Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2004; 39(6): 368-370
DOI: 10.1055/s-2004-814437
Die Kontroverse
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kontra: Cufftuben in der Anästhesie im Kleinkindesalter

Contra: Cuffed Endotracheal Tubes in Small ChildrenJ.  Holzki1
  • 1 Kinderklinik Köln, Abteilung für Kinderanästhesie und Operative-Intensivmedizin
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Publication Date:
14 June 2004 (online)

Die Diskussion um geblockte Tuben im Kindesalter, vor allen Dingen bei Neugeborenen und Kleinkindern, sollte eigentlich beendet sein, nachdem dies Thema ausführlich diskutiert wurde, auch mit HNO-Ärzten, die regelmäßig Intubationstraumen im Kindesalter behandeln [1] [2].

Eckenhoffs seit 50 Jahren bestehende Regel, geblockte Tuben seien vor dem 8. Lebensjahr nicht nötig, gilt mit wenigen Ausnahmen natürlich auch weiterhin, unabhängig davon, wie sich Anästhesisten individuell verhalten [3]. Der Vorteil dieser Regel ist durch eine mehr als 50-jährige Praxis belegt.

Nur durch prospektive, randomisierte Studien, in denen die Resultate von gut definierten Intubationsarten mit klar definierten Fabrikaten endoskopisch überprüft würden, könnte diese Regel überzeugend umgestoßen werden. Diese Studien bedürften aber einer sehr großen Zahl von Probanden, weil die Sicherheit des ungeblockten Tubus im frühen Kindesalter millionenfach belegt ist.

Die schwerwiegenden Traumen an Kehlkopf und Trachea, die durch geblockte Tuben unnötigerweise entstanden und dokumentiert sind [2] [4] (Abb. [1 a] [1 b]), sollten ausreichen, die routinemäßige Anwendung von geblockten Tuben äußerst vorsichtig und kritisch zu betrachten, auch wenn der zu dicke Tubus zahlenmäßig viel häufiger für Intubationstraumen im frühen Kindersalter verantwortlich ist. Die Blockungsmanschette bedeutet aber eine zusätzliche, völlig unnötige Gefahr für diese Altersgruppe. Tuben kann man im frühen Kindersalter nicht vermeiden, Blockungsmanschetten aber sehr wohl.

Abb. 1 a Dieser für Kinder empfohlene Tubus zeigt am Übergang der Blockungsmanschette zum Tubusschaft eine scharfe Stufenbildung, die verletzungsrelevant ist (s. Abb. [1 b]).

Abb. 1 b Die scharfen Übergänge von der Manschette zum Tubusschaft und die Manschettenfalten verursachen Schleimhautverletzungen!

Die am häufigsten zitierten Studien, die die Unbedenklichkeit geblockter Intubationen im Kindesalter belegen sollen, erfüllen die wissenschaftlichen Voraussetzung zu einer solchen Aussage nicht. In einer Studie wurden Kinder mit einem Durchschnittsalter von 8,1 Jahren (geblockte) bzw. 2,5 Jahren (ungeblockte Tuben) verglichen [5]. Mit einem solchen Studienhintergrund wird keine wissenschaftliche Aussage zur Ungefährlichkeit geblockter Tuben gemacht, sondern nur die übliche (und sinnvolle) Praxis belegt, dass man bei Kindern um das 8. Lebensjahr geblockte Tuben benutzt, bei Kindern um das 2. Lebensjahr dagegen ungeblockte.

In einer weiteren viel zitierten Studie [6] waren jeweils etwa 250 Kinder bis zu einem Alter von 8 Jahren für Kurzzeiteingriffe (< 60 min) mit geblockten Tuben anästhesiert worden. Als Studienergebnisse wurde die Häufigkeit von Stridor in beiden Gruppen überprüft, die Häufigkeit war in beiden Gruppen gleich. Endoskopien erfolgten nach der Extubation nicht, auch nicht bei Kindern mit Postextubationsstridor.

Bei solchen Kurzzeitanästhesien ist unter der erhöhten Aufmerksamkeit eines Studienablaufs natürlich auch kein Unterschied zu erwarten.

Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass geblockte und ungeblockte Tuben in gleichem Maße auch bei Neugeborenen sicher seien, wie es die Autoren folgerten, ist recht verwegen und wissenschaftlich nicht haltbar, weil ein Stridor nach Extubation kein verlässliches Maß für einen Atemwegsschaden ist. Vielfach ist belegt worden, dass schwere Intubationsschäden, selbst zirkuläre Schleimhautnekrosen von Subglottis oder Trachea, oft keinen Stridor hervorrufen [4] [8] [9], weil dieser erst bei einer mehr als 50-prozentigen Einengung des Atemweges entsteht, d. h., es gibt auch schwere „unhörbare” Schleimhautverletzungen.

