Einleitung
Eine nicht zu unterschätzende Gefahr an den Badestränden vieler Urlaubsregionen stellen Quallenstiche dar, die zu schmerzhaften Kontaktdermatitiden aber auch zu potenziell lebensbedrohlichen Systemreaktionen führen können. Quallen zählen phylogenetisch zu den Nesseltieren (Cnidaria) und verfügen über gifthaltige Stechorganellen (Nematozysten), die dem Beutefang und der Verteidigung dienen. An den warmen Pazifik- und Atlantikküsten zählt Physalia physalis (Portugiesische Galeere, Portuguese Man-of-War) zu den häufigen Verursachern von Quallenstichen [9]
[13]. Ihre Tentakeln verfügen über tausende Nematozysten, deren Gift eine starke toxische Kontaktdermatitis hervorrufen aber auch systemische Reaktionen mit z. B. Übelkeit, Muskelkrämpfen und Parästhesien, sehr selten sogar Todesfälle verursachen kann [3].
Die umgangssprachliche Bezeichnung von Physalia physalis als „Caravella Portoghese” leitet sich von einer morphologischen Besonderheit ab: Physalia physalis verfügt über eine Pneumatophore, eine von spezialisierten Polypen gebildete, bläulich schimmernde, bis zu 30 cm große, ovaläre Gasblase, die es der Kolonie ermöglicht, an der Wasseroberfläche zu treiben und sich wie mit einem Segel im Wind fortzubewegen [3]. Dieser Tatsache wird die deutsche Bezeichnung „Galeere”, ein überwiegend durch Ruderkraft bewegtes mittelalterliches Kriegsschiff, nicht ganz gerecht [1].
Kasuistik
Ein 30-jähriger Urlauber bemerkte beim Baden im seichten Wasser einer Bucht im Südwesten der Kanarischen Insel La Palma (Abb. [1]) plötzlich einen stechenden Schmerz am rechten medialen Fußrücken, als ob ihn ein scharfer Gegenstand gestreift hätte. Nach dem sofortigen Verlassen des Wassers zeigte sich ein blasses, leicht urtikarielles Erythem im Bereich des rechten Großzehengrundgelenkes und der rechten medialen Fußkante (Abb. [2]). Der stechende Schmerz nahm während der folgenden halben Stunde unter einer Applikation heißen Sandes, zu der einheimische Badegäste geraten hatten, deutlich ab. Nach ca. 24 Stunden zeigten sich in gleicher Lokalisation streifenförmig konfluierende, pruriginöse, dunkelrote Papeln (Abb. [3]), die sich auf eine topische Therapie mit Prednicarbat über 2 Tage vollständig zurückbildeten.
Abb. 1 Schwarze Lavastrände in kleinen Buchten von La Palma.
Abb. 2 Erythem und flache urtikarielle Hautveränderungen am rechten medialen Fußrücken.
Abb. 3 Perlschnurartig angeordnete erythematöse, pruriginöse Papeln.
Am Tag des Ereignisses wurde im seichten Wasser eine „Portugiesische Galeere” gefangen, eine leuchtend blaue Qualle mit mehreren, bis zu 80 cm langen Tentakeln und einer gasgefüllten Blase (Pneumatophore) mit einem auffälligen rosafarbenen Randstreifen (Abb. [4]).
Abb. 4 Physalia physalis wird mit einem Stock an einer Tentakel hochgehalten. Die Pneumatophore mit dem rosafarbenen Randstreifen ist gut zu erkennen.
Diskussion
Physalia physalis
Physalia physalis zählt taxonomisch zu den Nesseltieren (Cnidaria) und wird der Unterklasse Siphonophora (Staatsquallen) der Hydrozoa (Hydroquallen) zugeordnet.
Eine Staatsqualle besteht aus einer Kolonie hochspezialisierter Polypen (Zooiden), die jeweils unterschiedliche Organfunktionen wie Nahrungsaufnahme, Verteidigung und Reproduktion übernehmen und symbiotisch so eng zusammenleben, dass sie von außen betrachtet wie ein Einzelwesen wirken [5]. Zu den Hauptnahrungsquellen von Physalia physalis zählen Fischlarven, aber auch kleinere erwachsene Fische und Krustentiere, die sie in ihren Tentakeln fängt [11]
[12]. Die pazifische Physalia physalis verfügt nur über eine einzige Tentakel im Gegensatz zu der atlantischen, deren zahlreiche Fangarme bis zu 30 m Länge erreichen können [2]. Nach der Verdauung der Beute in den „Mägen” (Gastrozooiden) werden die Nährstoffe allen Polypen der Kolonie zugeführt. Physalia physalis kann sich nur passiv mit Hilfe des Windes fortbewegen, der sich in der Pneumatophore fängt, die wie ein gebogenes und sich zu einer Seite verjüngendes Segel wirkt. Interessanterweise existieren 2 spiegelbildliche Versionen von Physalia physalis, so dass die Kolonien bei gleicher Windrichtung in unterschiedliche Richtungen segeln [11].
