Einleitung
Es besteht kein Zweifel, dass aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung in den Industriestaaten und der epidemiologischen Situation bei Stoffwechsel- und Ernährungskrankheiten mit einer Zunahme chronischer Wundpatienten zu rechnen ist.
Schätzungsweise 60 % bis 80 % aller chronischen Wundpatienten leiden an venösen und gemischten venös-arteriellen Ulzera der unteren Extremität. Neuropathische Ulzera sind vergleichsweise seltener, verursachen jedoch z. T. hohe Folgekosten und bergen auch ein hohes Amputationsrisiko.
Dekubitalgeschwüre sind ein Problem im Qualitätsmanagement operativer Disziplinen, der Neurologie und Geriatrie. Prävention und Behandlung sind mit einem hohen Personalaufwand verknüpft. Alle chronischen Wunden reduzieren die Lebensqualität der Patienten, verursachen soziale und medizinische Kosten und stellen eine hohe Belastung des Gesundheitshaushaltes dar [1]
[2]
[3]
[4].
Dabei sind die Hauptkosten der medizinischen Behandlung bei den Diagnosegruppen durchaus unterschiedlich verteilt. So wird bei venösen Ulzera der Hauptanteil der Kosten durch ambulante Versorgung, beim diabetischen Fuß-Syndrom jedoch durch stationäre, meist operative Behandlung bedingt [5]
[6]
[7].
Zur Verbesserung dieser Situation sind Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Wundversorgung, Primär- und Sekundärprävention sowie strukturelle und organisatorische Veränderungen in den letzten Jahren eingeführt worden. Textile Lösungen sind vergleichsweise unterschätzte Ansätze, obgleich deren Potenzial in der Praxis ganz erheblich sein kann [8]
[9]
[10]
[11]
[12]. Eine derartige textile Lösung stellen Abstandsgewebe dar, die im Folgenden besprochen werden sollen [13].
Abstandsgewirke
Abstandsgewirke stellen eine Kombination von Polfäden mit zwei textilen Flächen dar. Durch geeignetes Design der Komponenten kann ein funktionelles Textil für verschiedene Anwendungen entwickelt werden. Die Herstellung erfolgt mit einer Raschelmaschine mit 6 Grundlegebarren, Zungennadel-, Abschlag- und Stechkammbarren. Der Abstand der Nadelbarren ist variabel. Auf diese Weise kann die erforderliche Dicke des Textils und das Luftvolumen zwischen den beiden textilen Außenflächen bestimmt werden (Abb. [1]) [14]. Durch Auswahl der Polfäden werden Steifigkeit, Elastizität, Druckverteilung, Feuchte- und Wärmeleitvermögen beeinflusst. Monofile, kapilläre, multifile Fasern sind möglich. Durch chemische Modifikationen an der Oberfläche oder Kombination von Fasern wird die Palette technischer Möglichkeiten vergrößert. So sind beispielsweise Flüssigkeitsaufnahmen von den textilen Oberflächen in weniger als 3 Sekunden zu realisieren. Der Sorptions-Index erreicht Werte von 0,1 Sekunden. Dampfdiffusionswerte erreichen die Größenordnung, die für körperanliegende Wäsche nach DIN EN 31 092 empfohlen werden [15]. Ein gerichteter Flüssigkeitstransport wird beispielsweise durch Zellulosefasern oder Kombinationen von synthetischen Fasern möglich [16]. Das Wärmeisolationsverhalten ist günstiger als für etablierte OP-Tischauflagen auf Gelbasis [15]. Damit verringert sich das Risiko der Auskühlung von Patienten im OP und somit auch das Risiko der Dekubitusentstehung. Dies gilt im Prinzip auch für Bettaustattungen mit einem solchen Textil. Hierbei ist die Inkontinenz ein Risikofaktor der Dekubitusentstehung. Gerichteter Flüssigkeitstransport weg vom Patienten hilft in der Dekubitusprävention [17].
