Aktuelle Dermatologie 2005; 31(3): 117-120
DOI: 10.1055/s-2004-826222
Kleine Kulturgeschichte der Haut
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hautkrebs bei alten Hochkulturen

Skin Cancers in Ancient CulturesM.  Reitz
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Dr. Manfred Reitz

Schillerstr. 7 · 99423 Weimar

Email: mreitz@imb-jena.de

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Publication Date:
14 February 2005 (online)

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Krebs ist eine uralte Erkrankung, von der nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und Pflanzen befallen werden. Praktisch alle hoch entwickelten vielzelligen Organismen mit differenzierten Zellen können von einer Krebserkrankung betroffen sein. Die ältesten Hinweise auf Krebserkrankungen stammen von fossilen Saurierknochen. Auch bei den Vorläuferformen des Menschen kam Krebs vor. In Kenia wurden 1932 Teile des Skelettes eines Australopithecus gefunden. Zum Skelett gehörte auch ein fossiler Kieferknochen, bei dem Ärzte die Spuren eines Burkitt-Lymphoms vermuten. Es kann angenommen werden, dass Krebserkrankungen die gesamte menschliche Evolution begleitet haben [1].

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Hautkrebs bei den ersten Schmieden?

Beim modernen Homo sapiens können Krebserkrankungen bis in die vorhistorische Zeit zurückverfolgt werden. Der Nachweis gelingt dabei einerseits über einen direkten Weg, bei dem Knochen- und Mumienfunde analysiert oder uralte ärztliche Dokumente ausgewertet werden. Andererseits gibt es aber auch einen indirekten Weg, um auf mögliche frühe Krebserkrankungen zu schließen. Die ersten Schmiede arbeiteten mit Arsenbronzen und kannten noch keine Zinn- oder Bleibronzen. Es ist wahrscheinlich, dass der Kontakt mit Arsen neben anderen Erkrankungen auch Hautkrebs auslöste. Der Gott der Schmiede trägt zum Beispiel viele Namen; bei den Griechen heißt er Hephaistos, bei den Römern Vulkan und bei den Germanen Wieland (Abb. [1]). Wenn auch die Namen verschieden sind, die Person des Gottes ist in allen frühen Kulturen nahezu identisch. Der Gott der Schmiede hinkt in den Beschreibungen oder fällt durch Lähmungen in verschiedenen Körperbereichen auf. Da die frühen Hochkulturen in ihren Schmelzöfen für Metalle noch keine hohen Temperaturen erreichen konnten, wurde der halb geschmolzene Kupfer- und Arsenanteil zunächst zur echten Bronze verhämmert und eignete sich erst anschließend für einen Gebrauch. Unter Lufteinfluss oxidiert Arsen allerdings sehr rasch und geht direkt vom festen in einen gasförmigen Zustand über. Die frühen Schmiede arbeiteten deshalb in einer Giftwolke aus Arsen und ruinierten ihre Gesundheit. Die Vorbilder zum Gott der Schmiede waren sicherlich frühe Meisterschmiede, und diese Männer waren häufig krank. Die Mythen beschreiben bei ihnen zwar nur Lähmungen, doch wahrscheinlich litten sie auch an durch Arsen ausgelöste Hautkrebserkrankungen. Es fällt auf, dass ab dem 3. Jahrtausend vor Christus die Arsenbronzen langsam verschwanden und nach und nach durch Zinn- und Bleibronzen abgelöst wurden [2].

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Melanomerkrankungen der ersten Inka