Medizinische Bedeutung von Physalia physalis
Die Tentakeln von Physalia physalis sind mit tausenden Nematozysten bewehrt, Zellen in denen sich die Nematozyten befinden. In diesen Organellen befindet sich eine gifthaltige Hohlfaser mit einer harpunenartigen Spitze, die auf chemische oder taktile Reize mit hoher Geschwindigkeit hervorschnellt und sich mit Widerhaken im Ziel einbohrt. Die Länge der Hohlfaser reicht im Allgemeinen aus um die Kapillaren der menschlichen Dermis zu erreichen. Die Handflächen und Fußsohlen bieten aufgrund ihrer dicken Epidermis einen gewissen Schutz vor dem Eindringen der giftigen Hohlfaser, die sogar chirurgische Schutzhandschuhe penetrieren kann [13].
Das Gift von Physalia physalis führt im Tierexperiment zu Ionenverschiebungen über eine Porenbildung in der Zellmembran, was ein osmotisches intrazelluläres Ödem und eine Zelllyse zur Folge hat [6]
[7]. Klinisch zeigen sich zunächst perlschnurartige urtikarielle, schmerzhafte Streifen an den Kontaktstellen mit den Tentakeln von Physalia physalis und nicht selten treten innerhalb von 15 Minuten Übelkeit sowie Schmerzen im Abdominal- und Rückenbereich auf. Später wandeln sich die urtikariellen Läsionen zu vesikulösen oder hämorraghisch-nekrotisierenden Papeln um, die gelegentlich erst nach mehreren Wochen abheilen. Manchmal folgen papulovesikulöse oder pustulöse Spätreaktionen einem 1 - 2 Wochen dauernden erscheinungsfreien Intervall nach einem Stich, die sich histologisch als allergische Kontaktdermatitis darstellen und gelegentlich unter Hinterlassung einer postinflammatorischen Hyperpigmentierung abheilen. Systemische Reaktionen können sich unabhängig von der Ausdehnung der Kontaktfläche mit den Tentakeln als Muskelkrämpfe, Lymphadenopathien, Parästhesien, Erbrechen, Luftnot, Synkopen, generalisierte Krampfanfälle und komatöse Zustände manifestieren [3]
[4]
[10]. Unklarheit herrscht darüber, ob die seltenen Todesfälle auf anaphylaktoide Reaktionen oder auf Ertrinken in einer Paniksituation zurückzuführen sind [3].
Therapie und Prävention
Nach einem Quallenstich sollten evtl. noch anhaftende Tentakeln unverzüglich entfernt werden [4], am besten durch Abspülen mit Meerwasser, da Süßwasser zu einem osmotischen Zerplatzen der Nematozysten führt und damit weiteres Gift freisetzt. Tentakeln, die auf diese Weise nicht abgelöst werden können, müssen mit den Fingern entfernt werden. Ratsam ist hierbei die Verwendung von (behelfsmäßigen) Handschuhen, wenngleich der ungeschützte Fingerkontakt aufgrund der dickeren palmaren Epidermis im Allgemeinen nur zu einem leichten Kribbelgefühl führt. Das Reiben der betroffenen Hautareale sollte vermieden werden, da hierdurch ebenfalls Gift freigesetzt werden kann [3]
[10]
[13]. Gut schmerzstillend wirken Kühlkompressen oder Eis, das in wasserdichtes Material eingewickelt werden sollte, um die Haut trocken zu halten [8]. Uneinheitliche Empfehlungen bestehen bezüglich einer topischen Applikation von Speiseessig zur Denaturierung des Physalia-physalis-Giftes, da hierdurch in einigen Fällen bei pazifischen Portugiesischen Galeeren eine Giftentladung der Nematozysten provoziert wurde. Daher sollte der Effekt des Speiseessigs zunächst an einer Probestelle getestet werden [3]
[10]
[13]. Bei systemischen Reaktionen muss eine adäquate Erste Hilfe erfolgen und für eine zügige stationäre Intensivtherapie gesorgt werden [3]
[13]. Weitere Therapieoptionen umfassen topische und systemische Kortikoide, orale Antihistaminika und Analgetika [10]. Bezüglich einer Hitzeapplikation, z. B. mit heißem Sand, fanden sich in der Literatur keine wissenschaftlich begründeten Empfehlungen.
Das Risiko einer Quallenstichverletzung kann durch ein umsichtiges und rasche Bewegungen vermeidendes Verhalten im Wasser reduziert werden. In stark infestierten Strandabschnitten kann das Tragen von spezieller Schutzkleidung und das Aufstellen von Warnhinweisen erforderlich sein. Es ist zu beachten, dass auch verendete, an den Strand gespülte Exemplare von Physalia physalis noch lange ihre Giftigkeit behalten [13]. Aufgrund ihrer Pneumatophore kann die Portugiesische Galeere leicht mit einer im Wasser treibenden Plastiktüte verwechselt werden, was bei Bergungsversuchen zu einer gefährlichen Überraschung führen kann.