Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(21): 1181-1182
DOI: 10.1055/s-2004-824867
Editorial
Gesundheitsökonomie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Weiterentwicklung der Krankenhausstruktur

Future development of hospital structureP. C. Scriba
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Publication Date:
21 July 2004 (online)

Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. P. C. Scriba

Wozu braucht man überhaupt Krankenhäuser? Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (SVR) wollte mit dieser Frage eine breite Diskussion anstoßen (Gutachten 2003: www.svr-gesundheit.de), für die hier im Sinne eines Ausblicks einige Festpunkte zitiert werden. Eine Bestandsaufnahme der Krankenhausversorgung kann an folgenden Grundfunktionen des Krankenhauses im Rahmen eines Gesundheitssystems ansetzen, die am einzelnen Standort modular kombinierbar sind:

Notfallversorgung in organisatorischer Abstimmung mit der rettungsdienstlichen Versorgung, Elektive, d. h. nicht als Notfallbehandlung erbrachte und in der Regel zeitlich planbare voll- bzw. teilstationäre Versorgung in Entsprechung zu den medizinischen Schwerpunkten und zum Leistungsprofil von Krankenhäusern, ergänzt durch vor- und nachstationäre Versorgung, Rehabilitation in Abstimmung mit dem Leistungsangebot von Rehabilitationseinrichtungen oder Überleitung in letztere, Überleitung in Pflegeeinrichtungen bzw. ambulante pflegerische Versorgung, Hospizversorgung zum Ausgleich eines unzureichenden Angebots für terminal Kranke außerhalb von Krankenhäusern, ambulante ärztliche Versorgung in Abstimmung mit der von kassenärztlichen Vereinigungen organisierten ambulanten Versorgung durch in einer eigenen Praxis niedergelassene Ärzte, Aus-, Weiter- und Fortbildung vor allem von Ärzten und Pflegepersonal und klinische Forschung, Diffusion medizinischer Erkenntnisse und medizinisch-technischer Entwicklungen und zukünftig vermehrt Versorgungsforschung.

Dazu gibt es fünf Bemerkungen und Empfehlungen des SVR:

1. Funktionsorientierte Analysen von Versorgungssektoren tragen zur Gestaltung von Versorgungsprozessen, zur Lösung von Schnittstellenproblemen und zur Erreichung des Ziels einer sektorübergreifenden, „integrierten“ Versorgung bei.

Der Rat empfiehlt:

funktionsbezogene und regionalisierte Bedarfsanalysen als Voraussetzung für eine Krankenhaus-Rahmenplanung unter Berücksichtigung komplementärer Leistungsbereiche, Vereinbarung des Versorgungsauftrags von Krankenhäusern nach modular kombinierter Funktion (s. o.) und Versorgungskapazität auf der Basis der Rahmenplanung (Anmerkung: Privatisierung hieße Ausschreibung ) und Versorgungsforschung mit dem Ziel, Planungsprozesse zu unterstützen.

2. Das DRG-System hat insbesondere, aber nicht ausschließlich, für die elektive vollstationäre Versorgung Bedeutung. Von der Einführung von DRG wird eine Beschleunigung des Prozesses der Schwerpunktbildung und der Herausbildung medizinischer Kompetenzzentren erwartet. Zuständigkeiten für die Versorgung sollten an die Qualifikation und Erfahrung des Personals, an die technische Ausstattung und an die Konstanz der Versorgung in der jeweiligen Einrichtung sowie an Ergebnisse externer Evaluation anknüpfen. In diesem Zusammenhang werden Mindestleistungsvolumina als Hilfsgröße zur Bewertung der Leistungsfähigkeit von Krankenhäusern in der Durchführung diagnostischer oder therapeutischer Interventionen an Bedeutung gewinnen. Eine komplementäre Schwerpunktsetzung von Krankenhäusern innerhalb von Regionen kann zur Weiterentwicklung regionaler Versorgungsstrukturen beitragen.