In manchen frühen Knochenfunden können Metastasen eines Melanoms nachgewiesen werden (Abb. [2]). Dabei lassen sich über die Häufigkeit von Melanommetastasen in Knochen genetische Anpassungen an ein Leben unter hoher Belastung durch UV-Strahlungen nachweisen. Bei der Entwicklung eines Melanoms gibt es eine starke genetische Komponente. Hellhäutige und blonde Menschen erkranken schneller und häufiger als dunkelhäutige und dunkelhaarige. In Australien sind zum Beispiel die europäischen Einwanderer und ihre Nachkommen viel häufiger von einem Melanom betroffen als die Ureinwohner. Bei den heutigen Nachfahren der Inka in Peru ist ein Melanom recht selten. Die Menschen der Hochanden sind genetisch an die intensive UV-Bestrahlung der Sonne angepasst und erkranken weniger oft als Europäer an Hautkrebs. In uralten Knochenfunden aus der frühen vorkolumbianischen Inka-Zeit lassen sich jedoch häufiger als bei den gegenwärtigen Nachkommen der Inka die Folgen von Melanommetastasen am Schädelknochen nachweisen. Durch Altersbestimmungen der Knochenfunde wird vermutet, dass die Vorfahren der heutigen Bewohner erst vor rund 3000 Jahren in den Hochanden einwanderten. Diese Menschen waren genetisch noch nicht an eine hohe UV-Bestrahlung angepasst und erkrankten wesentlich häufiger an einem Melanom als ihre heutigen Nachkommen. Durch diese Anpassung konnte der Mensch dauerhaft die Anden besiedeln und sogar eine Hochkultur erschaffen [1].

Vor den Inka lebte in Peru das Volk der Mochica, die sehr geschätzte Keramikarbeiten hinterließen. Viele Gefäße haben die Form von Menschen und Menschenköpfen, wobei die Künstler großen Wert auf realistische Darstellungen legten. Dabei wurden auch kranke Menschen abgebildet. Es gibt unter den Keramiken Menschen mit Hasenscharten oder einem Sarkom im Gesicht. Manche im Ton dargestellte Hautveränderungen lassen auf unterschiedliche Hauterkrankungen schließen, zu denen möglicherweise auch Hautkrebs gehören könnte. Bei einer Figur glauben Fachleute sogar die Spuren einer Syphilis-Infektion zu erkennen. Diese Figur wäre damit ein denkbarer Beleg, dass sich die Syphilis, wie häufig angenommen, in Amerika entwickelt hat und nach der Entdeckung Amerikas in Europa eingeschleppt wurde [4].

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Hautkrebs im alten Ägypten

In der frühen Antike wurden Krankheiten als eine Strafe der Götter oder als ein göttliches Zeichen gewertet. In Erzählungen der altägyptischen Literatur hadern viele Patienten mit ihren Göttern und beklagen, warum gerade sie so schwer erkrankt sind. Behandelt wurde mit Magie und Zauberei, aber es gab auch erste wissenschaftliche Ansätze. Manche Arzneimittel verblüffen sogar noch heute. Für Reisende durch Wüstengebiete wurde die Krautwurzel „Ami-Majos” empfohlen. In diesem Kraut isolierten später Chemiker den Wirkstoff 8-Methoxypsoraten, der vor einem Sonnenbrand schützt. Gut erreichbare Krebserkrankungen wurden entweder herausgeschnitten oder ausgebrannt. Es ist wahrscheinlich, dass solche Therapiemaßnahmen auch beim Hautkrebs angewendet wurden [3].

An uralten Mumien können noch heute manchmal Krebserkrankungen diagnostiziert werden, die mit Knochen nicht in Verbindung stehen. Gerade altägyptische Mumien bilden hier ein breites Untersuchungsfeld (Abb. [3]). An diesen oft rund 5000 Jahre alten Toten tauchen sogar Raritäten auf. An zwei altägyptischen Mumien wurden beispielsweise Deformationen gefunden, die auf ein 1960 erstmals beschriebenes Gorlin-Syndrom hinweisen. Bei diesem Syndrom können multiple Hauttumoren auftreten, so dass die Erkrankung auch Basalzellnävoidsyndrom heißt. Beide männliche Mumien sind wahrscheinlich Brüder gewesen, denn die Erkrankung besitzt eine genetische Komponente und tritt mit einer Häufigkeit von 1:50 000 sehr selten auf [1].

