Der Klinikarzt 2004; 33(4): 105-109
DOI: 10.1055/s-2004-825250
In diesem Monat

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pharmakotherapie oder chirurgische Maßnahme? - Individualspezifische Strategien zur Therapie von Epilepsien

Medical Therapy or Epilepsy Surgery? - Individually Optimised Strategies for Treatment of Epileptic SyndromesB.J. Steinhoff1 , B. Wildemann2
  • 1Klinik und Ambulanz für Erwachsene, Epilepsiezentrum Kork, Kehl-Kork (Chefarzt: Prof. Dr. B.J. Steinhoff)
  • 2Neurologische Klinik, Sektion Molekulare Neuroimmunologie, Universitätsklinikum Heidelberg (Direktor: Prof. Dr. W. Hacke)
Further Information
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Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. Bernhard J. Steinhoff

Chefarzt der Klinik und Ambulanz für Erwachsene, Epilepsiezentrum Kork

Landstr. 1

77694 Kehl-Kork

Publication History

Publication Date:
30 April 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Epilepsien gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Das Wissen über ihre Entstehungsmechanismen und ihre Pathophysiologie hat durch die Genetik, die erheblich verbesserte Diagnostik mittels Langzeit-EEG und vor allem der bildgebenden Diagnostik in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte erzielt. Entscheidende Grundlage der Behandlungsstrategien ist die antikonvulsive Pharmakotherapie. Zahlreiche neue Antiepileptika tragen inzwischen dazu bei, individualspezifischere Behandlungsstrategien anbieten zu können, vor allem aber haben sie die Verträglichkeit der Pharmakotherapie in vielen Fällen verbessern können. Leider ist es trotz dieser neuen Therapieoptionen nicht gelungen, den Prozentsatz pharmakoresistenter Epilepsien zu reduzieren. Um so wichtiger ist es, diese so früh wie möglich zu identifizieren - und zu überprüfen, ob epilepsiechirurgische Maßnahmen in diesen Fällen eine therapeutische Alternative sind. Mindestens für die Temporallappenepilepsie hat eine kontrollierte Studie inzwischen gezeigt, dass die Epilepsiechirurgie bei pharmakoresistenten Patienten die Therapie der Wahl ist.

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Summary

Epileptic syndromes belong to the most frequent chronic diseases of the central nervous system. Genetic studies and better clinical diagnostic methods such as long-term-EEG and MRI have contributed to an improved knowledge of their etiology and pathophysiology. Anticonvulsant drug therapy is the gold standard. Thanks to numerous new anticonvulsants we nowadays have better possibilities to establish individually optimised treatment regimens and especially to offer better tolerability. In general, the new drug options did not help to reduce the rate of drug-resistant epilepsies markedly. Therefore it is mandatory to identify such epileptic syndromes as early as possible in order to investigate if epilepsy surgery is a possible option in these cases. At least for temporal lobe epilepsies it has been shown in a controlled clinical study that in case of drug resistance surgical treatment is the first-line therapy.

Mit einer Prävalenz von 0,5-1 % und einer Inzidenz von 30-50 Neuerkrankungen pro 100000 Einwohnern gehören Epilepsien zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen [11]. Sie werden als multifaktorielle und -ätiologische Erkrankungen verstanden, deren Kardinalsymptom - der epileptische Anfall - eine paroxysmale, synchronisierte kortikale Exzitabilitätssteigerung ist. Die internationale Klassifikation epileptischer Syndrome (4) gliedert sich in zwei Ebenen: Nach der zugrunde liegenden Ätiologie kann man zum einen idiopathische und dabei meist genetisch determinierte, symptomatische und kryptogene (vermutete aber nicht erwiesene symptomatische Ursache), zum anderen pathophysiologisch orientiert, fokale und generalisierte Epilepsiesyndrome differenzieren.