Bemerkenswert in genannter Studie [6] ist die Behauptung, dass geblockte Tuben auch bei Neugeborenen sicher seien, obwohl keine Zahl von Neugeborenen in der Studie angegeben ist. Für eine solche Aussage bräuchte man gewiss hunderte von Probanden. Dennoch wurde diese praxisferne Studie in einem sehr renommierten Fachjournal veröffentlicht [6]. Wäre es nicht besser gewesen, zuerst routinemäßig Endoskopien nach dem Gebrauch von geblockten Tuben zu machen, sie evtl. im Tierversuch zu beurteilen, ehe sie serienmäßig eingesetzt worden wären? Die eigenen Untersuchungen (Abb. [1] u. [2]), die nur einen kleinen Ausschnitt unserer Beobachtungen wiedergeben, sprechen sehr dafür!

Abb. 2 a Die Microcuff-Manschette aus Polyurethan ist weicher und besser verarbeitet als bei PVC-Tuben. Sie ist jedoch kardianah und birgt die Gefahr der Überblähung an ungünstiger Stelle. Die reale Gefahr ist noch nicht bekannt.

Abb. 2 b Bei entblockter Manschette können die Falten beim Microcuff ebenfalls an der Schleimhaut scheuern. (s. Abb. [2 c]).

Abb. 2 c Falten der Microcuff-Manschette in der distalen Trachea.

Leserbriefe, die über zahlreiche Anwendungen von geblockten Tuben im Kindesalter berichten, ohne dass man Nachteile „gesehen” hätte [7], haben ebenfalls keine wissenschaftliche Aussagekraft, wenn nicht wenigstens bei den Kindern mit Atemwegsbeschwerden, die in jeder Klientel nach Intubationsnarkosen vorkommen, endoskopiert wurde.

Gibt es neue Aspekte in der Diskussion um geblockte Tuben im Kindesalter, die eine erneute Bearbeitung dieses Themas rechtfertigen?

Es gibt zwei denkbare Gründe:

Im Jahre 2001, als die Manuskripte der Literaturstelle 2 bereits beim Verlag waren, berichteten Combes et al. 10 über Endoskopien nach geblockten Intubationen bei Erwachsenen. Sie verglichen in einer prospektiven, randomisierten Studie die Effekte der Blockungsmanschette auf die Trachealschleimhaut unter zwei Bedingungen: Bei der ersten Gruppe wurde der Cuff mit Luft, bei der zweiten mit Kochsalzlösung gefüllt, bis ein Leck gerade verschwand. Das Narkosegemisch enthielt Lachgas. In der ersten Gruppe kam es zum beträchtlichen Druckanstieg in der Manschette, wie zu erwarten, in der zweiten Gruppe nicht. Postoperativ wurden alle Patienten endoskopiert und die Schleimhaut von Subglottis und Trachea beschrieben und von allen Probanden dokumentiert! In der ersten Gruppe wiesen alle Patienten ein bis mehrere Schleimhautulzera auf, in der zweiten Gruppe nur etwa die Hälfte der Patienten. Diese Untersuchung belegt, dass auch unter günstigsten Verhältnissen die Blockungsmanschette allein durch ihre Anwesenheit zu Schleimhautulzera führt, beim Erwachsenen aber nicht zu vermeiden ist. Beim Kind < 7 Jahre ist die Blockungsmanschette aber vermeidbar! Wer sich in der Streitfrage um geblockte und ungeblockte Tuben im Kindesalter nicht auf die umfangreiche Kasuistik der Endoskopiker verlassen will, die regelmäßig verheerende Kehlkopf- und Trachealschäden durch Blockungsmanschetten im Kindesalter sehen und behandeln 2 4 8 9, muss umfangreiche, endoskopiekontrollierte Studien an Kindern vorweisen, ehe eine Empfehlung für die routinemäßige Anwendung von geblockten Tuben im Kindersalter (und damit ein Verlassen der Eckenhoff’schen Regel) ausgesprochen werden kann. Jüngst sind auf dem Markt Blockungstuben erschienen, die aus Polyurethan bestehen im Gegensatz zu den herkömmlichen Polyvinylchlorid (PVC)-Tuben (Abb. 2 a). Das Material für die Blockungsmanschetten ist zweifellos weicher, auch besser in den Tubusschaft eingearbeitet als bei herkömmlichen Tuben 11. Die Thermoplastizität und damit der Druck auf die hintere Kommissur scheint aber ungünstiger zu sein als bei PVC-Tuben, was allerdings noch weiterer Untersuchungen bedarf 12.

