10715 Berlin

eMail: ht.panknin@worldonline.de