Bei allen Epilepsien ist die Prävalenz in der Kindheit am höchsten. Jenseits des 60. Lebensjahres ist jedoch ein zweiter Erkrankungsgipfel zu beobachten. Dabei steigt die Zahl der in diesem Alter an Epilepsien erkrankenden Patienten tendenziell an und hat in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung erlangt. Grund hierfür ist nicht nur die Tatsache, dass mehr Menschen als früher in Industrienationen ein höheres Lebensalter erreichen. Dank der verbesserten medizinischen Versorgung überleben heute immer mehr Patienten zerebrale vaskuläre Läsionen, die demzufolge auch häufiger konsekutive Erkrankungen wie Epilepsien nach sich ziehen.

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Aktuelle Diagnostik

Von entscheidender diagnostischer Bedeutung und Grundlage für das therapeutische Vorgehen sind die phänomenologische und syndromale Klassifikation epileptischer Anfälle bzw. deren Abgrenzung gegenüber nichtepileptischen anfallsartigen Symptomen sowie die Suche nach einer symptomatischen Ursache. Die diagnostische Einordnung eines epileptischen Anfalls oder eines Epilepsiesyndroms erfolgt anamnestisch unter besonderer Berücksichtigung der Fremdbeobachtung. Ergänzend dazu fließen der Nachweis epilepsietypischer Potenziale im EEG oder zumindest EEG-Merkmale ein, die den Verdacht beispielsweise einer fokalen Epileptogenese stützen (Herdbefunde). Hinsichtlich der Fremdanamnese kann es von großem Nutzen sein, Augenzeugen typische Videobeispiele von Anfällen und differenzialdiagnostisch abzugrenzenden Attacken wie konvulsiven Synkopen zu zeigen. Auf diese Weise lassen sich oft auf einfachem Wege Fehldiagnosen zuverlässig vermeiden.

Große Fortschritte werden derzeit in der genetischen Aufarbeitung verschiedenster Epilepsiesyndrome erzielt. Ständig werden in Familien mit gehäufter Inzidenz epileptischer Syndrome neue, epilepsierelevante Mutationen aufgedeckt. Man hofft, dass die rasant wachsende Kenntnis über genetisch determinierte epileptische Exzitabilitätsstörungen bald praxis- und vor allem therapierelevante Auswirkungen im Hinblick auf eine spezifischere Pharmakotherapie haben - und vielleicht sogar eine ursachenorientierte Behandlung ermöglichen werden.

Bei der Diagnose von Epilepsien ist es eminent wichtig, die heute zur Verfügung stehenden Verfahren konsequent und auf adäquatem Niveau einzusetzen. Dabei genügt es keineswegs, sich auf die Ergebnisse von Routineuntersuchungen zu verlassen. Denn bekanntermaßen ist nach mehreren normalen Routine-EEG-Ableitungen keine weitere diagnostisch relevante Aussage mehr zu erwarten. Dagegen ist bei entsprechender diagnostischer Fragestellung die frühzeitige Dokumentation des Befundes unter Ausnutzung der hohen zeitlichen Auflösung des EEGs, also mit einem Langzeit-Video-EEG, unbedingt anzustreben. Patientenschicksale, bei denen eine unzureichende Diagnostik und ein vorschnelles Festlegen auf eine so schwer wiegende Diagnose wie die einer Epilepsie zu jahrzehntelangen Fehlbehandlungen geführt haben, sind relativ zahlreich.

Bei dem Verdacht auf eine fokale Epilepsie ist dem Magnetresonanztomogramm zur Abklärung der Ursachen größte Bedeutung zuzuerkennen. Die bildgebende Diagnostik hat differenzialätiologisch einen ungeheuren Fortschritt mit sich gebracht und muss im Bedarfsfall unbedingt zum Einsatz kommen. Häufig unterbleibt jedoch die indivualspezifische und an die syndromatologische Hypothese angepasste MRT-Diagnostik. Darüber hinaus sind Radiologen oft nicht in der Lage, epilepsierelevante Befunde wie mesial temporale Sklerosen oder kortikale Dysplasien zu erkennen - Befunde, wie sie in der Ära vor dem MRT noch gar nicht intra vitam zu erheben gewesen waren. Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass sich der Kliniker selbst mit den Originalbefunden beschäftigt.