Beim Einsatz am Patienten bietet die entleerte Blockungsmanschette im Prinzip die gleichen Verletzungsmöglichkeiten durch Reiben an der Schleimhaut wie herkömmliche Tuben, auch wenn die Manschette graduell weicher erscheint (Abb. [2 b] [2 c]).

Eine akzidentelle Überdehnung der Blockungsmanschette ist wie bei allen geblockten Tuben möglich, bei dem neuen Produkt ggf. viel gefährlicher, weil die Manschette näher zur Karina liegt (Abb. [2 a] [2 b]).

Es gibt damit gute Gründe, diese Tuben, die in seltenen Fällen grundsätzlich eine Indikation zum Einsatz haben (z. B. bei minderwüchsigen Kindern mit altersgerechten weiten oberen Luftwegen) erst dann einzusetzen, wenn die beschriebenen zusätzlichen Gefahren genau abgeklärt sind und es nicht dem Zufall zu überlassen, ob nach einem größeren Einsatz am Kinde schwere Schäden beobachtet werden! Somit erscheint der routinemäßige Einsatz der Microcuff-Tuben ohne grundsätzliche Nachendoskopie deutlich verfrüht.

Für Kliniker, die täglich intubieren und regelmäßig die verschiedensten Formen von Atemwegsverletzungen diagnostizieren ist es sehr verwunderlich, dass der Wunsch von Kinderanästhesisten nach dem routinemäßigen Einsatz von geblockten Trachealtuben für eine Altersgruppe, die diese Tuben grundsätzlich nicht braucht, so prävalent ist.

Die zwar seltenen, aber ungemein folgenreichen Verletzungsmöglichkeiten mit geblockten Tuben wiegen kleinere Vorteile der geblockten Intubation (geringeres Leck, seltenere Umintubation) bei weitem nicht auf!

Das Beatmen im geschlossenen System ist natürlich auch mit ungeblockten Tuben möglich, ebenso eine quantitative Messung der Narkosegase und des Sauerstoffverbrauchs, wie seit vielen Jahren in vielen Kliniken, so auch der eigenen praktiziert. Das Physioflexsystem beispielsweise gibt das Leck am Tubus quantitativ an, dann ist eine Rachentamponade unter Druckvermeidung angesagt, wenn man nicht umintubieren will.

Literatur

  • 1 Erb T, Frei F J. Die Wahl des endotrachealen Tubus beim Säugling und Kleinkind: Mit oder ohne Cuff?.  Anaesthesist. 2001;  50 395-400
  • 2 Hoeve L J, Holzki J, Schultz-Coulon H J, Erb T, Frei F J. Briefwechsel: Größte Vorsicht bei Tuben mit Cuffs?.  Anaesthesist. 2002;  51 320-336
  • 3 Eckenhoff J. Some anatomic considerations of the infant larynx influencing endotracheal anesthesia.  Anesthesiology. 1951;  12 401-410
  • 4 Holzki J. Die Gefährdung des Kehlkopfes durch Intubation im frühen Kindesalter.  Deutsches Ärztebl. 1993;  90 B 1131-1134
  • 5 Deakers T W, Reynolds G, Stretton M, Newth C J. Cuffed endotracheal tubes in pediatric intensive care.  J Pediatr. 1994;  125 57-62
  • 6 Khine H H, Coddry D H, Kettnick R G. et al . Comparison of cuffed and uncuffed endotracheal tubes in young children during general anesthesia.  Anesthesiology. 1997;  86 627-631
  • 7 Murrat I. Cuffed tubes in children: a 3-year experience in a single institution.  Paediatr Anaesth. 2001;  11 745-750
  • 8 Holzki J. Airway obstruction: causes and management. In: Sumner E, Hatch DJ (ed) Paediatric Anaesthesia. London; Arnold 2000: 494-496
  • 9 Holzki J. Laryngeal damage from tracheal intubation.  Paediatr Anaesth. 1997;  7 435-437
  • 10 Combes X, Schauvliege F, Peyroust O. et al . Intracuff pressure and tracheal morbidity.  Anesthesiology. 2001;  95 1120-1124
  • 11 Weiss M, Dullenkopf A, Gerber A C. Der Microcuff Pädiatrietubus. Ein neuer Endotrachealtubus mit Hochvolumen-Niederdruck-Cuff für Kinder.  Anästhesist. 2004;  53 73-79
  • 12 Berkovits R PN. Persönliche Mitteilung. 

Dr. med. Josef Holzki

Kinderklinik Köln

Amsterdamer Straße 59 · 50735 Köln