Der Nuklearmediziner 2004; 27(2): 71-72
DOI: 10.1055/s-2004-822756
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

EditorialJ. Mahlstedt1
  • 1Gemeinschaftspraxis Radiologie/Nuklearmedizin, Essen, Germany
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Publication Date:
15 July 2004 (online)

„Der Nuklearmediziner” ist ein praxisbezogenes Journal, das dem nuklearmedizinisch tätigen Arzt in Praxis und Klinik hilfreich zur Seite steht.

Noch vor wenigen Jahren waren methodische Innovationen - wenn denn die Idee gut und richtig war - bei ausreichendem persönlichem Engagement und Interesse der übergeordneten Institution ohne besondere Probleme zu entwickeln und die breitere Einführung in die Patientenversorgung immer gern gesehen. Heute stehen wir jedoch in einer Zeit, in der die Weltwirtschaft das Geschäft mit der Gesundheit zwar als wichtige Wachstumsmöglichkeit erkannt hat, aber leider in einer Phase reduzierten, wenn nicht gar stagnierenden Wachstums.

Neue Methoden wirken sich daher immer verdrängend aus, insbesondere wenn sie, bedingt durch die innerärztliche Zuständigkeitsregelung, nicht allen Fächern zugänglich sind.

Neue Methoden zu entwickeln, zu evaluieren und zu etablieren ist für die nachrückende Ärztegeneration unverzichtbar auf dem Weg zu beruflicher Qualifikation und weitergehender Anerkennung, also legitimes Vorgehen im gesundheitspolitisch gewünschten Wettbewerb um die bestmögliche Versorgung kranker Menschen.

Erhalt, Pflege und Optimierung des Bewährten - verbunden mit unverändertem Fluss finanzieller Mittel - stehen daher mehr denn je im Kontrast zur Einführung von Innovationen - gefolgt von der Forderung nach zusätzlichen finanziellen Mitteln oder aber deren Umverteilung. Bei der Auswahl der methodischen Mittel für die Lösung diagnostischer und therapeutischer Fragen ist der Arzt im Prinzip seinem ärztlichen Ethos verpflichtet, allerdings ist die stringente Berücksichtigung des hippokratischen Eides in der jeweiligen Modifikation der zuständigen Landesärztekammer kaum noch möglich bzw. mit den Abrechnungsmodalitäten der Kostenträger gesetzlich versicherter Patienten kaum noch vereinbar.

Man sollte meinen, dass wissenschaftliche Kriterien und juristisch definierte Abläufe dem Arzt dabei helfen und damit die Entscheidung für oder gegen eine Innovation leichter bzw. eindeutig gestalten könnten. Die Beobachtung der letzten Jahre ist jedoch enttäuschend. Die Beurteilung von Innovationen und deren Einführung in die Versorgung pflichtversicherter Patienten gehorcht im Einzelfall einer besonderen Logik, die auch derjenige, der damit befasst ist, erst nach längerer Zeit versteht. Der praktisch tätige Nuklearmediziner kann diese Logik niemals nachvollziehen. Er empfindet es schlicht als Willkür der Verwaltungsbürokratie, wenn die Akupunktur als vermeintliche Innovation im Modellversuch evaluiert wird, die Kernspintomographie der Mamma in den EBM aufgenommen wird - vorerst ohne jeglichen Beleg dafür, dass den Patientinnen langfristig ein Vorteil daraus erwächst - und die Positronenemissionstomographie für den ambulanten GKV-Patienten gewissermaßen verboten wird, weil sich kurzfristig dafür formaljuristisch die Chance bot.

Mehr denn je sind wir daher darauf angewiesen, durch eigene Meinungsbildung unser ärztliches Tun zu bestimmen. Wir müssen selbst entscheiden, inwieweit wir uns dem Glanz der Innovationen hingeben und diese entschieden fordern oder ob wir daneben auch gewachsene Grundkenntnisse würdigen, in unsere Arbeit integrieren und ggf. durch neuere technische Möglichkeiten verbessern. Alte Wahrheiten sind nicht schlecht, nur weil sie schon etwas älter sind, die Datenrecherche maximal 5 Jahre rückwärts reicht und nur englischsprachige Arbeiten in Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor berücksichtigt.

Die Herausgeber dieser Zeitschrift haben mich als Mitherausgeber aufgenommen, 16 Jahre nachdem „meine” Zeitschrift „NucCompact-Compact News in Nuclear Medicine” im GIT-Verlag (Darmstadt) nicht mehr erscheinen konnte. Darüber habe ich mich sehr gefreut, und so strebe ich wie ehedem den Ausgleich zwischen Innovation und gewachsener Substanz entschieden an.

Das Thema dieser Ausgabe und die Auswahl der Autoren ist mein erster Beitrag dazu, und man könnte meinen, es sei der Versuch, persönliche, vergessene Meriten wieder aufzufrischen. Dies völlig zu leugnen wäre unglaubwürdig. Entschieden im Vordergrund steht das Bemühen, die Möglichkeiten der Schilddrüsenszintigraphie für die Patienten voll auszuschöpfen und in einem Zusammenhang darzustellen, der in dieser Art in den Lehrbüchern so nicht zur Geltung kommt. Die konsequente Berücksichtigung dieser Vorgehensweise wird jedem hilfreich sein, der seine Medizin aus dem begründeten Verständnis der Zusammenhänge heraus betreibt.

Dazu gehört auch die angemessene Berücksichtigung von Leitlinien als Momentaufnahmen im Szenario der ständig wachsenden Erkenntnisse. Diese Leitlinien sind keine Richtlinien, sie müssen ständig überdacht und ggf. angepasst werden, getragen von uns selbst durch Engagement und Teilnahme an den Entscheidungsprozessen. Dazu gehört immer die begründete Darstellung alternativer Vorstellungen durch Vortrag und Publikation. Manchem mag das unangemessen oder unangenehm erscheinen, denn man macht sich dadurch immer angreifbar, das Vorgebrachte kann sich ja als Fehler herausstellen oder die Verteilung von Partikularinteressen stören.

Dagegen steht: Wer seine gut begründete Meinung äußert, kann Fehler machen, der größte Fehler ist jedoch, sich überhaupt nicht zu äußern.

Die Kostenträger werden unter dem Diktat knapper finanzieller Mittel zunehmend nur noch begründete Vorgehensweisen akzeptieren, und es erscheint mehr als fraglich, ob das tatsächlich als eine substanzielle Einengung der ärztlichen Therapiefreiheit gesehen werden muss.

In diesem Sinn danke ich den Co-Autoren für ihre unverzügliche, teilweise sogar äußerst kurzfristig erbetene Bereitschaft, die mir wichtig erscheinenden Themen aus ihrer Sicht zu bearbeiten. Die gemeinsame Darstellung des Themas durch Nuklearmediziner und Endokrinologen aus Universität, Versorgungskrankenhaus, gebietsübergreifender Großpraxis und Gemeinschaftspraxis soll auch andeuten, dass die umfassende Versorgung der Schilddrüsen-Patienten langfristig in sektorübergreifenden Strukturen erfolgen wird. Der Beweis, dass auch generationenübergreifende Beiträge möglich und überaus fruchtbar sind, ist das i-Tüpfelchen.

Prof. Dr. Jörg Mahlstedt

Gemeinschaftspraxis Radiologie/Nuklearmedizin

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