Die Veranlassung einer kranialen MRT ist nur dann nicht obligat, wenn durch den klinischen und elektroenzephalografischen Befund nicht der geringste Zweifel an einer idiopathischen generalisierten Epilepsie besteht, deren medikamentöse Therapie offensichtlich erfolgreich ist. Bei Verdacht auf eine infektiöse symptomatische Genese ist eine Liquoranalyse erforderlich, die grundsätzlich zu empfehlen ist.

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Therapie

Die Therapie epileptischer Anfälle umfasst zum einen das Vermeiden potenziell anfallsprovozierender Faktoren. Ist die Indikation für eine medikamentöse Behandlung gegeben, sind unter Berücksichtigung der Anfalls-Phänomenologie und der syndromalen Zuordnung ein oder auch mehrere Antikonvulsiva auszuwählen. Eine wirkungsvolle Behandlungsalternative bei therapierefraktären fokalen Epilepsien sind epilepsiechirurgische Eingriffe, die jedoch aufgrund strenger Auswahlkriterien nur wenigen Patienten vorbehalten sind.

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Medikamentöse Therapie

Für die medikamentöse Therapie epileptischer Anfälle und Syndrome stehen konventionelle Antikonvulsiva und in zunehmendem Umfang neue Antiepileptika zur Verfügung. Auch die neuen Antiepileptika erreichen - bei den meisten Epilepsiepatienten - eine weit gehende Anfallskontrolle. In etwa 70 % der Fälle reicht eine Monotherapie mit einem der klassischen vier Antiepileptika der ersten Wahl bei fokalen Epilepsien im Erwachsenenalter (Primidon/Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin, Valproinsäure) zur befriedigenden Anfallskontrolle aus, bei weiteren 10 % der Patienten gelingt dies durch eine Kombination von jeweils zwei Medikamenten [9].

In ungefähr 30 % der Fälle muss man jedoch von einer mindestens partiellen Pharmakoresistenz ausgehen. Auch unter Berücksichtigung neuer Antiepileptika zeigt sich mehr und mehr, dass die überwiegende Mehrzahl solcher schwer zu therapierenden Fälle schon nach dem Scheitern einer ersten Monotherapie identifiziert ist. Nur ein Bruchteil dieser Patienten wird noch wirklich von einer Umstellung der medikamentösen Behandlung profitieren - sofern die erste Monotherapie nicht aufgrund schlechter Verträglichkeit aufgegeben werden musste, sondern bis zur Verträglichkeitsgrenze kontinuierlich ausdosiert werden konnte [8].

Die Wirksamkeit der neuen Substanzen als Zusatztherapie zu einer vorbestehenden Medikation („add-on”) oder zum Teil auch als Monotherapie haben in den letzten Jahren verschiedene randomisierte, kontrollierte klinische Studien belegt. Bei deutlich höheren Tagestherapiekosten sind die potenziellen Vorteile neuer Antiepileptika in erster Linie ein - bezogen auf die verschiedenen Anfallsformen und -syndrome - breiteres Wirkspektrum, günstigere pharmakokinetische Eigenschaften, keine oder geringere Interaktionen mit anderen Antikonvulsiva oder Pharmaka sowie die bessere Verträglichkeit und eine geringere Teratogenität. Allerdings liegen klinische kontrollierte Studien entsprechend der überwiegend eingeschränkten Indikation zur Zusatzbehandlung fokaler Epilepsien auch zum großen Teil nur für diese Syndrome und Therapiekonstellationen vor.

Die Kenntnis breiter Wirkspektren, wie sie für Lamotrigin oder Topiramat zweifelsfrei feststehen und sich auch auf eine Reihe idiopathischer und symptomatischer generalisierter Epilepsien erstrecken, beruhen überwiegend auf offenen Therapiestudien oder sogar anekdotischen Berichten. Darüber hinaus wird die Auswahl des geeigneten neuen Antiepileptikums im individuellen Fall dadurch erschwert, dass im Gegensatz zu alten Antiepileptika praktisch kaum akzeptable Vergleichsstudien der neuen Medikamente untereinander existieren. Wenige Ausnahmen lassen keine praxisrelevanten Rückschlüsse zu. Zudem sind Aspekte wie die Langzeitverträglichkeit und die Teratogenität aufgrund der relativ kurzfristigen klinischen Erfahrungen noch ungenügend bearbeitet. Rückschlüsse auf ein besseres Verträglichkeitsprofil dürfen daher keinesfalls schon jetzt gezogen werden.