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Der Tumor des Gottes Xensu

Nach der Erfindung der Schrift wurden zahlreiche Dokumente überliefert, die ebenfalls auf frühe Krebserkrankungen hinweisen. Sie bieten gute Ergänzungen zu den direkten Analysen von Mumien und Knochenfunden. Die ältesten Hinweise stammen von Ärzten aus Ägypten und Mesopotamien. Im altägyptischen Papyrus Ebers wird bereits zwischen verschiedenen Krebserkrankungen unterschieden, und im Papyrus Edwin Smith werden sogar Operationstechniken zur Behandlung von Krebspatienten erwähnt (Abb. [4]). Der Papyrus Kahoun beschreibt schließlich genau die Symptome eines Gebärmutterkrebses der Frau. Altägyptische Ärzte wussten auch, dass unbehandelte Tumoren dem Patienten manchmal eine längere Lebenserwartung sichern konnten als eine ausgiebige medizinische Behandlung wie etwa das Ausschneiden und Ausbrennen oder das Auftragen von bestimmten Salben, die akut gefährlicher sein konnten als die Krebserkrankung selbst. Der Papyrus Ebers [3] schreibt: „… Es ist ein Tumor des Gottes Xensu. Lege nicht Hand gegen ihn an …” Heute vermuten Ärzte im gut beschriebenen „Tumor des Gottes Xensu” ein Kaposi-Sarkom. Hier wussten die Ärzte der Pharaonenzeit, dass sie mit ihrer Kunst am Ende waren (Abb. [5]).

Insbesondere für die Behandlung von Hautkrebs wurden im alten Ägypten und Mesopotamien giftige Kräuterpasten mit manchmal beigemischten Teer- und Arsenzusätzen entwickelt, um das Operationsfeld zu bestreichen. Im alten Indien gab es eine Creme auf der ausschließlichen Grundlage von Arsen, und altchinesische Mediziner behandelten Geschwülste mit Quecksilber. Früh war bekannt, dass Hautkrebs stets großzügig operiert werden musste und es notwendig war, auch das auf den ersten Blick noch gesunde Nachbargewebe zu entfernen. Aufgrund seiner großen Erfahrungen schrieb der Grieche Hippokrates, einer der Väter der modernen Medizin: „… Es ist besser, den verborgen liegenden Tumor nicht zu behandeln; denn werden sie behandelt, sterben die Patienten sehr bald, bleiben sie jedoch unbehandelt, so leben sie noch eine lange Zeit” (Aphorismus Nr. 38). Die heute übliche Bezeichnung „Krebs” stammt von dem Römer Galen, der in seinen bis in das Mittelalter gültigen Schriften bereits zwischen 60 verschiedenen Krebserkrankungen unterschied. Galen hatte beobachtet, dass beim fortgeschrittenen Brustkrebs das krankhafte Gewebe oft wie der Körper eines Krebses aussah und die Blutgefäße zur Versorgung des krankhaften Gewebes an die Beine eines Krebses erinnerten [4].

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Kosmetika und Hautkrebs

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die in den alten Hochkulturen üblichen Kosmetika die Entwicklung von Hautkrebs gefördert haben. Die schwarze Schminke der Ägypterin wurde aus Bleiglanz hergestellt. Heute ist bekannt, dass Blei krebserregend sein kann. Für ihre Kosmetika und Salben erschlossen die Ägypter sogar weite Handelswege. Manche ihrer Salben enthielten beispielsweise Antimon, das in der Antike fast nur am Fluss Sambesi tief im Inneren von Afrika gefunden wurde. Andere Zutaten wie etwa die Rinde des Zimtbaumes oder Pfefferkörner kamen über Zwischenhändler vermutlich aus Indien oder China. Im alten Indien hellten Frauen der Oberschicht ihre Haut mit einer Creme aus Bleiweiß (Bleioxid) auf. Sie stellten damit ihren Reichtum zur Schau und demonstrierten, dass sie es nicht notwendig hatten, im Freien zu arbeiten. Im römischen Reich spitzten Frauen der Oberschicht schließlich den Kosmetikkult mit damals noch unbekannten giftigen Inhaltsstoffen noch weiter zu. Poppaea, die Ehefrau von Kaiser Nero, benutzte Bleiweiß zum Aufhellen der Haut nahezu täglich. In der Nacht trug sie eine Gesichtsmaske aus Bohnenbrei, der am Morgen durch ein Bad in Eselsmilch wieder entfernt wurde. Danach ließ sie sich den Körper mit weißem Kalk pudern und das Gesicht mit Bleiweiß salben. Wangen und Lippen wurden zuletzt mit einem grellen Rot überdeckt. Da die Kaiserin für reiche Römer ein Vorbild war, haben sicherlich viele Frauen ihre Gesichtshaut regelmäßig mit Bleiweiß strapaziert und damit manche Krebserkrankung ausgelöst [2].