3. Eine „Öffnung” von Krankenhäusern für ambulante Leistungen, zumindest aber für Leistungen mit hohem Spezialisierungsgrad oder in Bereichen mit schnellem Wissensfortschritt, ist in der Diskussion. Der Rat empfiehlt neben der partiellen Öffnung (Beispiel Spezialambulanzen der Hochschulklinika), die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Vertragsärzten über die belegärztliche Versorgung hinaus durch ein „Consultant”-System zu verbessern. Vor allem den Krankenhäusern der „Grund- und Regelversorgung” böte eine vermehrte Einbindung von niedergelassenen Ärzten Möglichkeiten zur Weiterentwicklung ihres Leistungsprofils. Die Abstimmung zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten lässt sich auch im Rahmen der Notfallversorgung z. B. durch die Zusammenarbeit in der Notfallaufnahme oder in an Krankenhäusern angesiedelten Notfallpraxen verbessern.

4. Die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser wird neu zu ordnen sein. Soweit private Krankenhausträger über bessere Möglichkeiten einer Kapitalaufnahme verfügen als öffentliche und als freigemeinnützige Träger, ist mit einer Erhöhung des Marktanteils privater Eigentümer zu rechnen. Dabei ist noch weitgehend ungeklärt, welchen Einfluss die Eigentümerstruktur auf das Leistungsangebot und auf die Qualität der Krankenhausversorgung ausübt. Um Auswirkungen der Entwicklung der Krankenhausstruktur auf die ärztliche und pflegerische Versorgung beurteilen zu können, stellt sich - insbesondere im Zuge der Einführung von DRG - die Aufgabe einer Intensivierung der Versorgungsforschung.

5. Die Konzeption eines ordnungspolitischen Rahmens für die Zeit ab 2007 ist eine Voraussetzung für strategische Überlegungen zur Weiterentwicklung der Krankenhausstruktur und von einzelnen Krankenhäusern. Um die Planungssicherheit der Krankenhausträger und der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung zu verbessern, sollte diese gesundheitspolitische Aufgabe möglichst bald in Angriff genommen werden.

Fazit

Wir stehen vermutlich an Anfang einer erheblichen Veränderung der Struktur unserer Krankenhäuser. Diese beinhaltet schon jetzt u. a. Privatisierungen von Krankenhäusern, ja auch von Universitätsklinika. Ist die Versorgung bei totaler oder teilweiser Privatisierung besser als die in staatlicher oder kommunaler Trägerschaft? Wir benötigen eine wissenschaftlich-empirische Antwort auf diese Frage der Politik.

Die Versorgungsaufgabe für Kranke liegt in unserem Lande primär beim Staat. Basierend auf dem Grundgesetz, Art. 1 - Menschenwürde, Art. 2 - Körperliche Unversehrtheit, Art. 3 - Gleichheit, Art. 20 - Sozialstaat und Art. 74 - Nr. 7 (öffentliche Fürsorge), Nr. 19a (Sicherung der Krankenhäuser) und Nr. 26 (künstliche Befruchtung etc.) wurden die Sozialgesetzbücher und deren laufende Verbesserungen geschaffen. Das SGB steuert die Handelnden in der ambulanten Praxis und im Krankenhaus, wobei der Staat den Versorgungsauftrag vielfältig delegiert. Will man die Versorgung im Krankenhaus durch Privatisierung liberalisieren und verbessern, so bleibt dennoch die Versorgungsaufgabe zuletzt, d. h. im Risikofalle beim Staat.

In diesem Heft erscheint ein Artikel mit starkem Bias für die Privatisierung von Krankenhäusern (Schmidt et al., Seite 1209). Auch im öffentlich-rechtlichen Rahmen ist bei Liberalisierung der Krankenhaus- bzw. Universitätsgesetze und bei „kluger” Klinikumsdirektion sowie unabhängigem Aufsichtsrat Erfolg möglich. Der Artikel äußert sich ferner nicht dazu, was bei misslungener Privatisierung passiert. Die DMW bringt den Artikel dennoch, um die Diskussion zu beleben.

Erste Erfahrungen mit der Privatisierung sogar von Universitätsklinika brachten abwechselnd Ermutigung und Warnung vor Gefahren. Persönlich bin ich gespannt und im Grundsatz optimistisch. Bessere Wirtschaftlichkeit durch Privatisierung gepaart mit einem freieren Wettbewerb um die besten Leistungen in Forschung und Lehre, das wäre das Ziel. Dieses Ziel ist meines Erachtens wenigstens einige gut beobachtete Versuche wert.

Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Peter C. Scriba

Medizinische Klinik Innenstadt, Klinikum der Universität

Ziemssenstraße 1

80336 München