Es ist also notwendig, die Verträglichkeit der neuen Antiepileptika entsprechend vorsichtig zu werten. Dies ist umso wichtiger, da bleibende oder tödliche idiosynkratische Nebenwirkungen, die den breiteren Einsatz in der Zukunft kaum mehr zulassen werden, bei immerhin zwei neuen Antiepileptika - nämlich bei Vigabatrin (permanente Gesichtsfelddefekte) und bei Felbamat (aplastische Anämien, Lebernekrose) - erst Jahre nach deren Zulassung bekannt wurden.

Zum Vergleich zwischen klassischen und neuen Antiepileptika liegen im Wesentlichen Monotherapiestudien vor. Dabei zeigte sich unter Lamotrigin im Vergleich zu Carbamazepin ein Verträglichkeitsvorteil im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit neurotoxischer und sedierender Störwirkungen [2]. Vor allem bei älteren Patienten, die ohnehin störwirkungsanfälliger sind, könnte dieser Effekt möglicherweise besonders deutlich ausfallen und damit klinisch relevant sein [1]. Die Verträglichkeitsvorteile in den Monotherapieschemata sind in der Regel nur im Trend zu beobachten und nicht statistisch signifikant. Beschrieben wurden sie - im Vergleich zu Carbamazepin - für Vigabatrin, Gabapentin, Oxcarbazepin und Topiramat [3] [5] [7] [10].

Im Hinblick auf die wahrscheinliche Langzeitverträglichkeit muss man sich vergegenwärtigen, dass zahlreiche Langzeitstörwirkungen unter klassischen Antiepileptika vermutlich auf deren Enzyminduktion zurückgehen, so etwa die Osteopathia antiepileptica. Erst kürzlich wurde nochmals unter enzyminduzierenden Antiepileptika ein Trend zu einer geringeren Knochendichte im Vergleich zu nichtinduzierenden Antiepileptika beschrieben [6].

Zu weiteren negativen Auswirkungen einer potenten Enzyminduktion, die zweifellos die Lebensqualität der Patienten erheblich beeinträchtigen können, gehört sicherlich die mindestens partielle Inkompatibilität mit einer wirksamen hormonellen Kontrazeption, die für Carbamazepin, Phenytoin und Barbiturate bekannt ist. Insofern liegt die Annahme nahe, dass neue Antiepileptika, die nicht die Eigenschaft einer potenten Enzyminduktion aufweisen, im Hinblick auf die Langzeitverträglichkeit prinzipielle Vorteile gegenüber enzyminduktiven klassischen und anderen neuen Antiepileptika aufweisen.

Teratogene Effekte klassischer Antiepileptika sind gut bekannt, belastet sind diesbezüglich in erster Linie Valproat und in zweiter Linie Carbamazepin. Leider wurde für die neuen Antiepileptika weit gehend versäumt, frühzeitig prospektive Daten zur Teratogenität in der klinischen Praxis zu erheben. Daher muss man - mit Ausnahme von Lamotrigin - noch immer für alle neuen Antiepileptika einräumen, dass die aktuelle Datenlage eindeutige Äußerungen zum potenziellen teratogenen Risiko nicht zulässt. Patientinnen, die unter Lamotrigin schwanger wurden, hat man dagegen frühzeitig zu erfassen gesucht. Für dieses Präparat scheint heutzutage damit die Aussage gerechtfertigt zu sein, dass bislang kein substanzspezifisch erhöhtes teratogenes Risiko erkennbar ist [13].