Abb. 1 Querschnitt durch ein Abstandsgewirke. Man erkennt sehr schön die Anordnung der Polfäden, die an eine Brückenkonstruktion erinnert.
Druckentlastung wird durch Veränderung des Polfadenwinkels, der Polfadendichte und des Polfadenmaterials erzielt. Im Rahmen von Dummy-Experimenten konnte eine erhebliche Reduktion von Druckspitzen z. B. im Beckengürtelbereich erzielt werden. Minderungen des mittleren Auflagedruckes von bis zu 25 % konnten durch leichte Abstandsgewirke erreicht werden. In einer Anwendungsbeobachtung über 12 Monate wurden im eigenen OP keine Auskühlung oder Dekubitusentwicklung festgestellt. Von Vorteil war auch die geringe Flächendichte im Vergleich zu herkömmlichen Gelmatten. Auf diese Weise ist ein besseres Handling für OP-Pflegekräfte möglich [vgl. 17].
Gesticke als Spacer
Sticktechniken erlauben es, dreidimensionale textile Strukturen mit strukturierter Oberfläche zu erzeugen. Diese technologischen Lösungen sind auch für schlauchartige Gebilde z. B. in der Gefäßprothetik denkbar [18]. Im Rahmen der Wundbehandlung sind mechanische Stimulation und Flüssigkeitstransport von größerer Bedeutung. Auf der Grundlage der Stickereitechnik wurde ein funktionelles Wundpad entwickelt (Tissupor®, Abb. [2 a]). Der Wunde zugewandt ist eine gestickte Grundstruktur aus PET/Polyamid. Ein daran anschließendes Abstandsgewirke aus PES übernimmt Scherkräfte, überträgt Kompression und absorbiert Wundexsudat in einer Viskose-Vliesschicht. Den Abschluss bildet ein dichtes Gewebe aus PES. Es garantiert mechanischen Schutz und kontrolliert zudem den Feuchtigkeits- und Gastransport. Aufgrund der wundseitigen Porengröße von 10 - 300 µm ist ein Einwachsen von Granulationsgewebe möglich (Abb. [2 b]). Über lokale mechanische Stimulation wird die Granulation und Neoangiogenese gefördert [19]. In-vitro-Untersuchungen mit 3T3-Fibroblasten in verschiedenen Zytotoxizitäts-Assays konnten keinerlei zytotoxische Wirkungen nachweisen. Eine Studie im Schweizer Paraplegie-Zentrum Nottwil an 35 Patienten mit Dekubitus zeigte eine Stimulation der Wundheilung bei guter Verträglichkeit [20]. Von Vorteil ist der seltenere Verbandwechsel im Vergleich zur konventionellen Behandlung. Eigene, unkontrollierte Beobachtungen bei chronischen Wunden sprechen für Einsatzmöglichkeiten bei tieferen Ulzera auf der Basis von venösen oder gemischt venös-arteriellen Gefäßleiden, bei sekundär heilenden OP-Wunden, beim diabetischen Fuß-Syndrom und Dekubitus, Phlegmone (nach chirurgischer Spaltung) und anderen Weichteildefekten [19].
Abb. 2 Strukturiertes Composite-Wundpad auf Grundlage der Sticktechnologie: a TISSUPOR®.
b Scanning-Elektronenmikroskopie der strukturierten, verschieden-porigen Oberfläche zur Stimulation der Neoangiogenese.
Ausblick
Textile Lösungen für Wundprävention und -behandlung sind Erfolg versprechend, wenn diese in ein Wundmanagement eingebettet werden. In der Zukunft sind Designerlösungen für spezielle Problemfelder zu erwarten. Textile Technologien sind auch für biodegradable Wundauflagen oder Scaffolds im Rahmen des Tissue Engineerings zu erwarten. Dabei könnte der Einsatz natürlicher Fasermaterialien von größerem Interesse sein [vgl. 17, 21].