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Abb. 1 Hephaistos, der griechische Gott der Schmiede, hatte lahme Beine und konnte nur im Sitzen seiner schweren Arbeit nachgehen. Dargestellt ist eine griechische Trinkschale aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.

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Abb. 2 Schädel aus der frühen Inka-Zeit, gefunden in Peru. Im Schädelknochen sind die Metastasen eines Melanoms zu erkennen (aus: Cancer 19, 609 [1966]).

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Abb. 3 Kopf der Mumie von Pharao Ramses II. (ca. 1280 - 1210 v. Chr.). Der Pharao hatte rote Haare, die im Alter mit Henna nachgefärbt wurden. Er litt an Arthrose und Arterienverkalkung, daneben hatte er Zahnprobleme (Ägyptisches Nationalmuseum, Kairo).

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Abb. 4 Geräteschrank eines ägyptischen Arztes aus der Antike, Darstellung an einer Tempelmauer. Manche Geräte wie Zangen oder Haken wirken erstaunlich modern (Tempel von Kom Ombo).

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Abb. 5 Ausschnitt aus dem Papyrus Ebers (um 1600 v. Chr.). Der Papyrus beschreibt bereits unterschiedliche Krebserkrankungen und gibt auch Anweisungen für etwa 900 Medikamente auf der Grundlage von Pflanzen und Mineralien. Er ist in hieratischer Schrift verfasst. Hieroglyphen stellten eine amtliche Dokumentenschrift dar und wurden im Alltag selten verwendet (Universitätsbibliothek, Leipzig).

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Literatur

  • 1 Greaves M. Krebs - der blinde Passagier der Evolution. Berlin; Springer 2003
  • 2 Reitz M. Auf der Fährte der Zeit. Weinheim; Wiley-VCH 2003
  • 3 Thorwald J. Macht und Geheimnis der frühen Ärzte. München; Droemer Knaur 1962
  • 4 Toellner R. Illustrierte Geschichte der Medizin. Augsburg; Bechtermünz 2000

Dr. Manfred Reitz

Schillerstr. 7 · 99423 Weimar

Email: mreitz@imb-jena.de

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Literatur

  • 1 Greaves M. Krebs - der blinde Passagier der Evolution. Berlin; Springer 2003
  • 2 Reitz M. Auf der Fährte der Zeit. Weinheim; Wiley-VCH 2003
  • 3 Thorwald J. Macht und Geheimnis der frühen Ärzte. München; Droemer Knaur 1962
  • 4 Toellner R. Illustrierte Geschichte der Medizin. Augsburg; Bechtermünz 2000

Dr. Manfred Reitz

Schillerstr. 7 · 99423 Weimar

Email: mreitz@imb-jena.de

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Abb. 1 Hephaistos, der griechische Gott der Schmiede, hatte lahme Beine und konnte nur im Sitzen seiner schweren Arbeit nachgehen. Dargestellt ist eine griechische Trinkschale aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.

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Abb. 2 Schädel aus der frühen Inka-Zeit, gefunden in Peru. Im Schädelknochen sind die Metastasen eines Melanoms zu erkennen (aus: Cancer 19, 609 [1966]).

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Abb. 3 Kopf der Mumie von Pharao Ramses II. (ca. 1280 - 1210 v. Chr.). Der Pharao hatte rote Haare, die im Alter mit Henna nachgefärbt wurden. Er litt an Arthrose und Arterienverkalkung, daneben hatte er Zahnprobleme (Ägyptisches Nationalmuseum, Kairo).

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Abb. 4 Geräteschrank eines ägyptischen Arztes aus der Antike, Darstellung an einer Tempelmauer. Manche Geräte wie Zangen oder Haken wirken erstaunlich modern (Tempel von Kom Ombo).

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Abb. 5 Ausschnitt aus dem Papyrus Ebers (um 1600 v. Chr.). Der Papyrus beschreibt bereits unterschiedliche Krebserkrankungen und gibt auch Anweisungen für etwa 900 Medikamente auf der Grundlage von Pflanzen und Mineralien. Er ist in hieratischer Schrift verfasst. Hieroglyphen stellten eine amtliche Dokumentenschrift dar und wurden im Alltag selten verwendet (Universitätsbibliothek, Leipzig).