Die substanzimmanenten Vorteile neuer Antiepileptika bedingen letztlich die Möglichkeit einer sehr viel individualspezifischeren Epilepsietherapie, die den persönlichen Bedürfnissen der Patienten eher entgegenkommt. Insofern bieten die neuen Therapiemöglichkeiten weniger die Perspektive revolutionärer Neuordnungen in der Wertigkeit der uns zur Verfügung stehenden Antiepileptika als vielmehr die Option, die Behandlung für den individuellen Patienten zu optimieren. Wichtig ist, dass man sich des hohen Preisniveaus bewusst bleibt und bei erfolgloser Therapie teure aber wirkungslose Medikamente auch bald wieder infrage stellt.

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Epilepsiechirurgische Eingriffe

Weltweit sind epilepsiechirurgische Eingriffe in den letzten Jahren immer häufiger geworden, an erster Stelle stehen dabei Operationen im Bereich des Temporallappens. Allein in Deutschland werden derzeit etwa 500 Operationen pro Jahr durchgeführt (12). Die geschätzte Zahl möglicher Operationskandidaten liegt allerdings nach wie vor deutlich höher.

Ziel einer epilepsiechirurgischen Therapie ist die Resektion der so genannten primären epileptogenen Zone, also des Hirnareals, dessen Resektion mindestens erforderlich ist, um Anfallsfreiheit zu erreichen. Natürlich soll die Operation ohne neue und möglicherweise permanente Defizite vonstatten gehen, die sich negativer auf die Lebensqualität der Patienten auswirken würden als die Epilepsie selbst. Grundsätzlich muss man die Indikationsstellung zur präoperativen Diagnostik und zur Epilepsiechirurgie sorgfältig zwischen der verheißungsvollen Perspektive einer Therapie mit Heilanspruch und den Risiken - vor allem der zum Teil eingreifenden invasiven Diagnostik und der operativen Eingriffe - gegeneinander abwägen, zumal Epilepsieoperationen in der Regel keiner vitalen Indikation unterliegen. Ziel eines epilepsiechirurgischen Eingriffs ist in der Regel in erster Linie die Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten.

Grundsätzlich gilt auch, dass die Epilepsiechirurgie so früh wie möglich erwogen werden sollte, um speziell im Kindesalter Entwicklungsverzögerungen vorzugreifen. Denn diese sind bei anhaltend pharmakoresistentem Verlauf nahezu unvermeidlich. Dennoch beträgt auch heute noch in den meisten Fällen das Intervall zwischen Lebensalter bei Epilepsiebeginn und letztendlich durchgeführtem epilepsiechirurgischen Eingriff Jahrzehnte.

Die häufigsten epilepsiechirurgischen Eingriffe betreffen das Syndrom der Temporallappenepilepsie. Erst vor kurzem hat eine randomisierte kontrollierte Studie mit einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr erstmals eindeutig nachgewiesen, dass die Epilepsiechirurgie in diesen Fällen der Pharmakotherapie deutlich überlegen ist [14]. Dabei wurden je 40 Patienten mit einer zuvor pharmakoresistenten Temporallappenepilepsie entweder über einen Zeitraum von einem Jahr einer intensivierten konservativen Behandlung zugeführt, die noch vorhandene medikamentöse Lücken nutzte, oder aber nach entsprechender präoperativer Epilepsiediagnostik einer Temporallappenresektion unterzogen.

Nach einem Jahr waren 58 % der Patienten der Operationsgruppe (von denen allerdings vier gar nicht operiert worden waren und somit das Resultat negativ beeinflussten) frei von Anfällen mit Bewusstseinseinschränkung. Nach medikamentöser Therapie dagegen traf dieses Kriterium lediglich auf 8 % der Patienten zu (p < 0,001). Auch hinsichtlich der Lebensqualität bestand ein signifikanter Unterschied zugunsten der Operationsgruppe (p < 0,001).

Mit dieser eminent wichtigen und überfälligen Studie liegen nun kontrollierte Daten vor. Zumindest bei fokalen Epilepsien temporalen Ursprungs und nachgewiesener Pharmakoresistenz ist damit die Epilepsiechirurgie nicht nur eine denkbare Alternative, sondern die Behandlung der ersten Wahl und sollte entsprechend zeitnah als Möglichkeit ins Auge gefasst werden.

Tab. 1 Diagnostik bei epileptischen Anfällen

diagnostische Maßnahme

Implikation / Befunde

Eigen-/Fremdanamnese, gegebenenfalls

Videoaufzeichnung

Sicherung der Diagnose

  • Analyse der Anfallsphänomenologie

  • Differenzierung gegenüber kardiovaskulären Synkopen, Hypoglykämie, Narkolepsie, Migräne, transitorisch ischämischen Attacken, psychogenen Anfällen

EEG interiktal, Schlafentzugs-/Langzeit-EEG, Spezialelektroden, Video-EEG

ergänzende Aussagekraft

  • Nachweis epilepsietypischer Potenziale

  • bilateral synchrone Spike-Wave- oder Polyspike-Wave-Komplexe bei idiopathischen generalisierten Epilepsien (häufig)

  • Spikes oder Sharp-Waves bei Epilepsien fokalen Ursprungs (seltener)

  • erhöhte Nachweisrate epilepsietypischer Potenziale

  • Anfallsaufzeichnung zur Korrelation des klinischen und des EEG- Befundes

MRT

Nachweis / Ausschluss symptomatischer Ursachen

  • Neoplasmen, Traumata, Infektionen, vaskuläre Läsionen, Missbildungen

  • mesiale Sklerose (Temporallappen-Epilepsien)

Liquoranalyse

Nachweis bzw. Ausschluss symptomatischer Ursachen

  • Infektionen

Blutanalyse

ergänzende Aussagekraft

  • Erhöhung der Kreatininkinase (CK) nach Grand mal

  • Prolaktinerhöhung bis maximal eine Stunde nach Grand-mal- und partiellen Anfällen; nur sinnvoll bei intraindividuellem Vergleich mit tageszeitlich entsprechendem Vergleichswert im anfallsfreien Intervall

nach [15]

Tab. 2 Generika und Handelsnamen der wichtigsten Antikonvulsiva

 

Generikum

Abkürzung

Handelsnamen (zum Teil in Auswahl)

klassische Antiepileptika

Carbamazepin

CBZ

Tegretal®, Timonil®, Sirtal®, Finlepsin®, Fokalepsin®

Phenytoin

PHT

Phenytoin®, Phenhydan®, Zentropil®, Epanutin®

Valproinsäure

VPA

Ergenyl®, Orfiril®, Convulex®, Leptilan®, Mylproin®, Convulsofin®

Phenobarbital/Primidon

PB/PRM

Luminal®, Phaenemal®, Mylepsinum®, Liskantin®

Benzodiazepine

BD

Diazepam

DZP

Valium®

Clonazepam

CZP

Rivotril®

Clobazam

CLB

Frisium®

Ethosuximid

ESM

Petnidan®, Pyknolepsinum®, Suxilep®, Suxinutin®

Mesuximid

MSM

Petinutin®

Kaliumbromid

BR

DiBroBe Mono®

neue Antiepileptika

Lamotrigin

LTG

Lamictal®

Vigabatrin

VGB

Sabril®

Gabapentin

GBP

Neurontin®

Tiagabin

TGB

Gabitril®

Topiramat

TPM

Topamax®

Oxcarbazin

OXC

Trileptal®, Timox®

Felbamat

FBM

Taloxa®

Levetiracetam

LEV

Keppra®

nach [15]

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Literatur

  • 1 Brodie MJ, Overstall PW, Giorgi L. The UK Lamotrigine Elderly Study Group. . Multicentre, double-blind, randomised comparison between lamotrigine and carbamazepine in elderly patients with newly diagnosed epilepsy.  Epilepsy Res. 1999;  37 81-87
  • 2 Brodie MJ, Richens A, Yuen AWC. Double-blind comparison of lamotrigine and carbamazepine in newly diagnosed epilepsy.  Lancet. 1995;  345 476-479
  • 3 Chadwick DW, Anhut H, Greiner MJ. et al. . A double-blind trial of gabapentin monotherapy for newly diagnosed partial seizures. International Gabapentin Monotherapy Study Group 945-77.  Neurology. 1998;  51 1282-1288
  • 4 Commission on Classification and Terminology of the International League against Epilepsy. . Proposal for revised classification of epilepsies and epileptic syndromes.  Epilepsia. 1989;  30 389-399
  • 5 Dam M, Ekberg R, Loyning Y. et al. . A double-blind study comparing oxcarbazepine and carbamazepine in patients with newly diagnosed, previously untreated epilepsy.  Epilepsy Res. 1989;  3 70-76
  • 6 Farhat G, Yamout B, Mikati MA. et al. . Effect of antiepileptic drugs on bone density in ambulatory patients.  Neurology. 2002;  58 1348-1353
  • 7 Kälviäinen R, Aikia M, Saukkonen. et al. . Vigabatrin vs carbamazepine monotherapy in patients with newly diagnosed epilepsy. A randomized, controlled study.  Arch Neurol. 1995;  52 989-996
  • 8 Kwan P, Brodie MJ. Early identification of refractory epilepsy.  N Engl J Med. 2000;  342 314-319
  • 9 Mattson RH. Drug treatment of uncontrolled seizures.  Epilepsy Res Suppl. 1992;  29-35
  • 10 Privitera MD, Brodie MJ, Mattson RH. et al. . Topiramate, carbamazepine and valproate monotherapy: double-blind comparison in newly diagnosed epilepsy.  Acta Neurol Scand. 2003;  107 165-175
  • 11 Stefan H. Epilepsien. Diagnose und Behandlung (3. Auflage).  Stuttgart - New York: Georg Thieme Verlag. 1999; 
  • 12 Steinhoff BJ. Epilepsiechirurgie.  In: Wildemann B, Fogel W, Grau A (Hrsg). Therapieleitfaden Neurologie.  Stuttgart: Kohlhammer. 2002;  400-408
  • 13 Tennis P, Eldridge RR. International Lamotrigine Pregnancy Registry Scientific Advisory Committee.  Preliminary results on pregnancy outcomes in women using lamotrigine.  Epilepsia. 2002;  43 1161-1167
  • 14 Wiebe S, Blume WT, Girvin JP, Eliasziw M. A randomised, controlled trial of surgery for temporal-lobe epilepsy.  N Engl J Med. 2001;  345 365-367
  • 15 Wildemann B, Steinhoff BJ. Epilepsien und Epilepsiesyndrome.  In: Wildemann B, Fogel W, Grau A (Hrsg). Therapieleitfaden Neurologie.  Stuttgart: Kohlhammer. 2002;  377-399
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Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. Bernhard J. Steinhoff

Chefarzt der Klinik und Ambulanz für Erwachsene, Epilepsiezentrum Kork

Landstr. 1

77694 Kehl-Kork

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Literatur

  • 1 Brodie MJ, Overstall PW, Giorgi L. The UK Lamotrigine Elderly Study Group. . Multicentre, double-blind, randomised comparison between lamotrigine and carbamazepine in elderly patients with newly diagnosed epilepsy.  Epilepsy Res. 1999;  37 81-87
  • 2 Brodie MJ, Richens A, Yuen AWC. Double-blind comparison of lamotrigine and carbamazepine in newly diagnosed epilepsy.  Lancet. 1995;  345 476-479
  • 3 Chadwick DW, Anhut H, Greiner MJ. et al. . A double-blind trial of gabapentin monotherapy for newly diagnosed partial seizures. International Gabapentin Monotherapy Study Group 945-77.  Neurology. 1998;  51 1282-1288
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  • 14 Wiebe S, Blume WT, Girvin JP, Eliasziw M. A randomised, controlled trial of surgery for temporal-lobe epilepsy.  N Engl J Med. 2001;  345 365-367
  • 15 Wildemann B, Steinhoff BJ. Epilepsien und Epilepsiesyndrome.  In: Wildemann B, Fogel W, Grau A (Hrsg). Therapieleitfaden Neurologie.  Stuttgart: Kohlhammer. 2002;  377-399
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Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. Bernhard J. Steinhoff

Chefarzt der Klinik und Ambulanz für Erwachsene, Epilepsiezentrum Kork

Landstr. 1

77694 Kehl-Kork